Archiv der Kategorie: Spieleabende

04.11.2010: “Navegador”, “Kaigan” und Schwindeln

Das bescheuerte Kartendeck „Startspieler“, mit dem angeblich jeglicher „Streit darum, wer anfängt“ vom Tisch sein soll, liegt immer noch auf unserem Fensterbrett. Moritz zieht es zu Beginn unserer Spieleabende regelmäßig zu Rate, wenn er seinen Stammplatz am Fenster eingenommen hat. Sehr zum Leidwesen von Walter, der dieses Produkt zutiefst haßt, wie alles, was in Politik, Wirtschaft und Spiel großmäulig Versprechen abgibt, von denen selbst die Verkünder wissen, daß sie nicht gehalten werden.
Heute soll Startspieler werden, „wer das lockigste Haar hat“. Wir sind zwar keine Kojak-Runde, doch die konkurrenzfähigen Schnittlauchlocken sind alle kein akzeptables Entscheidungskriterium. Die nächste Karte bestimmt den zum Startspieler, „der als letztes eine Karte gezeichnet hat“. Diesmal fühlt sich Walter berufen, auch wenn es nur eine Himmelskarte ist, mit der er demnächst seinen Großneffen das Sternbild Stier am Firmament, samt oder sonders aufsitzender Europa, verklickern will.
Sicherheitshalber zieht Moritz noch eine Karte. „Wer am ältesten ist“ führt dann zu einer eindeutigen Entscheidung. Der Stier wird bestätigt. Doch das Kartendeck wird wohl keine Woche mehr auf dem Fensterbrett am Westpark überleben.

1. “Navegador”
Wir sind Seefahrer im entstehenden portugiesischen Weltreich und müssen unsere Schiffe in Richtung beider Indien aussenden, Länder entdecken, Kolonien gründen, Märkte erschließen, Fabriken errichten, Produkte verkaufen und so eine Handelsdynastie begründen, die am Ende hoffentlich umfassender ist als die unserer Mitspieler.
Das Herzstück des Spiels ist ein Aktionsrondell (wie man es schon von einigen anderen Spielen, z.B. von „Hamburgum“, her kennt, auf dem wir mit unserem Aktionsstein mit einer variablen aber begrenzten Schrittweite im Kreise herumwandern und damit auswählen, ob wir

  • Arbeiter anwerben
  • Schiffe bauen
  • Schiffe bewegen
  • Kolonien errichten
  • Fabriken bauen
  • Handel treiben
  • Privilegien erwerben
  • Alles kostet oder bringt Geld. Alles ist gut, alles bringt Siegpunkte. Manches verändert die Preise für zukünftige Aktionen, das ist dann eine Investition in die Zukunft. Wer sich z.B. Fabriken zugelegt hat – ausreichend viele für die Warenproduktion aus seinen Kolonien -, kann veredelte Produkt zu angenehm hohen Preisen verkaufen. Wer keine Fabriken hat, muß seine Rohstoffe zu – früher oder später – traurigen Kellerpreisen verkaufen.
    Sehr viele Wege führen nach Rom, d h. zu einem Besitztum, das sich am Ende in den meisten Siegpunkten ausdrückt. Man kann auf Entdeckungen ausgehen, und sie sich – über geeignete Privilegien – am Ende mit dem Faktor 7 vergüten lassen. Man kann Kolonien gründen (davon gibt es sehr viel mehr als von Entdeckungen) und sie sich am Ende mit einem Faktor bis zu 4 vergüten lassen. Erbaute Kirchen (sie erleichtern das Anwerben von Arbeitern) und Werften (wofür sind wohl?) können es sogar auf einen Faktor bis zu 9 bringen. Deutliche Schwerpunkte in seiner Entwicklung zu setzen, ist für eine erfolgreiche Schlußabrechnung unbedingt notwendig.
    Geld bewegt die Welt. Damit kann man seinen Aktionsspielraum auch über die vorhandene Infrastruktur hinaus erweitern, z.B. pro Zug mehr Arbeiter anwerben, mehr Schiffe kaufen, mehr Märkte erschließen und größere Schritte auf dem Aktionsrondell zurücklegen, um schneller wieder die Felder zu betreten, auf denen die Musik spielt. Diese Möglichkeit sollte man konsequent nutzen und seinen erwirtschafteten Gewinn nicht nur in die kostengünstigen Kanäle fließen lassen.
    Jeder hat einen Plan und fiebert darauf, wieder am Zug zu sein, um ihn umzusetzen. Ein klares Zeichen für ein gefälliges Spiel. Hoffentlich verfolgt man seinen Plan auch dann, wenn man gerade nicht am Zug ist. Sonst dauert das Spiel geschlagene zwei Stunden. Wie heute bei uns.
    WPG-Wertung: Aaron: 6 („gutes Durchschnittsspiel“), Günther: 7 („könnte bei häufiger Wiederholung seinen Reiz verlieren“), Moritz: 7 (ungern vergeben, aber „das Spiel funktioniert“ halt; vermißt etwas Spannung), Walter: 7 („großer Freiheitsgrad“).

    2. “Kaigan”
    Vor zweihundert Jahren begann ein tüchtiger japanischer Ingenieur damit, die erste maßstabsgerechte Landkarte der japanischen Küste zu erstellen. Nach 21 Jahre wurde sein Werk fertiggestellt, bei einem Maßstab von 1:3600 immerhin 300 mühevolle Meter lang.

    Diese Ingenieursleistung wurde „Kaigan“ zugrunde gelegt, d.h. wir sind Kartografenteams und schicken unsere Kartografen zu den verschiedenen Landesteilen, um Stück für Stück zu dieser Gesamtkarte beizutragen. Das Thema schlägt allerdings nicht durch. Eher haben wir es mit einem abstrakten Optimierungsspiel zu tun, in dem wir unsere Aktionen so wählen, daß wir auf den verschiedenen möglichen Entwicklungslinien gut punkten. Wir können

  • Kartografen (Pöppel) in die Landschaft setzen
  • Die plazierten Pöppel arbeiten lassen
  • Unsere Technik verbesseren
  • Unsere Beziehungen ausbauen
  • Unsere Mobilität erhöhen
  • Einkommen einstreichen
  • Technik, Beziehungen und Mobilität sind verschiedene abstrakte (verzeiht die Wiederholung dieses Begriffs, es ist nicht böse gemeint) Entwicklungslinien, auf denen unsere aktuelle Position in Einkommen und Siegpunkte umgesetzt wird.
    Eine absolut neue und sehr hübsche Erfindung in „Kaigan“ ist die Art, wie wir unsere gewünschten Aktionen mit Hilfe von Aktionskarten auswählen. Jeder hat den gleichen Satz von Aktionskarten mit den oben angedeuteten Aktionsmöglichkeiten und legt reihum jeweils eine Karte auf ein freies Feld in einem karierten Teil des Spielbretts, bestehend aus 4 Zeilen zu 5 Spalten. Im Laufe dieses Setzen liegen demnach in jeder Zeile (und Spalte) Aktionskarten verschiedener Spieler. Sobald ein Spieler meint, in einer Zeile liegen genügend für ihn günstige Aktionskarten, so steigt er aus dem Setz-Prozeß aus und wählt für sich diese Zeile. Alle Aktionskarten dieser Zeile bestimmen dann die Aktionen, die er im folgenden ausführt. Sind in der Zeile noch leere Spalten, darf er dafür nur entsprechend weniger Aktionen ausführen.
    Es klingt ein bißchen kompliziert und wir wollten sogar eine Probe-Setzrunde durchführen, um dieses Prinzip zu verstehen und unliebsame Überraschunen zu vermeiden. Doch dann verzichteten wir darauf (es ist alles doch nur ein Spiel), und es klappte auch ganz vorzüglich. Jeder versucht in jede Zeile ein paar verlockende Aktionskarten zu legen, damit die Mitspieler anbeißen und aus dem Rennen ausscheiden. Unter weniger Konkurrenz kann man dann versuchen, mit seinen restlichen Karten eine Aktionszeile vollständig mit guten Aktionen zu füllen und zu ergattern. Wirklich vorzüglich ausgedacht.
    Das Spiel läuft sehr schnell. Zumindest kam uns die eine Stunde Spielzeit sehr kurz vor. Kaum hatten wir angefangen, fragte Günther entsetzt: „In welcher Runde sind wir denn?“ Wir hatten gerade die dritten Runde absolviert und das Spielende drohte mit Riesenschritten heranzukommen.
    Die Schlußabrechnung mit dem reichlichen Siegpunktsegen wirbelte den Spielstand nochmals gehörig durcheinander. Die krassen Plus-Minus-Effekte für den besten bzw. schlechtesten Entwicklungsstand muß man beherrschen, um zu gewinnen. Befriedigt mitspielen kann man aber auch ohne dieses Wissen.
    WPG-Wertung: Aaron: 7 („erfrischend kurz“), Günther: 6 („für ein lockeres Spiel zu kompliziert“), Moritz: 7 („anspruchsvoll; Punktabzug wegen der undurchsichtigen Schlußabrechnung“), Walter: 7 („vorzüglicher Setz-Mechanismus“).

    3. “Sieben unter Verdacht”
    Dieses Spiel ist eine Mogelpackung. (Wie halt so oft auch in der Spielbranche.) Es firmiert als „Krimi-Kartenspiel für clevere Ermittler“ und verlockt so vielleicht ein paar Jünger von Donna Leone zum Kauf. Dabei ist es ein simples „Mastermind“, d.h. eine Logikaufgabe, in der es gilt, durch Abfragen von Musterkombinationen eine vorgebene Konstellation von Einheiten (hier sind es „Verdächtige“, woanders sind es Farben, Zahlen oder Buchstaben) zu ermitteln.
    Selbst Günther war über diesen Ettikettenschwindel erbost. Als Mathematiker plädierte er kompromisslos für das „Mastermind“ mit Zahlen.
    Ich selber habe bei diesen Logikprinzip die allerbesten Erinnerungen (40 Jahre zurück), an Christina Voss, eine äußerst attraktive Kollegin, mit der ich mich in der Mittagspause regelmäßig „auf ein Wort“ zusammensetzte, und wir dann gegenseitig um die Wette vierbuchstabige Worte errieten. Diese literarische Variante konnte den zahligen Günther natürlich nicht vom Hocker reißen. Ist es aber nicht viel reizvoller, über „Auge“ und „Mund“ bis zum „Herz“ eines charmanten Gegenüber vorzustoßen?
    WPG-Wertung (für den Verdacht): Aaron: 3 („Mastermind ist funktioneller“ , Günther: 4 („1 Punkte weniger für das Mogeletikett“), Walter: 3 (träumt von der romantischen Variante).

