„Nach dem Spiel bleiben die Verlierer wie begossene Pudel zurück und denken über ihre Fehler und verpaßten Chancen nach. Die Meute von Zuschauern und Reportern geht mit den Siegern, zupft sie von vorne oder hinten am Trikot, um einen Blick oder Kommentar zu erhaschen. Die Sieger gehen weiter und nehmen den Trubel um sie herum kaum wahr. Sie drücken dem einen oder anderen flüchtig die Hand, damit er Ruhe gibt und sie sich aus dem Gedränge in die Kabinen retten können.“
(Dante, Purgatorium, Sechster Gesang, ca. 700 Jahre vor der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika;
wahrscheinlich konnte Dante sich gar nicht vorstellen, daß nach einer 1:0-Niederlage selbst der Verlierer glückstrahlend vom Feld gehen kann.)
1. “Die Nomaden”
Das Spiel ist noch nicht erschieden. Noch nicht einmal der Verleger steht fest. Maximillian (der von „Macht$piele“) hat es erfunden und bis zur Prototyp-Reife ausgearbeitet; heute kam er bei uns am Westpark vorbei, um es testen zu lassen.
Wer den Autor von „Macht$piele“ im Internet nachschaut, wird keinen „Maximillian“ finden. Dort versteckt er sich unter dem Pseudonym „Bauldric & Friends“, wie bei seinen anderen Spiele auch. 12 Stück hat er augenblicklich in der Mache. Für Idee und die Basisversion braucht er nur wenige Tage (!), wenn nicht sogar Stunden (!!). Bisher haben wir immer geglaubt, eine Spieleentwicklung müsse Jahre dauern. Offensichtlich geht es auch schneller.
Allerdings dauert es dann doch noch Monate, bis ein Verlag die Idee übernommen, das Thema nach der eigenen Verlagsphilosophie adaptiert und das Spiel serienfertig auf den Markt gebracht hat. Manchmal kennt der Autor dann sein eigenes Spiel nicht mehr wieder. So ging es Max auch mit seinem jüngsten Kind, das demnächst bei Hans-im-Glück erscheint. Aus dem Erwerben von liebreizenden Damen (mittels Blumen, Diamanten und flotten Sprüchen) wurde das Zusammenstellen einer Tierfarm (wahrscheinlich mit Möhrchen, doch die Details dazu haben wir nicht näher erfragt).
Max legt als kreativer Spieleerfinder (in Berufung aber nicht als Beruf) wenig Wert auf große Marktakzeptanz und hohe Verkaufszahlen. Sein Ehrgeiz ist es, bei Spielefreaks anzukommen und vielleicht einmal einen Spitzenplatz in den Charts bei Boardgame-Geeks zu bekommen. Seine grundlegende Konstruktionsidee ist Dynamik im Aufbau. Die Spieler sollen ihren Besitzstand entwicklen, aber nichts ist sicher, alles ist in Bewegung; Preise und Kosten hängen ausschließlich von den Interaktionen der Spieler ab. Dabei soll das Spiel samt Regeln nicht kompliziert sein, aber komplex. Voll dieser Richtung liegen seine „Normaden“.
Jeder Spieler führt ein Nomandenvolk durch die Jahreszeiten. Wir bewegen unsere Pöppel über die Felder jahreszeitlicher Regionen, vermehren uns, küren Häuptlinge, bauen Lagerplätze und Dörfer, ernähren unsere Bevölkerung, und ernten unsere Äcker. In den Frühjahr- und Sommerregionen bekommt wir die Nahrung umsonst. In den Winter-Regionen können wir die benötigte Nahrung nur mit Mühe zusammenkratzen. Da ist es manchmal besser, seine Pöppel in den Winterschlaf fallen zu lassen und sie erst wieder zu aktivieren, wenn der Frühling wieder da ist.
Um die fruchtbarsten Äcker zur besten Jahreszeit gibt es natürlich ein Gedränge. Nur maximal zwei Spieler dürfen einen Acker besetzen; für weitere Spieler ist das Betreten dann Tabu, es sei denn, ein sie kommen mit großer Mehrheit; dann können sie einen einzelnen fremden Spielstein verdrängen. Zwei oder mehr Spielsteine auf einem Acker (vom gleichen oder von verschiedenen Spielern) bringen höhere Erträge; d.h. das Betreten eines gemachten Bettes durch einen fremden Spieler ist nicht a priori verpönt, auch wenn die Erträge dann geteilt werden müssen.
Gemeinsamkeit macht sich auch in der „Schamanenphase“ bezahlt. Hier darf jeden Spieler einen Teil seiner Zugpotenz investieren, um die Wirtschaftlichkeit in einer Region zu modifizieren, z.B. höhere Erträge für alle oder aber auch größerer Nahrungsbedarf für alle. In Regionen, in denen viele Spieler anwesend sind, gehen die Modifikationen naturgemäß häufiger in die positive Richtung. Einer Regionen, in denen ein Spieler sich alleine engagiert hat, werden von der Mehrheit der Mitspieler mit großer Wahrscheinlichkeit die negativen Effekte aufgeladen.
So besitzen „Die Nomaden“ ein sehr komplexes Netz von gegenläufigen Abhängigkeiten:
– Schützt man sich durch paarweises Zusammenlegen seiner Pöppel vor Verdrängung, so geht das auf Kosten von Ertragsmaximierung.
– Wartet man mit „Tempozügen“ die Entwicklung der anderen ab, kann man hinterher darauf besser reagieren; allerdings sind manchmal dann schon die besten Plätze besetzt.
– Vermehrung schafft mehr Ernte- und Verdrängungspotential, erfordert aber auch mehr Nahrung und mehr Aktionspunkte beim Bewegen.
– Die Umwandlung von einfachen Nomaden in Häuptlinge löst das Ernährungsproblem, geht aber auf Kosten von Kopfzahlen.
– Auf welchen Äckern soll man sich engagieren? Einige Rohstoffe werden im Endspiel für hohe Siegpunkt-Einsätze benötigt, Nahrung hilft zum Überleben in den kalten Jahreszeiten und Aktionen (die ebenfalls auf Äckern „wachsen“) erlauben mehr Bewegung, mit denen wir den Winter-Regionen davonlaufen können.
– Soll man als Schamane seinen Handlungsspielraum opfern, um eine unglückliche Konstellation selber zu beseitign oder hofft man, dass dies ein Mitspieler tun, der noch mehr darunter leidet?
– und einiges mehr
Diese Abhängigkeiten sind so gut ausbalanciert, daß die verschiedensten Strategien zum Sieg führen können: Viele Aktionen, viele Nahrung, früher Bau von Lagerstätten und Dörfern. Selbst das oportunistische Mitschwimmen im Meer der möglichen Aktionen unter Ausnutzung des jeweils nächstbesten Zuges hat gewisse Siegchancen. Max wurde zu Beginn um seine eigene Strategie für heute gefragt. Er hielt sich bedeckt. Schließlich wollte er auch in einem Feld von Neulingen noch als Sieger hervorgehen, und dazu gehört unbedingt, daß keiner das strategische Vorgehen kennt und dagegen arbeitet. Doch für den Sieg muß die richtigen Strategie auch noch von einem ein konsequenten, fehlerfreien Vorgehen begleitet sein. Und das ist selbst bei längeren Analysieren und Planen nicht immer zu bewerkstelligen. Mit Freude konnten wir auch vom Autor solche Sprüche hören wie: „Was hab’ ich jetzt wieder für einen Scheiß gemacht!“
Dreieinhalb Stunden dauerte das Spiel (, ohne die gut einstündige mündliche Einführung). Bis zum Schluß blieb es spannend. Dazu trägt auch bei, daß einige langfristig vorbereitete Züge riesige Siegpunktmengen einbringen, und es nicht zu übersehen war, wer mit seinen Planungen am ehesten das erforderliche Limit überschreiten würde. Der Autor war’s! Knapp!
Jeder hätte noch länger an seinen Zügen herumrechnen können. Das ist vielleicht einer der Nachteile der „Nomaden“. Nicht immer hat man Zeit und Lust für ein dreistündiges Aufbauspiel. Doch das ist der einzige Nachteil!
WPG-Wertung: Günther: 6 (Einschränkung, weil das Spiel zu lange dauert; die Kompexität, auch wenn sie gut durchkonstruiert ist, ist an manchen Stellen gar nicht notwendig), Hans: 8 („auf jeden Fall“), Walter: 8 (eine Masse von hübschen Spielideen in eine runde Gesamtgestaltung gegossen) .
Die langen Denkzeiten waren heute kein Problem. Erstens gab es laufend etwas mit dem Autor zu diskutieren. Und zweitens gab es im Untergrund ein lebenswichtiges Fußballspiel, das im Life-Ticker und durch die Freudenschreie der besten aller Ehefrauen ständig für Abwechslung sorgte. Das ist vielleicht eine Möglichkeit, manche Denkerspiele für die Mitwelt überhaupt erst genießbar zu machen: Laßt im Hintergrund ein spannendes Nebenprogramm laufen (wenn keine Fußball-WM ist, tut’s vielleicht auch ein saftiger Porno), so daß die Auf-das-Ende-von-Denkprozessen-wartenden Mitspieler Ablenkung haben und zuweilen gar nicht erst zum Spieltisch zurückkehren mögen. Vielleicht kam man die notwendigen Bildbeiträge sogar gleich zusammen in der Spielschachtel ausliefern.
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16.06.2010: Brot und Brettspiele
Walter ist unter die Brotbäcker gegangen. Was sollte er auch tun, seit er aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden ist. Spiele erfinden? Aaron (siehe „ausgeschieden“) ist überraschenderweise ebenfalls ein begnadeter Bäcker und hat gerne eine Probe von Walters heutigen Backversuch gekostet. „Guter Geschmack“ war das einhellige Urteil für Roggenmehl, Kartoffelbrei, geröstete Zwiebeln, Kürbiskerne und selbstgebrautem Sauerteig. Vielleicht war der Laib innen noch etwas zu klamm. Aaron fragte unverzüglich nach der Backzeit: 10 Minuten bei 250 Grad, 10 Minuten bei 200 Grad und eine halbe Stunde bei 175 Grad. „Eigentlich hätte das reichen sollen.“ lautete sein fachmännischer Kommentar. Wenigstens geschmacklich gab es nichts auszusetzen. Nicht einmal etwas von der kritischen Ehefrau, wenn man den Nachsatz: „Aber ich würde gerne mal wieder ein richtiges Bäckerbrot essen“ nicht auf die Goldwaage legt. Vielleicht kann das selbstgebackene Brot in Zukunft am Westpark sogar die ungesunden und garantiert rot-ampeligen Kartoffelchips verdrängen.
1. “A la carte”
Passend zur Bäckerei kam mit „A la carte“ gleich ein Kochspiel auf den Tisch, die Überarbeitung eines 20 Jahre alten Vorgängers vom einstmals äußerst innovativen Karl-Heinz Schmiel („Die Macher“) bei Moskito-Spiele. Und obwohl es sich nur um ein Remake handelt, schaffte es das Spiel bis in die Auswahlliste zum „Spiel des Jahres“ 2010. Günther hatte es mit seinem Spuiratzn-Team durch einen dritten Platz bei den Vorausscheidungen zur Deutschen Brettspielmeisterschaft gewonnen.
Das Spielmaterial ist äußerst liebevoll zusammengestellt. Es gibt Fläschchen mit den Gewürzen Pfeffer, Paprika, Safran und Kurkuma (zumindest mit deren Farben), es gibt wunderschöne Kochplatten mit einem Drehknopf für die Temperatur, Metallpfannen, Spülbecken, Mülleimer (als Bäckerlehrling weiß man das besonders zu schätzen), Tabletts, Kaffeetassen für die Pause zwischendurch und natürlich Rezepte, die wir mit den richtigen Gewürzen bei der richtigen Temperatur herstellen sollen.
Die Namen der Gerichte zeugen von hoher Goumet-Erfahrung des Autors. Oder des Verlages. „Bei Nilpferd in Burgunder“ läuft einem doch schon das Wasser im Mund zusammen, und „Leberkäs Hawaii“ darf auf keiner bayerischen Speisekarte fehlen. Aaron fand die „Sauren Zipfel in Sahnesauce“ leicht pornographisch; seit den Vorgängen im Bistum Augsburg sind wir bei mißverständlichen Formulierungen wohl alle hellhöriger geworden.
Die Basis, Fisch, Fleisch oder Vegetarisches, wandert automatisch in die Pfanne, würzen müssen wir, indem wir die richtigen Gewürzfläschen auswählen und einmal über der Pfanne umkippen. Wenn dann genau die richtige Gewürzmenge aus dem Fläschchen herausgerieselt ist, sind wir glücklich und haben mindestens eine Bedingung für ein gelungenes Gericht erfüllt. Ist zu wenig herausgerieselt, müssen wir noch einen Zug für das Nachwürzen opfern. Oder noch einen. Ist zuviel herausgerieselt, ist das Gericht verdorben und wandert in den Müll (siehe Bäckerlehrling).
Erschwert wird die Würzerei dadurch, dass sich in den Gewürzfläschchen auch unerwünschte Salzkörner befinden, die, in zu hohen Maßen herausgeschüttelt, ein Gericht ebenfalls ungenießbar machen.
