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26.06.2013: Vorspiel beim Tycoon

Mit seinem ausgewachsenen Brettspiel „Yunnan“ war Aaron blitzschnell erfolgreich; schon wenige Wochen nach seiner Präsentation war der Argentum-Verlag davon überzeugt und bringt es dieses Jahr in Essen heraus. Mit seinem pfiffigen Kartenspiel „Diggers“ hingegen erlebte Aaron die übliche monatelange frustriende Warterei eines Autors vor den Eingangstüren eines Verlags. Mit anschließender Absage.

Zwei Verlage hatte das Spiel unter die Lupe genommen. Seine Kürze war positiv aufgefallen. Die Spielregeln ließen keine Frage offen (, was aber durchaus in den Aufgabenbereich eines Verlag fallen könnte), die Zugriffsprioritäten und der Alterungsmechanismus funktionierten „soweit ganz gut“. Doch das reichte den professionellen Testern nicht aus, um „das Spiel interessant zu machen“. „Der Spielspaß kam nicht richtig auf“. Es „funktionierte einwandfrei“, eine Formulierung, die auch wir gerne benutzen, wenn wir „keine konkreten Kritikpunkte nennen“ können.

Einer der Verlage „bevorzugt Spiele, die mehr taktische Möglichkeiten bieten“ oder solche, die – im Gegensatz dazu – einen größeren Glücksanteil besitzen. Geschmacksache! Massengeschmackssache! Irgendwie, irgendwo ist das Genie immer einsam.

1. “Diggers”
Unverdrossen versucht Aaron, immer weitere neue Schmankerl einzubauen, um damit auch einen mehr chaotisch-orientierten Markt zu erreichen. Weil wir schon dem Prototyp von „Diggers“ sehr positiv gegenüberstanden, lassen wir gerne auch die Modifikationen in Richtung Massengeschmack über uns ergehen. Das Spiel ist mit seinen robusten Talenten einfach nicht kaputt zu kriegen.
Diesmal spielten wir im Wesentlichen die Version von letzter Woche. Aaron hat sich dafür ein eigenes Kartenspielset herstellen lassen. Für 14,95 Euro bei http://www.printerstudio.de/fotogeschenke/spielkarten-unbedruckt.html.
Super gemacht; jetzt kommt das Thema mit den Zwergen und ihrem Goldgrubengraben auch gut rüber.

Heute fiel auf, dass die Punktewertung genau umgekehrt werden sollte: nicht die hohen Karten, mit denen man sich den Goldnuggets ergräbt, sollen die meisten Punkte bringen, sondern die niedrigen Karten. Das ist deutlich schwieriger, und hinterher im Erfolgsfall ist das Zuteilen der Siegpunkt-Karten ergonomisch günstiger. Ein kleine inhaltliche und eine große formale Verbesserung.
Keine WPG-Wertung für ein Spiel im Reifeprozess.

2. “City Tycoon”
Jeder wählt sich nach dem 7-Wonders Auswahl-Prinzip in vier Runden je sechs Städtebau-Karten aus, die er nach und nach

  • als seine Bauteile in den gemeinsamen Städteplan auslegt
  • gegen „Kraftwerke“ eintauscht und baut
  • gegen Geld eintauscht

In der „Versorgungsrunde“ versorgt jeder Spieler seine Bauteile mit Energie oder Wasser aus den Kraftwerken und kassiert dafür Geld, Siegpunkte oder Allzweck-Rohstoffe, die sich früher oder später ebenfalls in Siegpunkte umwandeln lassen.

Stadtbild in "Tycoon"
Stadtbild in “City Tycoon”

Zur Versorgung können – vorzugsweise – die eigenen Kraftwerke herangezogen werden, aber auch das gemeinschaftliche Kraftwerk in der Mitte des Spielbrettes oder die Kraftwerke der Mitspieler. Allerdings kostet es Geld, wenn man fremde Quellen anzapft. Geld braucht man ebenfalls zum Bauen, es ist also ein wichtiger Motor, der das Spiel in Gang hält.

