Beim Stöbern in den Archiven meines Rechners kam folgender 15 Jahre alter Briefwechsel zum Vorschein. Ist das Problem heute noch aktuell oder hat es sich mehr in die Richtung der „me too“-Ereiferer verschoben?
Von Moritz, 12. April 2003
Liebe Freunde,
Was ich euch noch nicht erzählt habe: Seit einigen Tagen führe ich eine Email-Diskussion mit einem afroamerikanischen Spieler (Curtis Anderson), den ich einmal auf der Boardgamegeek-Seite anschrieb, weil er einen Kommentar zu deutschen Spielen abließ… dass diese oft “rassistisch” seien (ich staunte nicht schlecht, als ich dies las)! (“So many games about Africa, so few games about Africans”).
Ich war darüber zutiefst verwundert, und begann eine Diskussion mit ihm, die dann in einer Differenzierung seiner Kritik mündete (er sah nämlich ein, daß amerikanische Spiele meist wesentlich rassistischer sind). Natürlich betonte ich, dass die deutsche Spielerszene, die ja größtenteils eher linksliberal oder ökologisch orientiert ist (wenn ich mir so die oft bärtigen, Birkenstocktragenden deutschen Spieledesigner anschaue), fern jeglicher rassistischer Tendenzen ist.
Die Basis seiner Kritik war mir dann jedoch irgendwann einsichtig: Deutsche Spiele benutzen oft historische Themen (natürlich für, wie wir wissen, oft gänzlich abstrakte Spielmechanismen), ohne die nötige “Sensibilität” für das Subjekt aufzubringen (lies auch: “political correctness” – Curtis scheint ein starker Vertreter dieser Richtung zu sein).
Als Beispiele hierfür nannte er zum Beispiel “El Grande” (die Spieler stellen ja historisch effektiv Inquisitoren und Judenvernichter dar, wenn man die Epoche betrachtet), “Puerto Rico” (die braunen Arbeiterpöppel sind effektiv afrikanische Sklaven), “Im Zeichen des Kreuzes” (das muss ich wohl nicht erklären warum) und skurrilerweise auch “Vom Kap bis Kairo” (der Ausbau des afrikanischen Eisenbahnnetzes fand unter menschenverachtenden Bedingungen statt – für die schwarzen Arbeiter).
Mein Einwand dagegen war, daß viele dieser Spiele Epochen oft aus rein graphischen Designgründen gewählt werden, und keinesfalls, wie in den amerikanischen “Simulationsspielen” ,WIRKLICH dargestellt werden. “Puerto Rico” spielte ja als Prototyp auf einer Raumbasis, und wurde dann erst aus Verkaufsgründen in eine exotische, aber reale Umgebung transportiert. “El Grande” ist ja nun wirklich ultraabstrakt, und “Vom Kap bis Kairo” natürlich auch.
Mein zweiter Einwand war, daß es unmöglich wäre, IRGENDEINE historische Epoche zu nehmen, die nicht auch eine Geschichte der Unterdrückung irgendeiner Minderheit ist. Und natürlich, daß die “reale” Darstellung einer Epoche zum Beispiel bei “El Grande” beinhalten müsste, daß die Judenvernichtung spielerisch dargestellt wird, was ja nun äußerst geschmacklos sei. Soll man also nur noch Fantasyspiele oder Märchenspiele wie “Hase und Igel” machen? Das könnte ja nun auch nicht die Antwort sein….
Ein Argument war mir jedoch einleuchtend: Er sagte, daß es ihm wirklich schwer fallen würde, einem afroamerikanischen Freund ein Spiel wie “Puerto Rico” schmackhaft zu machen, da ja effektiv Sklaven als wichtiges Spielmaterial verwendet würden (und die Pöppel sind halt auch wirklich braun!), und das würde einfach abschrecken.
D.h. also hier ist wirklich Bedarf zum Diskutieren, vor allem, wie Spiele gestaltet sein müssten, die historische Themen behandeln, OHNE eventuell anzuecken.
Hier sein Statement:
“I would just point out that when designing a game that includes a historical theme, a designer is representing a situation or a society that has a moral dimension. Game designers and their games should not ignore this moral dimension. To address it, we should ask some questions: Are the players pretending to be people or groups of people who benefited from victimizing others? How bad were these people? Are they worthy of representation as protagonists in a game? Is the game concept worthy of the historical period, or does it ignore unpleasant realities that shouldn’t be forgotten? Most of all, people should remember that history is important, even when it is presented in a “pasted-on” game theme. What’s history to us was the present for people in the past, and those people’s experiences should not be forgotten.” (Curtis Anderson).