Die Temperatur wird per Würfel eingestellt. Für jedes Würfelauge müssen wir die Temperatur um eine Stufe erhöhen. Für besondere Würfelaugen müssen die Mitspieler auch ihre Heizplatten höher stellen. Wenn dann ein Gericht verbrannt ist, landet es wieder im Mülleimer. Beim Vorlesen dieser Regeln umwölkte sich unverzüglich Walters Stirn, doch Aaron und Günther konnten umgehend beschwichtigen: „Das ist doch ein Dödelspiel!“ Bei Wikipedia und bei LEO weiß man zwar nicht, was „dödeln“ ist, doch den bayrischen (?) Ausdruck für eine nicht ernst zu nehmende Sache kennen selbst die Zuagroasten.
Wir dürfen auch bei unseren Kochkonkurrenten nachwürzen, um denen die Suppe zu versalzen. Wir dürfen sogar mit unseren Mitspielern die Herde (das ist kein Sammelbegiff für eine tierische Lebensform, sondern unser Kochgerät) samt Pfanne und Inhalt vertauschen. So, jetzt wißt ihr hoffentlich alle, was „dödeln“ ist.
Für ein Gericht, das mit genau den vorgeschriebenen Gerichten und keinem Störsalz dazwischen im richtigen Temperaturrahmen zu Ende gebacken wurde, bekommt der Koch einen Schmiel-Stern. Sobald ein Spieler den dritten Stern erhalten hat, ist er Sieger. Wer von uns hat wohl diese Auszeichnung gewonnen. Der Bäckerlehrling oder sein Berater? Der Berater! Ohne einen einzigen Gewürz-Fehlwurf hatte er seine „Spaghetti al Rabiata“, den „Calzone Capone“ und die „Maus o Schokolad“ über die Runden gebracht. Da sag’ nochmal einer etwas gegen ein „Dödelspiel“!
WPG-Wertung: Aaron:7 („möchte es nicht jeden Abend spielen“, aber vielleicht ab und zu einmal am hellerlichten Tage , Günther: 7 (einem geschenkten Barsch …), Hans: 7 („Wenn ich gewußt hätte, dass wir heute in Faschingstimmung sind, hätte ich auch ein Spiel mitgebracht: Wasabi“. Was immer das ist.), Walter: 7 (im Vorgriff auf die Enkelkinder)
2. “Die Speicherstadt”
Falls einer diesen Begriff nicht kennen sollte: Es handelt sich um einen Hafenbezirk in Hamburg, wo einmals Waren gelagert wurden. Heute beherbert er die größte Modelleisenbahnanlage der Welt und so manches Michelin-Sterne-Lokal, z.B. das „Zippelhaus“.
Doch so weit sind wir noch nicht, „Die Speicherstadt“ ist immer noch der Umschlagplatz für Waren, die mit Schiffen herangekarrt werden. Wir ersteigern Aufträge zum Abliefern bestimmter Warenkombinationen, Schiffsladungen natürlich, mit denen wir unsere Aufträge erfüllen wollen, und eine ganze Reihe von Beiwerk für Sonderpunkte. Der „Michel“ bringt am Ende vier Siegpunkte, die Flußschifferkirche drei, der Hafen für jedes Schiff einen, die Handelkammer für jede Münze einen und ähnliche Dinge. In der „Markthalle“ können wir mehrere Waren, die wir uns gerade per Schiff eingehandelt haben, lagern, ansonsten verfällt alles, was nicht sofort verwendet werden kann.
Ab und zu bricht mal ein Brand aus. Wer dann die meisten Feuerwehrleute erstanden hat, bekommt Siegpunkte, ziemlich viele sogar. Wer die wenigstens Feuerwehrleute hat, bekommt entsprechend Minuspunkte. Macht schon mal die doppelte Differenz aus. Feuerwehr ist lohnend.
Aufträge erscheinen weniger lukrativ. Der Kampf um ihren Erwerb und um die passenden Schiffsladungen bringen weniger ein als das einmalige Beten im Michel.
Das Bemerkenswerteste an der „Speicherstadt“ ist der Versteigerungsmechanismus, mit dem wir an die Objekte der Begierde herankommen. Wir setzen unsere Pöppel in Reih’ und Glied an die Stellen, wo Schiffsladungen, Aufträge, Feuerwehrleute etc. in Kartenform ausliegen. Ohne Verdrängen dürfen beliebig viele Pöppel beliebig vieler Spieler an einer Stelle stehen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Doch jetzt kommt das Besondere: Je mehr Pöppel an einer Stelle stehen, desto höher ist der Preis. Haben sich z.B. 5 Pöppel um einen Feuerwehrmann beworben, so darf der Besitzer des vordersten Pöppel diese Karte für 5 Münzen einstreichen. Ist ihm diese Karte nicht so viel Geld wert, so zieht er seinen Pöppel ersatzlos zurück und der nächste in der Reihe dürfte den Feuerwehrmann jetzt für 4 Münzen erwerben. Und so weiter.
Doch das Geld ist knapp. Mit 5 Münzen geht ein jeder ins Rennen. Mit zwei Erwerbungen a zwei Münzen ist man schon fast pleite. Eine Münze bekommt man pro Runde wieder dazugeschenkt. Da kommt man als heruntergekommener Hanseat nicht mehr so leicht auf einen grünen Zweig. Und Waren in Geld umzusetzen ist auch sehr mühsam. Wir haben heute konstatiert, dass zumindest bis zur Mitte des Spiels keine Karte mehr als drei Münzen wert ist. Selbst drei Münzen sind schon ziemlich teuer. Der erste in der Reihe schafft es fast nie, eine Karte zu erwerben. (Es sei denn, alle Konkurrenten sind gleichzeitig ziemlich mittellos geworden.) Auf den hinteren Plätzen wird alles zwar billiger, doch die Kaufchancen stehen dabei auf wackligen Füßen, weil die Pöppel auf den vorderen Plätzen ja Vorkaufsrecht haben. Durch scharfe Kalkulation, in der man Ambitionen und Bargeld der Mitspieler berücksichtigt, kann man zuweilen ein Schnäppchen machen. Und man kann einen knapp-kassigen Mitspieler leer ausgehen lassen, vor allem, wenn man der letzte in der Setzreihenfolge ist.
Walter hatte etwas unüberlegt sein monetäres Pulver vorzeitig verschossen und mahnte bei seinem Nachfolger Hans die alte Volksweisheit an „Wes Brot ich eß, des Lied ich sing!“. Vergebens. Gnadenlos ließ der seinem Brötchengeber das letzte Schiff samt Ladung durch die Lappen gehen.
Ob man mit seiner Setzlogik allerdings mehr als einen Zug vorausdenken kann, muß bezweifelt werden. Sobald mehr als ein Mitspieler drei oder mehr Münzen zur Verfügung haben, kann der Ausgang der nächsten Bietrunde schon nicht mehr vorhergesagt werden. Dann fängt das Mitspielerchaos an. Nicht direkt als hoffnungsloses Durcheinander, aber als Unfähigkeit des menschlichen Gehirns, in absehbarer Denkzeit das Gleichungssystem mit den bekannten und unbekannten Abhängigkeiten zu lösen. Und glücklicherweise versuchte dies heute auch keiner.
WPG-Wertung: Aaron:6 (Einschränkung durch die Nicht-Planbarkeit der Auftragserfüllung), Günther: 8, Hans: 8 (mit Siegerbonus), Walter: 7 (mit den gemachten Erfahrungen auf jeden Fall einen neuen Versuch wert)
3. “R-öko”
Ein Kartenspiel rund um das Thema Müllerzeugung und Müllverbrennung, aber eigentlich geht es nur um Siegpunkte.
In der Tischmitte liegen vier verschiedenfarbige Kartenstapel mit jeweils den Zahlenwerten 0 bis 5, dazwischen gibt es eine Minus 2. Auf der einen Seite jedes Stapels wird produziert. Hier legen die Spieler reihum eine oder mehrere farblich passende „Produktionskarten“ ab. Nach jeder Produktion müssen / dürfen sie die auf der anderen Seite des Stapels liegenden „Müllkarten“ auf die Hand nehmen. Einerseits sind viele Müllkarten gut, sie verwandeln sich natürlich in der Spielerhand sofort in „Produktionskarten“. Andererseits sind zu viele Müllkarten auch schlecht, denn mehr als 5 Karten darf man nicht in der Hand halten, die überzähligen müssen abgeworfen werden und zählen bei Spielende als Minuspunkte.
Nach der Produktion werden neue Müllkarten auf die „Müllseite“ des Stapels gelegt, und zwar eine mehr, als gerade „produziert“ worden ist. Die Müllkarten werden immer mehr, und es wird immer schwieriger, strafpunktfrei zu produzieren.
Liegen auf der Produktionsseite eines Stapel mindestens vier Produktkarten, darf man sich die oberste Karte nehmen, sie bringt am Ende Siegpunkte. Im weitesten Sinne ist „R-öko“ also ein Stichkartenspiel; es gilt, aus seiner Kartenhand möglichst viele „Stiche“ mit Zahlenkarten zu machen. Kartenpflege gehört dazu, damit man sein Stichpotential erhöht, damit man den Mitspielern nicht leichtfertig schöne Stiche vor die Füße legen muß, und damit man bei den Strafkarten Ausweichmöglichkeiten hat.
Sich dabei auch noch zu merken, welche Karten die Spieler auf die Hand genommen haben, fördert natürlich die Siegchancen. Geht für Nicht-Bridger aber vielleicht schon zu weit. Gerade in dieser Balance zwischen Wäg- und Unwägbarkeit ist „R-öko“ ein sehr gelungenes hübsches Spielchen.
Innerhalb der Spiel-Balance gab es allerdings auch einen gravierenden Kritikpunkt: Der Spieler, der die erste 5er Zahlenkarte aufnimmt, beendet das Spiel. Demnach kann der letzte Spieler nochmals 5 Siegpunkte auf sein Konto bringen, während für alle anderen der Sudden-Death eintritt. Und 5 Punkte sind immerhin etwa 50% der Gesamtpunkt-Zahl, die ein Spieler am Ende erreicht. Das ist doch wohl ein bißchen unverhältnismäßig hoch! Oder etwa nicht?
Doch trotz dieses Kritikpunktes waren alle mit einer sofortigen Spielwiederholung einverstanden. 1:0 für R-Öko!
WPG-Wertung: Aaron:7 , Günther: 6 (Einschränkungen wegen des 5-Punkte-Schlusses), Hans: 7 („blitzschnell ändert sich das Bild und man kann ständig versuchen, die neue Situation zu lesen und zu analysieren“), Walter: 7 (hübscher Absacker)
4. “11 nimmt!”
Nein, es ist keine Expansion von „6-nimmt!“ auch wenn der Autor Michael Kramer heißt und die Karten mit den einfachen und mehrfachen Hornochsen gleich sind.
Gleich ist unsere Kartenhand mit zunächst 10 Karten, ungleich ist, dass zu Beginn nur ein Kartenstapel ausliegt. Hier dürfen wir auch keine beliebige höherwertige Karten anlegen, sondern nur eine, die maximal 10 Punkte höher ist als die ausliegende Karte. Soweit sind „11-nimmt!“ und „6-nimmt“ jedoch noch ziemlich ähnlich.
Die Effekte beim Nicht-Zugeben-Können und das Strafpunktverfahren sind dagegen gänzlich anders. Wer nicht zugeben kann oder will (!), nimmt sich einfach eine beliebige ausliegenden Kartenreihe AUF DIE HAND. Es sind also noch keine Strafpunkte, sondern Karten, mit denen er weiterspielen darf. Besteht der aufgenommene Kartenstapel aus mehr als drei Karten, so darf er sich zusätzlich noch einen „Bullen“ nehmen. Dieser verschafft ihm das Privileg, in einem Zug nicht nur eine Karte, sondern beliebig viele Karten innerhalb des 10-Punkte-Abstandes abzulegen. Mit einer zweiten Bullenkarte darf man sogar an zwei beliebigen Stapeln beliebig viele Karten – unter Wahrung des 10-Punkte-Abstandes – ablegen.
Diese Bullen sind ein enormer Vorteil. Ein früher Bulle, den man sich z.B. gleich zu Beginn freiwillig durch die Aufnahme eines 3-Karten-Stapels zugelegt hat, zahlt sich im Laufe des Spiels mehrfach wieder aus.
„Bulle am Morgen,
erquickend und labend“
heißt es schon in einer alten Volksweisheit. Etwas weniger lyrisch könnte man sagen: „Ohne Bullen geht es nicht!“, doch ich will der 68-er Generation nicht auf den Schlips treten.
“11 nimmt!” spielt sich flott und pfiffig. Einziger Konstruktionsfehler: Auf Grund des Bullen-Privilegs gleicht sich der Nachteil des Nicht-Bedienen-Können und Stapel-Aufnehmen-Müssen ganz schnell wieder aus und gegen Ende des Spiels haben alle Spieler ungefähr gleich viel bzw. gleich wenig Karten. Mit wenigen Karten ist aber keine Strategie mehr möglich, die Chance bedienen zu können ist äußerst zufallsabhängig, und dies gerade auf der Zielgeraden! Ein gutes Rennen im gesamten Durchgang wird überhaupt nicht belohnt. Hier ist „6-nimmt!“ deutlich „gerechter!“
Aaron: 7 („6-nimmt!“ ist besser), Günther: 7, Hans: 6 (zu wenig Einflußmöglichkeiten, gerade in der Schlußphase), Walter: 7 (das Spiel soll wegen der Vorzüge seines Bruders, des genialen „6-nimmt!“ nicht mit Punktabzug bestraft werden!)
