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27.11.2013 Kreide gefressen

Unsere Session-Reports sind nur die Spitze des Eisberges unserer Auseinandersetzung mit Spielen. Abzählbar viele eMails, abhängig von der Brisanz eines Themas, werden zwischen zwei Spielabenden unter den Westpark-Gamers ausgetauscht. Diese Woche ging es sehr heftig um „Russian Railroads“.

Am Sonntag um 7:57 Uhr schlug Peter brieflich vor, dieses Spiel noch einmal zu spielen. Aaron sei beim ersten Mal nicht dabei gewesen und habe Interesse angemeldet.

Eine Stunde später kam von Aaron die Bestätigung: „Würde mich freuen, denn RRR möchte ich auf jeden Fall gespielt haben.“

Spätaufsteher Walter reagierte erst um die Mittagszeit: „Nur, weil ich Aaron gerne die RRR-Bekanntschaft gönne, bin ich bereit, dieses rechen-intensive und spielvergnügen-arme Spiel nochmals zu spielen. Und ich mache mich jetzt schon darauf gefaßt, ein Promille der sogenannten “Spielzeit” selber am Zuge zu sein, neuhundertneunundneuzige Promille der Zeit hingegen aber zu sitzen und zu warten, bis meine 3-4 Mitspieler ihre permanenten Optimierungsaufgaben gelöst haben.“ [Hallo liebe Erfinder Helmut und Leonhart, bitte nichts übelnehmen, das war jetzt ein leicht überspitzt ausgedrückt!]

Aaron wollte die Spitze herausnehmen: „Wir können es ja so machen: wenn es auch mir keinen Spaß machen sollte, biete ich den Abbruch an. Mehrheit entscheidet dann.“

Eine Minute später kam von Peter die Entwarnung: „Gefahr gebannt. RRR geht nur bis insgesamt vier Spieler, es sind aber bereits fünf Leute angemeldet. Das bedeutet, dass wir RRR nicht spielen können, … Nochmal davon gekommen.“

Walter wollte trotzdem Aaron noch das Vergnügen gönnen: „Wir können durchaus RRR spielen. Ich opfere gerne meine 1 Promille Spielzeit und schaue Euch allen zu. Ist äquivalent interessant.“

Diese Übertreibung war Peter zu viel: „Das mit ’1 Promille Spielzeit’ trifft nicht zu. Die einzelnen Züge waren bei uns stets recht flott, jeder war wieder schnell dran und konnte etwas Neues unternehmen.“

Doch über subjektives Empfinden läßt sich gut streiten. Walter ließ sich nicht davon abbringen, dass „bei Günthers sehr langer und bei Moritzens zuweilen langer Überlegungszeit das Spiel deutlich an Wertschätzung verloren hat.“

Das war jetzt Günther zuviel. Es war gerade erst Sonntag Nachmittag als er erklärte: „Unter diesen Umständen würde ich in unserer Runde das RRR eh nicht mehr spielen … Es gibt noch genügend andere Runden, wo ich es mit Spaß spielen kann.

Generell habe ich das Gefühl, dass diese Art von Spieler-Freak-Spielen für unsere Runde seit einiger Zeit nicht mehr so geeignet ist … In gefühlt 80% solcher Spiele kommt es immer zu den gleichen Diskussionen.“

Horst nahm das Stichwort auf: „Was diese sinnlosen Diskussionen angeht, muss ich Günther leider beipflichten. Da kann einem der Spaß schon im Vorfeld vergehen.“

Über Sinn und Unsinn von Diskussionen hatte Peter eine andere Meinung: „Naja, ganz so sinnlos sind die Diskussionen über Spiele ja nicht, sondern eher das, was WPG von x-beliebigen Spielgruppen unterscheidet. … Es ist wohl so, dass Spiele der letzten Jahre (sei es Worker-Placement-Typ, sei es Dominion-Typ) sehr viel mehr Optionenkenntnis erfordern, um sie spielen zu können, als dies ’in der guten alten Zeit’ der Fall war. Dabei gibt es folgende Probleme:

  • die meisten Spiele kommen im Westpark nur 1x auf den Tisch; da ist es halt Mist, wenn Regelerklärung und Spielzeit in einem ungünstigen Verhältnis stehen (deswegen hätte ich auch nix gegen eine zweite RRR-Partie, dauert doch nur eine gute Stunde oder so)
  • der ideale Weg der Effektverstärkung findet sich durch Einsatz von Hirnschmalz; das kostet Zeit; je seltener man das Spiel spielt (oder je weniger man es gespielt hat), desto mehr Zeit kostet das pro Partie
  • und das ist halt wirklich etwas Solitäres: Spiele wie Amun-Re [WS: oder Yunnan] haben ja den Effekt, dass man sich gegenseitig aus Feldern rausdrängen kann; das geht bei RRR nicht; bei RRR gibt es so viele Felder, mit denen man irgendwie weiterbauen kann, dass nicht mal großer Bedarf besteht, früh in der Runde dran zu sein.


