“Der schlechteste Zug in der menschlichen Natur bleibt aber die Schadenfreude, da sie der Grausamkeit enge verwandt ist.” Diese Behauptung von Arthur Schopenhauer greift viel zu kurz. Der Superlativ darin ist ohnehin falsch. Auch nette Menschen kennen Schadenfreude. Dabei geht es keineswegs um Häme oder um eine „psychische Entlastung durch die Aufwertung eines Selbst gegenüber einem vermeintlichen Überflieger.“ Oft geht es einfach um die – zweifellos freudige – Tatsache, dass ein unvermeidliches Unglück nicht uns sondern einen anderen getroffen hat.
34 mal in unseren Session-Reports kommt das Wort „Schadenfreude“ vor. Meist mit einem durchaus positiven Touch. Hier eine kleine Auswahl:
Verflixxt! : Ein Garant für Freude und Schadenfreude. – Ganz offen zu sehen; alle können sich unmittelbar mitfreuen. Das Offensichtliche und die spontane Mitfreude aller Unbeteiligten, ein Mitlachen selbst bei den Beteiligten, das sind überhaupt die wesentlichsten Charakteristika für die positiven Seiten der Schadenfreude.
Via Romana: beim Gleichstand an Meilensteinen bekommt keiner was. Diese kleine Quelle reiner Schadenfreude ist für reifere Semester wohl das bemerkenswerteste Element von “Via Romana”. – Zugestanden, nicht jede Schadenfreude wird von jedem geteilt.
Sankt Petersburg: Günther lag das ganze Spiel über auf dem letzten Platz. Es erhob sich schon eine allgemeine Schadenfreude mit oder gegen den erfahrenen Entwickler der PC-Version. – OK; hier geht es eher schon in Richtung gegen einen Überflieger.
Trias : Die Herden auf dem Hexagon fallen ins Wasser und müssen von dem jeweiligen Herdenbesitzer explizit auf Nachbarhexagons gerettet werden, wenn sie nicht untergehen sollen. Reichlich Stoff für spielerische Freude und Schadenfreude. – Unbeabsichtigtes Ins-Wasser-Fallen: schon seit tausend Jahren wird dieser Gag in den Filmen der Welt mit garantiertem Lacherfolg aufgestischt.
„Bei uns Westpark-Gamers darf gelacht werden. Schadenfreude wird von Siegern und Verlieren gleichermaßen akzeptiert und getragen.“ – Nun da, da war vielleicht auch Wunsch der Vater des Gedankens.
1. “Amerigo”
Aus 16 Kartonteilen zu je 5 mal 5 Quadratfeldern stellen wir zu Beginn des Spiels eine variable Landschaft mit Inseln und Meeresarmen zusammen. Anschließend
- fahren wir mit unseren zwei Schiffen durch die Gegend und gründen Häfen,
- planen und bauen Landschaften,
- treiben Forschung (gut für die Potenz),
- kaufen Waren (gut für die Siegpunktwertung am Schluß),
- laden Kanonen (gut gegen die in wachsender Zahl auftretenden Piraten),
- rangeln ums um die Spielerreihenfolge.
Welche Aktionen wir (und unsere Mitspieler gleichfalls) tun dürfen, wird nach einem neuartigen Auswahlverfahren bestimmt, das auf einer altartigen Spiele-Erfindung basiert: einem Würfelturm. Jede der sieben möglichen Aktionen wird durch eine bestimmte Farbe vorgegeben; kleine Holzwürfelchen mit den entsprechenden Farben werden nach einer vorgegebenen Stückelung in einen Würfelturm geworfen; alle Aktionen, für die mindestens ein zugehöriges Farbwürfelchen wieder herausgefallen ist, dürfen anschließend ausgeführt werden. Mit welche Quantität, das bestimmt die höchste Anzahl an gleichfarbigen Würfeln irgend einer Farbe.
Alles ist konstruktiv. Engpässe gibt es nicht. Dass dringend gewünschte Aktionen gerade nicht zuässig sind, kommt im Prinzip nicht vor. Höchstenfalls muss man darauf einen Zug warten. Aber ohne deshalb merkliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Alles bringt uns vorwärts. Alles liefert Siegpunkte. Mal früher mal später. Mal mehr, mal weniger.
Hafengründungen bringen Brinkel, vollständig mit Landschaftsplättchen überbaute Inseln bringen Brot. Fische liefern die Rohstoff- und Warenmarker, die wir uns gezielt oder ungezielt das ganze Spiel über zugelegt haben; Butter bei die Fische resultiert aus den verschiedenen Entwicklungsfortschritten, die stufenweise immer mal wieder etwas abwerfen. Alles ist rund und macht satt.
Am Ende nehmen die Zugoptionen deutlich ab. Die Häfen sind alle entdeckt und die Schiffahrt kann eingestellt werden. In den Skalen für Entwicklungsfortschritt ist das Ende erreicht, Waren und Rohstoffe sind abgegrast. Mehr oder weniger oft muss man konstruktive Amerigonismen verfallen lassen und sich mit zwei Goldstücken Ersatz begnügen. Weniger Spielrunden hätten dieses Manko vermeiden und dazu noch Zeit sparen helfen! Wir brauchten in einem relativ flotten Spiel ca. 2 ½ Stunden für die ausgeschriebenen fünf Spielrunden.