5. “Bluff”
Und ein Bluff gab es auch noch. Günther stand mit drei Würfeln gegen einen Würfel von Walter im Endspiel. Er hatte eine Zwei, eine Fünf und einen Stern unter seinem Becher. Nach seiner Immer-5-Strategie fing er mit einmal die 5 an. Walter sprang sofort auf drei mal die 5. Was hättet Ihr an Günthers Stelle jetzt getan? Auf zweimal den Stern heben und nachwürfeln? Oder auf vier mal die 5?
Günther zweifelte kurz und schmerzlos an. Schließlich heißt das Spiel „Bluff“! Und er hatte Recht. Walter hatte ihn einfach ins Boxhorn jagen wollen, doch dabei hatte er übersehen, dass Günther da auf keinen Fall hineinpaßt.
Hinterher gab es lange Diskussion, wie Walter wohl mit seiner Zwei unter dem Becher hätte reagieren können oder sollen. Drei mal die Zwei wäre es gewesen. Aber wäre das richtig „geblufft“ gewesen?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
9.6.2010: Fressen und Schmieren
Wir sind Doktor! Peter hat grade den Doktortitel erworben. Sein Thema „Philologischer, historischer und liturgischer Kommentar zum 8. Buch der ‚Johannis’ des Goripp nebst kritischer Edition und Übersetzung“. Sein geiles Werk liegt auf Grund zweier grandioser Fehldrucke leider immer noch nicht in Buchform vor, aber den Titel darf er schon führen. Auch Andrea hat dieses Jahr den Doktor gemacht. Und voraussichtlich wird unser Moritz dieses Jahr sogar noch Professor an der Akademie werden. Ohne Doktortitel!
Als Freund vom Wissenquiz kann man daraus natürlich sofort die Frage ableiten: „Was ist im akademischen Bereich höher-rangig: der ’Doktor’ oder der ’Professor’? Obwohl wir gerade Doktor geworden sind, kann ich diese Frage nicht schlüssig beantworten!
1. “7 ATE 9”
Ein kleines Kartenspiel, das Moritz auf der Spiel 2009 schon mit der Autorin Maureen Hiron und Tom Vasel von den Boardgame-Geeks gespielt hatte. Um uns das Spiel noch schmackhafter zu machen, beteuerte Moritz, daß die Autorin eine „bekannte Bridgespielerin“ sei. Diese Finte konnte Walter aber sofort durchschauen. Er kennt alle Top-Bridgespielerinnen der Welt. Wenigstens dem Namen nach! Es sind ja nur 8 1/2.
Beim Auspacken des Kartenstapels erkannte Aaron sogleich, daß es sich bei „7 ATE 9“ um eine Art „Advanced Mau-Mau“ handeln müsse. Moritz unterstrich den „real-time“ Charakter des Spiels. Was ist das? Wir müssen wie bei Mau-Mau aus unserer Kartenhand jeweils eine Karte passend zur letzten Karte auf dem Tisch zugeben, es geht aber nicht geordnet reihum, sondern wer als erster entdeckt, daß er eine passende Karte besitzt, darf sie asynchron sofort auf den Tisch legen.
Da kann doch ein Blinder mit der Krücke sehen, dass dieses unkoordinierte Vorgehen sofort Diskussionen und Rechthabereien darüber auslösen wird, welcher von zwei Spielern zuerst seine Karte hingelegt hat. Diese Blindenvision wurde ignoriert, doch Walter nutzt schon die ersten Kollision, um sich vom Spiel zurück zu ziehen. „Nix für mich, streitet euch ohne mich!“ Aaron war der zweite, der dieses Spielprinzip schon vom Prinzip her nicht akzeptierte. Die anderen drei spielten in weniger als zwei Minuten den Sieger aus. Das war’s dann auch schon.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (weil’s funktioniert, ansonsten die nicht beantwortete Frage. „Was ist an dem Spiel gut?“), Loredana: 1 („ist kein Spiel“), Moritz: 5 („für die geforderte schnelle Reaktion“; vielleicht auch in memoriam der besten Bridgespielerin der Welt), Peter: 2, Walter: 2 („kein Spiel für den Westpark“)
2. “Maria”
Das neue Spiel von Richard Sivel. Eine Weiterentwicklung von „Friedrich“, mit den gleichen Kampfmechanismen, einer ähnlichen Geographie von Mitteleuropas und einer modifizierten historischen Grundlage.
Doch wir waren heute zu fünft, und „Maria“ geht nur zu dritt. Leider. Moritz packte das Material bedauernd wieder ein.
3. “Macht$piele”
Dieses Spiel geht mit bis zu 5 Mitspielern; wir haben es am Westpark bisher aber nur zu viert gespielt. Peter und Loredana waren heute die Frischlinge.
Schon während Aarons Erklärung erkannte Peter messercharf: „Das Spiel ist sozialkritisch!“ Nur ob hier die Sicht von „Ihr dort oben“ oder die von „wir hier unten“ zugrunde lag, blieb noch offen.
Bereichsleiter dürfen abdanken. Loredana – noch ist sie keine Deutsche – fragte: „Was heißt ‚abdanken’“?Unisono-Antwort des deutschen Männerquartetts: „Zurücktreten“. Für Sprachetymologen immerhin bemerkenswert, dass im Verb ‚abdanken“ das Wort „Dank“ enthalten ist. Vielleicht kommt das daher, daß in früheren Jahrhunderten die Führer (oder ihr Fußvolk) deutlich honoriger waren als heutzutage und immmer „mit Dank entlassen“ wurden.
Über diesen Bedeutungsklärungen tauchte natürlich sofort die Frage auf: „Hat Köhler abgedankt?“ „Nein, er hat den Schwanz eingezogen!“ (Dieser Satz in diesem Zusammenhang ist nicht meine Wortschöpfung, er ist lediglich ein wörtliches Zitat aus den heutigen Beiträgen. Ich hoffe, dass ich jetzt nicht wegen Verunglimpfung der Ex-Obrikeit belangt werden kann.)
Abgedankte Bereichsleiter haben zwei Verwendungsmöglichkeiten: Entweder gehen sie in den Vorstand, oder sie werden externe Berater. Welche Alternative hat wohl unser Holzkohlenhersteller gewählt?
Als Aaron auf den Punkt „Korruption“ zu sprechen kam, konstatierte Loredana: „Das ist ist Realität!“. Ein Mädchen von knapp über 17, für die das Leben gerade erst angefangen hat! Nach weiteren Details konnte Peter aufklären: „Korruption ist etwas Gutes!“.
Umfangreiche wirtschaftspolitische Kommentare aus mehr als 200 Jahren Gesamtlebenserfahrung begleiteten die Regelerklärung und der Witz der aktuellen Lage ließ manchen Ernst der Macht$piel-Regeln untergehen. So kam es auch gleich in der ersten Runde zu einem neuartigen Spiel-Skandal am Westpark:
Peter hatte für Walters Boss-Privileg 250 Mille Schmiergeld rübergereicht und der hatte sich mit Schmerzen vom Gedanken an die Gründung einer neuen Hauptabteilung getrennt. Da zog Aaron die nächste Ereigniskarte: „Der Boss wird entmachtet.“ Das Privileg ist nichts mehr wert. Walter kassierte als abgedankend-werdender Boss immerhin noch 200 Mille Entschädigung, doch Peter war das Objekt der Begierde unter den Hand zerfallen. Dagegen protestierte er unverzüglich: „Ich habe diese Regel nicht gekannt. Das Boss-Privieg ist das einzige, das per Ereigniskarte neutralisiert wird. Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich niemals dafür etwas geboten.“
Walter wollte natürlich seine 250 Mille nicht wieder rausrücken, höchstenfalls die Hälfte. Doch damit war Peter nicht zufrieden zu stellen. Was tun?
Mit drei weinenden Augenpaaren fingen wir die „Macht$piele“ nochmals von vorne an. Doch Widerwille und Animositäten waren schnell verflogen. Friedlich und fröhlich ging der konstruktive Intrigenkampf über die Bühne, jeder sah den Sieg vor Augen, Peters brach sogar in frühzeitiges Frohlocken aus, doch das Hosianna-Singen mußte er einem anderen überlassen.
Dem Sieger war sicherlich eine glückliche Erzfeindschaft zu gute gekommen. Die gewollte Unsymmetrie bei der Verteilung der Erzfeindschaften erzeugt nämlich bereits in der Startaufstellung ungleiche Siegchancen. Bekommen zwei Mitspieler sich zufällig gegenseitig als Konkurrenten zugeteilt, dann tun sie sich deutlich schwerer, hier den vierten Siegpunkt zu ergattern, als ein Sologänger, der locker und unbemerkt an seine Sonderaufgabe herangehen kann.
Doch Macht$piele ist ein dermaßen gut ausbalanciertes Spiel, so dass wir mit einem berechtigten Urvertrauen uns darauf verlassen wollen, dass Eggert-Spiele an den verschiedenen Einstellschräubchen so lange gedreht hat, bis die verschiedenen Wege zum Sieg nach Menschenvermögen gleich lang sind. Der Rest ist Spiel.
Es war noch nicht zu spät und zum Verifizieren der Chancengleichheit schlug Moritz vor: „Laßt es uns doch einfach nochmals spielen!“ Wir waren fast dazu geneigt. Doch dann pfiff aus der Ferne schon die vorletzte U-Bahn und Peter wollte keinesfalls auf einen Absacker verzichten.
Der bisherige WPG-Durchschnitt von 7,5 Punkten wurde genau gehalten: Loredana: 7 („die erste (abgebrochene) Runde hat mir besser gefallen“), Peter: 8 („nett & spannend“, anschaffenswert, Obletter macht’s möglich)
4. “Bluff”
Aaron stand im Endspiel mit einem Würfel gegen drei Würfel von Moritz. Mit einem Stern unter dem Becher begann er mit 2 mal die Zwei. Moritz hob auf 3 mal Eins! Was jetzt? Aaron probierte es mit 2 mal Stern? 4 mal die Eins wäre es gewesen. Claro. Post mortem!
Peter erlebte „das schönste Endspiel meines Lebens“. Viel Spiele hintereinander konnte er durch die exakte richtige Vorgabe alle seine Gegner gleichzeitig um jeweils einen Würfel kürzen. Bis er alleine übrig blieb.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
02.06.2010: Autobahnen und Wasserwege
Loredana wird Deutsche. Letzte Woche hat sie die Einbürgerungsprüfung abgelegt. Mit großer Wahrscheinlichkeit bestanden, denn sie ist ein kluges Köpfchen und noch dazu ihre schlechtere Hälfte ebenfalls. Hier eine Kostprobe aus dem Fragebogen: „Wo meldet man seinen Hund an?“ Bei seiner Katze? Ich jedenfalls wußte es nicht.
Peter hätte gleich auch noch eine wichtige Ergänzungsfrage zum Fragebogen beizusteuern. „Wer weihte die erste deutsche Autobahn ein?“ Nein, nicht der, an den ihr jetzt vielleicht denkt, sondern es war unser guter alter Dr. Konrad Adenauer, als er noch im lockigen Haar daherkam. Den Rest könnt ihr in der Weltgeschichte nachlesen.
1. “Magister Navis”
Gewitzt von den 2-3 Punkte-Spielen der letzten Wochen, vor allem aber auf Grund der bekannten Vorlieben von P&L sollte diesmal gutes deutsches Spielgut auf den Tisch kommen. „Magister Navis“ hat seine Nagelprobe bei uns bereits vor vier Monaten abgelegt.
Es ist ein Entwicklungsspiel, bei dem wir unser Personal, unsere Arbeitsplätze, unsere Liquidität und unser technisches Niveau erweitern müssen, um damit zuerst auf dem alten Kontinent Europa und später auch in Übersee punkten zu können. Pro Runde ziehen wir einen Arbeitsplatz, der eines oder mehrere unserer Einsatzmittel um einen oder mehrere Stufen verbessert. Alle Entwicklungslinien müssen organisch zusammenpassen. Personal ohne Arbeitsplatz, Arbeitsplätze ohne Personal, Liquidität ohne Personal, Personal ohne Liquidität sind alles vergeudete Energien.
Dabei ist „Magister Navis“ aber kein autistisches Patience-Spiel, bei dem jeder nur auf seine eigene Entwicklung achten muß. Es sind eine Menge Elemente eingebaut, die Konkurrenz und Interaktion mit sich bringen. Jeder Zug hat Einfluß auf unsere weiteren Chancen und die unserer Gegner. Unser jeweils bester Zug ist nicht allein auf die Beseitigung eines augenblicklichen Mangel gerichtet, er muß zugleich auch mehrere Schritte in die Zukunft mit ihren progressiv ausgelösten Veränderungen berücksichtigen. Mathematisch gesprochen ist auch die zweite und dritte Ableitung der Aufgabenstellung noch längst nicht Null.
