Ich frage mich, woher es kommt, daß ein Mensch vielerlei Gattungen von Spielen erlernt, und dabei sehr sorgfältig alle Übertretungen der Spielgesetze zu vermeiden sucht, aber außerhalb der Spielszenerie bei verschiedenen Anlässen Worte und Taten an den Tag legt, die alle Vorschriften der Gesetzgebung und der Moral beleidigen. Warum kostet es die Leute weniger, sich den oft bloß willkürlichen Gesetzen einer Gruppe zu unterwerfen, als den einfachen, sozialen Vorschriften, die der Gesetzgeber zum Besten unserer Gemeinschaft erlassen hat. (Sophie von la Roche)
1. “A Sort of Ökolopoly”
Verstärkt werden unsere Dienste als Spieletester in Anspruch genommen. Generell macht es uns Spaß, uns mit neuen, umfangreichen Spielideen auseinanderzusetzen. Wenn wir unsere kritischen Anmerkungen dann nicht nur einem fertigen Spiel hinterherschicken müssen, sondern gleich beim Entstehen an konstruktiven Weichenstellungen zu Design und Regelwerk mithelfen dürfen, dann sind alle eifrig dabei.
Heute hat Moritz wieder so ein Testobjekt mitgebracht. Er hat allerdings vergessen, sich beim Autor zu erkundigen, wie weit wir über das Spiel schon berichten dürfen. Deshalb möchte ich hier nur ganz allgemein und anonym darüber schreiben.
Das Spielmaterial ist schon recht gediegen, die Spielregeln auch. Das Prinzip erinnert von Ferne an “Ökolopoly”. Die Spieler müssen ihre Arbeiter an den verschiedenen Rädchen des Bruttosozialprodukts drehen lassen. Sie müssen Rohstoffe gewinnen, eintauschen oder umtauschen und letztendlich damit Siegpunktkärtchen erwerben.
Man muß gut abwägen zwischen Diversifizieren in verschiedene Rohstoffe, die man für die verschiedenen Siegpunktkärtchen braucht und Konzentrieren auf ein einziges Produkt, für das man sich einen hohen Siegpunkt-Multiplikator zulegen kann.
Die Arbeiter können für kurzfristigen Gewinn eingesetzt werden und stehen nach getaner Arbeit sofort wieder für neue Aufgaben zur Verfügung. Sie können aber auch in längerfristige Stellungen untergebracht werden. Je länger einer steht, desto höher ist die Ausbeute. Im Arbeitsleben nennt man das Zeitmanagement.
Manche Rohstoffe bekommt man in klar voraussehbaren Quanten, für andere spielt der Zufall einen erheblichen Einfluß. Einen riesigen! Wenn es dumm läuft, hat man hier mehrere Arbeiter investiert, die dann alle mit leeren Händen zurückkommen. Dagegen fallen die gleichen Rohstoffe auf die glücklichen Mitspieler herab wie die Sterntaler auf das gutherzige Kind. Dann braucht man überhaupt kein Zeitmanagement mehr.
Das neue Opus steht noch etwas schwach auf den Beinen. Nach etwa 2 Stunden Spielzeit gönnten wir unseren Arbeitern gerne eine Erholungspause.
Keine WPG-Wertung
2. “Tinner’s Trail” (Der Zug der Zinnschürfer)
Moritz hat seine neue Oper gerade fertig geschrieben. Deshalb brauchte er sich nicht um die vorletzte U-Bahn zu kümmern. Problemlos konnten wir uns noch ein gestandenes Vollzeitspiel reinziehen.
“Tinner’s Trail” ist ein Versteigerungsspiel um den Kupfer- und Zinn-Abbau in England. Auch in diesem zweiten Spiel des Abends muß ordentlich gewerkelt werden. Die Spieler ersteigern Bergwerke, stellen Grubenarbeiter an, bauen Schienen und Häfen, legen Rohre zum Abpumpen des Grundwassers, und fördern schließlich die Rohstoffe, die auf einem zufallsregulierten Markt in Geld umgesetzt werden. Mit dem Geld erwerben sie Siegpunkte. Oder sie stecken es in neue Bergwerke und weiteren Rohstoff-Abbau.
Die einzelnen Spieler-Aktionen kosten neben dem reinen Geld noch eine unterschiedlich Anzahl von Zeiteinheiten. Pro Runde darf jeder Spieler eine nur bestimmte Höchstmenge an Zeiteinheiten verbrauchen.
Bemerkenswert ist die Zugreihenfolge. Durch Verzicht auf weitere Aktionen in einer Runde kann man sich das Startspieler-Privileg für die nächste Runde erwerben. Nach teuren Aktionen muß man warten, bis die Mitspieler mit dem Wert ihrer Aktionen wieder aufgeschlossen haben. Bei der Aktionsauswahl geht es also nicht nur darum, für sich die eine beste nächste Aktion auszusuchen, man muß auch deutlich die Zeit-Kosten im Auge behalten, weil man ggf. ja mehrere zweitbeste, aber billige Züge durchführen kann, bis der nächste Mitspieler an die Reihe kommt.
Im Grunde kann man bei jedem Zug sehr viel berechnen: Restliche Erzmengen in der Mine, Förderkapazität, Förderkosten, Verkaufspreise, Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung, Konkurrenzbetrachtungen und vieles mehr. Dabei wird nach jedem Zug eine neue Ausgangssituation hergestellt, die neue Kalkulationen erfordert. Die Gefahr, daß die Denkprozesse lange dauern, ist groß. Wer am Kalkulieren Freude hat, schwelgt in seinem Element, wer sein Pulver frühzeitig verschossen hat, schaut solange in die Röhre. Deshalb gilt hier die wichtige Regel: Bleibe liquide!
WPG-Wertung: Aaron: 8, Günther: 8, Moritz: 8, Walter 7 (oder M und W vertauscht)
Walter wird eine Rezension schreiben.
Archiv der Kategorie: Spieleabende
13.08.2008: In 80 Tagen von der Maxvorstadt um die Welt – mit Kommunikationsproblemen
Dass selbst die Arbeit in der Telekommunikations- und Medienindustrie nicht vor Kommunikationsproblemen schützt, zeigte die Organisation unseres gestrigen Spieleabends. Nach dem urlaubsbedingten Ausfall von Walter bot sich Aaron als Host an. Hier waren die Zusagen aber nur spärlich und da unbedingt noch einmal Bernd Eisensteins Peloponnes-Prototyp mit neuer Besetzung auf den Tisch komme sollte, erklärten sich Peter und Loredana bereit mitzuspielen, unter der Voraussetzung, dass sie hosten. Damit war die Location erst einmal klar. Nach einigem Geplänkel darüber, ob es bei den Westpark Gamers Spieler erster und zweiter Klasse geben darf, stellte dann Peter die ultimative Teilnehmerliste zusammen und Hans, der als Letzter zugesagt hatte, wurde ausgeladen und Thomas wegen seiner frühzeitigen Zusage explizit eingeladen.
Punkt 20:00 Uhr standen dann Aaron, Günther und Thomas in der Maxvorstadt in Peters Wohnung und der Spieleabend konnte beginnen – nicht ohne eine kurze Diskussion darüber, ob denn jetzt nun Hans noch kommen würde oder nicht. Gerade war die Erklärung von Peloponnes in vollem Gange als das Telefon klingelte. Hans war dran und meldete, dass er vor Aarons Haus in Großhadern (!) stehe, ihm aber keine öffne. Peter machte ihm dann auf seine bekannt charmante Art klar, dass Hans doch bitte in Zukunft alles Emails lesen und richtig interpretieren solle, denn er sei explizit ausgeladen worden. An dieser Stelle möchte ich mich bei Hans entschuldigen, denn der Email Thread war tatsächlich nicht einfach zu entschlüsseln.
Peloponnes
Nach unserem durchaus gelungenen ersten Versuch vor zwei Wochen waren auch hier fast alle Regelinterpretationsmöglichkeiten geklärt. Die befürchtete raue Ablehnung von Experimenten wie dem Ausprobieren von Prototypen seitens Peter fand überraschender Weise nicht statt – zu fertig wirkte das Spiel. Die Regeln waren schnell erklärt und der Einstieg in die gute Mischung aus neuen und bekannten Spielelementen schnell geschafft.
Unsere Erfahrung aus dem letzten Spiel, dass Geld eine dominante Rolle spielt, wurde diesmal von Günther konsequent umgesetzt. So hatte er IMMER ausreichend Silbertaler, um sein Wunschplättchen zu ersteigern, während Peter und Loredana als Neulinge mehr als einmal das Nachsehen hatten. Aaron hatte beim letzten Spiel auf die Gebäudestrategie mit viel Geld gesetzt und damit letztendlich gesiegt, so dass er diesmal eine andere Variante wählte und in den ersten vier Runden konsequent Landschaftskärtchen ersteigerte. Dabei sollte sich schlussendlich sein Verzicht auf ausreichendes Einkommen rächen, als er in den letzten beiden Runden nicht mehr die gewünschten, jetzt deutlich teureren, Gebäude ersteigern konnte. Loredana hatte gleich zu Beginn auf Gebäude gesetzt, mehr aus Not als aus Planung, da Landschaftskärtchen Mangelware waren und sie mit knappem Geld nicht immer mitbieten konnte. Thomas, ebenfalls Peloponnes-Neuling versuchte sich an einer ausgewogenen Mischstrategie mit Geld, Rohstoffen, Bevölkerung und Gebäuden. Hier zeigte sich aber, dass man bei Peloponnes nicht auf alles Pferde gleichzeitig setzen darf. Das Spiel verlangt, mit dem Fortschritt der Plättchenentwicklung mitzugehen und gezielt zu wachsen.
Diesmal empfanden wir die Katastrophen als nicht so schlimm wie beim ersten Spiel, wohl auch deshalb, weil allen klar war, dass im Spiel alle 5 Katastrophen kommen werden und, dass alle zweimal von Doppelkatastrophen getroffen werden. Unbekannt ist nur, welche Katastrophe wann kommt. Wieder war die Pest die letzte Katastrophe, die bei Spielende zuschlug und damit war wieder die Bevölkerung der begrenzende Faktor bei der Siegpunktvergabe. Günther hatte die beste Wahl von Gebäuden und Landschaftsplättchen getroffen und seine “viel Geld” Strategie konsequent durchgezogen und gewann das Spiel deutlich vor Peter, Loredana und Aaron und dem weit abgeschlagenen Thomas.
Unser positiver Eindruck von Peloponnes wurde auch von dieser Spielerrunde in neuer Zusammensetzung bestätigt und wir freuen uns auf die Veröffentlichung diese hochkarätigen Spiels.
WPG-Wertung: Das Spiel ist ja noch nicht fertig, aber in seiner jetzigen Fassung würde es zwischen 7 oder 8 WPG-Punkten angesiedelt werden.