Die nächsten zwanzig eMails will ich hier jetzt weglassen. Die Auseinandersetzung verlief auf jeden Fall friedlich, sachlich und konstruktiv. Wie bei der aktuell zu bildenden Großen Koalition war von allen Seiten deutlich der Wille erkennbar, keine bleibenden Wunden zu hinterlassen.

Dieser Drang zur Einvernehmlichkeit hielt auch heute an und beherrschte den gesamten Spielabend. Gleich zu Spielbeginn schlug Aaron folgendes Verhalten vor:

a) Bei neuen Spielen mehr aus dem Bauch heraus spielen.
b) Höflichkeit beim Bitten um schnelleres Spielen.

Einstimmig angenommen. Doch in der Realität kommt die Aufforderung an einen Strategen, bei Optimierungsspielen „aus dem Bauch heraus zu spielen“ der Aufforderung an eine Katze gleich, das Mausen zu lassen. Selbst der heutige Tag hat das wieder erwiesen, sogar bei den eifrigst zustimmenden Mitspielern. Doch unsere Adrenalinspiegel blieben von einer großen Menge gefressener Kreide auf unterstem Niveau gehalten.

1. ” Mascarade “
In dem kleinen Kartenspielchen von Bruno Faidutti spielt jeder Spieler eine verdeckte Rolle: von König und Königin geht es über Bischof und Richter bis zu Dieb und Betrüger. Jede Rolle hat eine spezifische Eigenschaft, an Gold (= Siegpunkte) heranzukommen: entweder von der Bank oder vom Richtplatz oder von einem Mitspieler nehmen. Die Hexe kann sogar ihr gesamten (Un-)Vermögen mit dem eines Mitspielers tauschen.

Die Fähigkeiten seiner Rolle kann ein Spieler nur ausüben, wenn er seine Rolle genau kennt und bekanntgibt. Doch das ist nicht so einfach, denn die Rollen wechseln ständig. Ein wesentlicher Spielzug besteht nämlich darin, die Rollenkarte eines beliebigen Spielers an sich zu nehmen und ihm dann eine Karte zurückzugeben. Entweder dessen alte oder die eigene. Der „betauschte“ Spieler weiß dann nicht, und alle anderen wissen es ebenfalls nicht, ob die Rollen jetzt behalten oder vertauscht wurden. Man darf seine eigene Rollenkarte anschauen, das kostet aber einen ganzen Spielzug; und wenn man dann wieder an der Reihe ist, ist man eine lukrative Rolle mit Sicherheit wieder losgeworden.

Nach eingeschwungenem Zustand besaß Walter die mickrige Summe von vier Goldstücken und war wissentlich der Betrüger, dessen Eigenschaft es war, mit bereits 10 statt der normalen 13 Goldstücken das Spiel als Sieger zu beenden. Ansonsten ohne jegliche Aussicht auf Einkommen. Da tauschte er seinen Betrüger gegen Günthers Königin, die ihm immerhin zwei Goldstücke pro Zug einbringen konnte. Moritz kassierte als Richter die Einlagen vom Richtplatz und stand mit 12 Goldstücke bereits unmittelbar vor dem Sieg, als Günther seine neue Betrügerrolle ausspielte und mit seinen 10 Goldstücken den Sieg für sich reklamierte.

Jetzt erhob Moritz lautstark seine Stimme gegen Walters „schlechtes“ Spiel. Wie konnte er nur Günther, bei dessen offen ausliegenden 10 Goldstücken den Betrüger für seinen Sieg überlassen. Selbst die drei klugen Mitspieler stimmten zunächst in dieses Gezeter (leicht mit Kreide belegt) ein. Dabei war das in Walters abgeschlagener Position der einzige vernünftige Zug. Er setzte seine Mitspieler unter Druck, Günther die Betrügerrolle wieder zu abnehmen und Walter dabei die lukrative Königin zu belassen. Sowohl Moritz als auch Peter und Aaron hätten ja auf ihre eigenen Vorteile verzichten und mit Günther die gefährliche Betrügerrolle tauschen können. Es ist erstaunlich, wie leicht man jemandem im Spiel vorwirft, einen zweiten nicht geschädigt zu haben, nur weil man deswegen dann nicht der lachende Dritte sein konnte! Dahinter steckt eine (un)gehörige Portion Demagogie. [Achtung! Kreide!]