    27.10.2010: Hohe Hürden

    Nachdem Walter beim gestrigen Spieleabend frühzeitig das Handtuch warf (siehe http://www.westpark-gamers.de/blog/2010/10/27/27-10-2010-splitter-aus-essen/comment-page-1/#comment-165), sollen hier doch noch ein paar Worte zum Ablauf des restlichen Abends folgen.

    1. “High Frontier”

    Wenn man bedenkt, dass das Regelheft aus 24 eng bedruckten Seiten besteht, ist es schon bewundernswert, dass Phil Eklund, der Designer und Verleger (Sierra Madre Games) von „High Frontier“ es schaffte, uns in nur 45 Minuten die wesentlichen Spielmechaniken zu erklären. Okay, nach einer knappen Viertelstunde stellte Aaron die schüchterne Frage nach den „objectives of the game“, die Phil bis dahin vergessen hatte zu erklären. Und: die 24 Seiten des Regelhefts bestehen zu zwei Dritteln aus detaillierten Beschreibungen der einzelnen Karten. Hier wird deutlich, dass Phil von Beruf „Rocket Scientist“ im Star Wars Programm der USA ist und sich bestens mit Raketenantrieben, Weltraumrobotern („Robonauts“) und möglichen extraterrestrischen Fabriken auskennt. Und was er selber nicht aus seinem Berufsalltag mitbrachte hat er akribisch in seinem Forscherfreundeskreis recherchiert – 22 Jahre lang.

    Das Resultat ist eine aufwändige Simulation der Exoglobalisierung mit faszinierenden Technologien, die allesamt ausführlich beschrieben werden und ihre Rolle im Spielablauf haben. Gleichzeitig werden wesentliche Grundlagen der Raumfahrt spielerisch vermittelt. Seien es die Hohmann- oder Lagrange-Punkte im All, die für den treibstoffsparenden Flug zwischen den Planeten genutzt werden oder die Größe und das Vorkommen von Wasser auf den Planeten, Monden, Asteroiden und Kometen des inneren Sonnensystems. Alles ist auf einem Spielplan wiedergegeben, der deshalb auf den ersten (und zweiten) Blick weder schön noch übersichtlich erscheint und erst im Laufe des Spiels seine Zweckmäßigkeit beweist. So sind sie halt, die Forscher.

    Jeder Spieler steuert die Geschicke einer Nation oder Organisation in der Besiedlung des Alls und über deren Sonderfähigkeiten wird die notwendige Asymmetrie der Startaufstellung hergestellt. Jeder Spieler beginnt mit der Aufgabe, ein sinnvolles erstes Ziel im All für seine Erforschung auszuwählen und ein für dieses Ziel passendes Raumschiff aus Motoren, Robotern, Mannschaft und Raffinerien zusammenzustellen. In der Regel ist es nicht möglich, gleich alles Notwendige mit einem Flug zu transportieren, da die Gesamtmasse des Schiffs zu groß würde oder der Treibstoffbedarf nicht bezahlbar. Also gilt es genau zu planen, was mit welchen Motoren in welchen Schritten über welche Flugbahnen transportiert werden soll. Hierbei befindet man sich in direkter Konkurrenz zu den anderen Spielern, die vielleicht dasselbe Ziel ausgewählt haben. Ein erfolgreich erforschter Himmelskörper bietet Schürfmöglichkeiten für Treibstoff und den Bau von Fabriken. Beides ist danach nutzbar, um von dort Erkundungsreisen zu weiter entfernten Zielen zu wagen.

    Siegpunkte gibt es für erfolgreich erforschte Ziele, den Bau von Fabriken dort und dafür, als erster bestimmte Ziele mit einer Mannschaft  angeflogen und diese lebendig wieder zur Erde zurückgebracht zu haben. Sobald eine Spielerzahl abhängige Anzahl von Fabriken gebaut ist, endet das Spiel.

    Die Einstiegshürde von „High Frontier“ ist hoch; das hat das Spiel gemeinsam mit den meisten realistischen Simulationsspielen. Obwohl die grundlegenden Mechanismen schnell verstanden sind, bieten die vielen Feinheiten, Zusatzregeln und Sondereigenschaften genug Potenzial, um beim ersten Spiel ein „Gespielt werden“ Gefühl zu verursachen. „It’s rocket science.“  Oder wie Phil über seine „Experience Games“ schreibt: „ simulations that cover a comprehensive sweep of all aspects of a subject, in unprecedented detail.“ Wer sich auf das Spiel einlässt, Spaß an Simulationsspielen gepaart mit einer deutliche Affinität zur Raumfahrt hat und nicht zuletzt 3, besser 4 Stunden Zeit mitbringt, für den ist „High Frontier“ nicht nur eine immer neue Herausforderung sondern auch eine wunderbare Quelle möglicher Technologien in der Raumfahrt. Und für die War Gamer gibt es eine Erweiterung, die Politik, Diplomatie und Kämpfe mitbringt.

    WPG-Wertung: nach über 4 Stunden Spiel mussten wir vorzeitig abbrechen und haben daher auch eine Wertung verzichtet.