Ganz wichtig ist am Anfang der „Markt“, denn die damit eingehandelten Bonus-Karten bringen uns am weitesten vorwärts. Im Mittelspiel sollte man sich auf bestimmte Erdteile konzentrieren, um dort die höherwertigen Bonuskarten vollständig abzugrasen. In der Schlußphase sind auch Kanonen nicht ohne, denn damit kann man sich manche noch fehlende Schlüsselposition freischießen. Allerdings braucht man dazu Munition, sprich Personal. Und dafür braucht man … ach all die anderen Mittel, die sich im gesamten Spielverlauf organisch ergänzen.
Das alles erfordert ein höllisches Aufpassen. Weder unsere Laien noch die Experten hatten das Spiel im Griff. Anfangs wurde nur der schwächste Stratege bekritelt und belächelt, dann streute auch unser Seriensieger Asche auf sein Haupt. „So wie ich spiele, ist es ziemlich blöd!“ und „Ach, das ist alles so schlecht austariert, ich Heini!“. Seine Bilanz vor Torschluß: „Wir haben alle schlecht gespielt“ relativierte er, noch bevor Peter protestieren konnte, zu: „Viele von uns haben schlecht gespielt“. Zumindest er war heute ganz deutlich einer davon.
Zum Glück ist das Spiel schnell zu Ende, und man muß nicht so lange unter seinen eigenen Fehlern leiden. Das „schnell“ ist hier echt als Design-Kompliment gemeint, nicht im Sinne des psalmodierten Hilfeschreis: „Mach’ End, oh Herr, mach Ende!” Es spricht durchaus für das breite Entwicklungspotential eines Spiels und ist keinesfalls mangelnde Balance im Design, wenn der individuelle Besitzstand in der Schlußphase uneinholbar auseinanderläuft. Allerdings darf das wirklich erst ganz am Ende passieren.
Doch in „Magister Navis“ trat, wie auch bei unserem vorigen Spiel, der unerwartete Effekt ein, dass in der Schlußabrechung die Ergebnisse alle wieder ziemlich dicht beeinander lagen. Loredana gewann mit 48 Siegpunkten, dahinter folgten im 2-Punkte-Abstand die anderen. Und das trotz der ganz unterschiedlichen Entwicklungslinien und trotz der massiven individuellen Fehler! Beim letzten Mal fand es Moritz „schocking, daß Walter trotz seines bizarren Spiels noch Dritter wurde“, diesmal könnte man es schocking gefunden haben, daß jeder trotz mancherlei bizarren Spiels fast noch hätte gewinnen können. Ist das jetzt ein Manko des Spiels (Mangelnde Belohnung für gute Spieldurchführung?) oder liegt darin sogar eine seiner Stärke (Balsam auf alle gefehlt habenden Spielerseelen?).
WPG-Wertung: Peter und Loredana blieben mit je 7 Punkten im Durchschnitt für unserem „Spiel des Monats Februar“.
2. “Zoff im Zoo”
Ein weiteres Pflichtspiel für Spielabende mit P&L. Ein Stichspiel mit Tieren. Der Fuchs sticht die Maus, der Löwe den Fuchs, der Elefant den Löwen und die Maus den Elefanten. Dabei wird auch schon mal eine Mücke zum Elefanten gemacht.
Bemerkenswert das paarweise Zusammenspielen mit einem Konkurrenten, mit dem man gemeinsam einen Teil der Siegpunkte erwirbt, den man aber zuweilen alleine im Regen stehen lassen muss, wenn Siegpunkte im Spiel sind, die nur einer von beiden bekommt.
Keine neue WPG-Wertung für ein 8.1-Punkte Spiel.
Loredana hat auch das zweite Spiel des Tages gewonnen. Es wird höchste Zeit, daß sie eingemeindet wird, damit unser Pisa-Index gleich einen weiten Satz nach vorne macht.
3. “Bluff”
Wieder stand Loredana im Endspiel. Diesmal gegen ihren Herren und Gebieter. Mit ein bißchen Geist im Kopf, aber mit sehr viel Masse in seinem Beutel machte er ihr klar, wo Bartel den Most holt. Immerhin blieben die Punkte in der Pisa-Familie.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
26.05.2010: Wächter und Drachen
“Ich bitte dich schon heute, weder in ‘Ja’ noch ‘Nein’ den Kopf zu verlieren. Es wird gehen, gleichviel, ob momentan die 6 oben liegt oder Null. Jeder Tag ist ein neues Würfelspiel und die Zahlen und Werte wechseln.” (Theodor von Thane)
Mein lieber Theodor, mit welchem Würfel hat man Dich solche Lebensweisheiten gelehrt?
1. “Die Insel der steinernen Wächter”
Moritz kündigte es an als „simples Fantasy-War-Game mit einem guten Timing-Endspiel Mechanismus“. Mit „Fantasy“ und „War“ sollte es eigentlich kein ‚Walter-Spiel’ sein, doch Moritz konterte den Einwand mit dem Hinweis: „Er hat doch ‚Friedrich’ auch so gut bewertet“. Daß ‚Friedrich’ keine Fantasy-Elemente enthält, stört doch keinen großen Geist!
Moritz entfaltete ein riesiges einfarbiges Spielbrett, für das wir erst mal alle Chips- und Gummibärchen-Schachteln zur Seite räumen mußten, um es auf dem Tisch auszubreiten. Die Farbe ist ein dunkles Preussisch-Blau und soll das Meer darstellen. Vom Material sieht es auf den ersten Blick aus wie Filz, ist aber eher ein grobes Löschpapier. Das erste umgefallene Weinglas wird es wohl nicht überleben. Zumindest wird dabei der Tisch nicht naß!
Auf dem Meer werden Inseln aus Hexa-Mustern aufgebaut, und zur Startaufstellung werden unsere Pöppel auf den Inseln verteilt. Jedes Feld enthält mindestens einen Pöppel und schon kann die Völkerschlacht losgehen.
Wie bei ‚Risiko’ bewegen wir unsere Pöppel auf die gutnachbarlichen Felder und brechen einen Kampf vom Zaun. Pro Agressor ziehen wir eine Kampfkarte, die uns einen oder zwei Nachbarn erschlagen läßt, einen möglichen Gegenschlag des Nachbarn abwehrt, oder vielleicht auch nur eine Niete ist, so daß unsere zahlenmäßig dominierende Armee schutzlos im Verteidigungsregen steht.
Nach dem Abhandeln der allseitigen Angriffswellen wird der Besitzstand gewertet und jeder bekommt neues Kapital, um daraus neue Armeen zu rekrutieren, Hauptquartiere auszubauen oder Schiffe zu kaufen, mit denen man ggf. schneller zu neuen Angriffszielen fahren kann. Claro, wer ein paar Kampfkartenkämpfe verloren hat, ist an Material und Knete dermaßen im Hintertreffen, daß er auf keinen grünen Zweig mehr kommt. Die restliche Spielzeit kann er sich dann an den elegangen Armeebewegungen seiner Mitspieler erfreuen.
Die Kämpfe werden aber nicht allein durch überlegenen Materialeinsatz entschieden, es ist ja ein Fantasy-Game und deshalb hat jedes Volk eigene Eigenschaften und ‚Runen’, um mit den Unbilden einer mißliebigen Umwelt zurechtzukommen. Zumindest wird damit eine gewisse Asymmetrie von Offensiv- und Defensiv-Neigungen geschaffen. Das eine Volk kann einen Erstschlag des Gegners abwehren, das andere Volk einen zusätzlichen Erstschlag anbringen, ein Volk darf seine besiegten Gegner als lebendige Schilde mit sich führen, ein anderes bekommt pro verlorenem Inselfeld sofort neue Armeen zugeteilt und macht damit jede Pyrrhusniederlage schon fast schon zu einem Sieg.
Das geilste Kampfelement sind die Zauberkarten, die jeder potente Spieler in jeder Runde ziehen, sammeln und bei passenden Gelegenheiten einsetzen darf. Sie ermöglichen ein Entfernen, Tauschen, Mogeln oder Mauscheln. Es gibt sogar Anti-Zauberkarten, die fremde Zauberkarten neutralisieren, also Kein-Entfernen, Kein-Tauschen, Kein-Mogeln und Kein-Mauscheln!
Die Zauberkarten sind echt krass, Mit der einen Zauberkarte kann man die gegnerischen Armeen beliebig verteilen und mit einer anderen Zauberkarte muß der Gegner pro Inselfeld alle Pöppel über 4 vom Spielbrett nehmen. Könnt ihr, liebe Leser, euch ausmalen, was man mit diesen beiden Zauberkarten zusammen ausrichten kann, wenn man die gegnerischen Armeen erst mal auf einen Haufen konzentriert?
Es gibt auch höchst wirksame Einzelzauber. Eine Zauberkarte erlaubt es, in einem Kampf alle guten Kampfkarten aller beteiligten Gegner auf seine Seite zu ziehen und dem Gegner nur die Nieten zu überlassen. Da ist der Gegner mit seiner drückenden Armeen-Mehrheit in die Schlacht gezogen und hinterher wird seine Mehrheit schnurstracks gegen ihn selbst verwendet. Wie wenn sich einer eine Atombombe bastelt und bekommt sie dann umgehend auf sein eigenes Hauptquartier abgeworfen. Hiroshima, mon amour!
Nach der ersten von abzählbar endlich vielen Spielphasen extrapolierte Aaron die mögliche Gesamtspielzeit. Die in der Spielanleitung behaupteten ca. 2 Stunden waren schon vollständig verbraucht. Moritz war der letzte an der Zugreihenfolge und hatte allein für seinen ersten Zug eine Denkzeit von einer Stunde (haben dürfen). Natürlich nicht ganz passiv, sondern unterbrochen von den Kampfkartenkämpfen, die ihm seine Mitspieler aufdrängten.
Es reichte. Uns. Einschließlich Moritz. Wir brachen ab. Keiner hatte noch einen einzigen Fuß auf ein einziges Feld auf der Insel der Seligen gesetzt, wo man sich die Siegespalme hätten holen können. Wer gewinnt das Spiel? Ich habe es vergessen! Wenn wir bis morgen früh weitergespielt hätten, hätte ich es vielleicht via Learning-by-Doing erfahren.
Und was war mit dem versprochenen „guten Timing-Endspiel Mechanismus“? Wer auf dem Weg zum Ziel die selbstverständlichen Unterstützungsfelder erobert, hat gleich gewonnen. Wer sich die Unterstützungsfelder nicht sichert, braucht mindestens zwei Runden länger. Das wäre dann absolut falsches Timing gewesen.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (das Spielmaterial ist schlecht – materiell und ideell, ein Spannungsbogen wird nicht aufgebaut), Günther: 3 (hat vergessen, daß es mindestens 8 (aus 487) Spiele gibt, denen er nur 1 oder 2 Punkte gegeben hat.), Moritz: 3 („Die Kampfmechanismen sind einfach, werden aber durch Zauber, Runen und Völkereigenschaften unnötig kompliziert. Das zerstört die Eleganz.“), Walter: 2 (als Lotteriespiel 3 Punkte, als Kampfspiel 1 Punkt, im Durchschnitt also 2)
Die „Spielphase“ schreibt zu den „Wächtern“: Mit 5 (von 6) Punkten gefällt uns das Spiel vor allem zu zweit sehr gut. Diese Erfahrung können wir leider nicht teilen, da wir immer mindestens zu dritt spielen.
2. “Im Jahr des Drachen”
Das wohlproportionierte Aufbauspiel aus dem Jahre 2008 hat Erweiterungen bekommen. Mit der zusätzlichen Aktionskarte „Die chinesische Mauer“ wird der Aktionsspielraum erweitert. Wir können jetzt nicht nur Reis anbauen, Medizin studieren, Krieger ausrüsten, Feuerwerkskörper anzünden und Geld- und Siegpunkte anhäufen sondern auch ein Stück der chinesischen Mauer bauen, die beim Mongolensturm neue Anforderungen und neue Siegpunktquellen mit sich bringt. Der Effekt ist nicht sehr groß, doch der Spielraum unserer Aktionen wird in jedem Fall vergrößert.
Mit der Erweiterung „Super-Ereignis“ wird eines der jetzt schon existierenden, meist peinlichen Ereignisfelder verdoppelt, wir müssen z.B. gleich zwei Hungersnöte oder zwei Epidemien hintereinander bestehen, ohne dazwischen unsere Vorräte aufstocken zu können. Die Wirkung ist – sofern die Verdoppelung auf die klare Mehrheit der negativen Ereignisse fällt – , daß es noch schwerer ist, seinen Besitzstand in jeder Runde zu halten. Loslassen-Können, gezielter Personal-Abbau wird noch größer geschrieben.
Die neuen Erweiterungen fügen sich auf jeden Fall in die gelungenen Mechanismen der Basisversion von “Im Jahr des Drachen“ ein. Viele Wege führen zum Sieg. Frühem Punkten mittels Privilegien kann durch die Anschaffe von Hofdamen entgegengehalten werden, oder durch zeitgerechtes Gegensteuern zu einer ganzen Reihe von Engpässen, die früher oder später an unseren Besitzstand gehen.
Sich gleich zu Spielbeginn die komplette Kette der ausliegenden Ereignisse durch den Kopf gehen zu lassen und konsequent zu planen, an welcher Stelle man freiwillig Federn lässt um an anderen Stellen umso mehr Boden gut zu machen, das ist Voraussetzung zum Sieg.