WPG-Wertung: Peter: 6 (schnell, lustig), Moritz: 6 (eigentlich „Memory“; „Die Erben von Hoax“ ist aber besser), Aaron: 5 (1 Punkt schlechter als Hoax), Günther: 6 (schönes Partyspiel), Walter: 4 (ist aus dem Alter von Partyspielchen heraus. Aus dem Memory-Alter ebenfalls).

2. “Palmyra”

Palmyra (mit leichten Fehlfarben)
Palmyra (mit leichten Fehlfarben)

Für ein „Bruxelles 1893“ war es schon zu spät. Die angekündigte halbe Stunde pro Spieler plus die Regelerklärung hätte länger als bis zu Peters vorletzter U-Bahn gedauert. Da kam „Palmyra“ von Bernd Eisenstein gerade recht.

Der Autor hat uns das Spiel jüngst in Essen geschenkt. Zwar hatten wir seine Entwicklung diesmal nicht mit Testrunden unterstützt, dafür aber letztes Jahr seine Spielidee „Pandora und Titania“, die dann allerdings nicht rechtzeitig unter Dach und Fach gebracht werden konnte.

„Palmyra“ ist ein „leicht zu lernendes Legespiel mit hochtaktischen Entscheidungen“. So steht es in der Anleitung. Wie wahr, wie wahr. Jeder Spieler besitzt einen „Legionär“ und einen „Censor“, die das allen Spielern gemeinsame „Stadtgebiet“ pro Spielzug um jeweils ein bis vier Plättchen erweitern. Tut das der Legionär, bekommt der Spieler dafür neue Plättchen; tut das das Censor, so bekommt der Spieler dafür Siegpunkte. Abhängig von der „Umgebungs-Harmonie“ an Farben und Formen eines neu gelegten Plättchens mit den bereits ausliegenden Plättchen gibt es dafür mehr oder weniger neue Einheiten an Plättchen oder Siegpunkten.

Die Plättchen für sich sind im Prinzip nichts wert. Sie sind im Grunde genommen nur Mittel zum Zweck. Zwei Plättchen zu legen, um hinterher dafür zwei neue Plättchen zu bekommen – nur aus Spaß am daran entstehenden Gebilde – ist vergebliche Liebesmüh. Dann lieber gar nichts legen, und Legionär und Censor lediglich auf beliebige freie Felder der Stadt neu platzieren: dafür bekommt man wenigstens noch ein weiteres Plättchen.

Das koordinierte Vorgehen der beiden Spielfiguren, große harmoniefähige Gebiete anzulegen und dafür Material zu bekommen und entsprechendes gutes Spiel der Konkurrenz zu beeinträchtigen, das ist der Witz in Palmyra. Konstruktiv, grüblerisch und spielerisch. Alles rund und schön.

Einziges Manko: Lukrative Züge entstehen vor allem, wenn man die richtigen Plättchen auf der Hand hat. Leider spielt hier der Zufall eine mächtige Rolle, denn die Plättchen werden vom verdeckten Stapel gezogen. Der eine zieht einen Bachschen Choral, der andere ein Schönbergsches Streichquartett.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (es funktioniert, läßt aber einen gewissen Pepp vermissen), Günther: 6 (stört sich am großen Zufalls-Effekt beim Plättchen-Ziehen), Moritz: 7 (hohe Konkurrenz bei einem interaktiven Legespiel), Peter: 5, Walter: 7 (hübsche, neuartige Spielidee; eine Herausforderung für kämpferisch veranlagte Landschaftsarchitekten).

Hallo Bernd, darf ich hier anmerken, dass ein Stanzbogen mit Plättchen einen verschobenen Druck hatte! U.a. sind die Farbchips für die Spielererkennung zweifarbig (siehe Foto); glücklicherweise dominiert eine Farbe, die dann zur Identifikation dient.

3. “Patronize”
Die gewöhnlichen vorschnellen Fragen bei seiner Spieleinführung wollte Aaron mit einer neuartigen Idee parieren: „Jeder gibt einen Vorschlag zum Regelwerk ab und ich sage, ob er stimmt oder nicht.“ Bei „Patronize“ hätte es dann ziemlich lange gedauert, bis wir aufgenordet gewesen wären. Die wenige, einfachen Regeln sind durchaus gewöhnungsbedürftig.

Wir spielen ein „Stichkartenspiel“ mit einer Kartenhand von insgesamt drei „Charakter-Karten“. Trümpfe gibt es (manchmal) auch, die ausgespielte Farbe zu bedienen ist nicht erforderlich. Wir dürfen/müssen bei den insgesamt fünf Stichen eines Spiels auch noch zweimal bei beliebiger Gelegenheit passen. Damit steigen die Chancen einer „Kartenpflege“ gewaltig an.