    27.10.2010: Splitter aus Essen

    Zwei Tage auf der Spielermesse in Essen bedeuten: Zwei Stunden lang durch die acht Hallen schlendern und die vielen großen bunten Verlage und ihre Produkte auf Augen und Gemüt wirken lassen. Den Rest der Zeit, immerhin noch fast 90%, punktuell auf einzelne Produkte zusteuern, Regeln lesen, anspielen bzw. mitspielen und ggf. am Stand ein bißchen palavern.
    Eine Orientierunghilfe zu den bemerkenswertesten Produkten liefern die aktuellen Hitlisten von „Faiy Play“ und „Boardgame Geek“, auch wenn sie meilenweit auseinanderklaffen und in ihren Top-50 bzw. Top-20-Namen kaum Gemeinsamkeiten haben. Oder versteckt sich hinter den kurzzeitigen Spitzenreitern „Vinhos“ und „Grand Cru“ etwa das gleiche Spiel? Mitnichten!
    Was sind diese Listen schon mehr als nur schwache Funzeln, die ein spärliches Licht auf die große weite Spielelandschaft werfen? Am Ende des zweiten Messetages führte z.B. „Habemus Papam“, ein kleines rundes Biet-&-Stichkartenspiel, mit gerade mal 11 Stimmen bei „Fair Play“ die Liste an. Wieviele Freunde muß man animieren, um sich auf diesen Platz wählen zu lassen? Doch auch ohne solche Manipulationsmöglichkeiten kommen die dicken Verlagen mit ihren zehn oder mehr Spieltischen naturgemäß schneller zu ein paar Stimmen als die tapferen Einzelkämpfer mit einem halben Tisch in einer halben Box.
    Die Hitlisten sind auch nichteinmal in sich konsequent. Z.B. war „Vinhos“ (und so manches andere Spiele) dieses Jahr zwar angekündigt, aber nicht käuflich erwerbbar. Die deutsche Produktionsfirma war beim Umsiedeln ihrer Mitarbeiter nicht sorgfältig genug vorgegangen und hatte dabei große Verluste innerhalb ihrer Belegschaft hinnehmen müssen, so daß sie schließlich nicht mehr rechtzeitig liefern konnte.
    Eine Wiederauflage von „1830“ war bei „Mayfair“ angekündigt und hatte natürlich unser Interesse geweckt. Das Spiel war von den „Boardgame-Geek“-Leuten angeblich bereits gespielt worden und belegte am Freitag Abend in ihrer Favoritenliste den 47ten Platz. Doch das Spiel gab es gar nicht! Kein einziges Atom davon. Der Erscheinungstermin war vom 3. Quartal 2010 auf das zweite Quartal 2011 verlegt worden. Dann hoffentlich mit einer Auslieferungsdependance in Deutschland!
    Wer aber trotzdem & unbedingt ein „1830“ spielen wollte, der mußte sich ins Wasser begeben. Unter dem Namen „Poseidon“ ist eine Wasservariante mit nahezu identischen Regeln und Mechanismen herausgekommen. Statt Loks gibt es Schiffe, statt Eisenbahngesellschaften gibt es Reiche, und statt Präsidenten gibt es Könige. Ein paar zusätzlich eingebaute Schmankerl dienen der Verkürzung der Spielzeit. Ansonsten alles wie gehabt: „Beim Kauf des ersten 4er Schiffs verfallen die 2er Schiffe!“. Die Szenerie ist natürlich nicht der nordamerikanische Kontinent sondern das ägäische Meer. So wird es wohl niemals in die blaublütige „18xx“-Familie aufgenommen werden. Und wohl auch keinen Preis gewinnen.
    Der diesjährige International Gamers Award ging an Martin Wallace für sein „Age of Industry“. Eine seltsame Entscheidung, denn dieses Spiel ist keineswegs innovativ, sondern nur eine vereinfachende Überarbeitung auf identischem Spielbrett mit identischen Elementen wie sein Vorgängers „Brass“. Doch vielleicht gilt diese Auszeichnung diesmal dem gesamten Lebenswerk des sympathischen Martin. Allein bei Luding sind 70 Spiele oder Spiel-Erweiterungen mit ihm als Autor aufgeführt. (Hallo Günther, nimmst Du Deinen AoI-Kommentar: „Das braucht die Welt nicht … Dann doch lieber gleich das bessere Spiel ’Brass’!“ mit Bedauern zurück?)
    Der Preis wurde im großen Saal „Essen“ vergeben. Mindestens dreißig Acht-Personentische und abzählbar viele Stuhlreihen waren wohlgeordnet aufgestellt. Als wir zehn Minuten vor der Preisverteilung zum Saal eilten, fürchteten wir schon, maximal einen Stehplatz in einer Ecke zu erhalten. Doch das Gedränge auf den Treppen davor bestand aus Mittagesslern vom Restaurant in der Etage darunter. Der Saal war proppenleer. Zur Preisverleihung erschienen dann sieben Juroren, sechs Pressefotographen, zwei Preisträger und zwölf Zuschauer!
    Was mag die Saalmiete gekostet haben? Für unsere „Internationale Bayerische Paarmeisterschaft“ im Bridge zahlen wir für eine vergleichbare Halle im Münchener Vorort Ottobrunn 1500 Euro. Haben die Award-Initiatoren für ihre 15-Minuten-Veranstaltung ebensoviel Geld hinblättern müssen? Zum Glück nicht! Der Saal war kostenlos vom Friedhelm Merz Verlag zur Verfügung gestellt worden!
    Apropos Merz Verlag. Der Verlag hatte einstmals die Pöppel-Revue herausgebracht und ist heute der Veranstalter der Essener Internationalen Spieltage, der weltweit größten Publikumsmesse für Gesellschaftsspiele. Das ist seine einzige Aufgabe. Organisation, Vor- und Nachbereitung beschäftigen die Mitarbeiter ein ganzes Jahr lang. Ein unsterblicher Verdienst für die Welt der Spieler. Ansonsten wohl eher ein Nischendasein in unserer globalisierten Wirtschaftswelt.
    Wohl alle Spieleverlage, so groß und berühmt sie auch sein mögen, leben unterhalb der Peanuts-Grenze – verglichen mit den großen Unternehmen wie Siemens, BMW oder Deutsche Bank. Ein bekannter Autor hat uns jetzt verraten, daß dies der Grund ist, warum viele Spiele auf den Markt kommen, die nicht ausbalanciert sind und erhelbliche Designschwächen enthalten. Innerhalb eines Jahres muß das Spiel auf dem Markt und verkauft sein. Fire and forget!
    1. “Antics”
    Der kleine schottische Verlag Fragor Games hatte uns schon vor fünf Jahren mit seinen hübsch modellierten Schäfchen in „Shear Panic“ imponiert. Diesmal zogen uns immer wieder die großen Ameisen von „Antics“ an, die als dicke schwarze Figuren über die grüne Boxenwand (1 Einheit = 800 Euro Standmiete) liefen. Vielleicht waren es auch die Schottenröcke der beiden Autorenbrüder Gordon und Fraser Lamont.
    Da ich mich auch noch irgendwie bei meinem Neffen und den beiden Großneffen für Unterkunft und Verpflegung in Essen bedanken mußte, war schnell klar, daß wenigens ein Exemplar der „Antics“ bei den Westpark-Gamers (wenn auch nicht direkt am Westpark) landen würde.
    Das taktische (bzw. Mitspieler-chaotische) Spiel hat das Gewimmel in und um einen Ameisenhaufen zum Thema. Ohne Würfel oder Zufallselemente baut jeder seinen Ameisenhaufen aus und steigert damit seinen Aktionsradius und die Mächtigkeit der folgenden Züge. (Klares und konstruktiv durchgezogenes Konzept von wachsender Spieldynamik.) Wir ziehen verschiedene Arten von Ameisenbabies (Feld- Wald- und Wiesen-Ameisen) groß und schicken sie in die große weite Ameisenwelt (Feld-Wald-Wiese), damit sie die dort vorhandene Beute in Form von Käfern, Schmetterlingen und Larven zur großen Ameisenburg in der Mitte des Spielbretts transportieren. Die Anzahl der verschiedenen Beutetiere sowie grüne und braune Blätter für die Ameisen-interne Pilzzucht bringen die benötigten Siegpunkte.
    Es gibt verschiedene Strategien (oder „Schienen“) zum Sieg. Möglichst schnell die nächstliegenden Beutestücke einsacken und nach Hause kleckern oder erst die Kapazitäten erweitern um dann hinterher mit größerem Transport- und Ausbaufähigkeiten zu klotzen. Es gibt auch eine militärische Variante: Man leistet sich Soldatenameisen, um den Mitspielerameisen die gerade transportierte Beute abzujagen und auf dem eigenen Konto zu verbuchen. Diese letzte Möglichkeit haben wir Onkels und Neffen in unserem Spiel nicht genutzt. In einem schnellen Spiel ist der Effizienzgrad der Soldatenameisen recht fraglich. In der Kleckerphase haben sie sicherlich größere Zuschlagchancen, doch weil wir alle die Ausbau-Schiene verfolgten, führte der Weg-der-leichten-Beute offensichtlich in die Sackgasse und wurde erst gar nicht begangen.
    Die Spielanleitung ist – wie immer vom Fragor-Verlag – in hervorragendem Deutsch geschrieben. Die eingebauten Kalauer rufen nicht nur beim ersten Lesen ein Schmunzeln hervor. Sie erklären auch zum ersten Mal überzeugend, warum in einem 4-Personen-Spiel nur 3 Spiel-Hilfen vorhanden sind: Die Autoren und Hersteller sind halt Schotten!
    WPG-Wertung: Walter: 7 Punkte.
    2. Danksagung
    Ich freue mich, daß ich unsere Mail-Partner und Spieleautoren Richard Sibel („Maria“) und Bernd Eisenstein („Porto Carthago“) zum ersten Mal persönlich kennenlernen durfte und bedanke mich für die Gespräche mit ihnen.
    Stellvertretend für viele freundliche und fachkundige Spiele-Erklärer bei anderen Verlagen bedanke ich mich bei Peter Rot und Roland Velemas am Stand von Eggert-Spiele für die gekonnten Einführungen und das Mitspielendürfen beim Superspiel „Grand Cru“.
    Ich bedanke mich bei dem geduldigen Nachwuchs-Autor Philipp Höppner für die detailierte Beschreibung seines Fantasy Game „Empire of Darkness“ (wartend auf einen Verlag, der es herausbringt), sowie seine bemerkenswerten Unterweisungen in höhrere Würfelmathematik. Sinngemäß: „Wenn man für die verschiedenen Kampfentscheidungen immer mehr Würfel heranzieht, kann man den ungerechten und unbalancierten Zufallseinfluß beseitigen!“
    3. PS
    Heute kein Spielabend am Westpark. Wir treffen uns bei Moritz. Er hat gerade Phil Eklund von Sierra Madre Games zu Besuch ist, der uns sein neues Spiel vorstellen will. Mal sehen, ob und was Moritz darüber schreiben wird.

    19.10.2010: Ab nach Essen

    Nein, diese Woche gibt es keine WPG-Session. Morgen, Mittwoch, machen wir uns (fast) alle auf den Weg nach Essen zur Spiel 2010. Ein hartes Stück Arbeit wartet auf uns.
    Bevor wir uns in den hunderttausend Neuigkeiten (und Altigkeiten) verlieren, haben wir uns Gedanken über gutes Spieldesign gemacht. Wolfgang Kramer nennt in einem Vortrag für Spieleautoren „Wie entwickelt man gute Spiele“ eine Reihe von objektiven Kriterien, die ein gutes Spiel auszeichnen:

    • Es ist originell und enthält neue Spielmechanismen.
    • Die Wartezeiten sind kurz. Dazu darf z.B. in einem strategischen Spiel keiner bei seinen Zügen zuviele Alternativen durchrechnen können bzw. müssen.
    • Die Spannung darf an keiner Stelle abfallen, sondern muß am Ende ihren Höhepunkt haben. Lieber sollte in den letzten Runden der Spielstand nochmals gründlich durcheinandergewirbelt werden können, als daß schon nach der zweiten Runde der Sieger feststeht.
    • Der (zuweilen unumgängliche) Kingmaker-Effekt sollte so gering wie möglich sein. Keiner sollte Züge tun können, die für ihn selbst keinerlei Vorteile mehr bringen, hingegen aber entscheidenen Einfluß darauf haben, wer gewinnt.
    • Ein Spiel sollte immer wieder neue Überraschungen bieten. Entweder weil der Zufall die Karten jedesmal anders mischt, oder aber – noch besser -, weil die verschiedenen Spielzüge der einzelnen Spieler zu jeweils neuen Abläufen und Konstellationen führen.
    • Mit den eigenen Spielaktionen soll man nicht nur seine eigenen Gewinnchancen erhöhen, sondern auch die Gewinnchancen der Mitspieler beeinträchtigen können. Ohne eine solche Interaktion bekommen die Spiele einen Solitär-Charakter, und nutzen nicht die Geselligkeit einer Spielerrunde.
    • Ein Spiel soll stimmig sein. Ein Glücksspiel sollte kurz und kurzweilig sein, in einem Strategiespiel darf der Zufall keinen entscheidenden Einfluß haben.

    Aaron fand in einer Spielkritik folgende Passage:
    “…no dramatic build-up of tension, no gambles which may or may not pay off, few long-term options, little player creativity. There simply cannot be many long-term choices as the cards which drive the entire thing are drawn at random from the deck every new round; and how these play out is determined by what your opponents got: which is equally random. Insert obligate ‘manage the luck’ comments here if you want: perhaps one should, but there are few things to manage it with…” (Maarten D. de Jong über Asara)
    Hier scheint offensichtlich vieles falsch gegangen zu sein. Kein Spannungsbogen (build-up of tension), kein Risikomanagement (gambles), keine strategische Planbarkeit (long-term options) und wenig Handlungsspielraum (player creativity).
    Aaron und Moritz sind gerade dabei, ihre eigenen Spielentwicklungen („18xx“ bzw. „Das kalte Herz“) in dieser Richtung auf Herz und Nieren zu prüfen. Dabei saugt Moritz aus seinem Thema, einer Märchenvorlage von Hauff, immer neue Gut-Böse-Mechanismen für den Spielablauf, Aaron schaut darauf, dass seine eher abstrakt ausgetüftelten Regelmechanismen ein treffendes Thema finden. Von den Eisenbahngesellschaften ist er dabei kurzfristig auf Expansion im Weltraum übergewechselt, jetzt ist er schon wieder auf dem Boden und läßt die Händler von Hanoi agieren. Oder die von Bangkok. Wo die reale Bestechung halt größer ist.
    Schaun wir mal, ob wir damit – wenigstens in Gedanken – mit den Erzeugnissen in Essen Schritt halten könnten!