Eine unabdingbare Hilfe stellt dabei der Buddha dar, entweder, indem er uns in bezug auf Zugpositionen vorwärts bringt, oder indem er in der Schlußabrechung die gesammelte Frömmigkeit unter unseren Dächern mit Siegpunkten honoriert. Günther war der frömmste.
WPG-Wertung: Keine Änderung der bisherigen Noten. Mit einem Durchschnitt von 7 Punkten erscheint mir das Spiel leicht unterbewertet.
3. “Aarons 18xx”
Aaron bastelt an einem 18xx-Eisenbahnspiel, dessen Hauptlinien er uns vorstellte. Es soll einfach und vor allem schnell gehen. Die Erlaubnis für die Aktionen wie Gleise-Legen, Städte-Ausbauen und Technologie-Fortschritt erhält jeder nicht automatisch in seiner Operationsrunde, sondern er muß sie sich in einem Bietmechanismus a la „Amon Re“ erst ersteigern.
Wie dann der Ausbau eines Netzes honoriert wird, wie gewünschte Konflikte erzeugt werden, ohne daß dabei die Balance aus der Kontrolle gerät, das erfordert noch viele Denk- und Tuningstunden. Selbst ob im fertigen Spiel überhaupt noch Eisenbahnen gebaut werden oder vielleicht ein Telefonnetz errichtet wird, ist noch offen. Die funktionierenden Mechanismen sind das Wichtigste, das Thema wird dann nachgereicht, davon reicht vorerst eine vage Vision.
Diese Vorgehensweise sollten eigentlich alle Spieleautoren beherzigen. Sollten. Leider!
19.05.2010: Die Tore der Welt führen nach Krakow
Frömmigkeit lag in der Luft. Die Duftschwaden des ökumenischen Kirchentages in München haben sich noch nicht verzogen. Die netten freundlichen Jugendlichen mit dem Rucksack auf dem Rücken haben einen positiven Eindruck hinterlassen. Unwidersprochen wurde [von wem?] das Fazit gezogen: „Die Jugendlichen müssen doch beschäftigt werden. Irgendwo müssen die Hormone ja hin. Entweder zum Militär oder zum Kirchentag. Und somit liefert der Kirchentag einen wichtigen Beitrag zur Bevölkerungsentwicklung“.
Aaron hatte schon einen Blick auf das erste Spiel geworfen und konstatierte: „Frömmigkeit ist endlich“.
2. “Die Tore der Welt”
Wir werkeln an den Palästen des Abendlandes, dürfen dabei nicht unsere jährlichen Abgaben an Geld und Getreide vergessen, und müssen auch rechtzeitig ein paar Notgroschen in die Frömmigkeit investieren. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Denn Frömmigkeit ist endlich.
Wer nach 4 Runden am besten gepunktet hat, wobei Bausteine für die öffentlichen Bauwerke und die Heilung von Pestkranken am meisten einbringen, ist Sieger.
Schon vor einen halben Jahr bemerkte Aaron, daß „das Spiel nur so vor sich hindümpelt“, so war es auch heute. Interaktion bleibt ein Fremdwort, wenn man das zufällige Wegschnappen eines punkteträchtigen Zuges nicht dazu zählen möchte.
Moritz entdeckte Murphies Gesetz vom richtigen Spielverlauf: „Wenn das Pech zuschlägt, dann schlägt es bei Aaron zu!“ Der kam auf der Privilegienleiste fast immer nur auf die Loserfelder, die ihm keine Sondererträge einbrachten. So konnte er im Schweiße seines Angesichts gerade noch die Abgaben an Kaiser und Bischof erwirtschaften, zu Wohlstand und Siegpunkten reichte es nicht.
Walter flog in der ersten Runde die Wolle nur so in den Schoß und mit einem einzigen Verkauf konnte er genügend Knete erzielen, um sich für die nächsten Runden aller Pflichten an Geld und Frömmigkeit entledigen zu können. Er warf das Geld mit vollen Händen in den Klingelbeutel. Doch das rächte sich. In den letzten Runden musste er den Gürtel wieder enger schnallen. Moritz baute so schnell wie möglich zwei Häuser, mit deren Erträgen er seine Hungerphase hinter sich lassen konnte. Ein paar wenige Bausteinspenden zum Münster reichten zum Sieg. Obwohl ihm eine Ereigniskarte mit einem Schlag alle Pestkranken wegheilte und er anschließend mit seinem vorsorglich erworbenem medizinischen Überwissen in die Röhre schauen konnte.
In der ersten Runde wurden per Ereigniskarte alle Bauvorhaben gestoppt, und dieser Baustopp wurde bis zum Spielende nicht mehr aufgehoben. Walter meckerte lautstark über diesen Mangel im Spieldesign. Wie kann man wichtige Spielelemente (Baumaterial sammeln, Bauen, Spendensiegel erwerben) nach wenigen Zügen blockieren und bis zum Ende stillgelegt lassen?! Moritz hielt hier ganz entschieden dagegen: damit würden in der reichhaltigen Balance des Spieles nur ein paar Gewichte verschoben. Aaron pflichtete dem bei: „Das Spiel hat sowieso viel zu viele Elemente!“
Was ist das Geheimnis für den Sieg? Der Sieger verkündete: „Man muß seine Strategie den Umständen anpassen.“ Dies ist eigentlich die klassische Definition von „Taktik“. Doch das Spiel ist nicht einmal ein taktisches Spiel, man kann 0 (in Worten: Null) Züge voraus kalkulieren. Zufallseinflüsse von Ereigniskarten und Mitspielerchaos können sogar einen gewieften Nullzüge-Voraus-Taktiker aushebeln.
Noch dazu enschärft sich das Spiel selber: viele im Ansatz auseinanderlaufende Spielentwicklungen werden durch ausgleichende Regelelemente gebremst, so daß extremen Entwicklungen verhindert werden und dadurch eher ein bißchen Langweiligkeit Einzug hält. Moritz nannte das „eine typische Designfalle von Euro-Games“, also von eigentlich guten Konstruktionsprinzipien europäischer Spiele.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (früher 6), Hans: 6 („Familienspiel“, doch wohl eher für Elite-Familien), Moritz: 7 (hat wahrscheinlich den Ken Follett studiert), Walter: 6 (bleibt)
2. “Krakow”
Aaron hat das Spiel in Essen erstanden. Mit einer persönlichen Widmung der Autoren Peter Struijf und Melchior van Rijn. Leider können wir heute keine positive Rückmeldung geben.
Krakow ist ein chaotisches Stichkartenspiel mit einem Spielbrett als Nebenschauplatz. Jeder Spieler erhält pro „Quartal“ (Runde) 9 „Intrige-Karten“ in den vier Farben Rot, Grün, Gelb und Blau und mit Zahlenwerten von Plus 2 bis Plus 7 und Minus 0 bis Minus 9. Auf jeder Karte sind für jede der vier Farben unterschiedliche Plus- und Minuspunkte aufgedruckt.
Der Startspieler startet mit einer Karte einen Stich. Jeder Spieler darf eine beliebige Karte seine Kartenhand dazugeben. Das besondere dabei ist, daß jeweils zwei Spieler zusammenspielen: Ist die Summe der Pluspunkte für die ausgespielte Farbe größer als die Minuspunkte, die die Gegenspieler dazugegeben haben, so hat die „Intrige“ gewonnen und das Siegerpaar erhält Spielsteine zugesprochen, die sie in bestimmten Stadtvierteln des Spielplans ablegen kann. Haben die Minuspunkte der Gegenspieler die Mehrheit, so ist die Intrige verloren und die Gegenspieler dürfen zur nächste Intrige, d.h. zum nächsten Stich ausspielen.
Nach 7 Stichen ist das Quartal vorbei, die restlichen zwei Karten pro Kartenhand verfallen. Nach vier Quartalen ist ein ganzes Jahr vorbei und es wird gewertet. Die Mehrheiten der Spielerpaare in den Stadtvierteln liefern Siegpunkte, die beiden Spielern gleichmäßig zugute kommen. Soweit ist die Punktevergabe absolut paar-symmetrisch.
Und jetzt kommt ein überraschender asymmetrischer Siegpunktanteil, der aus dem Paarspiel doch noch ein Einzelkämpferspiel macht: die gewonnenen Intrigen jeder Farbe steuern ebenfalls Siegpunkte bei, doch die werden nur an individuelle Spieler vergeben. Jedem Spieler wird zu Spielbeginn eine bestimmte Farbe geheim zugeordnet, und die Intrigen seiner Farbe liefern nur ihm allein Siegpunkte. So muß jeder Spieler bei jedem Stich in sich selbst den gegensätzlichen Kampf ausfechten: Laß ich den Gegner eine Intrige in meiner Farbe gewinnen, gönne ihnen also die Spielsteine in der Stadt, erhalte aber dafür als einziger den Intrigenpunkt, oder spiele ich meine beste Gegenkarte um die Intrige scheitern zu lassen, so daß keiner etwas erhält, wir als Paar aber die nächste Intrige starten dürfen? Sinngemäß ähnliche Kämpfe mit umgekehrtem Vorzeichen muß man in seiner Brust über die Intrigen der eigenen Seite austragen.
Dieser Kampf ist nur theoretisch. Wenn man überhaupt eine geeignete Kartenhand bekommen hat, um die Intrigen beeinflussen zu können, dann ist es in der Regel lohnender, die Intrigen der eigenen Seite unabhängig von ihrer Farbe durchzubringen und die Intrigen der fremden Seite zunichte zu machen. Nur falls die eigenen Seite über die Stadtviertel schon genügend Siegpunkte eingeheimst hat, kann man den Gegner eine Intrige der eigenen Farbe durchbringen lassen und dem Partner eine Intrige einer fremden Farbe vermaseln. Das grenzt dann aber schon an Schäbigkeit. Zum Glück bleibt diese Schäbigkeit marginal, da jeder erst einmal froh ist, wenn er überhaupt eine Intrige für die eigene Seite entscheiden kann. Die Mittel dazu liegen nahezu ausschließlich in der zufälligen Kartenausteilung. Spielplan, Kartenpflege, Karten merken und Gegner ausrechnen etc. gibt es nicht.
Ein „Anfängerspiel“ von Krakow ist nach genau einem Jahr zu vier Quartalen von je 7 Stichen zu Ende. Ein Standardspiel besteht aus zwei Jahren, und ein „Expertenspiel“ aus drei Jahren. Nach Moritz’ Vorwarnung wegen schlechter Kritiken wollten wir uns auf ein Standardspiel beschränken.
Es waren einmal vier Ameisen,
die wollten gemeinsam nach Krakow verreisen,
nach einem Jahr wurden sie weise
und verzichteten sie auf den Rest der Reise.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (das Spiel ist nicht kaputt und es hat schönes Spielmaterial), Hans 3 (erst nur 1 Punkt, von Aaron auf 2 Punkte gedrängt, weil das Spiel ja wirklich nicht „kaputt“ ist, für die antipapistischen Begleittexte noch einen Sympathiepunkt zugelegt), Moritz: 2 („Flaschenteufel ist besser“, doch das kann man mit Krakow überhaupt nicht vergleichen), Walter: 3 (viel zu viel Brimborium für ein Quadrat-Mau-Mau).
3. “Religion und Musik”
Nein, kein Spiel. Doch statt „Flaschenteufel“ als Kontrast zu „Krakow“ und statt „Bluff“ zum spielerischen Absacken diskutierten wir noch eine geschlagene Stunde über Kirche, Religion, Gläubige und Klerus. Darüber, daß die Kirche zu wohl keiner der zivilisatorisch-ethischen Errungenschaften unserer heutigen Gesellschaft einen wesentlichen Beitrag geleistet hat, herrschte Einigkeit. Moritz nahm dann leidenschaftlich die Rolle des Advocatus Diaboli ein. Ohne die katholische Kirche hätte das Abendland niemals diese einzigartige Entwicklung seiner Musik genommen. Kein anderer Teil der Welt hat dies aufzuweisen, keine andere Religion hat dies gefördert. Er sollte es wohl wissen.
Mit traurigen Einsichten in den losgelassenen Kapitalismus und die Bänker-Moral ging der Abend zu Ende.
05.05.2010: Kriege und Kriegsspiele
Aaron fährt jeden Tag auf dem Weg zu seiner Rentner-Fitness an zwei Tankstellen vorbei. Dort wechseln die Preise fast täglich, teilweise mit Sprüngen, die schon an einen zweistelligen Prozentsatz herankommen. Meist sogar synchron, in höchstenfalls Halbtages-Abstand. Wie hierzu das Prozedere im Hintergrund abläuft, ist für uns alle ein Rätsel.
Deshalb ein paar nicht-spielerische Fragen von uns Spielern an unsere Leser:
a) Werden die Preise für eine Benzinsorte zentral vorgegeben und sogar auch zentral eingestellt?
b) Werden die Preise deutschlandweit oder regional festgesetzt?
c) Kann es sein, daß einzelne Tankstellen einer Stadt Ausnahmepreise bekommen?
d) Werden die Preisänderungen ab bestimmten Uhrzeiten gültig?
e) Kann es sein, daß man an einer Tankstelle steht, und daß gerade in dem Moment, wo man den Einfüllstutzen abnimmt, der Benzinpreis sich ändert?