In 80 Tagen um die Welt
Die verbleibenden 90 Minuten wollten wir dann mit leichterer Kost verbringen, so dass Peters Vorschlag “La Cíta” auf den Tisch zu bringen, zugunsten von “In 80 Tagen um die Welt” abgelehnt wurde. “In 80 Tagen um die Welt” ist ein klassisches Familienspiel, auch wenn das Regelwerk dazu schon fast etwas zu komplex aufgemacht ist – die Regeln selbst sind sehr einfach. Es gilt durch Ausspielen von Schiffs- und Eisenbahnkarten mit möglichst wenigen Punkten (“Tagen”) die Rundreise um die Welt zu vollenden. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, wie sich herausstellte, denn insbesondere am Anfang der Reise neigt man dazu auch mal mehr Punkte (Tage) auszugeben, nur um schnell vorzurücken, was sich dann gegen Ende der Reise bitter rächt, wenn man verzweifelt auf “kleine” Karten wartet. An diese etwas kontra-intuitive Mechanik, die das schnelle Vorrücken mit hohen Karten in Wirklichkeit zu einer langsamen Reise macht, muss man sich erst einmal gewöhnen.
Unsere Reise war nach 60 Minuten entspannender Spielzeit zu Ende, ohne großen Ärgerfaktor und mit einem echten Photo Finish: der Spielereinlauf war mit 78, 79 und zweimal 80 äußerst knapp. Nur Loredana war mit ihren 85 Tagen doch etwas zu langsam.
WPG-Wertung: Der bestehende WPG-Schnitt von 7.0 wurde durch Günthers und Thomas’ 6 Punkte leicht gesenkt.
05.08.2008: Hochzeitsfeier bei den Westpark-Gamers
Peter und Loredana haben geheiratet. Die Trauerfeier fand un-heimlich aber unter Ausschluß der Öffentlichkeit in Malta statt. Am Westpark gab es heute dafür eine Nachfeier unter spielerischen Vorzeichen, heimlich vorbereitet, aber mit vollständiger Kern-Mannschaft.
Als Hochzeitsgeschenk gab es natürlich ein Brettspiel. Aarons Spiele-Finder war behilflich, ein mindestens 8 Punkte Spiel herauszufinden, für das P&L noch keine Wertungspunkte vergeben haben. Die Wahl fiel eindeutig auf “Manila”.
Die öffentliche Einladung erfolgte wie immer per Rundschreiben, die Absagen waren hingegen getürkt, weil P&L nach dem Peter-Prinzip ab fünf Teilnehmern nicht mehr dabei sind, bei kleineren Teilnehmerzahlen aber immer pflichtbewußt einspringen, um die Runde zu vervollständigen. Wie vorausgesehen ließen sie sich aus der selbstgewählten Reserverolle locken.
Die Mannschaft war schon vollständig da, als das jungvermählte Paar an der Tür klingelte und mit Wagners Hochzeitsmarsch auf die Terrasse geführt wurde. Zur Einstimmung gab es Sekt, die restliche Kost aus Choco-Crossies, Kartoffelchips und Gummibärchen war wie üblich.
1. “Bluff”
Wie bereits im Vorfeld vereinbart, spielten wir zur Einleitung ein gemeinsames “Bluff” in neunköpfiger Runde. Moritz’ und Andreas Nachwuchs Milo war auch von der Partie, sollte er dem jungen Paar doch den Mund wäßrig machen und gleichzeitig eine Zielvorgabe anzeigen. Allerdings werden die Würfel vom ihn noch weniger als Spielmaterial, sondern eher als Nahrungsmittel angesehen, so daß er diesmal in die Rolle des Supervisors abgedrängt wurde. Seine Fingerzeige und lautmalerischen Artikulationen waren aber immer zuverlässige Hinweise über die Anzahl von Sternen unter Aarons Würfelbecher.
Ein geschlagene Stunde dauerte das Spiel, wovon Hochzeits-Erinnerungen und die Erzählungen über das Gebaren von internationalen Standesbeamten einen wesentlichen Teil ausfüllten.
Andrea blieb im Endspiel Sieger gegen Günther, das Brautpaar belegte ehrenvolle Mittelplätze.
WPG-Wertung: Auch in erweiterter Runde ist Bluff eine unverwüstliche Ouvertüre.
2. “Ausgerechnet Buxtehude”
Andrea und Hans verabschiedeten sich. Sie hatten ihr Scherflein zur Überraschung des Abends beigetragen und durften sich nach dem einleitenden Absacker auf den Heimweg machen. Eigentlich hätten wir uns jetzt auf zwei Tische verteilen wollen, um dem Peter-Prinzip Genüge zu tun, doch der Bräutigam persönlich schlug vor, die lauschige Stimmung am gemeinsamen Terrassentisch fortzusetzen. Jetzt waren 7-er Spiele gefragt.
“Buxtehude” hatten wir letzte Woche schon angespielt. Als lockere spielerische Fortsetzung kam es uns jetzt wie gerufen. Deutsche Städte müssen in ihrer geographischen Lage richtig zugeordnet werden. Wichtig ist dabei natürlich auch, daß man unter schlechten Sichtbedingungen ein “Hamburg” nicht mir “Homburg” verwechselt. Die geographische Verwechslung von “Wittenberge” mit “Wittenberg” liegt aber meist weniger am spärlichen Nachtlicht.
Aaron wurde es zum ersten Mal bewußt, wie krumm der Rhein durch die deutschen Gaue fließt. Remscheid liegt westlicher als Koblenz! Günther konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob Unna südlich oder nördlich von Marl liegt. (Was sagst Du dazu, lieber Wilhelm!)
Moritz versuchte seine Wissenslücken mit einer Online-Landkarte auf seinem Handy-Display zu stopfen. Interessant ist dieses Feature für uns Telekom-Freaks auf jeden Fall. Doch die Eingabe und die Suchfunktion ist immer noch zu langsam, als daß man damit in einer gewiefen Runde profitieren könnte.
Loredana war hier von ihrer rumänischen Herkunft her entschieden gehandicapt. Sie hätte ihre Hochzeitsreise halt nicht nach Malta, sondern vielleicht nach Fulda machen sollen. Auch dort soll es stramme Oberhirten geben. Und Aschaffenburg und Hanau wäre auch auf dem Weg gelegen. So aber stand sie mit den gelben Städtekärtchen oft vor unlösbaren Problemen. Sechs gnadenlose Burschen um sie herum – einschließlich Bräutigam – lauerten nur darauf, der erste zu sein, der durch ein hartes Klopfen auf den Tisch ihre Entscheidung anzweifelt und ihr dann einen Siegpunkt abnehmen kann.
Diese Jedermann-Freiheit zum Anzweifeln ist vielleicht ein Nachteil von Buxtehude. In einer größeren Runde kann der chaotische Kampf um das “Jus-primae-Knocktis” durchaus in rechthaberischen Streit ausarten. Natürlich nicht in einer Hochzeitsgesellschaft.
Keine WPG-Wertungsabfrage am Hochzeitstag
3. “Anno Domini”
Im Anschluß an das neugeborene “Buxtehude” wurde auch gleich seine Mama “Anno Domini” auf den Tisch gelegt.
Die Mama ist behäbiger und bietet auch nicht so viel freie Interaktion, aber sie besitzt dafür eine ansehnliche Themenvielfalt, gewährt einen größeren Handlungsspielraum beim Auswahl der Karten und ist mit ihrem streng geordneten Spielablauf deutlich gereifter. (Oder für reifere Semester geeignet.)
Fragen über die Schweiz sind urig, über China sind sie immer schwierig. Loredana erinnerte sich noch genau, wann in Bukarest die Straßen asphaltiert wurden: Es war deutlich nach der Erfindung des Honigs, aber noch vor der Butter.
Der Altertumskünstler Peter war nahe am Sieg, doch dann konnte ihm Moritz noch rechtzeitig ein paar Strafkarten reinwürgen. Aaron wurde Sieger, er hat ja auch Geographie studiert. Oder paßt das besser für Buxtehude? Jedenfalls konnte er ohne Zögern auch noch die Zusatzfrage beantworten: Er wußte auf Anhieb, wann in Holland ein Ulmen-Sterben stattgefunden hatte.
4. “6 nimmt”
Thomas brachte wieder seine Uralt-These vor, daß man “6 nimmt” nicht berechnen kann, sondern mit dem gleichen Erfolg auch blind seine Ausspielkarten ziehen kann. In einer 7er-Runde mag er nicht ganz verkehrt liegen. Richtig liegt er auf keinen Fall. Aber das muß noch bewiesen werden.
Nach dem ersten Spiel machte sich das frischgebackene Ehepaar auf den Weg. Peter hatte den gesamten Abend bis zur vorletzten U-Bahn ohne Pelzmantel durchgestanden. Wenn es ihn auch ein bißchen gefroren hatte, so konnte er diesen Temperaturtiefpunkt zuhause mit Hilfe seiner anvertrauten Wärmeflasche gleich wieder überwinden.
Das Rest-Quintett zog sich noch ein weiteres “6-nimmt” hinein. Eine 5er-Runde ist deutlich überschaubarer, doch lassen sich auch hier die sporadischen “Shit-happens-Situationen” nicht vermeiden.
Bilanz: Feierlich war’s, lustig war’s, eine würdige Hochzeits-Nachfeier in einem Freundeskreis von Spielern war’s. Doch das Peter-Prinzip hat auch seine Berechtigung. Wenn es nicht gerade um geselliges Beisammensein geht, dann ist die spielerische Substanz in einer kleinen 4-5er Runde meßbar größer. Diesmal spielte das glücklicherweise aber überhaupt keine Rolle.
30.07.2008: Liegt “Ausgerechnet Buxtehude” auf der “Peloponnes”?
Zum ersten Mal in diesem Jahr konnten wir den Spielabend draußen auf der Terrasse am Westpark abhalten. Ein laues Sommerlüftchen lockte ins Freie und das Wetterleuchten in ungefährdender Entfernung bot die ideale Hintergrundkulisse.
Auch ohne seinen Pelzmantel hätte Peter problemlos die Stunden bis Mitternacht ausgehalten. Allerdings hatte er sich in noch wärmere Gefilde zurückgezogen. Wie heiß es zwischen Europa und Afrika wirklich hergegangen ist, wird er uns das nächste Mal persönlich erzählen. Wenn es nicht mehr jugendfrei ist, wird schlupp! die Sache zugemacht!
1. “Peloponnes”
Bernd Eisenstein (“Maya”) arbeitet an einem neuen Spiel, das er bis Essen 2009 herausbringen will. Uns hat er jetzt einen Prototypen zum Ausprobieren geschickt. Es ist ein anspruchsvolles Spiel, das gerade in Vielspieler-Reihen gut ankommen sollte.