    13.10.2010: Amerikanische und europäische Zufälle

    Mal wieder ein ausgiebiger Briefwechsel bei den Westparkgamers über Zufälle im Spiel, die ganz unterschiedlich bewertet werden. Moritz preschte vor: „Es es gute Taktikspiele, die Zufälle kennen – bestes Beispiel ist Backgammon! Bei den card driven-Wargames ist es ähnlich: sehr viele Zufälle: Kartenauswahl, Würfelwürfe, etc. Dennoch wird das Spiel letztlich von den strategischen und taktischen Entscheidungen getragen.“
    Doch hier werden Äpfel mit Birnen vermischt. Günther brachte es auf den Punkt: „Es gibt zwei Möglichkeiten, den Zufall in ein Spiel zu integrieren:
    1) Man trifft eine strategische Entscheidung und würfelt dann aus, ob man erfolgreich war (american style)
    2) Man erzeugt zufällige Auswahlmöglichkeiten und entscheidet dann strategisch, welche Möglichkeit man wie benutzen möchte (eurogames).
    In der ersten Variante fühlt man sich dem Zufall ausgeliefert – die zweite erhöht die Vielfalt im Spiel und man fühlt sich mehr als seines eigenen Glückes Schmied …“
    Aaron, Hans und Walter ergriffen sofort Partei für den eurogames-style. Die anderen haben sich noch nicht geäußert, doch zumindest Moritz wird gewiß ein exponierter Vertreter des american style sein.
    1. “Coup Royal”
    Ein neues Spiel aus der rührigen tschechischen Spieleschmiede Czech Games Edition. Ein bißchen erinnern die Spielzüge an „Adel verpflichtet“. Alle Spieler schicken verdeckt je einen Dieb und je einen Detektiv zu den ingesamt sieben Aktionshäusern, in denen verschiedenfarbige Edelsteine (Karten) ausgelegt sind. Ist mindestens ein Detektiv in einem Aktionshaus, so ist der Raub vereitelt. Ein Dieb alleine in einem Aktionshaus bekommt die Auslage, zwei oder mehr Diebe hindern sich gegenseitig und werden mit einem Trostpreis abgespeist.
    Ein gewisser Pfiff kommt noch durch die Siegpunktwertung ins Spiel. Für jede Edelsteinfarbe erhalten nur die Spieler mit den relativen Mehrheiten Siegpunkte, die anderen gehen leer aus.
    Bei jeder neuen Runde mit neuer Auslage fängt die Psycho-Aufgabe an, zu errraten, für welche Auslage sich wohl welche Mitspielerdiebe interessieren und welche Auslagen wohl durch Mitspielerdetektive geschützt werden. Andrea gewann haushoch. Ein klarer Beweis dafür, daß die Gedanken einer Frau für Männerhirne einfach nicht ergründbar sind.
    WPG-Wertung: Aaron: 6 („Belohnung für das Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse anderer Spieler“), Andrea: 6 („schnell und knackig“ – Das „knackig“ bezog sich auf die bildliche Darstellung der handelnden Personen auf den Karten), Hans: 5 („zu viele Aktionshäuser“), Moritz: 5 (zu repetitiv), Walter: 4 (kein Freund von american style Zufälligkeiten).
    2. “Das Kalte Herz”
    Moritz’ Spielentwicklung über die Flößerei im Schwarzwald samt Teufel und böse Holländer hat sein Windelzeitalter hinter sich und fängt zu laufen an (siehe Session-Reports vom März und September diesen Jahres). Jetzt schwimmen immer genug Baumstämme in Nagold und Rhein. Die Bäume treiben mehr oder weniger zwangsläufig bis in die Staudämme. Das Öffnen der Dämme ist so lukrativ, daß die Spieler diese Aktion wählen, selbst wenn andere Mitspieler hinterher daraus ihre Flöße zusammenstellen können.
    Flöße zu bauen ist unbedingt notwendig, weil man nur dadurch das nötige Geld für seine Folgeaktionen bekommt. Sein Startkapital allein ins Beten zu investieren genügt heute nicht mehr. Eine gute Kombination von frühem Böse-Sein (für eine kräftige Liquidität und für eine optimale Startspielerposition) und von spätem Gut-Sein (um hinterher doch noch in den Himmel zu kommen) scheint lohnenswert zu sein. Andrea beherrschte die Materie und konnte auch beim zweiten Spiel des Abends den Sieg auf ihrem Konto verbuchen.
    WPG-Kommentare:
    Aaron: „Viel zu lang. Noch unausbalanciert. Zu wenig Eigennutz bei verschiedenen Zügen.“
    Andrea: „An vielen Stellen spielt noch jeder für sich allein.“
    Hans: „Die Mechanismen funktionieren, insbesondere das Bietsystem mit den steigenden Kosten und die unterschiedliche Anzahl von Aktionsrunden beim freiwilligen Passen in einer Runde.“
    Dann kam von ihm noch ein Statement, das die Tragik des Denkers kennzeichnet:
    “Jede einzelne Aktion kostet eine Menge Gehirnschmalz und ist im Endeffekt irrelevant.“
    Moritz: “Selbstverständlich ist Feintuning noch notwendig. Doch der Text war zufriedenstellend.”
    Walter: „Alle Spielemente wurden genutzt, insbesondere wurde das ursprüngliche Spielziel erreicht, den Sieg nur über erfolgreichen Floßbau erzielen zu können. Allerdings gibt es noch ein paar Deadlock-Situationen, die den Spielfluß bremsen.“

    In jedem Fall hat „das Kalte Herz“ sehr viele Elemente aus Hauffs Märchen thematisch sehr ansprechend umgesetzt.
    3. “Bluff”
    Aaron hatte im Nu seine Gegner abgestrippt und stand mit 5:1 Würfeln gegen Hans im Endspiel. Seine Vorgabe: 1 mal der Stern! Im Mut der Verzweiflung hob Hans auf 2 mal den Stern. Aaron legte zwei Fünfen heraus, hob auf 4 mal die Fünf und würfelte nach.
    Hans hatte selbstverständlich (?) eine 5 unter seinem Becher. Wenn er jetzt anzweifelt, so hat er gewonnen, wenn keiner der drei nachgewürfelten Würfel eine Fünf war. Eine Wahrscheinlichkeit von immerhin ca. 30%!
    Hans hielt es für wahrscheinlicher, daß Aaron mindestens 2 mal die Fünf nachgewürfelt hat und hob auf 5 mal die Fünf. Doch dafür ist die Wahrscheinlichkeit nur ca. 17%. Und dabei hatte Hans auch noch übersehen, daß Aaron bei einem schlechteren Wurf ja noch einmal hätte nachwürfeln können, und daß er bei einem besseren Wurf, d.h. bei 3 mal die Fünf ebenfalls gewonnen hatte.
    Anzweifeln wäre es diemal gewesen. Zumindest für die Verkürzung auf 1:4.
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

    07.10.2010: Scheiß mit Geistern

    Der Spieleautor Maximilian (u.a. „Macht$piele“) hat uns mal wieder beehrt, um sein neuestes Schöpfungswerk begutachten zu lassen. Das letzte Mal war er vor gut drei Monaten mit dem Prototypen von „Nomaden“ bei uns gewesen und konnte damit frühe 6-8 Punkte-Lorbeeren ernten. Und was ist aus den „Nomaden“ inzwischen geworden. Trauriges Schicksal. So ähnlich wie auf der Literaturebene Martin Walser bei Reich-Ranicki: Wenn ein Kritikerpapst ein frühzeitiges „Diesen Scheiß spiel’ ich nicht“ in den Raum stellt, ziehen die Verlage schnell mal die Hälse ein. Maximilian trugs mit Fassung.
    Dafür verwechselte er heute „Westend“ mit „Westpark“ und stieg in der falschen MVG-Haltestelle aus. Walter verpaßte ihm dafür – dem ansonsten umwerfend pfiffigen Kerlchen – gleich einen Minuspunkt. Auch damit konnte Maximilian leben. „Das ist OK, wenn Du mir keinen Siegpunkt abziehst.“ Das sind die Prioritäten eines leidenschaftlichen Spielers.
    Als Variation zu den gewohnten Gummibärchen am Westpark hatte er „Knackige Reiscracker“ mitgebracht, eine holländische Spezialität aus China. Und was hatte der Verkäufer geantwortet, als Maximilian in fragte, wie die Cracker schmecken: „Weiß ich nicht, so einen Scheiß freß ich nicht!“ Zum Glück war es kein Gourmet-Papst.
    1. “Dungeon Poker”
    So hieß Maximilians heutiger Prüfling auf dem Teststand am Westpark. Eine Verfolgungsjagd zwischen Helden und Monstern, dabei werden aber nicht die Monstern von den Helden verfolgt und abgemurkst, sondern umgekehrt die Helden von den Monstern. Den jeweils Letzten beißen die Hunde. Wir spielen Aktionskarten, um Helden und Monster zu bewegen, und um auf das Überleben der einzelnen Helden zu setzen. Wer am besten gesetzt hat, gewinnt das Spiel.
    Jeder Spieler steht für ein bestimmtes Monster, die Helden sind Allgemeingut. Doch bewegen darf jeder jeden, teils vor, teils zurück. Jeder Spieler erhält seine eigenen Siegbedingungen, die sich in Vorlieben beim Gefressen-Werden der Helden ausdrücken. Mit entsprechenden Prioritäten lassen wir unsere Lieblingshelden aus der Freßfrontlinie fliehen. Ab und zu einmal hält eine Grube ihre Flucht auf. Natürlich lassen wir hier mit Vorliebe unsere Anti-Lieblinge hineinfallen. Die fliehenden Nachfolger-Helden können dann gefahrlos über ihren Mithelden in der Grube hinwegrennen.
    Helden-Fressen bringt am Anfang Minus-Punkte ein; deshalb bewegen wir in dieser Phase lieber fremde Monster, um unseren Mitmonsterhaltern die Minuspunkte zuzuschustern. Am Ende bringt das Fressen Siegpunkte ein, viele Siegpunkte. Da bemühen wir uns natürlich, unser eigenes Monster in die vorderste Reihe an der Futterkrippe zu bringen.
    Alle Aktionskarten haben eine natürliche Reihenfolge. Durch Ausspielen einer Aktionskarte mit höchster Priorität dürfen wir in einer Runde als erstes ziehen. Und dürfen aus der Auslage der offenen Aktionskarten als erster eine neue Karte nachziehen. Der Kenner entdeckt hier natürlich sofort einen Teufelskreis: Der Spieler mit der höchsten Karte darf sich auch gleich wieder eine Karte mit höchster Prioriät zu legen. Und das arme Spielerschwein mit niedrigen Aktionskarten wird immer nur niedrige Aktionskarten in der Hand halten. Eine Design-Schwäche, die umgehend geändert werden muß.
    Unsere Züge sind sehr krass. Geringfügige Vorteile auf dem Setztableau, allein die oft genug zufällige Spielerreihenfolge auf der Rennbahn, geben einen Ausschlag dafür, ob ein Spieler 40 Siegpunkte (fast die Hälfte der Endsumme!) einheimsen kann oder leer ausgeht. Auch andere krasse Effekte in der extremen Interferenz der Spielerzüge bewirken unberechenbare Spielsituationen und desauvieren unsere komplette schweißtriefende Zugplanung.