Von einem Preiskrieg kann hier wohl schon lange nicht mehr die Rede sein.
“Rice Wars – Reiskriege”
Aaron hat das Spiel von der “Spiel 2009” mitgebracht. „Der Typ hat es mir erklärt und es sah irgendwie ganz witzig aus.“ Das polnische Spiel mit einem dreisprachigen Regelheft spielt in Japan. Wir sind „Daimyos“ (Kriegsherren), legen uns „Ronins“ und „Ashigarus“ (Kriegsknechte) zu und vertreiben damit die Reisbauern unserer Mitspieler von ihren Feldern und schicken dagegen unsere eigenen Reisbauern auf die Felder, um damit Einnahmen erwirtschaften, mit denen wir uns neue Militärs leisten können, um damit wiederum die fremden Reisbauern dezimieren zu können. Wie im richtigen Leben. Zumindest soll es im Japan des 14. Jahrhunderts so gewesen sein.
Die japanische Terminologie bringt keineswegs ein besseren Verständnis des Spielmaterials und des Ablaufs, ganz im Gegenteil, es macht alles unnötig schwer. Wenn wir gemäß einem Paragraphen des Regelheftes „gegen einen Daiymo“ kämpfen können, dann suchen wir diese Figur in Karten, Marken oder Pöppeln vergebens: Es sind schlichtweg die Mitspieler in ihrer Gesamt-Präsenz, die wir hier bekämpfen müssen. Und wenn der Startspieler „Statthalter“ heißt, aber keine weitere Funktion als eben die des Startspieler in sich trägt, dann ist das alles lediglich manieristisch verklausuliert.
Beim (Vertreibungs-)Kampf kämpft eine beliebige Auswahl unserer Krieger von bekannter Stärke gegen eine beliebige Kriegerauswahl des Gegners von ebenfalls bekannter Stärke. Das Kampfergebnis kann noch durch verdeckte Aktionskarten beeinflußt werden. 50% Planung gegen 50% Zufall. Doch das Kämpfen, eigentlich ein unabdingbares Element in einem Kriegsspiel, ist hier in jedem Fall kontraproduktiv. Nach jedem Kampf sind unsere Krieger müde und fallen für den Rest der Runde sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung aus. Haben wir unser Pulver verschossen, so können unsere Reisbauern vom Gegner mit dem Fliegenwedel vertrieben werden. Logische Konsequenz: Wir müssen unsere Krieger bis zuletzt zurückhalten. Nur Selbstmörder greifen an! Doch wenn das alle tun, dann kommt überhaupt kein Krieg mehr zustande. Diesen pazifistischen Effekt haben die Väter von „Rice Wars“ garantiert nicht im Sinn gehabt.
Die ersten Aufbauzüge sind zwangsweise symmetrisch: jeder Spieler legt sich die maximale Anzahl von Reisbauern zu, nach und nach auch ein paar Krieger. Aber nur zur Abschreckung. Aus den schon bekannten Gründen fing keiner mit der Aggression an. Dann „opferte“ sich Walter als Feinbild und belegte das einzige Reisfeld mit den beneidbaren doppelten Erträgen. Das war natürlich der Auslöser für Günthers ersten Eroberungsschlag, Walter schlug zurück und Aaron triumphierte: Mit seinem nun konkurrenzlosen Militärpotential wendete er sich nochmal gegen Walter und schnitt dessen gesamte Bauernschar vom Daimyo-Palast ab. Eine Runde lang flossen keine Reiserträge in das Herrscherhaus. Ohne Moos nix los. Kein Geld, um mit neuen Bauern die Lücke zu schließen, kein Geld, um die Militärs zu finanzieren, mit denen auch nur eine Mimimal-Linie zu halten gewesen wäre. Das war natürlich die Folge eines schweren Anfänger-Stellungsfehlers. Doch klare Erkenntnis: das mittelalterliche Japan verzeiht nichts!
Aaron und Günther schwelgten glückselig in der Planung, wie sie Walter jetzt gemeinsam am schnellsten den Garaus machen könnten. Zwei Riesen gegen einen Zwerg. Doch dahinter stand keine mangelnde spielerische Ethik, es ging ohnehin nur noch um das Herbeiführen eines vorzeitigen Spielabbruchs. Nach 42,8571 % der Runden war es geschafft. Den Regeln nach hätte der Ausgeschiedene jetzt noch die restlichen 57,1428 % des Spiels zuschauen dürfen, wie sich seine beiden Terminatoren selber in die Wolle kriegen. Doch wir übernahmen hier die selbstverständliche „1830“ Regel: Sobald einer pleite ist, endet das Spiel.
„Bist Du sicher, daß wir alles richtig gespielt haben?“ fragte Günther hinterher etwas verwundert. „Zumindest habe ich alle Regeln vorgelesen!“ Entweder haben wir es falsch gespielt, oder das Spiel funktioniert nicht. „Vielleicht ist es wenigstens historisch richtig!“ Vielleicht.
WPG-Wertung: Aaron: 3, Günther: 3, Walter: 3.
2. “Small World mit Erweiterungen “Frauenpower” und “Verflucht”
Das Spiel um die Völkerschlachten echter und magischer Wesen mit unterschiedliche Fähigkeiten und Eigenschaften zum gegenseitigen Dezimieren und Verdrängen von den lukrativen Siegpunkt- Weideplätzen wurden um neue Rassen vermehrt. Es gibt jetzt zusätzlich:
– liebende Zigeunerinnen
– verfluchte Gobelins
– marodierende Priesterinnen
– räuberische Kobolde und
– berittene weiße Frauen
Deren neue Eigenschaften bringen neue extreme Kombinationen in das bisherige Spektrum. Sie ermöglichen für gute Völker-Kombinationen ein noch stärkeres Einsammeln von Siegpunkten und ein Auseinanderdriften der Besitzstände der einzelnen Spieler.
Walter startete sehr gut mit den Menschen, ließ sie gleich in der zweiten Runde aussterben und legte sich die Hexenmeister zu. Das verschaffte ihm zu Beginn einen gewaltigen Reibach und den Neid der Konkurrenz. Doch dann konnte Aaron mit einer unübersehbaren Koboldschar die Hexenmeister samt Besen in die Ecke stellen. Zuvor hatte er noch 5 weißen Frauen auf die Anschaffe geschickt. Dieser zuhälterische Geldsegen war nicht mehr zu bremsen und er blieb bis zum Spielende erhalten. Seine beiden Gegenspieler versuchten noch eine Zeitlang, mit vereinten Kräften die massiven und massierten Kobolde zu eliminieren. Ab der Hälte des Spiels gaben sie dieses vergebliche Vorhaben aber auf und zerfleischten sich gegenseitig im Kampf um den zweiten Platz.
Hat das Spiel mit den neuen extremen Eigenschaften vielleicht seine Balance eingebüßt? Oder war es ein Zufall, daß die sterblichen weißen Frauen von den Kobolden so lange gemolken werden konnten? Immerhin hätte Günther am Ende fast noch mit seinen Zigeunerinnen die Nase vorne gehabt. Wenn man gegen eine gelungene gegnerische Völkerkombination schon nichts ausrichten kann, dann soll man sich schnellstens eine eigene Kombination zusammensuchen, mit der man auf die Punktejagt geht. Und man kann so nebenbei hoffen, daß die sporadischen aber zielgerichteten Fußtritte aller Verlierer am Ende doch noch den Sieger vom Sockel holen.
Das Spiel war einfach zu kurz(weilig). Doch das ist eher eines der höchsten Lobe, die man einem Spiel machen kann. Und es war immer Spiel, niemals Ernst, oft genug begleitet von konstruktiven analytischen Diskussionen um Positionen und Aussichten. Ganz das Gegenteil von unserem Engagement in Afghanistan.
WPG-Wertung: Die Spielbox-Erweiterungen haben die bisherigen guten 8 Punkte positiv unterstrichen.
28.04.2010: Landwirtschaft rund um die Welt
Was machen frischgebackene Rentner, wenn sie gerade keine neuen Spiele erfinden? Richtig: Sie lesen Kochrezepte und versuchen, diese nachzukochen. Damit der Braten perfekt gelingt, hat mir mein Sohn zu Weihnachten ein Fleischthermometer geschenkt. Seitdem liegt es hier auf meinem Schreibtisch. Inzwischen ist die Schachtel und die Gebrauchsanweisung verschwunden (Bratkartoffeln gelingen auch ohne Thermometer), und es ist immer noch ein Geheimnis, wie man das Ding nutzt.
Heute bekam ich den simplen Rat: „Reinstecken und messen, wie heiß der Braten ist!“ – Gerhard Polt hätte dazu ergänzt: „Wia im richtigen Leben!“
1. “Finca – El Razul”
Vor knapp einem Jahr zum letzten Mal gespielt, lag diesmal die Spielbox-Erweiterung auf dem Tisch:
– Für die Windmühle, auf der die Spieler ihre Pöppel bewegen, um Früchte und Lastesel zu kassieren, gibt es ein neues Windmühlenblatt „Wahlfrucht“, auf dem man nicht die pro Blatt festgelegte Frucht bekommt, sondern sich eine beliebige Fruchtsorte aussuchen kann. Damit wird einem möglichen Engpass für einzelne Früchte entgegengesteuert, und es gilt noch mehr aufzupassen, ob dadurch nicht eine bestimmte Fruchtart ausverkauft wird, und alle Spieler ihre gehorteten Vorräte zurückgeben müssen.
– Ein weiteres neues Winmühlenblatt ist der „El Razul“. Wer dieses Blatt betrifft, hat bei den Früchten ebenfalls freie Auswahl. Zusätzlich darf er die El Razul-Figur in eine beliebige Gemeinde versetzen, wodurch in dieser Gemeinde die vorgegebene Zusammensetzung der gehandelten Früchte aufgehoben ist und durch beliebige andere Frucht-Kombinationen ersetzt werden kann. Bei uns wurde diese Figur nur mäßig genutzt, man kann einem Mitspieler, der sich auf eine bestimmte Fruchtsorte eingeschossen hat, damit die Trauben aber ganz schön sauer werden lassen.
– Es gibt zwei weitere Fruchtplättchen für die Gemeinden. Wer sich diese Plättchen einhandeln will, muß dazu lediglich einen Lastesel abgeben, aber keine Früchte. Es ist regeltechnisch noch ungeklärt, ob man die Früchte überhaupt haben und transportieren muß, oder ob man dazu einen leeren Esel hinschicken kann.
Wenn ein solches Plättchen erworben wird, werden zusätzlich von jeder Fruchtsorte zwei Stück vom Vorrat in die Schachtel zurückgegeben. Dadurch verknappt sich das Angebot und die Gefahr (oder Chance), dass Fruchtsorten ausgehen, verschärft sich.
– Jeder Spieler bekommt noch ein zusätzliches Aktionsplättchen: die Sonderaktion „Marionette“. Wer dieses Plättchen einsetzt (einmal pro Spiel möglich), darf einen beliebigen fremden Pöppel statt des eigenen ziehen, und bekommt dann alles, was auch diese Figur erhalten würde. Das schaftt eine drastische chaotische Eingriffsmöglichkeit in das Spielgeschehen. Ein Spieler, der seine Pöppel logistisch planend in lukrative Konstellationen gebracht hat, wird um seinen verdienten Lohn gebracht, indem ein Mitspieler ihn seines besten Pferdes im Stall beraubt.
Diese Spielbox-Erweiterungen machen aus einem (wenigstens) kurzfristig berechenbaren Spiel (ein Zug vorausdenken) ein nicht mehr berechenbares Spiel. Doch diese Reduzierung der Berechenbarkeit fördert die spielerische Linie, man braucht jetzt schlichtweg nur noch den jeweils nächst-besten Zug tun. Die restliche Entwicklung liegt in der Hand der Mitspieler.
Günther wird gegen diese These – wie auch schon gegen die ähnliche These beim Original-Finca – natürlich seine Einwände erheben, denn er hat das Spiel haushoch gewonnen. Doch nächstes Mal werden wir Verlierer besser spielen und unsere gröbsten Fehler vermeiden. (Wahrscheinlich wird Günther dann immer noch gewinnen. Qed!)
WPG-Wertung: Aaron:8 (zwei Punkte mehr als für die Basisversion. Das lag nicht nur an der Extension, auch weil die Spielernte der letzten Monate einen gewissen Langdenker-Frust ausgelöst hatten, der bei „El Razul“ nicht gegeben war) Günther: „keine Änderung, aber mindestens 7 Punkte“; traf damit haargenau seine Wertung vom letzten Jahr. Walter: 7 (1 Punkt mehr für die Erhöhung des Mitspieler-Chaos)
2. “Vor den Toren von Loyang”
Loyang ist die Hauptstadt der Han-Dynastie und vor den Toren werkeln die Bauern auf ihren Feldern, um die Einwohner zu ernähren. Wir sind die Bauern, kaufen oder sparen Saatgut, säen auf unseren Feldern, ernten, handeln und versorgen unsere Stamm- und Laufkundschaft mit landwirtschaftlichen Produkten. „Als erfolgreichster Landwird erweist sich, wer im vorgegebenen Zeitraum am weitesten auf dem Wohlstandspfad voranschreitet. Diese Schritte kosten Geldmünzen – anfangs weniger, später mehr.“ So steht es in der Einleitung, auf Seite 1 ganz oben. Doch wir müssen uns durch weitere 12 Seiten Regelheft hindurcharbeiten, und keiner hatte dazu einen richtigen Peil. So stopselnd, nahezu radebrechend haben wir uns noch nie die Regeln erarbeiten müssen.