Allerdings ist es nicht unbedingt von Vorteil, einen Stich zu bekommen: jeder Spieler erhält eine Prämie, unabhängig davon, ob er den Stich gewonnen hat oder nicht. Und zuweilen sind die Prämien der Nicht-Stecher-Prämien oder Passer sogar wertvoller als die des Stechers.

Die Prämien bestehen aus einer Ruhmeskarte (Wert: 5-8 Siegpunkte) und/oder einer Charakter-Karte (Wert: 0-4 Siegpunkte plus verschiedenartige Nebeneffekte auf den Besitzstand bei Spielende) und/oder ein bis zwei Meisterwerke (Wert: je 5 Punkte). Die Stückelung hängt davon ab, welche Aktion man gemacht hat (Stich gewonnen, mitgespielt oder gepasst).

Die gewonnene Charakter-Karte ist diejenige Karte, die man zu einem Stich gespielt hat. Es sei denn, ein Mitspieler hat gepasst und diese Charakter-Karte als Prämie selber eingestrichen (“gestohlen”!). Der Ausspieler dieser Karte geht hier dann leer aus. Schlecht gelaufen; falsche Taktik!

Die Meisterwerke sind kleine Holzwürfel in vier verschiedenen Farben. Sie kommen in der Regel von der Bank. Gehen der Bank allerdings die Meisterwerke aus, darf man die zugestandene Prämie von einem Mitspieler klauen. Für mich ist dieses Prinzip ein ärgerliches „Nullsummenspiel“ : Die Summe von Freude bzw. Ärger auf beiden beteiligten Seiten ist gleich Null.

Dank eines überragenden Kartenmanagements wurde Moritz mit 50 Punkten Sieger. Günther kam auf 48 Punkte. Warum eigentlich?

WPG-Wertung: Aaron: 5 (das Spiel funktioniert), Günther: 3 (reines Chaos), Moritz: 7 (Sieger), Peter: 7 (für das Chaos ist das Spiel schnell genug), Walter: 3 (80% Kartenverteilung, 15 % Mitspielerchaos, 5% Intuition).

4. “Ebbes”
Das Spiel lag noch von letzter Woche auf dem Sofa am Westpark, und mit hinreichend Kreide in der Kehle war Walter sofort zu einer Neuauflage bereit. Letzes Mal hatten wir mit einer Regelunschärfe gespielt: die Verteilung der Kartenfarben für Trumpf, Plus, Minus, und Nix erfolgte noch unberechenbarer als vorgeschrieben. (Kleine Nebenfrage: Kann man „unberechenbar“ steigern?)

Heute haben wir alles richtig gemacht. Doch am Spiel-Charakter hat sich im Prinzip nichts geändert. Wir spielen ein „richtiges“ Stichkartenspiel um Plus-Punkte und Negativ-Punkte in unseren Stichen, und kennen bei Spielbeginn weder die Trumpffarbe noch die positiven oder negativen Werte in einem Stich. Lange Zeit reiner Blindflug! Ohne Instrumente! Wenn der Vorhand fällt, sind die Würfel längst schon gefallen!

Nach ein paar Fruststichen legte Peter seine Hand offen, um sein Dilemma mit Stechen-oder-nicht-Stechen zu demonstrieren. Von diesem Augenblick an gewann das Spiel für alle an Witz, Spannung und Tiefgang!

Einmütige Erkenntnis:

a) Das Spiel wäre interessanter, wenn alle Kartenhände offen lägen.
b) Das Spiel würde schon etwas gewinnen, wenn alle Spieler die “Bestimmmerkarten” in ihre Hand offen legen müssten.

Aber so ist “ebbes” eben nicht!

Peter siedelte sich mit seinen 2 Punkten im unteren Bereich an; Aaron und Moritz reduzierten ihre Wertung auf je 5 Punkte, Günther auf 4.

5. “Bluff”
Hohe Umsätze führten sehr schnell zum Endspiel zwischen Aaron, Moritz und Peter mit je einem Würfel. Welche Strategie bringt jetzt den Sieg? Sticht Günthers fragwürdige „Immer-5-Strategie“? Hallo Günther, eine ganz neue Hausaufgabe steht an!

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

5. “Valeo”
Aaron hat neue Ideen in sein Würfelspiel um römische Ziffern und Zahlen eingebracht. Das Spielbrett ist jetzt an verschiedenen Stellen mit einer römischen Fünf vorbelegt, die

a) nur mit einem V-Würfel belegt werden dürfen; hier kann man neue Zahlen beginnen.
b) vor allem ein Wegschießen mittels superhoher Gewinnzahlen verhindern.