Moritz hatte gleich zu Beginn seine nautischen Fähigkeiten entwickelt. Dann raste er mit seinen getunten Rennbooten durch die Kanäle und setzte seine Duftmarken in alle erreichbaren Hafengegenden. Punktemäßig lag er lange Zeit ziemlich zurück, doch er hatte mit seinem Vorgehen das größte Landgebiet unter seine Kontrolle gebracht. Schlußendlich konnte er hierauf die ertragreichsten Plantagen errichten und die sprudelnsten Siegpunktquellen erschließen, während die Konkurrenz sich schon längst mit den Ersatzgoldstücken hatte zufriedengeben müssen.
WPG-Wertung: Günther: 7 (verteidigte, dass die Piraten heute etwa zu luschig waren), Moritz: 8 (Origineller Aktions-Auswahl-Mechanismus, es gibt viele verschiedene Strategien und alle haben Erfolgschancen. Bei Spielende landen alle Spieler – problemlos – oben auf den verschiedenen Entwicklungsskalen. [Das wird jetzt als Schwäche gewertet.]), Peter: 6 (tolle, unterschiedliche Spielelemente, am Ende öde), Walter: 6 (mal wieder die nackte Ingenieursleistung honoriert; kein Spannungsbogen; für ein Wiederholungsspiel fehlt der Anreiz des „to have a plan“.)
Bei “Russian Railroads” kritisierte Christoph meine Kritik der „zu vielen Optionen“. Kennst Du eigentlich den Unterschied zwischen „viele“ und „zu viele“? Die gleiche Kritik möchte ich nämlich auch in „Amerigo“ anmelden. Es gibt zu viele einträgliche Zugoptionen. Für ein zeitvertreibliches Drauflosspielen und Schwelgen im Übermaß von Zugoptionen mag das angehen. Ein ein wohlstrukturiertes Vorgehen in einem überschaubaren Entwicklungsraum, in dem auch der aktuelle Besitzstand der Mitspieler jederzeit klar überschaubar ist, erfordert Beschränkungen. In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister. Beim Machen und beim Nachmachen!
PS: in „Amerigo“ gibt es keine Schadenfreude. Überhaupt keine. Das ist leider ein Manko.
2. “Poison”
Dieses kleine Kartenspiel setzte sich heute als Vorabsacker gegen den Würfelsacker „Quixx“ durch. Schon im August 2009 hatte es zum ersten Mal bei uns auf dem Tisch gelegen und wurde damals auch gleich zu unserem „Spiel des Monats“ gekürt.
Wie kam man doch mit kleinen Sachen, Spielern eine Freude machen. Karten – nichts Neues unter der Sonne. Karten auf gemeinsame Stapel auslegen und ab einem gewissen Stapel-Limit dafür Plus- oder Minuspunkte bekommen – auch das ist nicht keine Erfindung von Reiner Knizia. Aber mit wenigen bekannten oder unbekannten Spielelementen so hübsch zu jonglieren, dass ein schnelles, unkompliziertes Spielchen mit einen hohen Grad an Interaktion herauskommt, das ist allemal ein hohes Lob wert.
Welch eine gelungene Schadenfreude, wenn der Nachfolger unweigerlich einen der drei vergifteten 13-Punkte-Stapel an sich nehmen muss. Und hierbei erkennt man eine psychologisch verständliche und soziologisch durchaus akzeptierte Motivation der Schadenfreude: Wir stehen alle unter der ständigen Spannung, dass so eine Misere auch uns treffen kann. Und gerade dadurch, dass es einen anderen getroffen hat, sind wir davongekommen. Wenn das kein Grund zur Freude ist.
Keine neue WPG-Wertung für ein 7,17 Punkte Spiel.
3. “Bluff”
Walter war schon nach dem zweiten Spiel herausgekickt worden und sein verabschiedender Verlust von 4 Würfel wurde mit großem (schadenfreudigem!) Hallo quittiert. Moritz musste im Endspiel mit einem Würfel gegen zwei Würfel von Günther und Peter antreten. Nicht mit zaghaftem Den-Schwanz-Einziehen, nur mit frisch-frech-fröhlichem Kämpferherz kann man Lady Fortuna beeindrucken. 3 mal die Vier war seine mutige Vorgabe. Zuversichtlich zweifelte Günther mit zwei gewürfelten Luschen an. Doch sein Strahlen wandelte sich unmittelbar darauf in ein vierfaches schallendes Gelächter (reine Freude und Selbst-Schaden-Freude bei Beteiligten und Unbeteiligten), als Peter zwei Vieren aufdeckte. Mit 1:1:1 ging es also in das endgültige Endspiel.
Moritz begann mit 1 mal die Fünf. Günther hob auf 1 mal den Stern. Peter ging auf 2 mal die Eins, was Moritz auf 2 mal die Fünf steigerte. … Endergebnis: Nochmals schallendes Gelächter am Westpark.
Fragen (ohne Wein-Prämie): Wer hat gewonnen? Wer hatte welche Augenzahl unter dem Becher? Wer hatte bei dieser Konstellation (einschließlich Moritz’ erster Vorgabe) – eigentlich – die besten Chancen auf den Sieg?
Weitere Post-Mortem-Frage an Peter: Wo war bei Deiner Vorgabe von „2 mal die Eins“ eigentlich Dein Witz und Dein Spielwitz?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.