Walter hatte sich in die Spielregeln eingearbeitet. Allein deshalb durfte er heute die Regeln erklären. Sein didaktisches Geschick wird ja sonst nur außerhalb der eigenen vier Wände anerkannt. Im eigenen Lande gilt der Prophet nix. Kritisch wurde jedes Regeldetail abgeklopft. Schon mitten in seinem Vortrag wanderte die Spielregel von Hand zu Hand, um zu verifizieren, was er da mit sicheren, klaren Sätzen zum Besten gab. Niemals wurden schon im Vorfeld die möglichen Gewinnstrategien so ausgiebig diskutiert wie heute. Eigentlich wünsche ich mir solche Einleitungen bei allen neuen Spielen, aber offensichtlich kann das nur für Prototypen gehandhabt werden, weil dann jeder noch heimlich dem Autor etwas am Zeug flicken zu können vermeint. Doch “Peloponnes” hat schon einen sehr ausgereiften Zustand, die Mechanismen sind gut aufeinander abgestimmt und das Regelwerk ist bereits wasserdicht formuliert. Wenn wir bei der Erarbeitung von “1830” genauso gründlich vorgegangen wären, dann hätten wir wahrscheinlich einen ganzen Abend opfern müssen, um die Entfaltung der Gesellschaften und ihrer Strecken entsprechend ausführlich darzulegen. Bei “Peloponnes” waren wir in einer guten Stunde durch.
Die Spieler repräsentieren archaische Zivilisationen auf der griechischen Halbinsel und müssen ihren Marktwert gegen die unvermeidlichen Naturkatastrophen vorwärts bringen. Es geht um Rohstoffe, Geld und Bevölkerung. Die einzelnen Vorwärtsschritte erfolgen mittels offen ausliegender Plättchen, die von den Spielern ersteigert werden. Auktionen sind ja grundsätzlich kein neuartiges Spielelement, hier aber erhalten sie einiges pfiffige Beiwerk. Warum sollte man für ein Objekt mehr bieten als unbedingt notwendig? In “Peloponnes” gibt es gewichtige Gründe dafür. Nicht nur denjenigen, daß der Bieter mit dem höchsten Gebot als erstes ziehen darf! Aaron fluchte in den ersten Runden auch noch aus einem anderen Grund und nannte in regelmäßigen Abständen alle seine Mitspieler reihum mit dem bekannten Wort aus 4 oder 5 Buchstaben! Ich habe mich extra vergewissert, daß mich meine Ohren nicht getäuscht haben und daß ich es hier protokollieren darf:”X [X = “Günther” | “Hans” | “Walter”, Du bist ein Arsch!” kam bei jeder Bietaktion über seine Lippen, weil er seine reichlich vorhandenen Kröten geizig im Beutel verwahrte hatte, statt sich gemäß dem Prinzip “keep fully invested” bei den Objekten seiner Begierde zu engagieren. Doch mit diesen selbst im Bayernland anfechtbaren Ausdruck war unsere Stimmung keinesfalls gekennzeichnet. Günther flocht hier seine Lebenserfahrung ein: “Einer ist immer der Arsch!”
Die in zufälligen, aber kalkulierbaren Abständen hereinbrechenden Katastrophen lösten natürlich keine überschäumenden Begeisterungsstürme aus. Doch auf der Peloponnes lernt man hier schnell den Sokratesschen Gleichmut zu bewahren. Und als Günther verzweifelt fragte: „Wie werde ich meine Leute los“, tröstete ihn Hans mit der Hoffnung auf die Pest. Am Ende fühlte sich jeder im Katastrophenchaos erst richtig wohl.
Dafür gab es Heulen und Zähneklappern, als einige Spieler schon vor den letzten Runden ihr Geld leichtfertig verpulvert hatten und nun mit neidischen Gesichtern auf ihre potenten Mitspieler schielen mußten, die ihre Sparstrümpfe jetzt erst öffneten und sich die letzten dicken Fische aus dem Landschaftsgarten herausangelten. Kein Wunder, daß der knauserige Culus-Creator schließlich als Sieger hervorging. Die anderen wußten alle nur zu erklären, warum sie NICHT gewonnen hatten.
100 Minuten dauerte unser Spiel, aber nur weil wir jeden Zug ausgiebig kommentierten und uns immer mal wieder über das zutreffende Regelverständnis zusammenraufen mußten. Aber eigentlich muß diese Begleiterscheinung auf der Habenseite verbucht werden. Man kann ein Spiel sicherlich auch in der Hälfte der Zeit über die Runden bringen, aber warum? Jede Minute war kurzweilig und hinterher diskutierten wir noch eine weitere Stunde lang relativ kontrovers über die Verteilung von Können, Glück, Chaos und Planbarkeit auf der Peloponnes. Am schärfsten plädierte Aaron für die Unwägbarkeiten zum Sieg. Als ob er wieder verdrängen wollte, warum er gewonnen hatte.
Beim nächsten Mal werden wir uns am Anfang ganz fest um die besten Einnahme-Quellen schlagen und erst in den letzten 3 Runden auf Bevölkerungswachstum ausgehen. Das, was dazwischen passiert, die Zuwächse an Rohstoffen und Luxusgütern überlassen wir dann mehr oder weniger der spielerischen Opportunität. Ein neuer Kampf um die Siegpunkte auf der Peloponnes wird in jedem Fall nochmals stattfinden.
WPG-Wertung: Das Spiel ist ja noch nicht fertig, aber in seiner jetzigen Fassung würde es zwischen 7 oder 8 WPG-Punkten angesiedelt werden.
2. “Ausgerechnete Buxtehude”
Ein Spiel nach den Prinzipien von “Anno Domini”: Anstatt die zeitliche Reihenfolge von Ereignissen der Weltgeschichte zu bestimmen oder zu erraten, müssen die Spieler die relative geographische Position von Städten in Deutschland richtig einordnen. Liegt Westerland jetzt südlicher oder nördlicher von Kiel? Wenn noch genügend Freiheiten gegeben sind, kann man es wenigstens westlicher davon einordnen. Oder wird das etwa bezweifelt?
Anzweifeln ist erlaubt und bringt oder kostet einen Siegpunkt. In zwei Zwischenwertungen und einer Endwertung kann man nochmals raten, wie viele auf den beiden geographischen Achsen ausliegenden Städte insgesamt falsch eingeordnet sind. Hier sind weitere Siegpunkte zu ergattern.
Kurz und bündig! Ein gelungener Absacker, der heute sogar unserem “Bluff” die letzten Minuten rauben konnte.
WPG-Wertung: Aaron: 7, Günther: 7, Hans: 7, Walter: 7
16.07.2008: “Latein für die Enkel”
Peter brachte Christoph mit, einen “hochintelligenten Ex-Siemensianer Mathematiker, zu dem ich bewundernd aufblicke”. Von Brettspielen noch unverdorben sollte er einen Eindruck in eine geile Brettspielrunde bekommen und sich beim Nach-Hause-Gehen fragen, “wie er solange ohne Brettspiele leben konnte”.
Die WPG-Löwen waren vorgewarnt; sie sollten vorsätzlich ihre Krallen einziehen und sich als Schmusekätzchen geben. Kein Problem, Löwen zerfleischen sich ja nur, wenn sie Hunger haben und allein unter sich sind.
Walter schlug zum Einstieg ein “Keltis” vor. Kurz und schmerzlos, und nach Wilhelms soeben dementierter Einschätzung gerade für Schmuse-Runden besonders geeignet. Doch der Vorschlag wurde gnadenlos abgeschmettert. Nicht demokratisch, sondern rein Petrokratisch, und die schweigende Mehrheit gab mal wieder das Zünglein an der Waage.
Dafür kamen Spiele zum Zug, die Peter extra für heute ausgewählt und mitgebracht hatte. Bewährte german-style Games, kurzweilig und spielerisch reizvoll.
1. “Ra”
Ein 1999 erschienenes Knizia-Spiel, das Peter nach vielen Jahren Enthaltsamkeit wieder der Brettspielerei zugeführt haben soll. Jetzt durfte er es erklären.
Reihum werden Plättchen aufgedeckt und auf dem Spielplan abgelegt. Wer meint, die Gelegenheit sei günstig, ruft sie alle zusammen zur Versteigerung auf. “Günstig” ist hier der entscheidende Begriff, darin liegt der ganze Spielreiz von “Ra”. Wenn man nicht viel zu bieten hat, löst man schon bei kleinsten Angeboten eine Versteigerung aus, in der Hoffnung, daß die dicken Fische nicht anbeißen. Wenn man potente Ersteigerungssubstanz besitzt, wartet man damit auf das große Glück.
Die ersteigerten Plättchen sind von verschiedenster Art und geben manigfaltige Vorteile. Es gibt kummulative Werte und selektive Werte, manchmal gibt es Strafpunkte, wenn man von einer Sorte kein einziges Plättchen ersteigert hat, manchmal bekommt man nur dann Siegpunkte, wenn man die meisten von einer Sorte hat. Ansonsten zählen die Plättchen linear in ihrer Anzahl und progressiv in ihrer Häufung.
Einige Plättchen sind “persistent”. So erklärte es der Altphilologe dem Mathematiker, schlicht ausgedrückt, sie zählen in jeder Wertung. Andere Plättchen sind “volatile” oder “fugiens” – diese Ausdrücke fanden wir zumindest im Latein-Lexikon. Auf deutsch: sie sind flüchtig und zählen nur für eine einzige Wertung. Der richtige Fachausdruck wird wohl “transient” sein, doch das offenbarte erst nachträglich die Suche bei “Wikipedia”.
Dreimal pro Spiel gibt es eine Siegpunkt-Ausschüttung, in der die Gesamt-Kollektion an erworbenen Plättchen prämiert wird. Wer nach der dritten Ausschüttung die meisten Siegpunkte auf dem Konto hat, hat gewonnen.
“Ra” ist rund und vielseitig. Die Gier nach Vorteilen und Siegpunkten geht in verschiedenste Richtungen. In einer gemischten Anfänger-Experten-Runde bietet es den Vorteil, daß alles offen ist und man jeden Zug erklären und plausibilisieren kann, ohne damit wesentlich zum Nachteil anderer Mitspieler zu argumentieren.
Christoph kam gut mit, aber er betrachtete das Spiel doch eher mit den Augen seiner real existierenden Enkel. Da ahnt er Probleme, das Regelwerk mit den komplexen Wertungstabellen rüber zu bringen. Verständlich, wenn man nicht selbst schon Hunderte von Spielregeln geschultert hat.
