Ruppichteroth ist ein Eldorado für angehende Spieleautoren. Christwart Conrad bietet dort eine Platform zum Testen von Prototypen an. Aaron, unsere Autorenhoffnung war dabei, zusammen mit zwanzig Gleichgesinnten, von denen jeder zwei bis vier Eigenentwicklungen dabei hatte. „Sehr viele außergewöhnlich gute Spiele“.
Kein Wunder, dass Deutschland ein Paradies für (gute) Brettspiele ist. Und ein Paradies für Spieleverlage. Zumindest was die Anzahl der ihnen angebotenen Spiele ist. Weniger ein Paradies für Spieleautoren, die auch für ganz tolle, „produktionsreife“ Spiele keinen Verlag finden (werden).
1. “Goblins”
Vor sechs Jahren hatten wir mit „Galaxy Trucker“ ein hübsches Raumschiff-Bauen-damit-Transportieren-und-zerstört-Werden-Spiel kennengelernt und unisono zu unserem Spiel-des-Monats gekürt.
Jetzt hat der gleiche Verlag Czech Games Edition Gründzüge des Spiels nochmal aufgegriffen und als „Goblins Inc.“ präsentiert.
Immer noch
- liegen auf einem großen Haufen verdeckt Bauteile, die wir aufgreifen, umdrehen und daraus unsere Raumschiffe (mit Mannschaft, Motoren, Waffen und Panzerung) auf einem vorgegebenen Grundriß zusammenbasteln
- fliegen wir mit unserem selbstgebastelten Raumschiff durch den Weltraum, werden beschossen und verlieren peut-a-peut Mannschaft und Bauteile, bis wir arg gebeutelt, evtl. sogar totgeschossen das Spielende erreichen.
- fallen unsere Bauteile, die nicht mehr niet- und nagelfest mit der Kommandozentrale verbunden sind, samt allen daranhängenen Teilen ab und verlieren sich im Weltraum.
- hat der gewonnen, der am Ende überlebt und aus dem Restwert seines Raumschiffs sowie aus den Beschädigungen beim Gegner die meisten Siegpunkte erhält.
Unterschiedlich zu Galaxy-Trucker ist:
- Die vom Stapel verdeckt gezogenen Bauteile dürfen nicht wieder zurückgelegt werden. Sie MÜSSEN irgendwie beim Raumschiffbau untergebracht werden, auch wenn sie mangels Festigkeit schon vor dem Start wieder abfallen werden. Einziger Spielraum beim Bauen: 2 von 5 gezogene Bauteile werden an die Feinde zur Verwendung übergeben. Dafür bekommt man von denen auch 2 – am wenigsten brauchbare – Bauteile zugeschustert. Wieweit damit gewisse Baublockaden in der Konstruktion überwunden werden können, bleibt dahingestellt.
- Das Raumschiff (hier: der Roboter) wird ohne Zeitlimit gebaut. Wer meint, für seine fünf Bauteile pro Bauphase eine superoptimale Konstruktion auf die Beine stellen zu müssen, kann seine Mitspieler schon mal ganz schön nerven.
- Wir werden nicht von zufällig auftretenden Meteoriten und ähnlichen Weltraumobjekte beschossen, sondern ganz gezielt von den Gegenspielern, die bei der Trefferquote auch noch würfeln müssen, ob und wohin sie schießen, damit die Zerstörungen nicht ganz so berechenbar sind.
- Immer zwei Spieler arbeiten in einem Pseudo-Team zusammen. Sie bauen nur ein einziges gemeinsames Raumschiff, agieren – d.h. fahren, zielen und treffen – aber unabhänging voneinander. Außerdem haben sie individuelle Siegbedingungen „Geheimpläne“ genannt. Beispielsweise können abgeschossene / übrig gebliebene Bauplättchen, zerstörte Panzerungen oder getötetes / überlebendes Personal gewertet werden, wodurch nur einer von ihnen gewinnt.
Aaron las die Spielregeln mehr oder weniger wörtlich vom Blatt ab. Der Verlag hat durch eingebaute Textwitzchen („Hihi, jetzt wird’s lustig!“) versucht, den Spielgenuss zu fördern. Ausgerechnet unser Thema-Fanatiker Moritz unterbrach hier mehrmals: „Aaron, laß den Flavour-Text weg!“ Ja, liebe Prototypen-Tester von Idee und Umsetzung, das Thema muss im Spielablauf enthalten sein, aber doch nicht in Ballermann-Formulierungen vom Regelheft!
Moritz und Walter bildeten ein Team. Unter dem Schutzschild eines geborenen Wargamers läßt sich gut segeln. Auch wenn dieser seinen Pseudo-Partner mit dreisten Lügen über die strategisch besten Ziele verarschen wollte. Allen Logik und Solidarität heuchenlden Beteuerungen zum Trotze ist für jedem Schützen nur genau dasjenige Bauplättchen das beste Ziel, wofür ER ALLEIN die meisten Siegpunkte bekommt.