Dazu kommt noch der Energie- und Wasserbedarf aus den Kraftwerken. Schneller als man denkt, sind die eigenen (von den Mitspieler angezapften) Quellen, die privaten Quellen der Mitspieler oder die öffentlichen Quellen ausgebeutet und die wunderschönen Bauteile liegen unversorgt herum, werden damit zwar nicht abgebaut, aber bringen auch nichts ein.

Das Spiel ist hübsch ausgedacht, viele Elemente sind gut ineinander eingepaßt, aber irgendwie ist das alles zu viel. Von den 24 wunderschönen Bauteilen, aus denen jeder Spieler seine Auslage zusammenstellt (ach, es sind ja noch sehr viel mehr Bauteile, die in der Auswahlphase durch die Hände eines jeden Spielers gehen), muss er allein die Hälfte zur nackten Finanzierung seines täglichen Brots für die Trivial-Summe von 5 Einheiten pro Bauteil in den Orkus geben. Hätte man die Finanzierung nicht ohne soviel Ideen-Vergeudung handhaben können? Von den etwa 10 eigenen Bauteilen, die jeder Spieler hoffnungsvoll in das Stadtbild eingebaut hat, bleiben hinterher mehr als die Hälfte ungenutzt, weil keine Ressourcen für sie vorhanden sind. Wäre hier nicht eine Überbau-Technik effizienter gewesen?

Siegpunkte erhält man je nach Bauteil, das man gebaut hat, je nach Rohstoff, mit dem man es versorgt, und je nach der Umgebung, in der es liegt. Aus vielleicht 40 gemeinsame Bauteilen besteht die Stadt im Endausbau, und mühsam muß man die vielfältigen Querwirkungen bei der Prämienausschüttung zusammensuchen. Die daraus resultierende Spielfreude ist nicht im gleichen Maße vielfältig. Eigentlich schade.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (vor 2 Jahren wären es noch 6 Punkte gewesen, aber heutzutage ist zu vieles bereits bekannt, z.B. von „7-Wonders“ oder „Suburbia“), Günther: 5 (es funktioniert, aber das ist eine Mindestanforderung an ein Spiel, anstrengende Mechanismen [mit minimaler Vorteilsgewährung], Horst: 6 (unterhaltsames Städtebauspiel, aber die Symbolik ist anstrengend und Augenkrebs erzeugend), Walter: 5 (unübersichtlich, zu viele Elemente, die ungenutzt verpuffen).

3. “Hecht im Karpfenteich”
Aaron macht in Nostalgie. Letzte Woche brachte er den Oldtimer „Flußpiraten“ mit, diesmal war es das gleichaltrige „Hecht im Karpfenteich“. Schon vor 23 Jahren haben wir das Spiel oft (!) und gerne gespielt. Martin, unser Kinderarzt, war damals unbestrittener Favorit.

Jeder ist der Herr über einen Schwarm hungriger Hechte. Wir fressen Karpfen, um satt zu werden, und verschwinden dann in einem Hechtnest und warten, dass ein weiterer satter Hecht zur Vermählung vorbeikommt und wir mit ihm Nachwuchs zeugen können. Notfalls, sogar mit Vorliebe, können wir auch Inzucht betreiben, und unserem eingenesteten satten Hecht seine eigene satte Schwester zuführen.
Freßbare Karpfen schwimmen nicht beliebig herum, wir müssen sie züchten, indem wir ihnen Schnecken zu fressen geben, und sie dann ebenfalls in entsprechende Karpfennester zur Vermehrung schicken. Schnecken wachsen am Boden, jeder Spieler kann pro Runde zwei neue Schnecken als Karpfenfutter hervorbringen lassen.