WPG-Wertung: Peter blieb bei seinen 8 Punkten, Loredana steuerte bisher nicht notierte 10 dazu, Walter erhöhte seine Note von 8 auf 9. Christoph’s “indifferenten” 5 Punkte waren außer Konkurrenz.
2. “Trans Europa”
Ein einfaches, flüssiges Spiel um den Gleisbau zu ausgewählten Städten in Europa. Christoph war begeistert: Er sieht Chancen für eine sofortige Umsetzbarkeit bei seinen Enkeln.
Keine neue WPG-Wertung.
3. “Zoff im Zoo”
Ein weiteres Lieblingsspiel von Peter, das er erst kürzlich als Absacker-Alternative am Westpark deponiert hat. Wir suchten seine Gabe längere Zeit erst vergeblich unter einem unüberblickbaren Haufen von Notizen und leeren Gummibärchen-Tüten auf Walter’s Schreibtisch. Dann fand sie Loredana im Stapel der “recent” Games. (Wie sagt man hier zu “recent” auf Deutsch?)
Selbst für einen Skatspieler wie Christoph ist das Stichprinzip bei “Zoff” immer noch eine Herausforderung. Freiwilliges Passen, Erhöhen mit bessern Werten oder mit längeren Werten, dazu das zyklische Stich-Potential (Fuchs sticht Maus, Elefant sticht Fuchs, Maus sticht Elefant) erfordern ein erhebliches Umdenken gegenüber den braven Herz-Bube-Kreuz-Dame-Betrachtungen eines normalen französischen Kartenspiels. Ganz zu schweigen von der Mücke, aus der man auch noch einen Elefanten machen kann.
Peter stellte fest: “Ein faszinierendes Spiel, weil die Zusammenhänge nicht so klar sind!”. Normalerweise gilt für Spiele mit “to-have-a-plan”-Charakter eher das Gegenteil, doch hier hat er recht. Und zweifellos kann man “Zoff im Zoo” planen!
Keine neue WPG-Wertung für ein Spiel, für das Loredana die Höchstnote von 10 Punkten vergibt.
4. “Bluff”
Peter war weichgeklopft und hätte jetzt sogar auch noch ein “Keltis” geschluckt, wenn die Zeit nicht schon soweit fortgeschritten gewesen wäre. Die vorletzte U-Bahn erlaubte gerade noch ein kurzes Vorstellen von “Bluff”.
Christoph hat unsere tausendfältigen Diskussionen um Vorgaben und Endspiel, um Immer-4- und Immer-5-Strategie natürlich nicht mitbekommen, insofern kämpfte er noch mit den Prinzipien von Anzweifeln oder Erhöhen. Dazu heißt das Spiel ja “Bluff” und nicht “Calc”. Die Mechanismen mit dem roten und den gelben Würfeln, mit den Unstetigkeitsstellen an der Stern-Positionen und mit den genauen bzw. den Mindest-Anforderungen kosteten das Noagerl im Maß seiner freien Kapazität. Nachdem diesmal auch Loredana nicht das rechte Maß zwischen Glauben und Nicht-Glauben gefunden hatte, teilten sich Peter und Walter die Lorbeeren.
Keine neue WPG-Wertung für ein Superspiel.
9.07.2008: “Keltis” mit “Brass”
Aaron kam direkt von einem Kurs für “Model Driven Soltware Design” (MDSD) aus Nürnberg. Er verriet allerdings nicht, wie die Models aussahen, die ihn in seinem Software-Design vorwärts gebracht haben. Günther stellte sich hier so etwas wie Extrem Pair Programming (XP / XPP) vor, d.h. der eine denkt, der andere pixelt. Doch auch er rückte nicht mit der Sprache heraus, als er gefragt wurde, was er mit “pixeln” meinte. Bei den Gartenzwergen im Gartenhäuschen war das alles viel klarer.
1. “Keltis”
Aaron schlug vor, daß wir uns die Spielregeln mittels MDSD erarbeiten sollten, doch bei nur 1 1/2 Seiten Spielregeln ist die Methode wohl etwas oversized.
Zunächst mal vermißten wir die Spielfarben gelb (für Günther), rot (für Walter) und blau (für Aaron), dafür war grau (für unsere Mäuschen) und schwarz (für Peter) vorhanden. Leider waren weder Peter noch Maus da. Und für welchen Spieler braun angemessen wäre, das hat unser Zensor schon wieder weggeschnitten.
Günther führte uns durch die Spielregeln und erklärte, wofür es alles “Siechpunkte” gibt. Die Spieler ziehen Karten, die es ihnen erlauben, ihre Spielsteine auf bis zu fünf verschiedenen Bahnen vorwärts zu bringen. Die Karten müssen in einer monotonen Reihenfolge ausgespielt werden.
Für einen Mathematiker läßt das simple “monoton” eine Menge Varianten offen: die Reihenfolge muß nicht streng monoton sein, sie muß nicht stetig sein, und sie muß nicht aufsteigend sein, aber man darf eine einmal gewählte Zahlenreihenfolge unterwegs nicht umkehren. Nicht-monotone Karten sind für die Katz und müssen ersatzlos abgeworfen werden. Alles klar?
Je weiter ein Spieler seine Spielsteine vorwärts bewegen kann, desto mehr Siechpunkte gibt es. Unterwegs liegen auf der Strecke sogenannte “Wegekärtchen”, die das Vorwärtskommen natürlich noch lustiger machen. Siechpunkt-Plättchen liefern direkt Siechpunkte, Wunschsteine bringen in der Kumulation Siechpunkte und Kleeblätter erlauben ein zusätzliches Vorwärtsziehen. “Man kann hier ja taktieren” meinte ein Skeptiker, “das Spiel ist besser als sein Ruf”.
Aaron wurde von seinem sprichwörtlichen Würfelunglück getroffen. Doch da es in “Keltis” keine Würfel gibt, mußte Fortuna ihm eigens eine Hand voll “Scheißkarten” austeilen. Zum Glück brauchte er sich nur 10 Minuten in seinem Pech grämen, da ist ein Spiel schon vorbei. Wer die passenden Karten gezogen hat, ist glücklich und zufrieden. Wer die falschen Karten gezogen hat, ruft sofort: “Wir spielen das aber gleich nochmals, weil ich sehen will, ob ich nochmals so Scheißkarten ziehe oder ob
”
Natürlich ist es frustrierend, wenn man im Endspiel mit seiner vollen Kartenhand keine einzige monoton-passende Karte mehr spielen kann, das Spiel entsprechend auch nicht beenden kann und hilflos zusehen muß, wie die anderen Schritt für Schritt an einem vorbei ziehen.
Preliminary WPG-Wertung: Aaron: 5, Günther: 7, Hans: 4, Walter 7.
Beim zweiten Spiel wurde Walter gerade soeben noch das oben beschriebene frustrierende Endspiel erspart. Er blieb bei seiner guten Note; jede Frustrunde hätte dem Spiel einen Punkt gekostet. Aaron und Hans wurden in ihrer Notengebung rabiater. Das Spiel hat bei uns offensichtlich ein genauso kontroverses Meinungsbild hinterlassen wie seinerzeit “Zooloretto”, das es nach anfänglicher Kritik schließlich doch noch bis zu unserem “Spiel des Monats” gebracht hat. Wer weiß, welche WPG-Zukunft “Keltis” noch vor sich hat.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (nichts entscheidbar, man wird gespielt), Günther: 7 (gediegenes Material, schnell, locker, passend für Wilhelms Runden), Hans: 3 (vermißt Kartenmanagement), Walter 7 (Vorfreude auf die Enkel).
Walter schreibt eine Rezension.
2. “Brass”
Hierbei handelt es sich nicht um Blasmusik aus Tijuana oder um eine Stadt in Nigeria, sondern um schlichtes englisches Messing, das offensichtlich in den Typenschildern an den industriellen Frühwerken enthalten war.
Günther durfte uns als Experte wieder durch die diesmal 11 seitige Gebrauchsanleitung führen. Die erste halbe Stunde machte er es in lockerer Erzählweise nach eigener, nicht immer nachvollziehbarer Systematik, den Rest verteilte er auf die folgenden drei Stunden Spielzeit nach dem Motto “Teaching by doing”. Bei den nachgeschobenen Regelergänzungen wurde ihm ein gewisser Moritz’scher Nützlichkeits-Effekt unterstellt, den er entrüstet zurückwies. Wer weiß schon wirklich, was er alles auf den Tisch legte und bei welchem Detail er sich vornehm zurückhielt?
Es gibt eine Menge zu erklären. Eine ziemlich komplizierte Entwicklungsmaschinerie wird hier in Gang gesetzt. Die Spieler konkurrieren um die industrielle Entwicklung in Mittelengland, sie bauen Kohlegruben, errichten Ölförderpumpen, Baumwollfabriken, Hafenanlagen und Schiffe. Sie verbinden ihre Produktionsstätten entlang einer vorgegebenen Streckenführung mit Kanälen und Gleisen, um darauf Kohle und Eisen zu transportieren. Doch – im Gegensatz zu “1830” – bringt nicht der Transport Einnahmen und Siechpunkte, sondern nur Anzahl und Ausbau der Industrieanlagen.
Eine gut ausgebaute Strecken bringt am Ende natürlich auch ein paar Punkte, doch ihr wesentlicher Vorteil ist die Erweiterung der Freiheiten bei den weiteren Planungen der Spielzüge. Strecken dürfen von allen benutzt werden, unabhängig vom Erbauer, Produktionsanlagen können sich teilweise nur gemeinsam entwickeln. So enthält das Spiel bei allem Wirtschaftsegoismus doch auch ein erhebliches kooperatives Element.
Alles kostet Geld, das immer knapp ist, es sei denn man geht gleich zu Anfang in die Vollen und stopft sich die Taschen mit Krediten voll. Je früher man sie nimmt, desto weniger Verluste muß man dafür in Kauf nehmen. Unsere Standard-Devise “Keep fully invested” sollte hier besser heißen “Keep fully liquid”!
Für mich hat das Spiel keinen Fehler. Es ist voll planbar, wobei selbstverständlich das übliche Mehr-Spieler-Chaos eine eindeutige Gewinnstrategie verhindert. Diese Einschätzung bliebt nicht unwidersprochen. Aber was ist heutzutage schon eine allgemeingültige Wahrheit.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (preliminary, mit der gemachten Erfahrung nochmals spielen), Günther: 8 (hat schon drei mal gespielt), Hans: 8 (unser Denker mußte zu lange warten!) , Walter: 9 (voll planbar).
Das Spiel ist eine Rezension wert, doch allein die Spielregel abzuschreiben kostet schon 11 Seiten.
02.07.2008: Keltis, Messe und gute Spiele
Die Schlacht um das “Spiel des Jahres 2008” ist geschlagen. Traditionell sind manche (hallo Wilhelm, nicht alle!) Vielspielerkreise über das Ergebnis aufgebracht. Wir wollen uns diesmal mit Schelte zurückhalten.