Das Spiel versucht mit chinesischer Grafik und chinesischen Schriftzeichen ein bißchen Han-Stimmung ins Spiel zu bringen. Dafür konnte dann keiner von uns anhand der Schriftzeichen erkennen, wieviel „Käsch“ eine bestimmte Geldmünze wert ist. Die Regeln waren deutsch, das Milieu chinesich und unser Verständnis spanisch. Hierbei ist China absolut überflüssig. (Und Spanien auch!) Die landwirtschaftliche Optimierung ist das einzige Thema, das im Spiel rüberkommt. Produzieren die teutonischen Bauern von heute denn keine Früchte mehr? „Vor den Toren von Unna“ hätte es auch getan.
„Das Spielmaterial macht mich total irre“ stöhnte Aaron. Auch die Positionen von Feldern, Schubkarre, Lager, Laden und Markt muß man sich erst errätseln. Weiterhin gibt es Aktionskarten, mit denen man seine Züge steuern kann. Der Verteilungsmechanismus ist ganz pfiffig: Jeder erhält 4 Karten und muß reihum jeweils eine Karte offen auf einen Ablagestapel geben, bis ein Spieler zuschlägt und sich aus einer Handkarte und einer Karte vom Ablagestapel die 2 Aktionen auswählt, mit denen er eine Spielrunde durchführen will.
Die Aktionskarten müssen nun vor jeder Runde neu gemischt werden. Ein ergonomisch etwas unglückliches, weil zeitaufwendiges Prinzip. Nicht ganz so pfiffig.
Dann tröpfelt das Spiel ziemlich solitär vor sich hin. Jeder überlegt für sich allein, welche Früchte er auf seinen Feldern anbaut und erntet. Jeder sucht sich seine eigenen Stamm- und Laufkunden zusammen, die er im Laufe des Spiels bedienen will. Jeder legt sich seinen eigenen Markt an, auf dem er notfalls die geernteten Früchte gegen die vom seinen Abnehmern gewünschte Auswahl umtauscht. Jeder kauft in seinem eigenen Laden den Rest an Früchten zusammen, den er auf seinen Feldern und Märkten nicht erwerben konnte. Interaktion ist in der Größenordnung von Null.
Halt! Hier habe ich etwas Wichtiges vergessen. Es gibt Aktionskarten, mit denen man in fremden Gärten naschen kann, Aktionskarten, in denen man fremde Kunden und fremde Märkte anzapfen kann. Da hat sich der Mitspieler gerade die richtige Kombination für ein mehrstufiges Produzieren und Handeln zurechtgelegt, dann nehmen wir ihm den Endverbraucher weg! Langfristiges Analysieren und Planen gegen nullfristiges Durchkreuzen der Pläne. Paßt das zusammen? Für mich nicht, für uns nicht! Bei „Agricola“ vom gleichen Autor Ros-En-Ber(g) gibt es wenigstens eine scharfe Konkurrenz um die besten Aktionsplättchen für unsere Entwicklung. In „Loyang“ sind wir alle autistische Ameisenbauern, die nur ab und zu mal von einem Bonzenbauern gepiesackt werden.
Drei Stunden lang haben wir diese A-B-Kombination ausgehalten. Es gab immer mehr Felder und immer mehr Erntefrüchte, von daher also eine gewisse Steigerung des Umsatzes, ansonsten hat sich die Welt nicht wesentlich weiterbewegt. Was in der ersten Stunde an neuen Spielelementen gereizt hatte, wurde die restlichen Stunden zur Routine. Ein Zeitvertreib unter netten Freunden. Oder ganz für sich alleine. Als Alternative zu Kochbüchern, Rezepten, Fleischthermometern und ähnlichen Dingen.
Bemerkenswert immerhin, daß Günther mal wieder NICHT gewonnen hat. Er hatte sich versehentlich schon in der ersten Runde einen Kredit geben lassen müssen, dessen teure Rückzahlung in der Schlußabrechnung nicht mehr gutzumachen war. Gerechtigkeit aus dem Reich der Mitte!
WPG-Wertung: Aaron:5 („möchte es nicht unbedingt noch einmal spielen“ – Hier ist das „unbedingt“ mindestens einen Punkt wert! Einen weiteren halben Punkt gab es für die Rückseite der Spielpläne, die speziell für die Farbenblinden unter uns Mitspielern gestaltet waren), Günther: 5 („es funktionert“; einen halben Punkt für die vielen Tüten zum Einpacken des Spielmaterials“), Walter: 6 („konstruktiv, nur deutlich zu lang“).
3. “Bluff”
Nein, kein Bluff mehr. Es war schon halb Zwei, als wir China hinter uns gelassen hatten.
21.04.2010: “Die Werft”
Wieder war die Fußball Champions League keine Alternative zum Westpark. Hans hatte endlich seine Urlaubs-Rückreise aus Südfrankreich erfolgreich beenden können. Fast genauso schnell wäre er mit dem Mannschaftsbus von Olympic Lyon gewesen. Doch dort herrschte ein noch größeres Gedränge als im TGV via Paris nach München.
1. “Die Werft”
Der innovative Spieleverlag Czech Games Edition bleibt am Ball. Von seinen ersten internationalen Erfolgen u.a. mit „Sechsstädtebund“ und „Galaxy Trucker“ ermuntert, tritt er jedes Jahr in Essen mit einem neuen Spiel an. Im letzten Herbst war es „Die Werft“. Günther war vor einem halben Jahr dabei, heute konnte er das Spiel endlich am Westpark auftischen. Wir sind Schiffbauer und sollen in einer gegebenen Rundenzahl die meisten, größten, schnellsten, stärksten und/oder reichsten Schiffe auf Jungfernfahrt schicken.
Gleich beim Öffnen der Schachtel fiel Aaron das „Material ohne Ende“ auf. Allein 20 Minuten brauchten wir für die Verteilung der Karten und Kärtchen zur Startaufstellung. Weitere 10 Minuten brauchte Günther um einen groben Überblick über den Spielablauf zu geben. Das war aber nur die Einleitung. Dann fing er in seiner gewohnten Art die Detailerklärung linear und sequentiell auf Seite 1 des Regelheftes an.
Die Spieler sind nacheinander am Zug und suchen sich damit eine der verfügbaren Aktionen von der Aktionsleiste aus. „Welche verschiedenen Aktionen gibt es?“ wurde Günther natürlich sofort unterbrochen. „Das kriegen wir später.“ Erst mußten Ablauf und Randbedingungen bei der Auswahl einer Aktion ausführlich dargelegt werden. (Wäre es nicht auch anders herum gegangen?)
Insgesamt 8 verschiedene Aktionen gibt es. Eine davon heißt z.B. „Rohstoffe“; dazu setzen wir unseren Pöppel auf ein Aktionsplättchen mit einem Marktsymbol. „Wie funktioniert der Rohstoffhandel auf dem Markt?“ wurde Günther wieder unterbrochen. „Das kriegen wir später!“ Erst mußten die verschiedenen Aktionen genannt und ihre zugehörigen Aktionsplättchen vorgestellt werden. Günther blieb in seiner Regel-Didaktik genauso unbeirrbar wie van Gaal heute in seiner Offensiv-Taktik.
In unseren Aktionen fügen wir Schiffsteile – 1 Bug, 1 Heck und beliebig viele Mittelteile – zu einem Schiff zusammen. Oder wir rüsten das Schiff mit Motoren, Segeln, Schornsteinen und Kanonen aus. Die vielen Zwischenfragen (von allen!) hatten Günther sprachlich in sein oberlippisches Schneckenhaus kriechen lassen. Noch nie sind mir aus seinem Mund soviele „Es-Tes“ aufgefallen wie diesmal bei den Schorn-ßteinen!
Mit anderen Aktionen heuern wir unsere Crew an: ein Kapitän pro Schiff ist notwendig, Mannschaft und Mitfahrer sind Luxus für mehr Siegpunkte. Wenn wir uns „Anwerber“ und „Händler“ zulegen, können wir später leichter unsere Mannschaft rekrutieren und bekommen bei unserem Rohstoffhandel einen höheren Erlös. Für die Jungfernfahrt müssen wir uns rechtzeitig eine Kanalstrecke anmieten, auf der wir unser Schiff präsentieren und je nach Bauart und Ausrüstung zusätzliche Siegpunkte kassieren.
Jeder Spieler erhält noch zwei geheime „Regierungsaufträge“, deren Erfüllung ihm am Spielende zusätzliche Siegpunkte einbringt. Aaron schwante schon Schlimmes: „Das scheint sich allmählich durchzusetzen: am Ende kommt die große Überraschung!“
Günther mußte insgesamt vier Detailierungsebenen des Regelheftes durchgehen, bis wir einigermaßen durch waren. Didaktisch hervorragend, für neugierige Fohlen, die schon mit den Hufen scharren, eine Geduldsprobe. Die Sonderregeln für bestimmte Sonderfälle im Spiel hatten wir uns noch ausgespart. Immerhin waren schon eine Stunde und 45 Minuten vergangen; das Spiel Bayern gegen Olympic hatte gerade angefangen.
Wie bis hierher zu erkennen, geht es in der „Werft“ darum, innerhalb einer sehr großen Handlungsfreiheit eine ganze Latte von Optimierungsaufgaben besser zu lösen als die Mitspieler. Man muß die gerade richtig großen Schiffe aus den besten Einzelteilen bauen, die Mannschaften gerade passend zum Regierungsauftrag zusammenstellen, die Schiffe optimal ausrüsten und die lukrativsten Kanalstrecken für die zu Schiff, Ausrüstung und Auftrag passenden Jungfernfahrten anmieten. Alles ist preisgesteuert. Das jeweils nächstbeste Spielelement kostet nichts, je weiter weg vom nächstbesten Angebot man zugreift, desto mehr muß man berappen.
Günther wurde nach einen Spieltipp gefragt. Doch er mußte passen. Die Tipps aus dem Regelheft wollte er offensichtlich für sich behalten. (?) Und daß man kleine Schiffe bauen soll, wenn man im Regierungsauftrag für jedes einzelne Schiff, unabhängig von seine Größe, belohnt wird, das war ihm wohl zu trivial.
Das Spiel ist in seinen internen Abläufen sehr gut ausbalanciert. Kosten, Erlöse, Vorteile und Siegpunkte halten sich sehr gut die Waage. Immer mal wieder findet ein Spieler einen sehr guten Aufbauzug, muß aber ergänzend dazu immer auch eine Reihe „normaler“ Erwerbszüge tun. Es gibt automatische Bremsen, die das Vorpreschsen von auserwählten Taktiken und Strategien verhindern. Es gibt Engpässen und Mittel dazu, sie zu umgehen. Wichtig ist immer ein bißchen Geld in der Tasche, um im richtigen Augenblick anstatt eines nur mäßigen Zuges, einen vorzüglichen Zug tun zu können.
Direkt gegen einen Mitspieler kann man nicht spielen. Man kann ihm eigentlich nichts wegnehmen und nichts verbauen. Man kann höchstenfalls versuchen, im Windschatten des Vorgängers mitzusegeln: Die Aktion, die er gerade durchgeführt hat, kann man selber im nächsten Zug kostenlos durchführen. In dieser Richtung einen Zug vorausdenken lohnt sich.
Die Spannung steigt gegen Spielende für jeden individuell mit der Frage, ob er seine persönlichen Ziele, inbesondere den Regierungsauftrag noch erfüllen kann. Ist hier keine Frage mehr offen, dann fehlt die Spannung. Das ist sicherlich ein gewisses Manko; wenn das Spiel deutlich kürzer wäre, blieb diese Spannung (relativ) länger erhalten. Am Ende der Bayern-Partie hatten wir gerade erst die Hälfte der „Werft“ bewätigt. Für das gesamte Spiel brauchten wir 3 Stunden. Und nach der Diskussion der Vorzüge und Nachteile nochmals 20 Minuten, um das Spielmaterial wieder ordentlich einzutüten. Für Spielefreaks ist das sicherlich kein Problem, doch so viele von dieser Sorte laufen auf der Welt nicht herum.
Eine deutliche Kritik muß allerdings an den Regierungsaufträgen geübt werden. Aarons Befürchtungen zu Spielbeginn waren absolut berechtigt. Hier fehlt jegliche Balance. Wenn der eine Spieler am Ende maximal 12, der andere aber (mit Glück und Können) 32 zusätzliche Siegpunkte ergattern kann, ist damit schon fast die Unkalkulierbarkeit einer Bananenrepublik erreicht.
Günther erzielte in der Schlußwertung 56 zusätzliche Siegpunkte und konnte Walter damit auf dem (zu) kurzen Siegpunktparcours einmal vollständig umrunden. Er hatte den besten Regierungsauftrag an Land gezogen und ihn mit Konsequenz maximal ausgeschöpft. Sollen mit diesen riesigen (teilweise Zufalls-) Spannen auch die schwächeren Spieler eine Gewinnchance erhalten? Oder sollen die schwächeren Spieler 3 Stunden lang mit Hingabe ihre Siegpunktquellen tröpfeln lassen, und erst bei Spielende erleben, daß sie von den Wasserfall-Koryphäen hinweggeschwemmt werden?