Weiterhin gibt es neben den Hexa-Würfeln noch „Begrenzer“, die keinen eigenen Zahlenwerte haben und an jede beliebte Stelle im Spielbrett abgelegt werden können. Sie hindern eine bereits ausliegenden Zahl am Ausufern und unterstreichen den eigenen Besitzanspruch darauf.

Der Kampf um Positionen und Dominanz hat sogar etwas vom Charakter des kaiserlichen Go-Spiels. Und das als echtes Drei-Personen-Spiel! Wie es zu viert oder gar fünft funktioniert, steht allerdings noch in den Sternen.

Noch keine WPG-Wertung.

13.11.2013: Erste Pflaumen aus Essen

Seit Aarons „Yunnan“ als offiziell produziertes Spiel in die Öffentlichkeit getreten ist, hat sich unser Spieler-Kritiker-Selbstverständnis gewandelt. Wir sind sensibler geworden für Kritiken im Internet.

Yunnan – jeder Westparker bekam ein Freiexemplar
Yunnan – jeder Westparker bekam ein Freiexemplar

Sie können jetzt auch „uns“ (vorwiegend natürlich Aaron) treffen, und sie tun weh, wenn sie ungerecht sind, auf fehlerhaftem Regelverständnis oder einer nur bruchstückhaften Auseinandersetzung mit dem Spiel beruhen. Ja sogar dann, wenn sie berechtigt sein sollten. Die Karawane zieht nicht mehr so unbeeindruckt weiter, wenn die Hunde bellen.
Trotzdem wollen wir weiterhin frisch fromm fröhlich ans Werk gehen und weiterhin auf fremde Werke einschlagen, wenn uns danach zumute ist. Man darf alles nicht so ernst nehmen, uns nicht, das Spiel nicht, und das Leben auch nicht.
(Übrigens: Pflaumen sind auch Früchte.)

1. “Spyrium”
Den Begriff „Spyrium“ sucht man im Internet vergebens. Alle mittels Google ermittelten Beiträge hängen direkt mit dem neuen Spiel von Ystari zusammen. Verlassen wir uns also auf die Angabe des Verlages und glauben einfach, dass „Spirium“ ein geheimnisvolles Material mit hoher energetischer Wirksamkeit ist. Zumindest im „Spirium“ von William Attia, dem Autor des genialen “Caylus”.
In sechs Runden plazieren wir unsere Arbeiter an ausliegende öffentliche Ertragskärten oder auf sukzessiv erworbene private Ertragskärtchen und gewinnen damit Geld, Spyrium, Siegpunkte, weitere Arbeiter, Privilegien-Kärtchen, die unsere weiteren Aktionen allgemein fördern und belohnen, oder Fabriken, in denen wir ganz privat unser Siegpunkt-Süppchen kochen können.
Das bemerkenswerteste Element in „Spyrium“ ist der Setzprozess auf die öffentlichen Ertragskärtchen. Pro Runde werden neun Stück in einem drei mal drei Felder großen Quadrat offen auf den Tisch gelegt, und die Spieler setzen reihum ihre Arbeiter jeweils zwischen zwei Kärtchen. Wenn man einen Arbeiter später wieder zurücknimmt, kann man eine der beiden anliegenden Karten

  • nutzen, d.h. ihre Quellen für Geld oder Spyirum einen Augenblick lang für sich sprudeln lassen

oder

  • kaufen, d.h. ihre Erwerbsquellen in alle Zukunft nur noch für sich selber sprudeln lassen, muss aber umso mehr Geld hinblättern, je mehr eigene oder fremde Arbeiter noch um die Karte herumstehen.
Spyrium – man beachte das 57te Weinglas
Spyrium – man beachte das 57te Weinglas