Durch einen einzigen Treffer auf ein Schlüsselteil flog Aarons und Günthers Raumschiff total auseinander. Lediglich die Kommandokapsel mit einer billigen Schreckschußpistole blieb übrig. Nur noch mit Fasten und Beten konnten sie bis das Ende der erste Runde ausharren. Mit 3:1 Stimmen war das dann auch das Ende des gesamten Spiels. Wir verzichteten weise auf einen weiteren Teil der Reise. Nur Moritz war enttäuscht: „Mir macht es Spaß!“
WPG-Wertung: Aaron: 4 (das Spiel lebt von der Stimmung der jeweiligen Spielrunde; zu wenig Spaßelemente), Günther: 4 (zu viele Spielemente, wo schlußendlich doch nur der Kampfwürfel alle anderen konstruktven Elemente dominiert), Moritz: 7 (schnell, das Thema kommt sehr gut rüber), Walter: 5 (wohlwollend, weil im Windschatten eines professionellen Wargamers segelnd).
Zu „Galaxy-Trucker“ hatte Aaron in seiner Rezension geschrieben: Das Spiel “is a very enjoyable game and definitely one of the best sci-fi games I have played since a long time.“ Wir sind inzwischen natürlich alle sechs Jahre älter (weiser und reifer) geworden, aber daran liegt es bestimmt nicht, sondern eher an den Spiel-Veränderung zu mehr Zufall und Chaos, dass „Goblins“ bei weitem nicht an sein Vorbild herankommt.
2. “Edo”
Edo ist eine Burg, die sich vor 400 Jahren zu einem Fischerdorf entwickelte, aus dem später Tokyo entstand. Die Aktivitäten zur Stadtgründung werden dem Spiel „Edo“ als Thema unterlegt. Wir zeugen Beamte, mutieren sie zu Samurais, schicken sie in die Prärie um Baustoffe (Holz und Stein) zu besorgen, mit denen wir später Häuser, Kontore und Festungen bauen. Daneben müssen wir immer mal wieder Reis ernten, damit unsere Samurais weiter werkeln und nicht wieder zu hungerlosen Beamten zurückmutieren.
Pro Zug stellen wir drei Aktionen anhand von drei „Erlaubniskarten“ geheim ein. Auf jeder Erlaubniskarte werden vier unterschiedliche Aktionen angeboten, insgesamt stehen also zwölf Aktionen zur Verfügung. Allerdings sind sie nicht frei kombinierbar, von jeder Erlaubniskarte darf nur eine Aktion gewählt werden.
Als „Aktionen“ gibt es neben dem schon erwähnten Baustoff-Besorgen, Reis-Ernten, Bauen etc. noch Geld-Eintreiben, einen Händler-Engagieren, um Geld in Rohstoffe oder Geld plus Rohstoffe in Siegpunkte umzusetzen, oder zusätzliche Erlaubniskarte-Erstehen, um damit mehr und lukrativeren Aktionsspielraum zu erhalten.
Verschiedene Zielrichtungen können zum Erfolg führen.
- Zusätzliche Beamte für mehr Mehrfach-Aktionen
- Bauen ist immer lukrativ, insbesondere der Festungsbau
- Konsequenter Handel mit vorausschauender Rohstoffgewinnung
- Zusätzliche Erlaubniskarten zur Nutzung von dynamischen Vorteilen
- Gezielte Samurai-Zucht in der Schlußphase
Ein paar mehr Beamte sind unerlässlich und auch ein gewisser Häuserbau ist obligatorisch. Doch die anderen unterschiedlichen Vorgehensmöglichkeiten sind so gut austariert, dass es ziemlich gleichgültig ist, in welcher Richtung man seinen restlichen Freiraum nutzt, es kommt am Ende (fast) die gleiche Anzahl an Siegpunkten heraus: unser Sieger hatte 12 Siegpunkte, die dahinter Liegenden 11. Unabhängig von ihrem mittelmäßig-gutem bis grottenschlechtem Vorgehen beim erstmaligen Spielen eines unbekannten Spiels! Für 10 Spielrunden ist diese Siegpunktzahl noch dazu erschreckend gering: nur ca. EINEN EINZIGEN Siegpunkt gab es pro Runde. Kein Wunder, dass die fast zwei Stunden Spielzeit immer ermüdender wirkten.
Das Workerplacement-Aufbauspiel enthält eine balancierte Kombination von mehr oder weniger üblichen Mechanismen, aber keine bemerkenswerte eigenständige neue Idee.
Vielleicht kann man als Empfehlung werten, dass das Spielmaterial sehr ordentlich, robust und mnemotechnisch gut durchdesigned ist.
WPG-Wertung: Aaron:4 (ein Punkt weniger für den engen Siegpunkt-Einlauf, keine Spannung, das Spiel wird von Runde zu Runde langweiliger), Günther: 6 (überschaubare Mechanismen [A.b.N: das zählt als Pluspunkt]), Moritz: 5 (mühevolles Vorwärtsschieben auf der Siegpunktleiste), Walter:5 (funktioniert, weiß aber immer noch nicht, wie ein taktisch erfolgreiches Vorgehen aussehen müßte).