1. “1824 – Österreich-Ungarn”
Eigentlich stand heute eine „1824 – Österreich-Ungarn“ auf dem Programm. Walter hatte in Liebe zur besten aller ungarischen Ehefrauen (hallo Birgit, gib nicht auf, da ist noch ein Titel frei!) letzte Woche ein Exemplar erstanden und für heute sollte er sich darauf vorbereiten.
Eigentlich ist alles ja ganz einfach und in allen Mitgliedern der 18xx-Familien gleich: In einem Vorgeplänkel (und zum Ausgleich des Zufalls bei der Bestimmung der Spielerreihenfolge) werden Mini-Eisenbahngesellschaften versteigert. Anschließend werden Aktien von „richtigen“ Eisenbahngesellschaften gekauft oder verkauft, Gleisstrecken gelegt oder modernisiert, Züge gekauft oder verschrottet, Betriebseinnahmen kassiert und verteilt. Am Ende gewinnt der Spieler mit dem größten Vermögen.
Diesen gewohnten Ablauf findet man auch im Regelheft zu „1824“ wieder. Doch dann folgen die massigen Detail-Änderungen, mit denen Helmut Ohley den 18xx-Sprößling auf K&K-Tauglichkeit getrimmt hat. Es gibt nicht – wie bei 1830 – nur simple sechs Trivial-Gesellschaften und acht öffentliche Bahnen, es gibt:
- 7 Vor-Staatsbahnen
- 4 Gesellschaften mit zugehöriger Kohlebahn, später in Ohne-Kohlebahnen verwandelt
- 1 Gesellschaft von Haus aus ohne zugehörige Kohlebahn
- Bergbahnen je nach Anzahl der Spieler
- 5 Aktiengesellschaften
- 3 Staatsbahnen
Alle mit unterschiedlichen Start- und Betriebsbedingungen.
Es gibt nicht – wie bei 1830 – nur fünf Lokomotiv-Typen, die sich gegenseitig aus dem Spiel drängen, es gibt gleich sieben „normale“ Lokomotiv-Typen und zusätzlich fünf Sonder-Lokomotiv-Typen, die alle nach unterschiedlichen Kriterien in und aus dem Spiel gebracht werden.
Gleichzeitig kündigten die Mitspieler an, nicht nur flott so mal eben die neuen konstruktiven Elemente des Spiels wirken zu lassen, Linien zu bauen und Dividenden auszuschütten. Nein, zu 101% wollten sie die neuen Gegebenheiten des Spiel auszureizen, selbst bei den Zügen der Mitspieler mitdenken, aus deren Leistungen und Fehlern „doppelt und dreifache Erfahrungen zu dem neuen Spiel“ zu sammeln, um dann mit einer umfassenden stundenlangen Kosten- und Nutzenanalyse von 4 verschiedenen Mitspielern mit 84 Aktien von 24 Gesellschaften aus 6 verschiedenen Betriebsformen und einem Besitz von 56 Lokomotiven von 12 verschiedenen Typenreihen die über 123 Gleisteile von 59 verschiedenen Strukturen über ein Spielbrett aus 99 verschiedenen Hexagons fahren. Walter warf das Handtuch. Für dieses Spiel ist Walter in diesem Leben schon zu alt! „Ich will nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten werden.“
„1824“ ist nicht für Liebhaber und Experten von komplexen Spielen gebaut. Es ist für Quadrat-Freaks der „18xx“-Familie gebaut. Lieber Helmut, Du hast eine tolle Arbeit geleistet und die verworrene Geschichte der Österreich-Ungarischen Eisenbahnen mit Liebe und Genialität in das Regelwerk der „1824“ eingebaut. Hier können die klügsten Köpfe aus Mathematik, Betriebswirtschaft und Finanzwesen ihre Systeme heißlaufen lassen, um noch mehr Gulden aus ihrem Geschäft herauspressen zu können. Doch mit Spielen hat das nichts mehr zu tun. Nicht für mich!
Keine WPG-Wertung.
2. “1830 +”
Hurra, hurra, die Großmutter der 18xx-Spiele-Familie ist wieder auferstanden. Nach vielen Jahren im Nirvana und nach mehreren Jahren Geburstswehen ist es Lookout-Games gelungen, die Reinkarnation wieder ans Tageslicht zu befördern.
Auf einem Spielbrett mit sehr viel mehr geographischer Detailinformation zu Stadt-Land-Fluß, aber mit identischer Struktur und identischer Ausstattung wie beim Original „1830“ können wir ohne jede Veränderung das gleiche alte Spielgefühl wieder aufleben lassen.
Es wird aber noch mehr geboten. Auf der Rückseite des Spielbretts gibt es einen modifizierten Spielplan mit drei zusätzlichen Hexareihen im Süden der USA, mit einer leicht veränderten Struktur von Städten und Wertigkeiten und mit zwei weiteren Eisenbahnlinien. Im Szenario „Gleiche Bedingungen“ sollen nach Angabe des Autors jetzt alle Linien ein vergleichbares Potential haben, die Musik spielt nicht mehr ausschließlich in und um New York. Natürlich lockte uns gleich diese Variante, auch wenn Horst als 18xx-Neuling dabei war und lediglich Erfahrungen aus „Poseidon“ und dem Kartenspiel „Railroad Barons“ mitbringen konnte.
Walter bestand auf der regelkonformen Auslosung der Sitzreihenfolge, er wollte der undankbaren Position hinter dem fehlerlosen Günther entkommen. Doch das Los ersparte ihm dieses Los nicht. Aaron und Horst verzichteten dann auf den ausgelosten Tausch ihrer angestammten Plätze.