Hiermit ist ein spannender Antagonismus verbunden: nutzen oder kaufen, noch warten oder gleich zuschlagen? Viele Konkurrenz macht den Kauf teuer, manchmal teurer, als es sich ein Spieler leisten kann. Wer allerdings zu lange wartet, hat das Nachsehen, wenn ein Mitspieler eher zuschlägt. Und wenn gar beide Erwerbskarten rechts und links bzw. oberhalb und unterhalb eines Arbeiters weggekauft wurden, geht der Arbeiter ganz leer aus und muss in dieser Runde ohne Ertrag wieder nach Hause gebracht werden.
Es gibt viel zu überlegen, wohin man seine Arbeiter placiert. Die Effekte der verschiedenen Karten spielen die wichtigste Rolle, daneben aber auch die Spielerreihenfolge, die bereits positionierten Arbeiter der Mitspieler, die eigenen Resourcen – Möglichkeiten und Bedürfnisse an Geld und Syprium – , sowie die Ambition und Potenz der Konkurrenz. Die vielen Abhängigkeiten kann man in der ersten Begegnung mit dem Spiel noch gar nicht überblicken. Beim ersten Mal muss man erst eine Stunden lang die Spielregeln studieren und anderthalb Stunden lang die ersten drei Runden spielen (mit unausweichlichem wiederholtem Regelstudium), bevor dann in einer weiteren halben Stunde – jetzt schon recht flüssig – die letzten drei Runden absolviert werden können. (Man beachte den Lerneffekt!)
Wenn man das Spiel beherrscht, könnte man es vielleicht in einer Stunde schaffen. Wenn man es dann aber erst richtig ernsthaft angeht, die Freude des Entdeckens und den spielerischen Einstieg hinter sich hat, dann wird es wohl jedesmal viel Schweiß und Gehirnschmalz kosten. Bei uns wird es dann auch weiterhin nicht unter zwei Stunden abgehen …
WPG-Wertung: Aaron: 6 (der Mechanismus und alles am Spiel ist OK, am Ende zieht es sich etwas lang), Günther: 7 (hübsches Planspiel), Horst: 7, Moritz: 8 (sehr gutes Design, sehr viel Interaction, viele Spannungselemente), Walter: 7 (alles funktioniert ausgezeichnet. Für das im Grunde aber doch sehr einfache Kaufen-oder-Nutzen-Prinzip dauert ein Spiel zu lang; das könnte mit der Zeit monoton werden.)
„Spyrium“ ist keine Pflaume.

2. “Ebbes”
Auf den ersten Blick ein Stichkartenspiel mit all seinen gewohnten Eigenschaften:

  • Jede Karte hat eine definierte Wertigkeit – hier einen Zahlenwert von 1 bis 15.
  • Jeder spielt reihum eine Karte zu einem Stich.
  • Man muss die ausgespielte Farbe bedienen.
  • Wer nicht bedienen kann, darf trumpfen.
  • Die höchstwertige Karte der ausgespielten Farbe bzw. der höchste gespielte Trumpf gewinnt den Stich.
  • Wer einen Stich gemacht hat, spielt zum nächsten aus.

In jedem Stich gibt es gute und schlechte Wertungskarten. Jeder möchte Stiche mit möglichst viele guten und möglicht wenig schlechten Karten machen. Daneben gibt es noch „ebbes“-Karten. Pfälzer und Hessen wissen von Haus aus, was das heißt: „etwas“. Wer von den ebbes-Karten die meisten oder die wenigsten hat, bekommt keinen Siegpunkt dafür, alle anderen, die also gerade „ebbes“ davon haben, bekommen einheitlich drei Siegpunkte. Trumpf-, Plus-, Minus- und Ebbes-Karten sind jeweils die Karten einer bestimmten Farbe: rot, grün, gelb oder blau.
Soweit so gut. Doch jetzt kommt „ebbes“! Die Zuordnung der Farben zu ihrem Effekt ist zu Spielbeginn nicht festgelegt, das kommt alles erst im Laufe des Spieles heraus. Die Kartenfarbe der ersten gespielten „1“ bestimmt die Trumpffarbe, die erste gespielte „2“ bestimmt die Plus-Karten usw. Das geht so bis zur fünften und letzten Farbe, die „nix“ zählt.
Da geht einem leidenschaftlichen Stichkartenspieler doch das Messer in der Tasche auf. Alles, was üblicherweise an einem solchen Spiel Spaß macht, ist weggefallen, Es gibt keinen Gesamt-Plan, wie man seine Kartenhand anlegen soll, und – während eines Großteils des Spiels – kein Wissen darüber, ob ein Stich gut ist oder schlecht. Wenn sich die Fronten geklärt haben, ist die Kartenhand ausgelutscht und die Würfel für Plus- und Minus-Punkte sind längst gefallen.
In Essen wurde „Ebbes“ sehr hoch gehandelt. Unser angehender Bundesligaspieler Walter warf heute aber bereits nach der ersten Runde das Handtuch. Er war nur dann willens, weiter zu spielen, wenn wir die Regeln modifizieren. Z.B. könnte der Startspieler (oder der Spieler links von ihm), gleich zu Beginn des Spiels frei die Trumpffarbe bestimmen, der nächste die Plusfarbe usw. Aber Aaron wollte unbedingt bei der Werktreue bleiben und ließ nur offiziell formulierte Experten-Regeln zu.