“Keltis” hat gewonnen. Am Westpark hat es noch nicht aufgelegen. Moritz hatte ihm in seinem jüngsten Podcast die größten Chancen eingeräumt. Ein einfaches Familienspiel, “Stone Age” war dagegen viel zu überqualifiziert.
Laut Aaron muß man es mit hohem Risiko spielen, sonst ist es sinnlos. Günther kannte es als aufgepepptes “Lost City” schon von den Münchener Spuiratzn her und hat es sich angeschafft. Demnächst wird es wohl auch bei uns einmal gespielt werden.
In vier Tagen wird auch Moritz’ erste geistliche Komposition zum ersten Mal gespielt. Moritz kann nämlich nicht nur Fußball-Oratorien und Fußballetts schreiben, sondern auch eine richtige Messe für Vokalsextett, Chor und Orchester. Zum Weihefest der Münchener Michaelskirche wird sein Werk uraufgeführt. In der Fußgängerzone stehen schon dicke Plakate, die seine “Eggert-Messe” ankündigen: für den 6. Juli um 9 Uhr. Eintritt frei.
1. “Wie verhext!”
Vor zwei Monaten zum ersten Mal am Westpark gespielt, konnte es damals nur eine verhaltene Begeisterung auslösen. Inzwischen hat Aaron offensichtlich neue Eingebungen erhalten, mit deutlicher Euphorie schlug er es heute als Ouvertüre vor. Günther und Walter waren sofort bereit, dem Spiel eine neue Chance zu geben, schließlich hat es sich bis in die Endausscheidung zum “Spiel des Jahres” durchschlagen können. Peter und Loredana waren eher skeptisch, doch was können schon Elite-Denker gegen die unbegründeten Euphorien der Masse ausrichten.
Alle Spieler bekommen die gleichen 12 Karten und müssen für eine Spielrunde 5 Karten daraus auswählen. Der Startspieler spielt davon jeweils eine beliebige Karte aus. Alle nachfolgenden Spieler müssen die gleiche Karte zugeben, falls sie sie auch in ihrem 5er Stoß ausgewählt haben. Wer keine gleiche Karte ausgewählt hat, paßt und gibt überhaupt keine Karte zu.
Die letzte ausgespielte Karte gewinnt den “Stich”, alle anderen sind nutzlos vertan. Warmduscher, die gegen die gleiche Karte der Vordermänner gewonnen haben, dürfen allerdings auf den Sieg verzichten – aus Angst, daß ein weiterer Hintermann ihn noch wegschnappen könnte – und sich mit einem Teilsieg begnügen.
Wer den “Stich” gewonnen, darf entsprechend der ausgespielten Karte:
a) Zutaten sammeln
b) Gold einhandeln
c) den Mitspielern Karten oder Geld wegnehmen
d) mit Zutaten Zaubertränke herstellen
e) mit Zutaten Zaubersprüche erfüllen
Ist “Wie verhext!” jetzt ein Stich-Kartenspiel? Irgendwie schon, denn jeweils eine der ausgespielten Karten gewinnt. Allerdings sind die Freiheitsgrade beim Spielen äußerst gering. Die Freiheiten beim Auswählen der 5 Karten aus der Kartenhand von 12 Karten kann man sich lediglich einbilden, herrscht hier doch nur ein mehr oder weniger blinder Hols-der-Geier-Zufall. Der Freiheitsgrad des Startspielers beim Ausspielen der ersten Karte besteht im Wesentlichen ebenfalls nur aus Illusion. Man kann höchstenfalls versuchen, als Startspieler die am wenigsten brauchbare Karte loszuwerden, weil man damit ohnehin nur selten einen Blumenpott gewinnen wird. Das Zugeben zur ausgespielten Startspielerkarte enthält dann absolut keinen Freiheitsgrad mehr: entweder hat man die gleiche Karte in der Hand und muß sie zugeben, oder man hat sie nicht auf der Hand und muß passen.
Beim Zugeben kann man noch zwischen Warmduscher-Alternative oder Alles-oder-nichts-Haltung wählen. Reicht das schon für ein gelungenes Familienspiel? Ach, lassen wir die traditionelle Schelte an den SdJ-Entscheidungen sein. Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
Walter versuchte eine “gemischte” Strategie. Er wählte 1 bis 2 Karten aus, die er für sinnvoll hielt, die anderen 3-4 Karten zog er blind aus seiner gemischten Kartenhand dazu. Erfolgreich war das nicht, ganz im Gegenteil. Allerdings hatte er beim seinem Loser-Vorgehen auch mehrmals die Warmduscher-Variante übersehen, die bei seinen gestapelten Gold- und Zutaten-Vorräten durchaus angemessen gewesen wäre. Peter kommentierte: “Das ist die einzige strategische Entscheidung im Spiel, und die vermasselt er auch noch!” Aaron fügte prophylaktisch hinzu: “Das kreidest Du bitte dem Spiel nicht an!” Er hält “Wie verhext!” also immer noch für SdJ-auswahlwürdig.
Bei uns dauerte das Spiel weit über eine Stunde. Lag es vielleicht an Walter Mischen? Oder an Günthers konsequentem Denken. Selbst mit nur zwei Karten in der Hand grübelte er als Startspieler stundenlang, welche er jetzt davon zum besten geben sollte. Als wir die lange Spielzeit seinem maßlosen Überlegen zum Vorwurf machten, meinte er nur lakonisch: “Wir überlegen ja bei jedem Spiel”. Darf man hier fragen: “Wer”?
WPG-Wertung: Aaron: 5 (bleibt), Günther: 4 (bleibt), Loredana: 7 (hört, hört), Peter: 6, Walter: 5 (one down)
Diese zweite Erwähnung in einem Sessionreport der Westparker wird wohl unsere höchste Auszeichnung für “Wie verhext!” bleiben.
2. “Manila”
Eines der vielen Kandidaten, die Aaron mit seinem neu-implementierten Spiele-Finder für heute Abend herausgesucht hatte.
Die Spieler ersteigern den Hafenmeister und die besten Arbeitsplätze rund um die kaufmännische Seefahrt. Wer erfolgreich Waren transportiert, bekommt seinen Anteil am Warenerlös. Wer im Hafen die Löscharbeiten übernimmt, bekommt einen angemessenen Lohn. Wer liegengebliebene Schiffe in der Werft repariert, wird dort bezahlt. Weiterhin kann man sich als Versicherungsagent oder als Pirat beteiligen. Alles kann Gewinn einbringen, und wie im richtigen Leben gilt hier: je solider die Arbeit, desto geringer der Lohn.
Bei uns kostete der Hafenmeister wie immer zwischen 25 und 35 Gulden. Ist er das wert? Sicherlich ist der Hafenmeister umso wertvoller, je häufiger man ihn ersteigert. Am besten ist es, wenn man ihn JEDES MAL ersteigert und somit als einziger Warenkarten erwirbt und zum Höchstpreis bringt. Kann man aber JEDES MAL den Hafenmeister ersteigern?
Meine Behauptung, daß das ginge, steht auf wackligen Füßen. Als Hafenmeister hat man zwar bei allen Postenbesetzungen die erste Wahl und sollte dementsprechend den größten Gewinn machen. Weiterhin kann man auch als einziger für 5 Gulden eine Warenkarte kaufen und dafür einen 12-Gulden-Kredit aufnehmen, man gewinnt also um 7 Gulden mehr Liquidität als seine Mitspieler. Doch wenn der Hafenmeister mehr kostet als der Liquiditätsgewinn plus den Vorteil, den man vielleicht über die Priorität beim Postenschacher bekommt, dann hat man hinterher weniger Barmittel als die Konkurrenz. Wehret den Anfängen, heißt es also auch hier!
Ein wunderschönes Spiel mit viel Interaktion und vielen hübschen Spielideen. Keinesfalls zu kompliziert und ein Quell der Freude für jede normale Spielerfamilie. Es hätte in seinem Erscheinungsjahr die Auszeichnung zum Spiel des Jahres gewiß verdient gehabt. Doch es hat es nicht einmal bis in die Auswahlliste gebracht. Immerhin wurde es von der Menge der Spielbegeisterten im Jahr 2005 mit dem 3. Platz beim Deutschen Spielepreis geehrt.
“Das ist ein German Game, bei dem ich stolz bin, ein Deutscher zu sein!” sagte heute einer unserer Westparker. Allerdings ist er patriotisch so zart besaitet, daß er in der Öffentlichkeit die Autorenschaft für diesen markigen Spielersatz nicht übernehmen will. Ohne eine Sekunde zu zögern sprang hier deshalb seine rumänische Lebensgefährtin für ihn ein.
WPG-Wertung: Peter und Loredana blieben mit je 8 Punkten im oberen Wertungsfeld.
3. “Trans Europa”
Ebenfalls ein konstruktives, lockeres Familienspiel, das seinerzeit einen Platz in den Siegerlisten zum Spiel des Jahres verdient hätte. Wenn Jury und Auswahlkriterien
– ach, lassen wir das.
Peter bekannte, daß er das Spiel schon oft gespielt, aber noch nie gewonnen habe. Aaron schlug deshalb vor, Peter heute gewinnen zu lassen. Peter bat, das solle dann bitte nicht allzu offensichtlich geschehen. Ist das denn möglich?
Aaron baute ganz unmotiviert eine Strecke zu Peters Bukarest und Peter konnte einen Rundensieg für sich reklamieren, ohne überhaupt das letzte Gleisstück legen zu müssen. Am Ende standen sie beide zusammen auf dem obersten Siegertreppchen. Wenn das keine göttliche Fügung war!
Keine neue WPG-Wertung für ein mit 7,6 Punkten gehandeltes Spiel
25.06.2008: Preußen gegen Deutschland und die Türkei
Thomas der Jüngere ist wieder in unsere Reihen zurückgekehrt. Lange Zeit hat er sich an den prallen Brüsten der nährenden Mutter festgesogen, jetzt muß er selber Milch geben, und das kostet offensichtlich weniger Zeit und Energie als das Einsaugen. Er findet wieder Muße zum Spielen.
Die Halbfinal-Begegnung zwischen Deutschland und der Türkei hatte unsere Reihen gelichtet und so kam der Rückkehrer gerade richtig, einen neuen Kampfabend mit “Friedrich” zu komplettieren.
1. “Friedrich”
Thomas kannte das Spiel noch nicht, hatte sich aber schon im Internet mit den verschiedenen Rezensionen und Kommentaren beschäftigt. Er wußte sogar, daß in den letzten beiden Jahren jeweils Friedrich-Weltmeisterschaften ausgetragen worden waren, und daß dabei jedesmal die Preußen gewonnen hatten.
