Um unsterblichen Ruhm zu erwerben, steckte Herostrates im Jahre 356 v. Chr. den 200 Jahre alten Artemis-Tempel von Ephesos in Brand, eines der sieben Weltwunder der Antike. Die Stadt verhängte damals ein Verbot, die Brandstiftung als solche und den Namen des Täters zu erwähnen, doch ein zeitgenössischer Historiker überlieferte die Tat, so dass Herostrates sein Ziel erreichte, und bis heute ein Verbrecher, der ein Verbrechen rein aus Pulizitätssucht begeht, nach seinem Namen „Herostrates-Natur“ benannt wird.
Auch die heutigen Massenmedien sind nicht willens, solche Verbrechernaturen dem verdienten ewigen Vergessen anheim zu stellen. Sonst würde mit dem norwegischen Herostrates nicht soviel hergemacht. Der nächste Herostrates wartet schon. Und Presse und Fernsehen sind mitschuldig!
1. “Yunnan”
Aarons Weltraumspiel hat eine neue Metamorphose durchgemacht. Aus der letzten Zwischenstufe mit der indischen Stadt „Manipur“ als Namenspatron ist inzwischen die chinesische Provinz „Yunnan“ geworden. Die Anregung dazu kam von Peer Sylvester, den das im Spiel aufzubauende Händernetz an die „Tea-horse-road“ erinnerte, auf der im Mittelalter chinesischer Tea und tibetanische Pferde gehandelt wurden.
Wie damals in „Manupur“ müssen wir auch in „Yunnan“ ein Händlernetz aufbauen und dazu auf einem Biet-Tableau in Konkurrenz zueinander darum bieten, welche unserer Fähigkeit wir jeweils weiterentwickeln dürfen:
- Erhöhen wir die Anzahl unserer Händler, können wir längere zusammenhängende Handelsketten aufbauen und von jedem einzelnen Händler mehr Geld bzw. Siegpunkte erwerben.
- Erhöhen wir die Reichweite unserer Händler, können wir damit in weiter entfernte und lukrativere Handelsgebiete vordringen.
- Erhöhen wir den Einfluß unserer Händler, so können wir im gemeinsamen Handelsnetz schwächere Spieler von guten Plätzen verdrängen.
Aaron hat seit dem letzten Test wieder an einer Menge von Details herumgefeilt. Die ersteigerte Reichweite gibt nicht mehr die Anzahl von Feldern an, die sich unsere Händler bewegen dürfen, sondern eröffnet unseren Händlern den Zugang in fernere Regionen. Dafür muß jeder Bewegungsschritt bezahlt werden, was dem Geld einen ganz neuen Stellenwert gibt.
Ein neu eingeführter „fliegender Händler“ bringt etwas Zufallscharakter ins Spiel. Er wird per Würfelwurf in die verschiedenen Richtungen bewegt und verdrängt nach einem definierten Prioritäten-Prinzip die dort ansässigen Händler der Spieler.
Probeweise wurde diesmal ein geringerer Entwicklungsstand der verschiedenen Kategorien Anzahl, Reichweite, oder Einfluß bei Spielende honoriert. Wer auf Sparflamme fährt und keine einzige Kategorie weiterentwickelt, heimst am Ende für diese Non-Entwicklung schon mal 42 Siegpunkte ein. Dahinter steckt die Idee, einen sparsamen Umgang mit Entwicklungs-Resourcen zu belohnen. Ist dieses Prinzip gut? Nimmt einem das nicht die Lust am dynamischen Aufbau, und ist das in diesem Sinne nicht kontra-produktiv? Moritz versuchte sich auf dieser Schiene. Mit einem einzigen Händler der einfachsten Einflußgröße und lediglich hoher Reichweite wollte er über die Sparsamkeitsprämien Sieger werden. Zum Glück für das aktuelle Spieldesign scheiterte er damit. Denn Spaß macht diese Hungerstrategie auch nicht.