    Nach gut zwei Stunden war das Spiel über die Bühne und wir diskutierten die notwendigen Änderungen. Der Biet-Mechanismus auf die überlebenden Helden mußte einfacher, durchsichtiger, pokerartiger werden. Moritz schlug dazu einen gelungenen Mechanismus aus „Titan – the Arena“ vor und das gab den Startschuß zu einer sofortigen Wiederholung.
    Der Teufelskreis mit den hohen/niedrigen Aktionskarten wurde eliminiert: Wer die niedrigste Karten ausgespielt hatte, durfte auf seinen Zug gänzlich verzichten und sich dafür eine super-mächige Joker-Karte zulegen. Funktionierte auf Anhieb.
    Die Freßprämien und Freßantiprämien für die Monster wurden ersatzlos gestrichen. Ebenso die Vetokarten. Ein gutes Spiel braucht so etwas eh nicht. Warum darf ich erst einen Superzug planen und auführung, wenn die Mitspieler ihn umgehend mit einem Veto verbieten? Dann hätte ein solcher Superzug erst gar nicht im Spieldesign enthalten sein dürfen!
    Der modifizierte „Dungeon-Poker“ lief flott und zielführend über die Bühne. Nach einer Stunde waren wir durch und jeder hatte sich eifrig am Helden-Fressen beteiligt. Doch es bleiben noch eine Menge Probleme zu lösen.
    Es gab keine Motivation mehr, fremde Monster zu bewegen, weil nur noch das Fressen der eigenen Monster belohnt wurde. Dafür waren aber auf einmal die unterschiedlichen vorgegebenen Siegpunktbedingungen zu ungerecht. Welcher Held als erstes gefressen wir, unterliegt dem totalen Mitspielerchaos und ist absoluter Zufall. Wer Pech hat, ist die ersten 10-20 % seiner möglichen Siegpunkte los, bevor er sein Monster überhaupt das Maul aufreißen konnte. Maximilians sehr geliebte, auf langfristige Planung mit stark progressiv ansteigenden Gewinnen ausgelegte Setzstrategie für die zu fressenen Helden war zu einem adhoc Setzen ohne Konkurrenz und Interaktion degeneriert.
    Es gibt noch viel zu modifizieren. Wir diskutierten lustvoll und ausgiebig, bis die letzte U-Bahn – wohin auch immer – und die letzte S-Bahn nach Starnberg schon längst abgefahren waren. Aaron erbarmte sich Maximilians.
    Keine WPG-Wertung. Immerhin waren anwesend: Aaron, Andrea, Max (Autor), Moritz und Narkissos (Maximilians Spezi); siehe Foto.

    29.09.2010: Abenteurer und Planer

    Das Leben hat nur einen wirklichen Reiz, das ist der Reiz des Spieles. Aber wenn es uns gleichgültig ist, ob wir gewinnen oder verlieren? Charles Baudelaire, Tagebücher
    1. “House of Spirits”
    Moritz hat dieses kleine Monster-Bekämpfungs-Kartenspiel aus seinen reichhaltigen amerikanischen Quellen herausgefischt und durfte es präsentieren.
    Pro Runde wird jeweils eine neue Karte als Abenteuerspielplatz aufgedeckt, und wir würfeln reihum, ob und wieviele Monster unterschiedlicher Angriffs- und Verteidigungskraft hier erscheinen. Gemeinsam müssen wir sie nach einem eleganten Kampfwürfelmechanismus bekriegen, und wenn wir alle ihre Lebenslichter ausgepustet haben, streicht der letzte Puster die Siegpunkte ein. Insofern ist das Spiel kooperativ und kompetitiv.
    Solange die Monster aber noch Lebenslichter haben, pusten sie zurück und blasen – nach einem analogen Kampfwürfelmechanismus – dem jeweiligen Angreifer ein Lebenlicht aus. Keine Angst, wenn wir tot sind, werden wir unverzüglich wieder lebendig und müssen nur einen kleinen Wiederbelebungsobolus entrichten.
    Einen ganzen Schwung von Sonderkarten gibt es auch, die unsere Kampfkraft in Angriff und Verteidigung erhöhen. Anstatt Monster zu bepusten, können wir uns auch erst mit genügend Wunderwaffen ausstatten.
    Noch während Moritzens Einführung drückte Walter sein Gefühl aus, so ein ähnliches Spiel schon einmal gespielt zu haben. Hans bestätigte: „Das ist ungefähr das hundertste Spiel dieses Genre“. (Von dem kleinen Ausschnitt an Spielen der Welt, die er selber kennt!)
    Moritz fand schnell heraus, daß das Spiel „eigentlich funktioniert“. Auch Aaron attestierte dem Spiel einen gewissen Familienspielwert. Nur Walter beklagte sich über den Freiheitsgrad 0 (in Worten: Null). Als Gegenargument wurde ihm dazu das „Chairman of the Board“ vorgehalten. Es scheint offensichtlich auch einen Freiheitsgrad von unter Null zu geben.
    Halt, halt: Natürlich hat das „House of Spirits“ für einen INTELLIGENTEN Spieler einen Freiheitsgrad im positiven Bereich. Er kann sich überlegen (zumindest manchmal), ob er sich eine Sonderkarte zulegt oder lieber ein Monster anpustet. Er wird ein Monster nur dann anpusten, wenn es nur noch genau ein Lebenslichtlein brennen hat und wird nicht das vorletzte Lichtlein für den endgültigen Exodus durch und für den kompetitiven Siegpunktzuwachs seines Nachfolge-Spielers ausblasen. (Außer wenn er dies den Regeln nach muß; so groß ist der Freiheitsgrad auch wieder nicht!) Wenn er in der nächsten Runde aber Startspieler wird, dann sollte er als Letzter einer Runde auch das vorletzte Lichtlein angehen. Dann kann man – mit eleganten Würfelwürfen plus Sonderkarten – zwei Lichtlein in zwei Streichen erledigen. Solche Siegpunktzuwachschancen hat ein intelligenter Spieler natürlich alle in seinem Plan.
    Wir spielten munter mit unterschiedlichen Motivationen anderthalb Stunden die Monsterkarten und Plot-Karten runter. Den fehlenden Startspielermarker ersetzten wir durch den Deckel einer Mineralwasserflasche, die fehlenden Zählmarker für eigenes und monsterhaftes Leben und Tod markierten wir durch Mühle-Dame-Steine und Siegpunkte zahlten wir in Industrie-Dollars aus. Schließlich ist „House of Spirits“ nur ein Kartenspiel.
    Irgendwann im fortgeschrittenen Mittelspiel entfuhr Aaron der Seufzer „Das ist Schwachsinn!“. Er wurde aber nicht hinterfragt, gegen welchen Regelmechanismus dieses Seufzer gerichtet war.
    Moritz gewann durch zwei Plot-Karten, die ihm 6 Siegpunkte zuschusterten. Daneben war er natürlich auch beim Monsterausblasen erfolgreich gewesen. Hinterher mußte er sich für diesen heutigen Spielvorschlag verteidigen. Aber ganz friedlich. „Wir sind Dir jetzt nicht böse!“. Schließlich hatten wir ja alle unsere Motivation.
    WPG-Wertung: Aaron: 4 („Das Spiel hat überhaupt keinen Pfiff!“), Hans: 3 („Stupides Abarbeiten von Karten. Es fehlt ein Lustigkeitsfaktor.“) Moritz: 5 („Das Spiel ist relativ OK. Der Lustigkeitsfaktor war gerade das einzige, was mir an dem Spiel gefallen hat.“ Beim Nachhaken gab er zu, daß für ihn der Wiederspielwert eines Spieles erst ab 6 Punkten beginnt, seine 5 Punkte also einen deutlichen Dämpfer enthielten!), Walter: 2 (Harte WPG-Note . Für chaotische kooperative&kompetitive Familienrunden könnte man eine 4 geben. Aber nicht in unserer Rangliste.)
    2. “Age of Industries”
    Die Einschätzung vom Autor Martin Wallace als „Brass light“ wird von Kommentatoren im Internet nicht bestätigt. Auch die Spielzeit ist nicht wesentlich kürzer. Aber das Spiel funktioniert.
    Wir bauen Eisenbahnlinien, Industrien, Hafenanlagen und verdienen Geld und Siegpunkte durch eine florierende Infrastruktur. Kartenmanagement, Finanzpolitik, Industrieentwicklung, Transportmanagement, Manipulationen um die Zugreihenfolge und Resourcenmanagement geben jedem Mitspieler genügend Stoff, „to have a plan“. Alles funktioniert, alles ist ausbalanciert, alles ist konstruktiv. Bis zur umfangsreichen Schlußwertung kann jeder Spieler hoffen, mit seiner Strategie den Sieg davon zu tragen.
    Auch wenn man dem vermeintlich Führenden nicht direkt an den Wagen fahren kann (keine direkten Kingmaker-Möglichkeiten) gibt es im Belegen von Feldern, beim Erzeugen und Verbrauchen von Rohstoffen, beim Ausbau des kompetitiven Schienennetzes und auf der Startspielerleiste reichlich Interaktion.
    Moritz trug (schon wieder) den Sieg davon. Er hatte sich darauf spezialisiert, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Rohstoffe zu liefen. Walter kam mit seiner Netzausbau-Strategie auf den zweiten Platz. Hans hatte sich durch leichtfertigen Umgang mit Krediten den zweiten Platz verscherzt, und Aaron zog konsequent die schlechtesten Entwicklungskarten.

