Weltaustellung 1851 in London, so heißt es in der Spielanleitung. Ohne diese Hilfestellung wüssten wir gar nicht, worum es geht. Es gibt Würfel, jede Menge Material an Karten und Kärtchen, an gelben und grauen Holzfiguren (Ressourcen), an Pöppeln, Markern und Würfel für die einzelnen Spieler und an Tableaus für den großen Spielplan, die Verwaltung und für die einzelnen Spieler, aber wir fühlen uns nirgendwo als Nation, als Erfinder oder als Investor, der auf dieser Weltausstellung zur Geltung kommen möchte.
30 verschiedenen Karten gelten als „Patente“. Wenn man sie sich a) zugelegt und b) bezahlt und ausgelegt hat, gewähren sie Vorteile an Geld, Siegpunkten, Ressourcen und anderen Spieleffekten (GSRaSe). 30 weitere verschiedene Karten gelten als „Personen“, honorable men and woman. Wenn man sie sich zulegen will, muss man sie sofort bezahlen. Auch sie gewähren Vorteile an GSRaSe, man muss sie jede Runde aber noch entlohnen. Je höher die Ehre, desto größer die Vorteile und desto teurer die Entlohnung.
Ich will Regeln und Effekte des Spiel jetzt nicht groß und breit darstellen. Günther brauchte etwa 100 Minuten (mehr als anderthalb Stunden), um Regeln und Material zu erklären. Ohne dass wir die 30 Patente und Personenkarten näher inspiziert hatten, was sogar noch wichtig gewesen wäre, um ablesen zu können, welche von ihnen zu welchem Zeitpunkt die geeignetsten wären. Aber, um dem Spiel Gerechtigkeit zukommen zu lassen, die Grafiken waren mnemotechnisch so vorzüglich dargestellt, dass hinterher selbst Walter nicht mehr nachfragen musste, was er jetzt tun konnte und welche Effekte er mit welchem Zug auslöste. Christof, Du hast gute Arbeit geleistet!
Auch viele andere Köpfe, von denen ein Teil auf Seite 9 des Regelheftes erwähnt werden, haben eine gute Arbeit geleistet. Es ist gut vorstellbar, wie in bei den verschiedenen Spielertreffen, insbesondere beim Herner Spielewahnsinn, an diesem Spiel gefeilt und ein Element nach dem anderen hinzugetragen und angepasst wurde. Doch wie zitierte Aaron heute den genialen Spieleautor Alex Randolph:
“Ein Spiel ist erst dann gut, wenn man nichts mehr WEGNEHMEN kann.”
Und in dieser Beziehung ist „Crystal Palace“ leider überhaupt nicht gut!
Das Beste, und wirklich gut, ist der Würfel-Placement-Mechanismus. Jeder Spieler hat 4 Würfel (im Laufe des Spiel können es auch mehr oder weniger werden), die er auf BELIEBIGE Augenzahlen einstellen kann. Randbedingung: Er muss für jedes Auge eine Geldeinheit bezahlen. Wer hier insgesamt am meisten ausgegeben hat, wird Startspieler.
Reihum stellen jetzt die Spieler jeweils einen Würfel auf die angebotenen Arbeitsplätze in insgesamt 9 Werkstätten. Für jeden Arbeitsplatz sind unterschiedliche Augenzahlen von 1 bis 4 erforderlich. Man kann höhere Augenzahlen auch auf niedrigere Plätze stellen, und bekommt dann sogar Priorität in der entsprechenden Werkstatt, aber immerhin hat man dafür auch mehr ausgegeben. Für manche „billigen“ Arbeitsplätze muss man zusätzlich noch einen Obolus bezahlen, wenn man ihn einnehmen will. Für manche „höchstwertigsten“ Arbeitsplatze darf man noch eine Zusatzaktion durchführen, die sich wiederum in Vorteilen an GSRaSe auswirken.
Wer mit seinem Würfel einen Arbeitsplatz ausgesucht hat, kann aber noch nicht sicher sein, dass er in dieser Werkstatt auch an die Arbeit darf. Es sind mehr Arbeitsplätze ausgeschrieben als „Drehbänke“ (unsere Terminologie) vorhanden sind. Der letzte oder die beiden letzten Arbeiter (Würfel) müssen unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen. Der letzte derjenigen, die noch eine Drehbank erwischt haben, muss auch noch 2 Geldeinheiten bezahlen, damit er überhaupt arbeiten darf. Einfach, logisch, spannend und gut durchdacht.
Dass dann als Effekt seines Werkelns aber nur GSRaSe in unterschiedlichen Quanten herauskommen, das ist eher langweilig und repetitiv. Natürlich gibt es einzelne Patente oder Personen, die extrem krasse Effekte auslösen (in unseren Augen ebenfalls ein Nachteil des Designs), aber
a) wir haben sie zu Spielbeginn nicht alle studiert, das wäre dann eher ein Fall für die Testrunden von Crystal Palace, die wohl hunderte von Spielen absolviert haben, von Anfang an “scharf” darauf sind – und
b) es ist reiner Zufall, wann diese Karten auftauchen – nur jeweils 3 davon sind sichtbar – und ob wir uns mit reichlich Würfelaugen dafür gewappnet haben, hier unverdrängbar zuzuschlagen.
Wir kritisieren weiterhin, dass am Anfang Optionen (Karten oder Arbeitsplätze) angeboten werden, die wir in dieser Phase mangels erworbenen Besitztum noch gar nicht nützen können, und wir kritisieren, dass am Ende Optionen angeboten werden, die uns keinerlei Vorteile mehr bringen. Aaron stöhnte: „Braucht’s das, dass am Ende jetzt nur Shit daliegt?“
Das Spiel nimmt keine Fahrt auf. Nicht zuletzt ist es auch unglücklich, dass die Einnahmen der Spieler pro Runde regelgerecht NACH UNTEN geschraubt werden. Mit zusätzlichen Nachteilen in den unteren Bereichen. Alle Spieler müssen also in jeder Runde notwendigerweise eine Reihe von ZWANGSZÜGEN machen, um ihren Einnahmepegel immer auf eine Mindesthöhe zu hieven. Nach unseren Vorstellungen sollte Geld im Laufe eines Spiels mehr anstatt weniger werden, und Zwangszüge sind in einem guten Design ohnehin zu vermeiden.
Sehr viel Mühe, sehr viel Fleiß, sehr viel abgerundete Ecken und glatte Flächen. Viel Palace aber leider wenig Crystal. Zweieinhalb Stunden haben wir uns abgemüht. Und dabei haben wir noch nicht einmal überall hingeschaut, wo das Hinschauen für ein besseres Ergebnis notwendig gewesen wäre. Bei 5 Spielern wäre mit CP als einzigem Spiel des Abends für Moritz und Peter nicht nur die vorletzte U-Bahn abgefahren gewesen, sie hätten gleich die erste (oder zweite) U-Bahn des nächsten Morgen nehmen können.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (viel zu viel, viel zu lang), Günther: 5 (fast 6, das Lineare im Ressourcen-Handling hat Vorteile – keine allzu krassen Effekte und keine aufbaubaren Maschinerien – aber auch Nachteile – mangelnde Spannung), Walter: 5 (zum Genie gehört Schweiß, aber Schweiß macht noch kein Genie).