Ein langes Palaver entstand um den Verkauf der Privatlinien. Aaron hätte diese Prozedur gerne verkürzt: Jeder kauft, was gerade ansteht. Walter bestand auf einer regelkonformen Versteigerung. Er hoffte durch gezieltes Passen und Bieten, das Erstkaufrecht bei den öffentlichen Bahnen zu erwischen. Nix wars. Zwischen der Alternative, die B&O zu kaufen und dann mangels Masse überhaupt keine echte Linie mehr floaten zu können oder auf die B&O zu verzichten und allen Mitspielern eine höhere Privatbahn-Rendite zukommen zu lassen, entschied er sich für die B&O. Damit war er in den ersten Runden auf Gedeih einem fremden Präsidenten unterworfen.
Horst wählte für sich gleich zu Beginn die PRR. Auch im 1830-Plus-Szenario ist das eine sehr schwierige Anfangslinie. Ihre Dividende kann vielen Runden lange einfach kein Lächeln auf den Gesichtern der Anteilseigner hervorrufen, und bevor sie im Endspiel glänzen kann, haben die erfahreneren Konkurrenten ihre Pfründen längst zerpflückt. Niemand warnte Horst vor seiner Entscheidung. Erstens wußten wir in dem veränderten Spielplan selber nicht, wie der Hase laufen würde, und zweitens gab es zu Spielbeginn gleich eine strikte Abmachung: Niemand durfte ungefragt Horst beraten, denn erfahrungsgemäß erfolgen alle – noch so fürsorglichen – Beratungen von Neulingen niemals ohne Eigeninteresse. Vor allem enthalten sie immer ein gezieltes Spucken in die Suppe der anderen Mitspieler. Schließlich strotzt jedes Mitglieder der 18xx-Familie nur so vor Möglichkeiten, Mitspielern einen Knüppel zwischen die Beine zu werden, wenn nicht gar, ihm gleich ganz den Hals zu brechen. Horst wurde nur beraten, wenn er ausdrücklich darum bat. Doch dazu war er sich aber eigentlich während des ganzen Spiels zu fein.
Aaron floatete die C&O und Günther die NNH. Für Walter reichten die Barmittel nicht mehr für eine eigene Linie, er paßte zunächst und schloß sich dann voll an Günthers NNH ein: Im Orginal ist das ohnehin die beste Anfangslinie und ein Aktionär konnte damit unter Günthers erfahrener Präsidentschaft nur gut fahren. Auch lockte das Steigen des Aktienkurses bei 100% Besitz in den Händen der Spieler. Doch Walter war damit zu gierig und Günther roch den Braten. Anstelle die Linie konstruktiv zu fahren und Walter beim Aktienverkauf einen großen Reibach zu gönnen, strapazierte er das Investitionsvermögen der Linie gleich in der nächsten Betriebsrunde bis auf die nackte Haut: Er kaufte auf Teufel komm’ raus alle billigen Züge, verkaufte ihr für einen Wucherpreis auch noch seine Privatbahn, schmiß in der nächsten Bankrunde alle Aktien auf den Markt und machte Walter zum Präsidenten einer Linie, die schon am Stock ging, bevor er sie erhielt.
Das war der Startschluß zu brutalen Aktien-Manipulationen. Miesnickelig und ungebremst wurden Aktienkurse gedrückt und Linien verscherbelt. Horst verzweifelte: „In diesem Spiel ist ja nichts planbar!“ Heftiger Widerspruch der Mitspieler. Für einen Neuling sieht gewiß alles wie Chaos aus, was hier passiert und natürlich ist man von den Ambitionen der Mitspieler abhängig. Doch die Erfahrenen können diese Ambitionen der Konkurrenten klar voraussehen. Schließlich arbeitet jeder nur an seinem eigenen finanziellen Erfolg. Gute Linien werden gegen bessere vertauscht, und schlechte Linien werden – nach Möglichkeit – abgestoßen. Zudem gilt die Binsenweisheit, dass so manche begehrte Linie, die gerade noch die fettesten Gewinne einstreicht, zwei Runden später durch die Tücken des Objekts bettelarm dastehen kann. Die unausweichlichen wirtschaftlichen Umbrüche in Vorhinein zu erkennen, die vielseitigen Interessen und Manipulationsmöglichkeiten der Mitspieler daraus abzuleiten und sich dagegen zu schützen, und vielleicht selber ein paar Gemeinheiten anzubringen, das macht die ungebrochene Faszination dieser Spiele aus.
WPG-Wertung für die „Gleiche Bedingungen“-Variante: Aaron: 8 (ihm reicht schon die Komplexität des Original 1830), Günther: 8 (warum eigentlich nur 8?), Horst: verzichtete auf eine Wertung, die ganze 18xx-Serie ist ihm zu trocken, er hat sich die 5 ½ Stunden aber keineswegs gelangweilt, Walter: 9 (immer noch ein sehr gutes Spiel, doch das Original 1830 ist kürzer und deshalb besser.)
Zum Schluß eine kleine Kritik am Lookout-Games-Verlag: Das Spielmaterial ist vorzüglich, schöne informative Graphik, Hochglanzpapier für Spielplan, Aktien und Lok-Zertifikate. War es dann nötig, beim Papier zu sparen und die Rückseiten der Privat-Gesellschaften als Diesel-Loks und die Rückseiten der 2er Loks als 5er Loks zu verwenden? Wieviele mehr Geld hätte es gekostet, die 10 zusätzlichen Papier-Karten in den Karton zu stecken? Das Super-Spiel und seine wunderschöne Aufmachung hätten es verdient gehabt.