    WPG-Wertung: Hans hat vergessen sich zu einer Erstnote äußern, aber 7 Punkte werden es mit Sicherheit sein. Walter hob seine bisherigen 7 Punkte auf 8 Punkte. Moritz liegt mit seinen 4 Punkte ganz abgeschlagen zurück. Irgendwie ist es dem Rest der WPG nur schwer zu vermitteln, wie dieses Spiel mit „ein abstraktes Rumgewixe“ (siehe Session-Report vom 14. Juli dieses Jahres) abgekanzelt werden kann.
    3. “Bluff”
    Im Endspiel mußte Moritz als David mit einem Würfel gegen vier Würfel vom Goliath Aaron antreten. Durch zielgenaue Vorgaben konnte er noch auf 2:1 verkürzen, aber bevor er den heutigen Hat-Trick vollenden konnte, pustete ihm Aaron mit einem Pasch das letzte Würfellicht aus.
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

    21.09.2010: Buße für den Dammbruch

    Andrea ist katholische Kölnerin und assoziiert mit Protestanten (igitt!) die sauertöpfischen Nichtlacher aus Europas Norden. Walter stammt aus protestantischem Hause in Franken und assoziiert mit Katholiken die Drauflos-Lebenden, die sich niemals um die (In-)Konsistenz zwischen Lehre und Leben geschert haben: Wallfahrten und sündigen, in jeder beliebigen Reihenfolge.
    Warum diese Einleitung? Nun ja, das Schlüsselspiel des heutigen Abends drehte sich um das Gut- und Böse-Sein. Und auf diesem Gebiet besitzen die Vertreter der beiden großen deutschen Volkskirchen garantiert keine gemeinsamen Gene.
    1. “Das kalte Herz”
    Moritz’ aktuelle Spielentwicklung hat die nächste Umdrehung in einer nach oben offenen Spiralbewegung zurückgelegt und wurde erneut zur Begutachtung aufgetischt. Wir sind immer noch Holzfäller und Flößer frei nach Wilhelm Hauffs gleichnamiger Erzählung.
    Wesentliche Änderungen gegenüber der Vorgängerversion (siehe Spielbericht vom 8. September diesen Jahres):
    a) In der Startaufstellung gibt es bereits ausreichend Holz vor der Hüttn bzw. in der Nagold.
    b) Alles Holz gehört jedermann und kann von allen für den gleichen Erlös bewegt, entstaut und geflößt werden.
    c) Geld und Siegpunkte sind während des Spiels nicht ineinander konvertierbar. Nur am Spielende liefert das Restgeld einen additiven Siegpunkt-Betrag.
    d) Die individuellen Ereigniskarten sind verschwunden. Dafür gibt es jetzt für alle Mitspieler gültige Saisonkarten, die den Spielraum innerhalb der Aktionen einer Runde bestimmen.
    e) Die Arbeiter können an jeder beliebigen Stelle des Spielbrettes eingesetzt werden.
    f) Alle Aktionen (Holz fällen, Stämme bewegen, Staudämme öffnen, Flöße binden und Flöße verkaufen) können jetzt auch ohne Arbeiter ausgeführt werden.
    g) Man kann immer noch beten. Doch steigt man dafür nicht linear auf der Frömmigkeitsskala, sondern bekommt Ablaßzettel, die erst als Bündel in Frömmigkeit umgesetzt werden können.
    Nach der Quintessenz von Hauff’s Märchen sind wir sind immer noch gut und böse und können böse Aktionen durchführen, die uns in den Sündenpfuhl drücken, oder Ablaß erwerben, um uns wieder daraus zu erheben.
    Dieser typisch katholische Mechanismus löste zwischen Andrea und Walter eine fortwährende konstruktive Diskussion aus, welche Spielzüge protestantisch und welche katholisch sind. Buße tun, um das kalte Herz zu erwärmen, ist protestantisch. Buße tun, um in der Frömmigkeitsskala nach oben zu steigen, ist katholisch. A priori Buße-Tun ist protestantisch, hat doch schon Luther in seiner ersten These formuliert, daß das ganze Leben der Gläubigen eine stete Buße sein soll. Hingegen aus einem wohldefinierten Grund Buße zu tun hat, ist katholisch. Schließlich hat man bei Spiel und Tanz, wenn nicht gar auf dem Oktoberfest, erst einmal gehörig gesündigt. Und schließlich will man sich damit einen klar quantifizierten und ausgewiesenen Zeitanteil Seelenpein im Fegefeuer ersparen. Katholiken tun Buße, weil sie gut werden wollen. Protestanten tun Buße, weil sie gut sind. Oder weil sie böse sind von Jugend auf. Usw.
    Auch wenn diese Diskussion nur ganz leise und in einer abseitigen Tischecke geführt wurde, wurde sie von Aaron deutlich kritisiert. Als Unhöflichkeit gegenüber dem Autor. Walters Einwand: Das Spiel bietet zu wenig Motivation etwas zu tun. Alle Aktionen, die man tun darf, kosten a) Geld und b) bringen vor allem unmittelbar dem Nachfolger etwas ein. Ein eigener Nutzen ist erst mit weiterer unfreiwilliger und nicht vorhersehbarer Anschiebhilfe durch die Mitspieler zu erzielen.
    Moritz sah das sofort ein: Er schlug einen neuen Spielanfang vor mit einer ad hoc-Modifikation der Spielregeln.
    a) Die einzelnen Aktionen dürfen (wieder) erst nur dann getan werden, wenn man einen Arbeiter zur Stelle hat. (Allerdings ist die Beweglichkeit der Arbeiter noch sehr hoch. Diese Einschränkung des Aktionsspielraums muß noch weiter verstärkt werden.)
    b) Die Baumstämme in den Flüssen bewegen sich automatisch, d.h. jeder Spieler darf / muss standardmäßig pro Zug eine Portion Stämme bewegen.
    (Frage: Warum bilden die Holzstämme immer noch so dicke Pakete. Warum schwimmen auf den einzelnen Flußabschnitten nicht immer nur einzelne Baumstämme die Nagold hinab?)
    Jetzt war die allgemeine Dammbewegung gestoppt und jeder Spieler mußte Arbeiter bringen, um aktiv ins Spielgeschehen eingreifen zu können. Dammbrüche erfolgten nur noch mit manuellem Zutun. Auch die Buß-Diskussion war unverzüglich gestoppt. Schließlich gab es jetzt genug eigene Züge zu planen und fremde Züge zu beobachten, um am Damm zu bleiben. Doch noch immer ist man nur begrenzt seines eigenen Glückes Schmied. Immer noch braucht man die Hilfe der Mitspieler um die Dämme oder die Flösselände voller Baumstämme zu bekommen und damit lukrativ handeln zu können.
    Doch immerhin gab es zum ersten Mal, seit wir am kalten Herzen operieren, reichlich Flöße mit üppigen Erträgen, die strahlende Mienen bei den glücklichen (oder fähigen) Holzhändlern hervorriefen. Doch es gibt noch viel zu balancieren. Nach 4 Stunden eifriger Holzfällerei waren wir alle erst einmal gründlich geschafft.
    Fazit:
    Moritz war mit der Spiellänge zufrieden. Es hat sich viel bewegt und alle Spielelemente waren angesprochen worden.
    Aaron vermißte noch eine gehörige Portion Interaktion. Streckenweise war die unvermeidliche Denkzeit auch über Gebühr lang.
    Andrea war mit der gelungenen Themenumsetzung beim Gut-Böse-Prinzip zufrieden. Ihr gefiel auch das Kosten-Steigerungsprinzip bei den Saisonkarten.
    Hans setzte seine Kritk an den Geschwindigkeitsverhältnissen im Spieldesign an: z.B. sind die Arbeiter zu langsam und die Flüsse zu schnell.
    Walter spielte nicht gerne den Schmied vom fremden Glück.
    Noch keine WPG-Wertung.
    2. “R-Öko”
    Die mentale Energie reichte mit „R-Öko“ nur noch zu einem leichten Absacker-Kartenspiel, das am Westpark schon zweimal gefallen konnte.
    Jeder hat 1-5 Karten in den Farben rot-grün-gelb-blau der Hand und legt davon pro Zug 1-5 Karten einer Farbe an die „Müllseite“ des passenden gleichfarbigen Stapel in der Mitte des Tischen und bekommt dafür die Karten von der „Recycling“-Seite dieses Stapels. Liegen mindestens 4 Karten auf der Müllseite, bekommt man die oberste Karte des Stapels, die Plus- oder Minuspunkte in der Endabrechung bedeuten.
    Kartenpflege (durch Ablegen am „richtigen“ Stapel zum Aufnehmen der „richtigen“ Recycling-Karten) ist durchaus interessant, doch was letztendlich in der Auslage geboten ist, wird stark vom Kartenzufall bestimmt.
    Moritz schätzte den „Glücksfaktor“ auf 60-70%. Womit er sicherlich ganz gut liegt. Wobei wir aber immer noch nicht wissen, wie der „Glücksfaktor“ überhaupt definiert ist.
    WPG-Wertung: Andrea (7), Hans (6) und Moritz (6) blieben mit ihrern Noten ganz nah am aktuellen Notendurchschnitt.