  • Bei der Variante 1 („Spielen mit mehr Karten.“) werden von jeder Farbe noch ein paar mehr Karten ins Spiel genommen. Im Regelheft steht dazu „Das macht das Spiel noch spannender, da es i.d.R. länger dauert, bis die Bestimmerkarten fallen“. Das kam für uns gar nicht in Frage. Horst hätte bestimmt dazu gesagt: „Noch mehr Scheiß!“.
  • Bei der Variante 2 („Bestimmerkarten aussuchen“) wird zwar die Farbverteilung modizifiert, das ändert aber nichts an den grundsätzlichen ebbes-spezifischen Eigenschaften. Walter gab unter der Bedingung nach: „Jeder darf pro Karte-Spielen höchstenfalls 5 Sekunden überlegen – sonst breche ich ab!“ Im zweiten Stich durfte er abbrechen …

WPG-Wertung: Aaron: 4 (keine Punktevergabe für die Grundversion), Günther: 3 (für weniger Punkte müßte er das Spiel besser kennen lernen), Horst: 1 (fassungslos, ob eines solchen Spiele-Designs), Moritz: 10 (2 Punkte für die Basisversion, 6 Punkte für die Expertenregeln, und weitere 2 Punkte hat ihm der Protokollführer jetzt untergejubelt), Walter: 2 (offensichtlich gibt es Runden – siehe Essen 2013 – in denen das Spiel ankommt, meines ist es nicht. Überhaupt nicht!)
“Ebbes” ist eine Frucht.

3. “Die Ratten im Gemäuer”
Das Spiel basiert auf der Erzählung “The Rats in the Walls“ von H.P. Lovecraft. Zumindest die Ratten sind daraus entnommen und die Gehirnsubstanz (Chips), die die Spieler so peut-a-peut verlieren, bis der erste Spieler keine mehr hat und damit das Spiel beendet. Mit dem gehirnigsten Spieler als Sieger.
Wir würfeln mit Hexawürfeln, die auf zwei Seiten Ratten abgebildet haben, auf den anderen vier Seiten aber leeres Nichts enthalten. Mit einem Würfel fängt man an und gibt den Würfelbecher samt Inhalt mit der Aussage: „Keine Ratten im Gemäuer“ bzw. „1, 2, 3 … Ratten im Gemäuer“ verdeckt an den Nebenmann weiter. Der Nebenmann kann das glauben oder anzweifeln. Beim Anzweifeln wird der Würfelbecher gehoben und entsprechend Lüge oder Wahrheit verliert der Lüger bzw. der Anzweifler einen Gehirn-Chip.
Beim Glauben wird ein Rattenwürfel dazugenommen und der nächste Spieler muss damit entweder ebenfalls „keine Ratten“ oder eine Ratte mehr als sein Vorgänger würfeln. Man kann seinem Vordermann aber auch eine vorgegebene Anzahl von Ratten glauben und den Becher ohne einen zusätzlichen Würfel und ohne Neuzuwürfeln weitergeben. Damit kommen Bluff-Elemente ins Spiel.
Eine weitere, nicht zu unterschätzende, von uns aber kaum genutzte Regel ist, dass man nach dem Anschauen des eigenen Wurfes – bei Nichtfallen – ein weiteres Mal zu würfeln darf und die Würfel jetzt ohne sie anzuschauen mit der üblichen Ansage weitergeben darf.
Günther hat lange darüber nachgegrübelt, ob der Zahlungsmechanismus für die Strafprämien stimmig ist und ob es dafür ein (triviales) eindeutig bestes Vorgehen gibt. Er ist damit noch zu keiner abschließenden Wertung gekommen, es wird aber wohl alles rechtens sein.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (das Spiel funktioniert und; wir haben viel gelacht), Günther: 5 (muß erst noch die Tendenz ermitteln, insbesondere das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Glauben und Anzweifeln), Moritz: 7 (das Spiel ist nicht dumm, es gibt genügend Anlaß zum Bluffen, Henning Poehls bestes Spiel), Walter: 5 (Die Pfiffigigkeit, insbesondere die Psychologie und Schlußfolgerungsmöglichkeiten bei den Vorgaben treffen bei Weitem nicht das Original-„Bluff“.)
Die Ratten sind zumindest ein reifer Herbstapfel. Der enge, längliche Würfelbecher – ähnlich wie bei bestimmten Backgammon-Ausgaben – ist leider mangelhaft. Die Würfel bleiben darin übereinander stehen. Vielleicht ging Herr Poehl davon aus, dass jeder Spieler zuhause ohnehin einen funktionierenden Würfelbecher hat.