Aaron durfte diesmal die Preußen spielen. In meinen Augen ist es ein “dürfen”, denn der Preußenspieler hat das ganze Spiel über die größten Spielanteile. Hinterher war Aaron damit gar nicht so glücklich geworden, denn die preußischen Gegner haben alle ein klares Kriegsziel vor Augen, dem man Schritt für Schritt näher kommen kann, die Preußen können nur lavieren und taktieren, um bei allen anderen das Erreichen des Kriegszieles zu verhindern. Eine deutlich weniger klare Aufgabenstellung.
Walter übernahm die Österreicher, immerhin die zweitstärkste Militärmacht und Thomas bekam das Ränder-Trio Frankreich, Rußland und Schweden.
Als alter Kriegsspieler trieb Thomas seine russischen Generäle gleich an alle Fronten. Nach zwei, drei Runden tummelten sie sich schon bei den blonden Schwedinnen. Doch ihre ureigenste Hausaufgabe hatten sie nicht gelöst: die preußischen Stellungen im äußersten Nordosten hatten sie nicht eingenommen. General Lehwaldt konnte hier die preußischen Städte über viele Runden hin halten, verteidigen oder zurückerobern. Mit einem einzigen General war die gesamte preußische Ostfront stabilisiert. Als Klose das 2:1 für die Deutschen köpfelte, verlor Rußland bei Stettin gerade eine ganze Schlacht und drei Armeen. Die russischen Generäle, die in Schweden das süße Leben kennengelernt hatten, kehrten nicht mehr lebend auf die Schlachtfelder zurück.
Aaron zog die Hannoveraner zurück bis an Nord- und Ostsee und setzte gegen die Franzosen lieber seine mächtigen Preußen ein. Ein guter Schachzug; damit gewann er weitaus mehr Flexibilität an der Westfront und konnte dosiert auf den französischen Vormarsch reagieren. Die a priori schwach ausgestatteten Hannoveraner hatten ihrerseits keine Schwierigkeiten die ebenfalls schwachen Schweden im Zaum zu halten. Die Schweden verloren auch als erste die Lust an weiteren Kampfhandlungen. Ziemlich zeitgleich mit Lahm’s wunderschönem Siegestreffer zogen sie sich vollständig aus dem Schlachtengetümmel zurück.
Walter hatte seine Österreicher sehr zurückhaltend eingesetzt. Sollte das Abwarten für die Alliierten nicht von Vorteil sein? Die Preußen ziehen neun Kampfkarten pro Runde, die Alliierten dagegen elf, also zwei mehr. Das muß das Zünglein an der Waage auf Dauer doch zugunsten der Alliierten ausschlagen lassen. Preußens Taktik muß es doch sein, durch kurze, gezielte, überlegene Scharmützel die Kampfkraft der Gegner zu schwächen. Oder täusche ich mich da? Wir haben dieses Hypothese bis zum Spielende kontrovers diskutiert.
Thomas ließ nicht nur als Russe die Ostpreußen überleben, er ließ sich als Franzose auch viel zu lange von den Hannoveranern in die Suppe spucken. Cumberland und Ferdinand von Braunschweig ritten immer noch lustig über die Lüneburger Heide, als Ballack und Schweinsteiger schon längst wieder frisch gewaschen und gestriegelt aus der Kabine kamen. Vielleicht lag das allerdings auch an Aaron’s vorzüglichem preußisch-hannoveraner Rochieren.
Aaron ließ auch die beiden preußischen Generäle Keith und Seydlitz nahezu bewegungslos als drohende Wacht an der Neiße zurück, und Walter fand mit seinen Österreichern lange kein Mittel, die notwendigen Städteeroberungen in Oberschlesien anzugehen. Das Schicksal hatte ihm zu viele Herzkarten und zu wenig Kreuzkarten in die Hand gegeben. Schließlich vereinigte er die 24 Armeen von drei Generälen zu einem einzigen Armeecorps und versuchte mit einer längerfristigen Ermüdungsschlacht die Preußen zu vertreiben. Doch dann verlor er die Geduld, setzte alles auf eine Karte und focht in einer Schlacht den Kreuzkampf bis zur bitteren Neige aus. Wie im richtigen Leuthen zogen die Österreicher trotz materieller Überlegenheit den Kürzeren. Ihre 24 Armeen wurde bis fast in die Ukrainischen Steppen vertrieben; sie fanden keinen Anschluß mehr an ihren Troß und mußten elendiglich verhungern.
Inzwischen hatte Beckenbauer die ZDF-Rabauken Kerner, Klop und Meier mit Lob überschüttet und die Lichter auf der Bregenzer Seebühne waren ausgegangen. Österreich hatte sich praktisch verabschiedet, die Entscheidung konnte nur noch zwischen Franzosen, Rheinarmee und Preußen fallen. Es war abzusehen, daß dies noch ein langes, zähes Ringen werden konnte. Unser Maxvorstädter wäre schon seit 2 Stunden mit der letzten U-Bahn nach Hause gefahren. Aaron räumte freiwillig Magdeburg und Halberstadt, um den Franzosen den Weg in die letzten beiden Siegstädte zu öffnen. Doch Thomas wollte sich nicht so einfach zum Sieger küren lassen. Wir brachen ab.
Fünf Stunden Kriegsspiel, fünf Stunden hartes Ringen, aber zugleich fünf Stunden spannendes Spiel um Geschichte und Geschichten war zu Ende.
Thomas drückte die WPG-Wertung durch vorläufige 7-Punkte um einen zehntel Punkt nach unten.
17.06.2008: Senjische Samurais auf Bacchusschen Banquet
Aaron hat mal wieder an unserer Homepage-Oberfläche herumgebastelt. Jetzt kann man darauf Spiele für eine x-beliebige Spielerzahl suchen und gleichzeitig dabei noch die Auswahl danach sortieren, wie einem (oder beliebig vielen) Mitspielern der Westpark-Gamers das Spiel gefallen hat.
Geschlagene 57 Mails haben wir in den letzten drei Tagen hin und her geschickt, um den letzten Schliff an der Oberfläche anzubringen. Allein die Frage, ob man nur für eine feste Mitspieleranzahl oder aber auch für einen variablen Bereich von Mitspielern die Spielliste abfragen können soll, hat die verschiedenen Ansichten ganz schön aufeinanderprallen lassen. Und was soll z.B. bei “4-5” Spielern ausgegeben werden? Spiele, die man AUCH mit 6 oder mehr Spielern spielen kann UND Spiele, die man nur für maximal 4 Spielern gehen? Frage über Fragen und Lösung über Lösungen. Noch herrscht kein einheitliches Meinungsbild, aber Aaron wird’s schon richten.
Um bei der Ausgabe der Spiele mehr über den Charakter eines Spiels zu erfahren, muß man nur wissen, welche Vorlieben wir WPG-Kritiker haben, und schon erhält man für jede Spielerzahl gleich eine ganze Latte von Spielen, die der gewünschten Eigenschaft entsprechen sollten.
Das Problem dabei ist natürlich, daß die Außenwelt unsere Vorlieben nicht so genau kennt und mit der Aussage, daß z.B. Moritz einem bestimmten Spiel außerordentlich gute Noten vergeben hat, nicht viel anfangen kann. (Bei Moritz sowieso nicht!)
Hier mal, ohne Gewähr, ein erster Versuch, unseren Vorlieben zu klassifizieren:
Aaron mag Spiele, “über die man spricht”.
Andrea mag Chaos- und Nightmare-Spiele.
Günther mag Spiele, die man SPIELT.
Hans mag Spiele, die man denkt.
Walter mag Spiele, die man plant.
Peter mag Diplomatiespiele.
Loredana mag alle Spiele ihres Peters.
Moritz mag Würfelkampfspiele mit Hintergrund.
Natürlich sind nicht alle Spiele der Welt in unserer Datenbank enthalten, sondern nur solche, die wir selber bewertet haben. Immerhin sind das nach heutiger Zählung schon 500 Stück!
Wenn “ihr” also z.B. wissen wollt, welches Spiel sowohl dem Würflkampf-Charakter als auch einem Strategie-Charakter am nahesten kommt, dann landet ihr bei
jawohl “Junta”. Wenn ihr den Normalo-Kern Aaron, Günther und Walter nach ihrem Lieblingsspiel abklopft, dann landet ihr
na klar, bei unserem historischen Untertitel: “1830”. And more.
Moritz hat der Euphorie über dieses unser Angebot gerade einen Dämpfer versetzt. Bei Boardgame-Geek gibt es schon lange eine Oberfläche, über die man sich Spiele nach den verschiedensten Selektionskriterien herausfiltern kann. Hundert mal mehr Kriterien als bei uns, und das für zwanzig mal mehr Spiele.
Für uns selbst bleibt bei unserer Lösung gegenüber Boardgame-Geek nur der Vorteil:
1) Kennen wir die Spiele
2) Haben wir sie im Keller oder unter dem Sofa griffbereit.
Wie es hier die Non-Westparker halten, das darf zum Glück jeder für sich entscheiden.
1. “Senji”
Für Moritz war es neu, Günther biß in den sauren Apfel, Aaron und Walter wollten dem Spiel noch eine zweite Chance geben, Mit ungewöhnlich intelligenten und sensiblen Strategieabsprachen, mit wohldosiertem Militarismus wollten sie prüfen, ob das Spiel noch zu retten wäre.
Unserem Warrior Moritz konnte Aaron binnen 10 Minuten die Regeln erklären. Moritz vermißte gleich ein paar neutrale Aufmarschgebiete, damit die Kriegshandlungen nicht gleich so unvermittelt losbrechen konnten und man auch noch Chancen für Drohgebärden hatte. Gab es nicht! Alles geht ansatzlos in den Krieg über.
Moritz behielt sich in der Startaufstellung einen Samurai, der ihm erlaubte, mit einen beliebigen Spieler verdeckt eine Handelskarte zu tauschen. “To exchange” heißt es in der Spielregel. Heißt das jetzt “blind ziehen” oder “sehend austauschen”. Moritz war natürlich für die zweite Interpretation, doch Aaron verteidigte vehement Bruno Cathalas “gutes Englisch”, es muß “blind” heißen. Moritz durfte seinen Start-Samurai nochmals gegen einen besseren umtauschen.
Walter suchte zu Beginn in Moritz einen bekanntermaßen erfahrenen Kampfgenossen, doch der zögerte noch. Im Gegensatz zu Günther, der unverzüglich auf das Angebot einging. Sie teilten gegenseitig Geiseln aus, um ihr Militärbündnis zu unterstreichen, und gaben sich noch zusätzlich jeweils fünf blinde Diplomatenkarten, mit denen sie sich pro Runde fünf Siegpunkte zuschustern konnten. Fragwürdiges Spieldesign!