In der heutigen Version war das Geld das strategische Nadelöhr. So hinkte die Entwicklung aller Spieler hinter den bisher gewohnten Erwartungen zurück. An dieser Balance muß noch gedreht werden, damit der Geldsegen wieder reichlicher fließt und für das Biettableau auch jederzeit genügend Masse vorhanden ist.
Doch Charme hat „Yunnan“ jetzt schon auf alle Fälle. Die noch kürzlich erfolgte Abqualifizierung „totally broken“ konnte nur aus einer bösartigen Spielergalle heraus erfolgt sein.
Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entstehungsphase.
2. “Airlines – Europe”
Abacus hat dieses Jahr eine neue Version von Alan R. Moon’s „Airlines“ herausgebracht. Die Szenerie ist Europa. Wie bisher geht es darum, sich aus einer Reihe von angebotenen Luftfahrtgesellschaften ein optimales Aktienpaket zuzulegen und diese Gesellschaften auch kräftig auszubauen. Im einzelnen haben die Spieler folgende Zugmöglichkeiten:
- Geld von der Bank zu nehmen
- Mit dem Geld das Streckennetz einzelner Gesellschaften auszubauen und als Gegenleistung dafür einzelne Aktien auf die Hand nehmen.
- Einzelne Aktien aus der Aktienhand offen auszuspielen und sich damit als Aktionär erkennen zu geben. Dafür erhält man wiederum Geld von der Bank.
Wie bisher gibt es im Spiel drei Wertungspunkte, an denen der aktuelle Aktienbesitz in Siegpunkte umgemünzt wird. Dabei kommt es lediglich darauf an, die relative Mehrheit an Aktien offen ausgelegt zu haben. Wie groß diese Mehrheit ist, spielt keine Rolle. Immer genau ein Stück mehr zu haben als der schärfste Konkurrent, und zwar bei den besonders entwickelten Linien, das ist das ganze Geheimnis für gutes Spiel. Doch weil das alle wollen, gibt es dafür keine Lösung. Der beste Kompromiß führt hier zum Sieg.
Durch einige hübsche Neuheiten unterscheidet sich „Airlines Europa“ positiv vom bisherigen „Airlines“ in Amerika. Es gibt die Sonderlinie „Abacus-Airline“ (bei uns zuerst „Air Lingus“ und dann „Air Cunilingus“ genannt), die an den Wertungspunkten besonders hohe Siegpunktquoten ausschüttet. Die Aktien für diese Linie kann man nicht kaufen, sondern man muß ausliegende oder Handkarten-Aktien der Standardlinien gegen diese Linie umtauschen. Damit kommt das früher ziemlich fest zementierte Mehrheitengefüge an Aktienbesitz gegen Ende des Spiels nochmals gehörig ins Wanken und es eröffnen sich neue Perspektiven zu punkten.
Auch das Erweitern des Streckennetzes ist nicht mehr vom früher teilweise frustrierenden zufälligen Ziehen der richtigen Streckenkarten abhängig, sondern nur noch vom Geld. Und das kann man sich kostenfrei von der Bank holen.
Das Spiel hat viele spieltheoretische Design-Prinzipien sehr gut umgesetzt:
- Jeder ist seines Glückes Schmied
- Konstruktiver Aufbau
- Progessiv steigende Umsätze und Siegpunktquellen
- Jeder ist bei jedem Zug beteiligt
- Flotter Spielablauf
WPG-Wertung: Aaron: 8 (das 20 Jahre alte schöne Spiel hat durch die Erweiterungen noch gewonnen), Günther: 8 (war schon immer ein Airline-Fan), Moritz: 7 (möchte mehr Möglichkeiten zum aktiven Kampf gegen seine Mitspieler haben; das ähnliche uralte „Aquire“ gefällt ihm besser), Walter: 9 (das Spiel ist rund und schön).