4. ” Malacca “
Als Bluff-Spiel wurde „Malacca“ heute propagiert, doch handelt es sich hierbei eher um ein nur halbgereimtes Mitspieler-Chaos-Spiel. Zumindest in einer Dreierrunde. (Horst und Moritz waren inzwischen auf dem Heimweg.)
Jeweils eine von zwölf Schiffskärtchen mit einem Geldwert zwischen 3 und 13 wird auf den Tisch gelegt, und alle Mitspieler legen verdeckt eine von drei Aktionskarten, gemäß der sie sich als „Pirat“, „Verteidiger“ oder neutraler „Händler“ betätigen wollen. Zusätzlich dürfen sie auf ihre Aktionskarte noch eine Summe Geldes in beliebiger Höhe einsetzen. Jetzt kommt die Wertung. Sind am Ende die Piraten in der Mehrzahl, so teilen sie unter sich den Wert des aktuellen Schiffes, sowie die Geldeinlagen der Händler und Verteidiger. Sind die Verteidiger in der Mehrzahl, so teilen sie unter sich die Geldeinlagen der Piraten. Die Piraten verlieren damit außerdem noch die Hälfte des nicht eingesetzten Geldes an die Bank. Ist das Schiff nicht gekapert worden, erhalten die Händler den eingesetzten Geldbetrag doppelt zurück.
Worum geht es?
Pro Zug (Schiff) können die Piraten eine erkleckliche Summe verdienen, besonders am Anfang, wenn alle Spieler noch wenig Geldmasse für Händler-Verdoppelungen zur Verfügung haben. Sie gehen allerdings das Risiko ein, mindestens die Hälfte ihres Gesamt-Besitzes zu verlieren, wenn das Kapern schief geht. Die Verteidiger verdienen nur, wenn die Piraten Geldbeträge einsetzen, ansonsten bekommen sie für ihre Tapferkeit keinen Pfennig, höchstenfalls eine spezielle Aktionskarte mit doppelter Piraten-, Verteidigungs- oder Händlerkraft, die für sich gesehen aber keine Siegpunkte wert ist. Die Händler verdienen immer nur in der Höhe ihres eingesetzten Geldes. Am Anfang haben sie dafür noch sehr wenig Liquidität, später können das große Summen werden, allerdings mit dem Risiko eines Totalverlustes durch die Piraten.
Wie spielt man?
Am Anfang sind alle wohl Piraten (mit oder ohne einen Geldeinsatz, der hier ohnehin nichts zum wandelnden Vermögen beiträgt) und teilen sich die Güter auf den Schiffskarten. Es gibt keine Motivation, davon auszubrechen und auf Verteidigung zu mimen. Dazu bräuchte man Mehrheiten, die aber nur zufällig sind. Genau um das Dabeisein bei den Mehrheiten geht es. Wer Lust hat, kann aus den investierten Geldsummmen Kaffeesatz-Leserei betreiben und auf die gewählte Rolle des Mitspielers schließen. Dabei ist alles mehr als vage. Doch das ist offensichtlich das verfolgte und erreichte Ziel des Spieldesigns.
Wer zufällig mal eine deutlich höhrere Geldmasse besitzt als seine Mitspieler – was bei dem chaotischen Spielablauf durchaus der Fall sein kann -, wird den Deubel tun und weiterhin auf Pirat oder Verteidiger gehen. Als passiver Händler mit Null-Einsatz wird er erfolgreich seinen Gewinn über die Runden retten können. Auch das liegt im Design, aber ob das so gewollt ist?
Wer war bei uns wohl dieser erfolgreiche Aussitz-Händler? Natürlich der Günther, der ungekrönte Beherrscher von System und Chaos!
WPG-Wertung: Aaron: 5 (möchte die etwas stumpfen Mechanismen des Kampfes um das liebe Geld nicht unbedingt noch einmal spielen), Günther: 5 (es gibt Gruppen, in denen so ein vages Spiel dann plötzlich doch funktioniert. A.b.N: Hat es bei uns also nicht funktioniert? Sind Deine 5 Punkte also sher gruppendynamisch zu betrachten?), Walter: 4 (ein holpernder Zeitvertreib. „To have a plan“? – Fehlanzeige).
Malacca ist eher ein Kelterapfel.

5. “Valeo”
Aaron hat sein „Numeris Romanis“ – die Spielidee mit den römischen Ziffern auf griechischen Hexawürfeln – gründlich überarbeitet. Jetzt bekommt jeder eine feste Anzahl von Würfeln in die Hand, mit denen er ein einzigel Mal verdeckt würfelt. Die Spieler legen dann reihum ihre Ergebnisse würfelweise einzeln auf ein scrabble-artiges Spielbrett. Am Ende werden die darin enthaltenen römischen Zahlen identifiziert und als Siegpunkte den Spielern zugeschrieben. Jeder bekommt nur Siegpunkte für die Zahlen, an denen er die Mehrheit von Würfeln hat. Oder alle Spieler werden anteilig ihrer Würfelanzahl entlohnt. Oder, oder …
Noch keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Findungs-Phase..
Valeo ist ein noch unreifes Früchtchen.