Walter spielte trotz verbalem Säbelrassen absolut friedlich. Er erwarb sich ausschließlich punkteträchtige Handelskarten, während Günther die vermutete Aufrüstung betrieb. Moritz und Aaron war eigentlich die Lämmerrolle zugedacht, doch das war die Rechnung ohne der Wirt gemacht. Sie wollten sich keinesfalls abschlachten lassen und rüsteten ebenfalls ganz gezielt auf. Und als Walter in der zweiten Runde immer noch ausschließlich auf Handelskarten spekulierte, fiel Moritz in gewohnter Krieger-Routine über ihn her und murkste ihn samt Kind und Kegel ab.
Das war für ihn ein entscheidender Vorteil. Er suchte mit seiner gewachsenen Potenz auch gleich neue Partner. Aber Günther ließ ihn konsequent abblitzen. Moritz war konsterniert: “Aber hallo, wie spielt ihr denn das Spiel!” Unser 3-Punkte-Mäzen ließ sich nicht erweichen: “Das kann man gar nicht vernünftig spielen”!
Walter stand bereits mit dem Rücken zu Wand, als er seine Resttruppen in ein Scharmützel gegen Aaron warf. Der Würfel war ihm hold und er konnte glückliche 12 Siegpunkte einstreichen. Zusammen mit allen sonstwie noch zusammenkratzbaren Siegpunkten brachte er es auf 62 Stück und läutete damit die Endrunde ein.
Moritz zog noch an ihm vorbei und unterstrich damit sein Warrior-Talent. Seine frühe Eroberung hatte ihm geholfen, aber zum Planen und Ausführen dieses Vorgehens gehört halt doch auch ein Quentchen Erfahrung. Trotz seines Sieges qualifizierte er das Spiel als “komplett broken” ab. Die Quartett-Sammelkarten sind bekloppt und die Samurais haben Eigenschaften, die man nie nutzt. Das Spiel weiß nicht, was es ist, Fisch oder Fleisch, Handel oder Krieg. Am Ende gewinnt der Würfel oder das Kartenglück. Unsere einzige Hoffnung, eine funktionierende Diplomatiephase, löste sich in Nichts auf.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (2 Punkte weniger), Günther: 3 (konstant), Moritz: 2 (Sieger und Warrior!), Walter: 4 (konstant)
Walter hat schon eine Rezension geschrieben.
2. “Zug um Zug”
In einer Dreierrunde hatten wir es schon einmal angespielt, jetzt sollte es in einer Viererrunde seine Nageprobe bestehen.
Wie beim Brettspiel gibt es Eisenbahnkarten, die man sammelt, um damit ausgewählte Strecken abzudecken. Zu viert geht das Spiel über zwei Runden; nach der ersten Runde darf man seine Hand- und Steckenkarten behalten, muß aber die offene Kartenauslage und alle nicht genutzten Stapelkarten abgeben. Da muß man eine ganz andere Kartenpflege anwenden als in einer 3er Runde. Eine reichliche Kartenauslage zur Halbzeit ist rausgeschmissenes Kapital.
Wenn allerdings alle Spieler in der ersten Runde mit der Streckenumsetzung knausern, gibt es wenig Material für die zweite Runde und diese ist entsprechend schnell zu Ende. Dann bleibt jeder auf seiner Kartenhand sitzen.
Aaron gewann mit einem Riesenvorsprung und ließ verlauten, daß er “gut” gespielt habe. Walter bestritt das “gut”, er hätte das eher einem gewissen Zufallseffekt zuzuschreiben. Aaron konterte: “Dann lag das an euerer Dummheit.” Lassen wir es offen.
In jedem Fall bleibt festzuhalten, daß das große Brettspiel “Zug um Zug”, glänzendes Spiel des Jahres 2004, für seinen kleinen Bruder nicht viel Glanz übrig gelassen hat. Das entscheidende Element Spannung ist dahin und hat einem bißchen Chaos den Platz freigemacht. War unser Ergebnis vielleicht doch nur Aaron’s Glück?
WPG-Wertung: Aaron: 5, Günther: 5, Moritz: 6, Walter: 6
3. “Bacchus Banquet”
Die Spieler bekommen eine zufällige Rolle aus dem claudischen Kaiserhaus zugeteilt und müssen durch Fressen, Saufen, Singen und Morden je eine individuelle Siegbedingung erfüllen.
Auf einer offenen Auslage liegen sieben Karten mit Essen, Trinken, einem Dolch oder sonstige Utensilien, die einen Caligula, Cassius, Claudius oder Vespasian glücklich machen. Zum Spielablauf nimmt der Aktionsspieler drei der sieben Karten auf die Hand, behält verdeckt eine davon (Keep-Karte), schenkt verdeckt eine einem Mitspieler seiner Wahl (Gift-Karte) und wirft die dritte verdeckt auf den Ablagestapel (Discard-Karte).
Der beschenkte Mitspieler darf die Gift-Karte ohne anzusehen ablehnen und weitergeben. Wenn sie keiner haben will, muß sie der Startspieler wieder zurücknehmen. Jeder legt die erhaltenen Karten offen vor sich hin und hofft, so allmählich die benötigte Sammlung zusammen zu bekommen.
Für Essen und Trinken gibt es Minuspunkte und wer zuviel davon hat, stirbt und kommt mit Null-Besitztum als neuer Römer wieder ins Spiel.
Wer eine Gift-Karte angenommen hat, wird neuer Aktionsspieler. Die nicht involvierten Spieler schauen in die Röhre. Damit man aber nicht bis zum Schluß vom pulsierenden Leben ausgeschlossen bleibt, hat jeder noch eine Sonderkarte, mit der er das Gift zwangsweise an sich reißen oder sonstige Unberechenbarkeiten anstellen kann. Und wer mit seinem Kartenerwerb ganz in Rückstand gerät, darf sich auch regelrecht vordrängeln. Aber alles ein bißchen unbefriedigend. (Für mich.)
Ich war Vespasian und mußte für meinen Sieg fünf Tellergerichte verspeisen, ohne dabei zu platzen. Endlich mal als Aktionsspieler an der Reihe nahm ich ein 3er Essen, eine 2er Abnahmekarte und eine 6er Gift (Poison!)-Karte auf die Hand. Das Poison war zur Abschreckung, ich legte es auf den Ablagestapel und hoffte, auf meinen beiden Essenkarten sitzen zu bleiben und damit ohne Gewichtszunahme dem Ziel einen Schritt näher zu kommen. Am Ende vertauschte Moritz mit seiner Sondereigenschaft die Discard-Karte mit meiner Keep-Karte, ich bekam gar kein Essen sondern nur die 6 Poison-Punkte, die meinen ersten (oder zweiten) Tod bedeuteten. Dumm gelaufen? Nein, ganz normales Dödeln. Mehr liegt im BB nicht drin. Man muß nur dazu aufgelegt sein.
WPG-Wertung: Aaron: 6, Günther: 6, Moritz: 8, Walter: 3 (nix, to have a plan)
Moritz redete wegen der mageren Wertungsnote auf Walter ein wie ein Bauer auf seine kranke Kuh. Doch der ließ sich nicht umstimmen. Allgemeine Schlußfolgerung: Er hat es immer noch nicht verstanden. (Wer?)
4. “Bluff”
Walters einleitende Bemerkung “wenigstens ein gutes Spiel pro Abend” war schon ein bißchen provokativ.
Seit langem mal wieder gab es ein Endspiel von drei Spieler mit je einem Würfel. Moritz kickte sich mit einer 1 mal Fünf-Vorgabe selbst aus dem Rennen.
Jetzt ging unser Immer-5-Stratege Günther mit einer 1-mal-die-Vier-Vorgabe ins Rennen. Walter hatte eine Zwei und versuchte es mit 2 mal die Zwei. Natürlich vergeblich, denn Günther konnte dies mit seiner Vier unter dem Becher leicht anzweifeln.
Post mortem gab es von allen Seiten Vorschläge, was Walter hätte besser machen können: 1 mal die Fünf, 1 mal der Stern, 2 mal die Vier. Doch wenn selbst der Immer-5-Stratege mit 1-mal-die-Vier anfängt, dann muß das wohl eine Vorgabe sein, gegen die kein Kraut gewachsen ist.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
11.06.2008: Gewöhnliche Bestechlichkeit
Der heutige Viererabend war als Verifikation unserer ausgedehnten Diskussionen über die Wölfe und Schafe in “Senji” geplant, doch dann mußte Moritz kurzfristig seinen Milo hüten. Vielleicht wollte er auch nur in Ruhe die Griechen verlieren und die Türken gewinnen sehen, eine Szenerie, die bei uns selbst dann nicht so wichtig genommen wird, wenn die Deutschen am Ball sind.
Loredana & Peter sprangen trotz der Trieb’schen Lockangebote nach Milbertshofen unverzüglich ein und ergänzten das Rumpftrio zu einer Quintett. Aber nur unter der Voraussetzung, daß wir bewährte, gute Spiele spielen würden. Mindestens eines dieser Attribute trifft für “Senji” in unserem Kreis nicht zu.
Peter brachte vorsorglich eine passende Spielauswahl mit. Und damit es erst gar nicht zu einer Abstimmung über die zu spielenden Spiele kommt, brachte er als Bestechung dem Hausherrn gleich drei bemerkenswerte Geschenke mit:
1) eine Flasche seines Hausweins
2) einen geilen nicht-tropfenden Weinausgießer (eine Silberscheibe, die man halbwegs in den Flaschenhals hineinstopft)
3) ein “Zoff im Zoo”, das als weiteres Absackerspiel am Westpark stationiert bleiben soll.
Walter hatte schon ein besonderes Tröpfchen aus seinem Weinkeller vorbereitet: Einen Saint-Emilion Grand Cru, Jahrgang 2003. Etwas jung, aber er bekam natürlich den Vorrang vor dem Hauswein. (Keine Angst, wir sind keine Krösusse, dieser Wein ist gerade weltweit im Angebot.)
1. “Canyon”
Ein zehn Jahre altes Spiel, vom Abacus-Willi mit den besten Empfehlungen bei uns eingeführt. Erstaunlich, wie wenig man von der Spielregeln eines ehemaligen Favoriten behält. Es lag garantiert nicht am Wein, eher am Alter (nicht von dem des Weines). Der Wein machte uns eher enthemmt. Blitzschnell gerieten wir in eine Dödelstimmung, die auch vor Verbalinjurien nicht haltmachte. Peter übernahm die Regelwiederholung, und befahl Loredana das Mischen der Karten. Bei ihrer ersten Regelnachfrage kam gleich die harsche Aufforderung: “Misch Du mal weiter!”, von Aaron (!) ergänzt: “Halt’s Maul und misch weiter!”