    15.09.2010: Räder rollen in die große weite Welt

    Ganztägiger Streik in der Münchener U-Bahn plus Champions-League-Spiel der Heimmannschaft: Zwei gewichtige Gründe für Moritz, zuhause zu bleiben. Doch pünktlich stand er auf der Matte am Westpark. Das Fahrrad macht’s möglich.
    1. “Aarons 18xx”
    Aaron ist mit seiner 18xx-Eisenbahnspiel-Entwicklung wieder ein paar Monate weiter. Inzwischen gibt es keine Aktien mehr, keine Gleise, keine Bahnhöfe und keine Züge. Wir leben ja auch bereits im 21. Jahrhundert, und heute ist der Weltraum unser Zuhause . Hier fahren wir mit unseren Raumschiffen zu den Planeten auf ihren Kreisbahnen um die Sonnen. Die Planeten bringen unterschiedliche Erträge in Geld oder Siegpunkten. Wir finden Schutzschilde für den unvermeidlichen Krieg im All, Treibstoff für größere Beweglichkeit und Eisen zur Steigerung der Erträge. Den aktuellen Stand von Aaron’s Design wollten wir heute mal wieder unter die Lupe nehmen.
    Herzstück des Spiels ist ein Verdrängungs-Versteigerungs-Tableau a la „Amun-Re“, in dem wir uns das Gebiet ersteigern, auf dem wir uns entwickeln wollen: Mehr Raumschiffe, größere Reichweiten oder stärkere Schutzschilde stehen zur Auswahl. Wer aus allen Gebieten heraus in astronomische Höhen verdrängt wird, begibt sich in die Bank und kassiert dort als Trostpreis die Hälfte der eingezahlten Gelder. Man braucht dafür aber nicht erst zu warten, bis die Gebote der Mitspieler unsere pekuniären Mittel überschreiten, man kann auch sofort in die Bank gehen und dort warten, bis der Geldsegen früher oder später herabfällt. Und dabei ist jede müde Mark einen ganzen Siegpunkt wert. Diese geldige Strategie unterläuft den harten Kampf um die optimale Ressourcen-Entwicklung, die scharfe Planung der optimalen Routen und die tödlichen Auseinandersetzungen auf den Planetenbahnen. Analog zu unseren Erfahrungen mit dem „kalten Herzen“ von letzter Woche bekam dieses passive Vorgehen den Namen „Bethaus-Strategie“.
    Walter fing mit dieser Strategie an, und Moritz äußerte sofort und lautstark die Vermutung, daß dies wieder eine uneinholbare Siegesstrategie werden könnte. Günther lies sich dies nicht zweimal sagen; unverzüglich ging er ab sofort mit seinem jeweils ersten Zug zur Bank und überließ den Kriegern Aaron und Moritz den Weltraum, sowie Walter das Nachsehen. In Minutenschnelle hatte er auf der Siegpunktskala schwindelnde Höhen erklommen und die Siegbedingungen erfüllt.
    Aaron hätte gerne noch ein bißchen länger gespielt und getestet; dafür wollte er jetzt die Siegpunkt-Bedingungen in die Höhe schrauben. Dazu schlug Günther vor: „Wir spielen so lange, bis Moritz mich überholt hat!“ – Schallendes Gelächter. Die Bethaus-Strategie war einfach nicht zu überbieten. Die fehlende Balance war nicht zu übersehen. Unverzüglich machten wir umfangreiche Änderungsvorschläge.
    a) Das Geld aus der Bank darf nur innerhalb von Versteigerungen eingesetzt werden, aber nicht in Siegpunkte umgewandelt werden. Zumindest nicht im Verhältnis 1:1.
    b) Die Raumschiffe müssen nicht in jeder Runde vom Nullpunkt aus eingesetzt werden, sondern sie behalten nach jeder Runde ihre aktuelle Position und können sich so Schritt für Schritt den lukrativen Zirkeln um das Schwarze Loch nähern.
    Alle hatten Lust zu einem neuen Versuch.
    Jetzt fing blitzschnell der Verdrängungskampf um die besten Plätz an. Nicht mehr das Geld aus der Bank und nicht mehr die Reichweite waren gefragt, jetzt zählten die Schutzschilder, die – wie in der richtigen Militär-Terminologie – weniger der Verteidigung dienten, sondern viel mehr dem Angriff. Mit einer entsprechenden Stärke konnte man leicht die inneren Planetenbahnen von allen Gegners leerfegen.
    Doch auch viele schwächere Raumschiffe auf den billigen Plätzen konnten reichlich Siegpunkte einbringen. Ganz unvermutet hatte sich eine zweite Schiene für den Sieg aufgetan. Und sicherlich gibt es noch mehr davon. Das Spiel gewann an Farbe und Dynamik. Es gab einen Blick auf seine Potenz frei.
    Natürlich gibt es noch genügend zu feilen. Das Amun-Re-Verdrängungstableau braucht eine quadratische Skala, damit der Versteigerungsprozess nicht so lange dauert. Die Weltraum-Topologie ist zu durchlässig. Jeder kann jeden erreichen und – sofern stärker – vernichten. Jeder Spieler sollte um sein Startfeld herum eine Heimat-Zone haben, in die kein anderen Spieler hineindarf, sonst könnte einem ins Hintertreffen geratenen Spieler vorschnell der Lebensfaden abgeschnitten werden. Hier sollte er auch ganz private Verteidigungschilde auflesen dürfen, um eine Mindestausrüstung zu haben, wenn er hinaus muß ins feindliche Leben.
    Das größte Problem ist allerdings noch die Tendenz zur Kingmacherei. Jeder kann sich gegen jeden wenden und damit ganz willkürlich entscheiden, welcher der Gegenspieler eine Menge Siegpunkte verliert. Das konterkariert eine gute strategische Planung. Doch auch dafür werden wir, vor allem Aaron, noch eine Lösung finden.
    Noch keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entstehungsphase.
    2. “Small World”
    Es war schon 23 Uhr und eigentlich mußte Moritz schon auf die vorletzte U-Bahn schielen. Doch weil gestreikt wird, war dieses Kriterium heute nicht relevant. Wir konnten uns problemlos noch mit den allerneuesten Expansions zu diesem von uns hochbewerteten Spiel um Völkerschlachten beschäftigen.
    Es gibt ein paar zusätzliche Rassen und Eigenschaften, und vor allem gibt es Ereigniskarten, die in jeder Runde die vorhandene Szenerie beeinflussen: z.B. dürfen bestimmte Landschaftsfelder nicht erobert werden, Pöppel sterben oder kommen hinzu, und dergleichen Schnickschnack mehr.
    In der Startaufstellung lagen die Ghouls, die auch als sterbene Rasse ein erhebliches Punkte-Potential in sich tragen, gleich auf dem vordersten Platz, und die erste Ereigsniskarte lautete: „In der nächsten Runde bringt das aktive Volk nichts ein.“ Was lag für den Startspieler näher, als sich die „Ghouls“ unter den Nagel zu reißen und sie in der zweiten Runde gleich sterben zu lassen? Zwei Fliegen mit einer Klappe! Gedacht, getan. Jetzt lagen die „Kobolde“ im Angebot, die mit ihrer enormen Population ein hohe Überlebensdauer haben. Noch dazu waren sie mit „Geschichtsschreibern“ kombiniert, die für jedes sterbende Volk pro Runde einen zusätzlichen Siegpunkt einbrachten, in der Regel also fünf Stück. Das war ein Anfangsreibach, den sich der Startspieler natürlich nicht entgehen lassen konnte. Und der auch sofort die Neider auf sich zog.
    Nach unserem WPG-Kodex ist es zwar verpönt, gegen den Führenden zu stänkern, doch in „Small World“ muß dies zweifellos erlaubt sein. Wenn man nicht lautlos und verbissen um seine zeitlichen Jagdgründe kämpfen will, dann ist doch grade die Demagogen-Diplomatie eine wesentliche Freudenquelle des Spiels. Nicht selber gegen den Führenden zu kämpfen, sondern die anderen gegen ihn kämpfen lassen, und sich selber wie ein unschuldiges Lamm auf den fetten Weiden zu tummlen, das bringt die entscheidenen Pfunde. Walter war der glückliche Startspieler, der meilenweit davonzog, vom Unschuldslamm Moritz aber auf der Zielgeraden noch überholt wurde.
    Fazit: Neue Rassen und die Ereigniskarten erhöhen zwar die Vielfalt der Spielausprägungen, doch sie bringen keine neue Qualität. Eigentlich müßten sie ganz scharf mit ALLEN anderen Rassen und Eigenschaften ausbalanciert sein, damit das Spiel nicht aus dem Ruder laufen kann, insbesondere zu Gunsten des Startspielers. Diese Balance scheint nicht sicher gewährleistet.
    Keine neue WPG-Wertung für ein 8-Punkte-Spiel.
    3. “Bluff”
    Nein, kein Bluff mehr. Die vorletzte und die letzte U-Bahn wären ohnehin schon abgefahren gewesen, wenn sie nicht wegen des Streiks überhaupt ausgefallen wären. Aaron brachte Moritz mit dem Auto nach Hause. Dort kann er sich im Internet noch die Traumtore von Müller und Klose anschauen. Gegen Roma.

    8.9.2010: Hotel am Plattensee

    Auch wenn es nach den ausgebliebenen Session-Reports so aussieht, als hätten wir vier Wochen pausiert, waren die Westparker doch auch in der Zwischenzeit aktiv. Allerdings mit bereits bekannten und beschriebenen Spielen, einmal direkt bei Hans-im-Glück, vor allem aber ohne den Gewohnheitsschreiber Walter.
    Walter durfte einige Wochen lang am Plattensee den Geburtstag der besten aller Ehefrauen feiern, und mußte sich in der dortigen Spielewüste mit „Hotel“ begnügen. Einem Westpark-Strategen kann diese Monopoly-Variante zunächst nur ein müdes Lächeln abgewinnen. Doch wenn man von vorneherin davon ausgeht, keine konsequente Gewinnstrategie verfolgen zu können, sondern mit einer demütig-gelösten Kismet-Einstellung die Gaben des Würfels hinzunehmen, dann kann man unter netten Menschen auch mit einer „Hotel“-Runde zwei Stunden Spaß haben.
    „Und was gefällt Euch daran so besonders?“ war hinterher die obligatorische Westpark-Gamers-Frage. „Daß man nicht denken muß!“ antwortete ein frisch gebackener Mediziner, Freund der Nichte. Und was sagte die Nichte selber zum Abschluß: „Mama, zu Weihnachten wünsche ich mir ein NEUES Monopoly.“
    1. “Das kalte Herz”
    Vor einem halben Jahr haben wir die Neuentwicklung von Christof und Moritz noch im Embryonalzustand in Augenschein nehmen können. Wir sollen als Flösser im Holzhandeln unsere täglichen Siegpunkte verdienen (siehe Session Report vom 17.März). Damals hieß der Arbeitstititel noch „Holzhacken im Schwarzwald“. Jetzt gehen unsere Spiele-Väter schon sechs Monate lang mit ihrem Kind schwanger und haben eine Menge zusätzlichen Pepp hineinentwickelt.