WPG-Wertung: Aaron: 5 (zu viele Elemente, die zu wenig verschiedene Herausforderungen darstellen), Günther 6 (zu lange Spieldauer, viel Material und Regeln), Hans: 6 (plus ist, daß es durch die individuellen Aufgaben verschiedenen Strategien gibt; minus ist, daß es zu den verschiedenen Strategien keine Gegenstrategien gibt), Walter: 7 (honoriert die vielen neuen Spielideen und den großen Handlungsspielraum).
Hans: „Dafür, daß das Spiel so unübersichtlich ist, ist es sehr übersichtlich!“
2. “Bluff”
Hans war der spielentscheidende Spieler. Erst würfelte er zu schlecht und zweifelte zu Recht alle guten Vorgaben an. Dann würfelte er zu gut und zweifelte zu Unrecht die schlechten Vorgaben an. Das Endspiel 1:1 gegen Walter konnte er durch einen ungewöhnlichen Konter für sich entscheiden.
Seine Vorgabe von 1 mal die Zwei hatte Walter mit einem Stern unter seinem Becher befriedigt auf 1 mal die Vier gehoben, mit der Absicht, anschließend alle folgenden Gebote von Hans zu verdoppeln. Jetzt bot Hans 1 mal den Stern! Das folgenden Alles-oder-Nicht-Gebot (welches?) brachte die Entscheidung zu seinen Gunsten.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
14.04.2010: Gallier und Teutonen
Vom geplanten aber abgeblasenen Streik der Lufthansapiloten wäre der eine oder andere von uns vielleicht betroffen gelesen. Vom gleichzeitig in Frankreich stattfindenden Eisenbahnerstreik wohl kaum. Außer Hans. Gestern kam seine Mail hier an:
„Meine Rückreise aus dem Frankreichurlaub läuft ganz und gar nicht wie geplant … und kann noch dauern. Ein Eisenbahnerstreik begann am vergangenen Mittwoch, meinem ersten geplanten Rückreisetag. Am Sonntag hatte meine Mitfahrgelegenheit kurz nach Abfahrt eine spektakuläre Panne, und heute fahren in der Region wieder keine Züge. Es nervt langsam. Zwischen Gewerkschaft und Bahn gibt es bisher keine Einigung, und ich habe auch die Nase voll vom Frühaufstehen ohne Erfolg …
Sorry, dass ich entgegen der Ankündigung am Mittwoch nicht komme!“
Gleich darauf meldete sich Günther: „Dann sage ich noch zu. Somit sind wir wieder zu viert!“
Doch Mittwoch Abend, 19 Uhr, war weit und breit kein Günther zu sehen. Kein Anruf, keine Absage, keine Mail. 15 Minuten Wartetoleranz ist Maximum, dann starteten wir als Trio.
1. “Cloud 9”
Auf Deutsch wird der Titel wohl mit „Wolke 7“ übersetzt. Das Altertum kannte sieben Himmel, dahinter endete die materielle Welt und es kam nur noch die Welt der Phantasie, Wünsche und Träume. Die Angloamerikaner sind hier weniger klassisch. Die „cloud no. Nine“ rührt (angeblich) daher, dass die höchsten Wolken nur bis zu acht Meilen über der Erde sein können, mit der Nummer 9 befindet man sich also über den Wolken.
Doch bei „Cloud 9“ geht es weniger hoch hinaus, als eher darum, Bodenberühung zu vermeiden. Wir befinden uns in einem superschönen Ballonkorb, reihum ist einer der Pilot und würfelt mit zwei (später mehr) Würfeln Farbkombinationen aus – rot-grün-gelb-lila. Für jede gewürfelte Farbe muß der Pilot eine gleichfarbige Karte (aus seiner verdeckten Kartenhand) abgeben. Hat er keine entsprechende Karte mehr, ist der Ballon abgestürzt und wir gehen leer aus. Doch bevor der Pilot bekennen muß, dass er keine passende Karte mehr hat, dürfen wir entscheiden, ob wir weiterhin im Ballon bleiben, oder lieber aussteigen. Steigen wir rechtzeitig aus, so bekommen wir Siegpunkte, und zwar umso mehr, je länger der Ballon unterwegs war.
Der Pilot darf natürlich nicht freiwillig aussteigen. Er muß auch noch mindestens eine Strecke weiter fliegen, um selber Punkte kassieren zu dürfen. Erleichtert wird seine Weiterfahrt durch „Wildcards“, die für beliebige Würfelkombinationen herhalten können. Viele zufällig gezogene Wildcards machen den Sieger aus. Der Pilot läßt seine Mitfahrer aussteigen und hangelt sich mit den Wildcards noch um gewaltige Punktespannen nach vorne. Insofern ist „Cloud 9“ ein normales braves, Chaos-Würfel-Kartenspiel.
Etwas problematisch ist die Regel, dass der Pilot nicht beweisen muß, dass er eine geforderte Würfel-Kartenkombination nicht mehr besitzt. Hier ist Betrug (oder Irrtum) Tür und Tor geöffnet. Irgendwie kann diese – eigentlich unerläßliche – Regel auch nicht in das Spiel eingebaut werden. Denn zeigt der Pilot seine Kartenhand, ist der ganze Spielwitz vorbei. Ein Geburtsfehler, der einem german-style Game wohl niemals passiert wäre.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (2 Punkte weniger als Stone Age), Moritz: 6 (fehlertolerant), Walter: 5 (höchstenfalls zum Aufwärmen).
2. “Hansa Teutonica”
Für Moritz zum Kennenlernen, für die anderen zur Vertiefung. Aaron durfte in freier Rede die Regeln erklären und ging sofort in die Details. Selbstverständlich kam von Moritz sofort die Rückfrage: „Und was ist das Thema?“ Lange Gesichter. Vom geschichtsträchtigen Thema „Hanse“ ist keine Stimmung enthalten. Zumindest nicht für einen eingefleischten Liebhaber amerikanischer Weltkriegsspiele. Es ist ein abstraktes Aufbauspiel, und wenn man es gut kennt, dann artet die Zug-Optimierung, die Interaktion, das lebenswichtige Knüppel-zwischen-die-Beine-Werfen richtiggehend in Arbeit aus.
Günther (mit einer Stunde Verspätung eingetrudelt) wurde um Spieltips gefragt. „Man muß Startspieler sein!“ Ist hier der Saulus zum Paulus geworden? Nein, eher der Petrus zum Judas!
Moritz bekam als Neuling die Startspielerrolle zugewiesen und belegte sofort die Strecke Göttingen-Quedlingburg. Aaron blockierte mit seiner Scheibe Quedlingburg und legte einen Würfel in Richtung Lübeck. Walter blockierte Göttingen und Warburg und Günther blockierte Warburg und Lübeck. (Insider erkennen hieraus sofort, dass Günther nicht auf seinem angestammten Platz saß. Warum wohl?)
Moritz scheute die Unkosten beim Verdrängen, war aber dann doch der erste, der sich 5 Aktionen freigeschaufelt hatte. Allerdings war er dafür bis zum Schluß bei seiner Startausstattung an Säcken stehengeblieben. Dieses Handicap kann man nicht wieder gut machen.
Aaron setzte auf ein schnelles Ende und begann unverzüglich, sich ein Streckennetz aufzubauen. Es hätte auch fast zum Sieg gereicht. Wenn Walter ihm noch schnell 2 Wertungspunkte zugeschustert und damit das Spiel beendete hätte. Doch dann wäre er selber Letzter geworden, er wollte aber lieber Vorletzter werden. So erhielt Günther noch eine Chance. Der hatte auf die Verdrängt-Werden-Strategie gesetzt. Damit bekommt man am leichtesten eigene Würfel aufs Brett, und wenn man sie auch noch günstig verschieben kann, kann man damit reichlich punkten. Er nutzte die Chance zum Sieg.
Moritz hatte die Sudden-Death-Bedingung beim Spielende nur halb verstanden und war entrüstet. „Ich mache Euch jetzt den Jens! 2 Punkte fürs Spiel!“ Glücklicherweise wird auch bei ihm die Suppe nicht so heiß gegessen wie gekocht. Er konnte sich noch zu 6 Wertungspunkten aufraffen, wünschte sich aber sehnlichst Spiele herbei, die Atmosphäre haben. Wie z.B. „Wind River“, ebenfalls vom Argentum-Verlag, das „super auf die Thematik eingestellt ist“.
Und doch war es gerade Moritz, der nach einem bißchen Palaver über die verschiedenen Entwicklungslinien von „Hansa Teutonica“ eine sofortige Wiederholung des Spiels vorschlug. Gesagt, getan. Solche Wiederholungen kann man am Westpark an einem Finger abzählen!
Wieder verlief das Spiel anders als in allen vorherigen Spielen. Eine der Stärken von „Hansa Teutonica“, die das Spiel wohl noch lange spielenswert halten. Zu Beginn gab es äußerst hartnäckige Kampfszenen um die begehrten Entwicklungsstrecken für Aktionen und Säcke. Als sich der Dampf gelegt hatte, suchte sich jeder eine ruhige Ecke, in der er möglichst ungestört seine Siegpunktquellen sprudeln lassen konnte. Individuelle Denkphasen schlossen sich an, allerdings nicht so lange, dass Aarons schneller tickender Biorhythmus nervös werden konnte.
An Günther lief das Spiel gnadenlos vorbei. Sein Pulver aus dem ersten Spiel war naß geworden. Kein Verdrängen, keine Strecke, keine Aktionen, keine Säcke. Er wurde Letzter. Nach vier aufeinanderfolgenden Siegen darf das hier doch mal gesagt werden. Ehrliche Frage: Was hast Du eigentlich für Züge gemacht? Ich kann mich an keinen einzigen mehr erinnern!
Moritz profitierte von Günthers Abräumwertungen, die ihm die wichtigen Entwicklungsstrecken des Anfangs leer und herrenlos überließen und konzentrierte sich mit seiner Aktionsmasse sehr bald auf den Streckenbau. Damit wurde er Sieger.
WPG-Wertung: Aaron: 8 (bleibt), Günther: 8 (bleibt, ein äußerst facettenreiches Spiel), Moritz: 7 (als Einschränkung: „das Spiel ist clunky und abstrakt“, als Empfehlung: „Man muß antizyklisch spielen“), Walter: 9 (bleibt).
3. “Halunken und Speklunken”
Spieleautor ist der Klassiker Alex Randolph, dessen Erzeugnisse es immerhin 13 mal auf die Auswahlliste zum „Spiel des Jahres“ gebracht haben. Auch die „Halunken“ sind ein Klassiker. Allerdings aus dem vorigen Jahrtausend. 1997 waren die Geschmäcker offensichtlich noch anders.
Wir schicken unsere Kapitäne acht Runden lang um das Hafenbecken, um die beste Mannschaft anzuheuern. Unser Bewegung bestimmen wir anhand von Bietkarten nach Art von „Hol’s der Geier“. Wenn zwei Spieler zufällig die gleiche Bewegungskarte ziehen, müssen beide stehenbleiben.
Unsere angeheurte Mannschaft besteht aus Karten, deren Wert wir erst kennen, wenn wir die Karte erworben haben. Dann liegt die Karte offen vor uns und und die Mitspieler können sie uns abluchsen, wenn sie zufällig auf das gleiche Feld kommen, auf dem wir stehen.
In der Erweiterungsregel gibt es noch einen Kapitän, der uns ebenfalls Karten abluchst, ebenfalls mit einer gewissen Zufälligkeit, aber deutlich höherer Wahrscheinlichkeit. Den Kapitän können wir ersteigern, dann gehören die von ihm abgeluchsten Karten uns selber.
Eine Art Blinde-Kuh-Spiel unter Blinden nachts im Dunkeln bei Stromausfall. Am Ende, wenn man nur noch eine einzige Bewegungskarte hat, fällt mit der Schrittweite sogar noch der einzige Freiheitsgrad weg, den wir im Spiel haben. Stefi schrieb bei FAIRspielt: „Kein Taktikergeschick nötig. Einfach nette Unterhaltung.“ Das war wohl auch schon im letzten Jahrtausend!
WPG-Wertung: Aaron: 4 (wohlwollend), Günther: 4 (einschließlich eines halben Randolph-Gedächtnis-Punktes, „kaputt ist das Spiel nicht“), Moritz: 5 („spielt sich wie ein Familienspiel, ist aber kein Familienspiel“), Walter: 3 (möchte es nicht noch einmal spielen, weder mit seinen Kindern noch mit seinen Enkelkindern).
4. “Bluff”
Moritz stand mit 3:1 gegen Günther im Endspiel. Günther gab nach seiner Leib- und Magen-Strategie 1 mal die Fünf vor, Moritz hob ab 2 mal die Fünf, Günther auf 2 mal den Stern. Schweres Los für Moritz: Er hatte Eins, Zwei und Stern unter dem Becher. Was hättet Ihr gesetzt?
Moritz legte den Stern und die Zwei heraus und würfelte mit der Eins nach. Eine Zwei. So einfach geht „Bluff“! In jedem Fall aber 4 vorzügliche Schachzüge der Beteiligten.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.