3. “Die 1. Million”
1970 hatte der sagenhafte Designer Sid Sackson bei 3M mit „Monad“ ein Kartenspiel herausgebracht, in dem wir uns durch geschicktes Mutieren von Einzellern in Mehrzeller verwandeln, und wer die ersten drei Riesenzellen in seiner Population zustande gebracht hat, beendet das Spiel als Sieger.
1987 – der Ostblock war noch nicht aufgelöst – war das Pantoffeltierchen-Zeitalter zu Ende, und das Spiel wurde ohne eine einzige Regeländerung auf den Kapitalismus hin ausgerichtet. Wir entwickeln keine Einzeller mehr, sondern wir konvertieren passende kleine Geldscheine in immer höhere Stückelung, bis der erste Spieler drei 1-Millionen-Säcke zur Seite gebracht hat und das Spiel als Sieger beendet.
Die Konvertierungsregeln von Einzellern und Geldscheinen sind identisch:
- aus zwei paarigen kleinen Einheiten wird sprunghaft eine einzelne größere Einheit
- aus mehreren unpaarigen kleinen Einheiten wird eine einzelne größere Einheit
- aus einem spieler-individuellen „Special-Credit“ und einer weiteren Einheit wird sprunghaft eine einzelne größere Einheit
- aus vielen ungleichfarbigen Kleinsteinheiten wird in einem Riesensprung eine ganz große Einheit.
Vor knapp zwanzig Jahren, noch bevor wir als Westpark-Gamers unsere Ergebnisse ins Internet stellten, hatten wir dieses Spiel schon mit Vergnügen gespielt. Diesmal war das Vergnügen gebremst. Wir genießen offensichtlich schon so lange das gemeinsame Spielen, dass wir den Genuß an der Gemeinsamkeit deutlich von der Qualität der gespielten Spiele unterscheiden: das erste Kriterium kann hoch sein, ohne dass damit automatisch das zweite Kriterium mitgezogen wird.
Walter meckerte den „Determinismus“ der „1. Million“ an, d.h. durch die ausliegenden und nachgezogenen Karten sei der richtige Spielplan eindeutig vorgegeben. Günther warf provozierend ein: „Wie beim Bridge; auch da schaust du dir deine Karten an und spielst sie dann eine nach der anderen herunter.“ Diese ignorante Gleichsetzung rief natürlich heftigen Widerspruch hervor. Günther lenkte ein.
Dann fand Walter auch eine Provokation: Die „1. Million habe eine ganz triviale Siegstrategie.
- Erwerbe dir – irgendwie, so schnell es geht – den 30er Geldschein in deiner „Special-Credit“-Farbe
- Ziehe danach bei jedem deiner Aktionen einen 10er Geldschein vom verdeckten Stapel, bis du die 6 verschiedenen Farben und zwei weitere 10er Geldscheine auf der Hand hast.
- Wechsele den 30er Geldschein deiner „Special-Credit“-Farbe und einen 360-er Geldschein in ein 1-Millionen-Säckchen um, und tausche dir anschließend mit denen beiden weiteren 10er Geldscheinen den 30er Geldschein in deiner „Special-Credit“-Farbe wieder zurück.
- Wiederhole die Aktionen 2 und 3 solange, bis du gewonnen hast
- Damit kommt läuft das ganze Spiel auf folgendes Prinzip hinaus: Teile aus einem Kartenstapel mit hundert Nieten und einer Gewinn-Karte reihum an alle Spieler jeweils eine Karte aus. Wer zufällig die Gewinn-Karte ausgeteilt bekommt, hat gewonnen.
Heftiger Widerspruch bei Aaron und Günther.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (fand es früher schöner), Günther: 6 (zu viele grenzwertige Mangel-Effekte im Spiel; spielt sich in einer 3er Runde besser), Moritz: 5 (diesmal war es langweilig), Walter: 6 (wenn wir es lockerer spielen würden, bekäme das Spiel gewiß mehr Punkte).