Hinter der Mischerin Loredana erklärte sich Peter zum Startspieler. Walter hielt das für eine Moritz’sche Trickserei, doch Peter konnte schwarz auf weiß im Regelheft nachweisen, daß der Startspieler links vom Kartengeber sitzt. Günther wendete noch ein, daß Karten-Mischen und Karten-Verteilen nicht das gleiche bedeuten, doch das – und manches mehr – wurde als Günnikologie abgetan.
Jeder Spieler bekommt wie beim Tarock eine bestimmte Anzahl von Karten und muß schätzen, wie viele stinknormale Stiche er damit macht. Pro gemachtem Stich darf man mit seinem Pöppel ein Feld in Richtung Ziel rücken. Zusätzlich noch ein paar Felder für das Raten der richtige Stich-Anzahl. Das Gute am Spiel ist, daß die letzten 20% der Zielstrecke ein deutlich schwierigeres Pflaster sind, und man demnach 80% der Spielzeit das richtige Schätzen und das optimale Umgehen mit den weiteren Spielelemente üben kann, bevor es ins Eingemachte geht.
Eine wirklich gelungene Expansion von “Canyon” sind die Indianer, die einem das Fortkommen auf der Zielstrecke erleichtern. Einer gewährt eine Toleranz beim Stiche-Raten, einer anderer erlaubt einmal das Nicht-Farbe-Bedienen, der dritte hilft Mitspieler zu überspringen und mit dem vierten kann man einen Mitspieler aus dem Weg schubsen. Der Schubser-Indianer heißt “Pushing Bull”. Nach einer Flasche St. Emilion fand jeder dafür eine andere Übersetzung. Alle die gleiche.
Peter kannte die richtigen Indianer-Prioritäten. “Bumsen ist besser als Springen”. Aaron meinte, das gelte erst ab einem gewissen Alter. (Vom St. Emilion?) Gibt es dazu keine glückliche Kombination? Bis zu einem gewissen Alter?
Als Peter gegen Aaron den Pusher in Anspruch nahm, entwickelte sich folgender Dialog: “Was machst Du denn da?” “Ich bumse Dich!” “Du Sau”. Ist hier noch offen, wer welchen Part gespielt hat? Es kam zumindest genauso lyrisch heraus wie die Florentiner Elegie von Oscar Wilde. Der passive Part konnte am Ende noch ergänzen: “Wenn der mich bumst, dann darf ich nachher noch einmal auf ihn drauf!” Wo er recht hat, hat er recht.
Walter hatte seine gewöhnlichen Schwierigkeiten mit dem Merken der Spielregeln. Wie geht die Zugreihenfolge, wer darf sich zuerst seinen Indianer auswählen, welche Bonusse werden wie fällig? Und dergleichen! Aaron blieb ganz geduldig! Ganz im Gegenteil zum aufbrausenden Moritz (“Das habe ich doch gerade vorhin erklärt!”) entschuldigte er Peters Vergeßlichkeit, die Regel zu erklären. Und sogar Peter sagte ganz sanft: “Erklär’ ihm BITTE die Regel!” Macht St. Emilion etwa lammfromm?
Es ging auf die zweite Flasche zu. Diesmal vom Jahrgang 2005. Walter benutzte zum Öffnen einen geilen Korkenzieher vom Juliusspital Würzburg. Aber er kam mit dem Mechanismus nicht zurecht. Aaron kannte sich da besser aus: “Entweder bist Du noch nicht richtig drin oder
”. Beide Alternativen waren jedermann genauso klar und vertraut wie der St. Emilioner Grand Cru. Peter übernahm das Szepter. “Ich bin ein großer Stecher!”. Was er damit andeuten wollte, blieb etwas undeutlich. Zumindest wurde kein Tropfen auf dem Tisch verschüttet, alles gelangte verlustfrei in unsere Kehlen. (Zum Weinausschütter siehe oben.)
Peter erinnerte Günther an seinen “Willi”, den er neulich Walter auf der Terrasse gezeigt hatte. Hallo Wilhelm, das bist Du! Ist allerdings schon einige Jährchen her. Abacus läßt grüßen!
Mit diesen Seitensprüngen verloren wir Aaron aus den Augen, der sich mit riesigem Vorsprung auf das schwierige Gelände vor dem Ziel begab. Doch anstatt ruhig und gelassen die letzten Meter zurückzulegen, fing er auf einmal an, mit Händen und Füßen alle Regelvarianten auszuloten und umzubiegen, die ihn noch ein paar Zentimeter näher zum Ziel bringen könnten. Er wollte unbedingt einen suboptimalen Zug machen um in eine optimale Position zu kommen. Peter verdonnerte ihn regelgerecht zum optimalen Zug, und Walter konnte diese Regelauslegung mit seinem phänomenalen Gedächtnis bestätigten. Doch Aaron setzte sich mit Gewalt suboptimal durch. Unisono quittierten alle sein Verhalten: “Aaron, Du machst uns den Moritz!”
Statt jetzt gegen den Winner zu kämpfen, miesnickelten die Loser untereinander. Peter wollte von Walter nicht gebumst werden und neutralisierte den Pusher. Bei einer unglücklichen Bumsrichtung hätte er sonst Letzter werden können. So wurde er nur Vorletzter. Welch eine Steigerung! Aaron kam unangefochten ohne einen einzigen Stich an Ziel.
Keine Veränderung zur bisherigen 7,4-Punkte-Wertung vom Westpark
Aaron und Moritz haben sich schon um Rezensionen verdient gemacht.
2. “Zoff im Zoo”
Das dritte Gastgeschenk von Peter heute an den Gastgeber. Ein lustiges Stichkartenspiel, logisch, chaotisch, lustig. Auch wenn man Tiere mit Tieren stechen muß, läuft alles ganz gesetzlich geregelt ab.
Aaron übernahm konsequent wie immer die Rolle des fünften Rads am Wagen und ließ sich deshalb nur ein eingeschränktes Frohlocken entlocken. Ohne Partner und ohne Hilfe fällt das Stechen natürlich sehr viel schwerer. Auch der Punkte-Bonus kann hier nicht über das Lust-Defizit hinweghelfen.
Keine Veränderung zur bisherigen 8,1-Punkte-Wertung vom Westpark
Walter hat schon zwei Session-Reports geschrieben.
3. “Bluff”
Bis zu Peters U-Bahn war noch über eine Stunde Zeit und lange wurde diskutiert, welcher Halbstünder da noch am besten hineinpaßte. Kein Spiel erhielt die erforderlich Mehrheit, nicht mal die Kandidaten aus der allerneuesten Auswahlliste zum Spiel-des-Jahre. Doch Bluff kann alle Kontroversen zu einem sympathischen Ende bringen.
Im ersten Endspiel Peter mit drei gegen Walters einen Würfel fing Peter mit der Immer-4-Strategie an. Walter hatte eine Fünf geworfen und hob auf 2 mal die Fünf. Für Peter mit seiner Eins, Zwei und Vier unter dem Becher war es leicht, hier anzuzweifeln.
Was wäre gewesen, wenn Walter auf 1 mal Fünf gesetzt hätte? Wie hätte Peter agieren müssen, um trotzdem noch mit mindestens 66 % Wahrscheinlichkeit zu gewinnen?
Im zweiten Endspiel Peter mit zwei gegen Walters einen Würfel fing Peter wieder mit der Immer-4-Strategie an. (Hi Günther, das ist doch zweifellos der beste Beginn, oder?!) Walter hob auf 2 mal Zwei. Er mußte zweifellos eine Zwei geworfen haben. Jetzt wendete Peter eine wichtige Technik an, die unbedingt zum erfolgreichen Bluff-Spiel gehört:
[glowred]Beim Bluff muß man auch dann denken, wenn es gar nicht nötig ist![/glowred]
Nach einigem Überlegen hob er auf 2 mal Fünf. Welchen Sinn macht das?
Beim Bridge-Spielen heißt es: In einer verzweifelten Lage muß man die fehlenden Karten beim Gegner genau so positionieren, wie man sie zur Erfüllung braucht. Was heißt das auf die hier gegebene Bluff-Situation?
Peter mußte mindestens eine Zwei haben, sonst hätte er Walters 2 mal Zwei angezweifelt. Peter mußte aber auch mindestens zwei Fünfen haben, sonst hätte er nicht auf 2 mal Fünf gehoben. Folglich mußte einer seiner beiden Würfel ein Stern sein.
Was muß Peters zweiter Würfel anzeigen, damit Walter den Kampf noch gewinnen kann? Nur post mortem konnte er diese Überlegungen erfolgreich zu Ende führen, die ihm den Sieg gebracht hätten. (Zumindest) Das unterscheidet ihn noch von einem richtigen Bridge-Nationalspieler.
Im dritten Endspiel standen sich Peter und Aaron mit zusammen 7 Würfeln gegenüber. In einem regelrechten Titanenkampf mußt sich Peter erst bei 6 mal die Fünf geschlagen geben. Dann fingen für beide die mageren Jahre an, in denen Peter den 1:4 Rückstand noch auf 1:2 verkürzen konnte. Jetzt wollte er den Stier bei den Hörnern packen und fing mit 1 mal Stern an. Aaron durchschaute die Lüge. Aus. Hi Peter, warum hast Du nur die Immer-4-Strategie verlassen!
Das vierte und letzte Endspiel konnte Peter ausnahmsweise nicht mehr erreichen. Im ersten Spiel verlor er gleich zu Beginn vier Würfel. Er hatte sich gerade von seinem Schreck erholt und find an, über seinen armen letzten Würfel zu lamentieren, da war er auch schon froh, nicht noch weitere vier Würfel zu besitzen. Er wäre sie ebenfalls alle auf einen Schlag losgeworden. Freudig hinterließ er dem Rest des Feldes Schulden von drei Würfeln und eilte beschwingten Fußes zur vorletzten U-Bahn.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
4. “Moritz und der Spieleverlag”
Lieber Peer Sylvester, die Geschichte mit Moritz und dem Auftrag zur Spiele-Erfindung ist wirklich keine Ente vom Westpark. Wenn Du Genaueres darüber erfahren willst, dann ruf doch bei ihm an. Oder warte noch die paar Jährchen, die eine professionelle Spiele-Entwicklung dauert. Unser Genie Moritz wird aber garantiert schneller damit fertig sein. Soviel ich aus seinen Andeutungen entnehmen kann, wird es ein echtes Kampfspiel (Historienspiel?) OHNE Kingmaker-Effekt sein. Das ist doch schon etwas ganz Außergewöhnliches, oder!
5. “Noch ein PS”
Hallo Peter, als Du fort warst, entdeckte Aaron, daß Dein Stuhl ganz naß geworden war. Kannst Du uns bitte schnell dafür eine Erklärung geben, noch bevor die Spielerwelt hierzu ins Grübeln gerät