    Das fängt schon mit dem Namen an. Aus den „Holzhackern“ ist „Das kalte Herz“ geworden, nach einem Märchen von Wilhelm Hauff, das den Holzhändlern in Schwarzwald gewidmet ist. Hier ein Ausschnitt aus der Hauff’schen Einleitung:
    „Wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig in den Schwarzwald hineinzuschauen … Dort beschäftigen sich die Leute gewöhnlich mit Glasmachen; auch verfertigen sie Uhren und tragen sie in der halben Welt umher. Auf der andern Seite des Waldes wohnen andere Menschen desselben Stammes, die handeln mit ihrem Wald; sie fällen und behauen ihre Tannen, flößen sie durch die Nagold in den Neckar, und von dem obern Neckar den Rhein hinab, bis weit hinein nach Holland. Am Meer kennt man die Schwarzwälder und ihre langen Flöße; sie halten an jeder Stadt, die amStrom liegt, an, und erwarten stolz, ob man ihnen Balken und Bretter abkaufen werde; ihre stärksten und längsten Balken aber verhandeln sie um schweres Geld an die Mynheers.“
    In dem Märchen kommt der kleine Kohlemunk-Peter vor, der auf seinem Abenteuer vom guten Glasmännlein beschützt und vom bösen Holländermichel bedroht ist. Dieser mythische Gut-Böse-Kontrast hat es den Autoren angetan. Zur soliden Holzhandwerksarbeit haben sie phantastische Aktionskarten gestellt, die ständig unseren Charakter verderben und uns Minuspunkte zuschustern. Zu unserer Seelenrettung müssen wir regelmäßig beten und dabei eine ständig wachsende Anzahl von Scherflein in den Opferstock geben. Wer allerdings von Haus aus zur Frömmigkeit neigt, geht überhaupt nicht mehr in den Wald, sondern schickt seine Leute ständig ununterbrochen ins Bethaus, und sammelt sich so nicht nur Schätze im Himmel, sondern auch Siegpunkte auf Erden.
    Diese Strategie verfolgte Walter, wobei ihm zugute kam, daß er durch seinen zu Spielbeginn verteilten Sondercharakter von vornerherein für jede Frömmigkeitsstufe zwei Scherflein weniger zahlen mußte als im Standard-Tarif. So konnte er als Heiliger den Sudden Death herbeiführen und sich dabei noch zum Sieger küren lassen.
    Es gibt noch viel zu feilen am kalten Herzen. Auch muß noch einiges vereinfacht werden. Die vielen Grübelmöglichkeiten über die effizientesten Züge für die einfachen Holzhacker und Holzhändler kosten (am Westpark) eine viel zu große Menge Denkzeit. Und warten ist lästig. Besonders für Walter, der noch dazu für seine Bete-und-Faulenze-Strategie überhaupt keine Denkzeit benötigte. Zum Glück konnte er sich den Hauff vornehmen und „Das kalte Herz“ lesend bewältigen, während seine Mitspieler Holz hackten, Baumstämme anschoben, Staudämme fluteten und Flöße zusammenzimmerten.
    Ein Neunmonatskind wird „das kalte Herz“ bestimmt nicht.
    Noch keine WPG-Wertung.
    2. “Chairman of the Board”
    Das Brettspiel wurde uns vom irischen Verlag Peca-Games zum Testen zugeschickt, mit den besten Referenzen im Internet.
    Beim Auspacken erinnerte das Spielbrett eher an „Monopoly“: Um den Spielfeldrand herum sind farbige Felder gruppiert, auf die je eine Karte gelegt wird. Bei „Monopoly“ sind das Straßen, im „Chairman of the Board“ (deutscher Titel: „Der Vorstandsvorsitzende“!!) sind das Aktienanteile.
    Doch es gibt keine Würfel, die Bewegung um das die Aktienfelder am Spielfeldrand erfolgt mitttels Karten. Der Mechanismus ist hier ganz ähnlich dem eines Kartenspiels, das ich als Kind unter dem Namen „Schnauz“ kennengelernt habe: Jeder Spieler erhält 3 Karten eines „normalen“ Kartendecks (Rommé, Canasta, Bridge), darf jeweils eine davon mit einer Karte vom übrigen Stapel tauschen und muß damit möglichst schnell die höchstwertige Kartenkombination erzielen. Wem das gelingt, der darf sich einen Aktienanteil nehmen. Wer dann die niedrigstwertige Kartenkombination in seiner Hand hält, muß dem Gewinner zusätzlich eine gewaltige Stange Bargeld zuschustern. Für die anderen Mitspieler tut sich gar nichts.
    Moritz erklärte diese etwas seltsame Karten-Brettspiel-Nichts-Rührt-Sich mit „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett. Auch bei diesem absurden Stück des irischen Autors wartet man ebenfalls vergeblich darauf, daß irgendwann mal irgend eine Aktion geschieht. In „Chairman of the Board“ erhält dazu noch jeder Spieler eine „Vetokarte“, mit der er verbieten kann, daß sich ein Spieler nach der oben beschriebenen Regel einen Aktienanteil nehmen kann. So ist der Stillstand gleich doppelt gesichert.
    Natürlich löste dieses vermurkste Design sehr bald ausschließlich Gelächter aus. Zumindest bei ¾ der Teilnehmer. Walter „fand es überhaupt nicht zum Lachen“, doch für Moritz war es „eines der besten Spiele, das mit je untergekommen ist“. Doch trotz diese Qualifizierung brachen wir ab, bevor auch nur der ersten Spieler einen Aktienanteil erworben hatte. „It’s not a game, it’s a joke!“ (Hallo Peca-Games: Falls Euch dieser Session-Report zu bösartig erscheint, dann könnt Ihr wenigstens noch das Moritz-Zitat in Euere Internet-Präsentation übernehmen!).
    WPG-Wertung: Aaron: 2 (für das schöne, qualitativ hochwertige Spielmaterial), Günther: 2 (für die Veto-Karten), Moritz: 2 (Spielmaterial), Walter: 2 (Als Reverenz für die vielen Schnauz-Runden aus seiner Jugend)
    3. “Schnauz”
    Zur Demonstration eines funktionierenden Spiels mit dem oben erwähnten Kartenkombination-Tausch-Mechanismus schlug Walter ein Spielchen vom Original-Schnauz vor. Im Internet ist es mit dem Namen „Schwimmen“ geführt und hat die weiteren regionalen Bezeichnungen Knack, Wutz, Bull und Hosn obi …
    Unter der Seite http://de.wikipedia.org/wiki/Schwimmen_(Kartenspiel) findet man die Ablaufbeschreibung:
    „Der Kartengeber teilt beim offenen Spiel jeweils drei verdeckte Karten einzeln an alle Spielteilnehmer aus, an sich selbst jedoch zwei Päckchen mit jeweils drei Karten. Er sieht sich die Karten eines Stapels an und entscheidet, ob er mit diesen Karten spielen möchte, oder nicht. Will er mit den Karten des ersten Stapels spielen, so muss er den zweiten Stapel offen in die Tischmitte legen. Will er die Karten des ersten Stapels nicht behalten, so legt er diese drei Karten offen in die Mitte des Tisches und muss die Karten des zweiten Stapels aufnehmen. Die übrigen Karten werden beiseite gelegt.
    Der Spieler links vom Geber beginnt das Spiel. Er kann entweder eine Karte oder alle drei Karten aus der Hand mit Karten in der Mitte tauschen – jedoch nicht zwei. Möchte er nicht tauschen, so kann er entweder schieben, d. h. keine Karte tauschen, oder aber das Spiel schließen, indem er klopft (meist mit den Fingerknöcheln auf den Spieltisch).“
    Logisch, stimmig, ausgewogen, unterhaltsam. Auf keinen Fall krass.
    WPG-Wertung: Aaron: 6 (auch Jugenderinnerung), Günther: 5 (warum eigentlich?), Moritz: 5 (funktioniert), Walter: 7 (schnell und gute Kosten/Nutzen-Relation im Material).
    4. “Flaschenteufel”
    Moritz wurde ungedultig: „Jetzt laßt uns endlich nochmal ein gutes Spiel spielen!“ 23 Uhr war schon vorbei, da standen nur noch Absacker zur Auswahl. „Flaschenteufel“ ist immerhin einer von den besten.
    Aaron schlug Günther gleich eine Allianz gegen Moritz und Walter vor, doch Günther hatte eine bessere Idee: „Alle drei gegen Moritz! Wenn er schon mal da ist!“
    Allerdings lassen sich aggressive Allianzen in Flashenteufel kaum umsetzen .Am Ende ist jeder doch nur darum bemüht, sein eigenes Schäfchen ins Trockene zu bringen. Selbst beim Schieben von Karten in der Startaufstellung kann jeder nur an seinen eigenen Vorteil denken: Die niedrigere Karte an den rechten Mitspieler, die höhere Karte an den linken Mitspieler. Die Begründung dafür und eine Reihe weiterer Ratschläge findet man unter der Flaschenteufel-Rezension auf unserer Seite.
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
    5. “Bluff”
    Walter stand mit 3 Würfeln im Endspiel gegen Günther mit 1 Würfel. 1 mal die Vier war Pflichtvorgabe im Kampf der 1-mal-Vier gegen 1-mal-Fünf-Kontrahenten.
    Günther hatte eine winzige Eins unter seinem Becher. Wie sollte er kontern?
    Er versuchte es mit 2 mal die Eins. Doch Walter, der eine Eins und zwei Zweien unter dem Becher hatte, konnte mit 2 mal die Zwei den Sack zumachen.
    Günther bekam hinterher natürlich den Vorwurf zu hören, warum er die 1-mal-Vier-Vorgabe nicht angezweifelt habe. Dafür bekommt er jetzt als unser Chefmathematiker folgende Hausaufgabe aufgedrückt;
    a) Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, unter 3 Würfeln keine Vier zu haben.
    b) Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, mit 3 Würfeln (einschließlich der Nachwürfelmöglichkeit) besser als 2 mal die Eins zu würfeln. (Unter der Voraussetzung, dass unter unter dem Becher des Gegners eine Eins vorhanden ist.)
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.