Eine Herausforderung des Spiels ist die Planung der Reihenfolge der eigenen Züge. Wann vermehre ich die Schnecken (relativ harmlos), wann lasse ich die Karpfen vermehren (dann, wenn möglichst viele meiner hungrigen Hechte möglichst nahe sind und somit einen Großteil der frischen Brut gleich fressen können), wohin gehe ich mit der Hoffnung auf Fressen und Paarung, wann setze ich freiwillig aus, und wann nutze ich den einmal pro Runde gewährten Doppelzug.

Die Biologie des Spiels reizte den verbalen Spieltrieb der älteren Herren. Termini technici wie Poppen, Gruppensex, vernaschen, Vorspiel und Stundenhotel mit geilen Hechten machten lustvoll die Runde.

Doch der Spielspaß blieb begrenzt. Ein einziger falscher Fehler und der Hintermann schwelgt in freßbaren Karpfen, während die anderen weiterhin frustriert und hungrig ihr Dasein fristen. Bei vier Mitspielern ist das Spiel nach zwei Runden zu Ende. Blitzschnell. Leider! Einmal richtig gefressen und gepoppt, und man verläßt als Sieger das Spiel. Wie im richtigen Leben meistens der andere. Der andere ist bei uns immer der Günther.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (findet poppende Fische geil), Horst: 3 („Komm’ mal bei uns vorbei, da kannst Du poppende Vögel sehen!“ Das Spiel ist so ein Scheiß, langweilig, die Planbarkeit geht mir am Arsch vorbei), Günther: 6 (lustig, schnell, locker), Walter: 6 (Planung, Timing, das feine Spannungsgefälle: das alles hat mir früher besser gefallen.).

Horst war gesundheitlich nicht gut drauf und ging vorzeitig nach Hause. Was machte das restliche Trio, bevor es ans übliche intellektuelle Aufräumen ging? Gleich nochmal einen „Hecht im Karpfenteich“! Diesmal mit dem aufgefrischten Wissen um Timing und taktische Finessen. Und siehe da: Das Spiel erstrahlte auf einmal wieder im alten Glanz. Es war spannend, taktisch, kooperativ und interaktiv. Jeder versuchte unbedingt Fehler zu vermeiden. Jeder checkte seine Zugoptionen auf Fallstricke ab, keiner verschenkte freiwillig ein Tempo an seine Mitspieler. Es wurde wieder sichtbar, wie fein die Begrenzungen an eigenen Hechten, Karpfen, ja sogar an Schnecken ausbalanciert sind. Das Spiel wurde wieder planbar und beherrschbar. Aber es blieb spielerisch und bei allen Planungen noch locker. Und thematisch stimmig.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (zu Dritt spielt sich’s besser), Günther ? (nicht abgefragt), Walter: 8 (nur für die Dreierrunde, höchst spielerisch, hübsche, schnuckelige Spielidee, überraschende Wendungen).

4. “Diggers”
Richtig, wir haben nochmals „Diggers“ aufgelegt. Diesmal in der Dreierunde. Aaron ließ es keine Ruhe, vor den nächsten Design-Diskussionen mit seinem Co-Autor Frank Zurmühlen das Prinzip der umgekehrten Punkt-Wertung auszuprobieren. Und siehe, es fand Wohlgefallen.

Das Spiel wirkt jetzt spielerischer, lustiger, chaotischer als der Prototyp. Erneut kann die Masse (wer immer das ist,) darauf losgelassen werden. Doch das pfiffige, taktische Lavieren um die hohen Siegpunktkarten, die geduldige Kartenpflege, das spannende Lauern auf die zwei, drei große Raibache, mit denen ein Spiel entschieden werden kann, das ist entfallen.
Eigentlich sollte man Diggers, wenn es denn auf den Markt kommen sollte, gleich mit beiden Varianten anbieten: Die brave Jäger- und Sammler-Variante, mit den großen Störeffekten bei kleinen Punktprämien für Hinz und Kunz, und eine Experten-Version mit dem großen Kick bei Maximal-Umsätzen. Perlen und Säue!

Immer noch keine WPG-Wertung.