Viele Grüsse, Moritz
Von Hans, 13. April 2003
Lieber Moritz,
ich gebe Deinem Freund völlig recht – in der Hinsicht, dass die kulturellen Gemeinplätze, die ein Spiel werbewirksam verkaufbar machen, aus der gleichen Richtung kommen wie die Abenteuer-Filmschinken, Abenteuerbücher usw., die vergangene Epochen aus eurozentrischer Sicht romantisieren, heroisieren und glorifizieren.
Mit “unseren” harmlosen Gesellschaftsspielen kann man aber niemand politisch aufklären, genausowenig, wie mit bösen Ideologien impfen. Deswegen ist es höchst sinnlos, diesen Spielen nur “korrekte” Themen erlauben zu wollen. Das ist einfach der falsche Kampfplatz für soziale Gerechtigkeit !
Deine Frage war ja, wie Spiele gestaltet sein müssen, um keine Gefühle zu verletzen (denn das ist ja unbestreitbar der Fall gewesen, bei Deinem Freund):
Da kann ich nur sagen: Augen auf. Bei der Autoindustrie wird der weltweite Vertrieb in der Modellpolitik berücksichtigt – keine unangenehmen Assoziationen mit dem Modellnamen auf allen Märkten weltweit ! (siehe “Pajero”)
Und, um es zu wiederholen: an den gesellschaftlichen Verhältnissen ändert ein “korrekter” Autoname oder ein “korrektes” Spielethema nichts.
Gruß, Hans.
1. “Carcosa”
Bei der hunderttausendsten Expansion von „Carcassone“ (CE) haben sich die Autoren die Lizenzgebühren bei Hans-im-Glück gespart und ihr Werk lieber unter einem neuen Namen erscheinen lassen. Auch wenn hier in der Einleitung etwas von der „Heimat des Königs in Gelb“ gefaselt wurde, und Moritz im Spielmechanismus sogar Anlehnungen an diese Kultistengeschichte gefunden haben wollte, ist „Carcosa“ (CA) ein reinrassiger Ableger von „Carcassone“. Genau wir dort decken wir reihum je ein Plättchen – mit absolut ähnlichen Strukturen wie bei CE – von ausliegenden Stapeln auf, legen es passend zu den dort bereits liegenden Plättchen in die Tischmitte und erzeugen so eine Landschaft aus Städten („Bezirken“), Wegen („Kraftlinien“) und Wiesen („Wasser“). In Klammern die Bezeichnungen aus CA.
Wir platzieren bei Gefallen eines unser Manschgerl auf den entstehenden geographischen Objekten, und kassieren später Punkte und/oder Gratifikationen, wenn die Objekte fertig abgeschlossen sind.
Natürlich gibt es eine Reihe von Unterschieden und Erweiterungen gegenüber CE. Z.B darf man das Plättchen, das man legen möchte, nicht umdrehen und die Vorderseite anschauen. Es bleibt auf der Rückseite, auf der man vage (!) die Struktur erkennen kann, an welche Stelle der bereits vorhandenen Landschaft das neue Stück hinpasst. Erst wenn ein Weg oder eine Stadt abgeschlossen wurde, werden alle zugehörigen, bisher noch verdeckten Plättchen umgedreht und man findet auf der Vorderseite neben der bereits bekannten Struktur noch geheime Zeichen, die angeben, ob das betreffende Objekt überhaupt Wertungspunkte bringt oder nicht. Wer Pech hat, hat auf Sand gebaut und geht leer aus. Es kann sogar passieren, dass beim Aufdecken eine falsche Nonne erscheint, die unser Manschgerl direkt in die Hölle befördert, so dass wir den Rest des Spiels mit einem Manschgerl weniger auskommen müssen.
Überhaupt unsere Manschgerl. Zu Spielbeginn haben wir nur ganze zwei Stück zur freien Verfügung. Davon ist einer noch „irre“ und muss sich erst in der „Nervenheilanstalt“ sanieren lassen. Es soll Möglichkeiten geben, weitere Manschgerl zu rekrutieren. Wenn man irgendwie sehr konsequent, sehr erfolgreich agiert, funktioniert das sogar. Bei uns ist das nur Moritz geglückt, und das auch nur ein einziges Mal. Günthers eine Manschgerl wurde gleich in der Anfangsphase von der falschen Nonne eliminiert, sein zweites, einziges noch verbliebendes Manschgerl stand einsam und hoffnungsvoll auf einer entstehenden Stadt, war damit aber blockiert bis die Stadt fertiggestellt war. Wenn Günther in seinem aktuellen Zug diese Stadt nicht erweitern oder fertigstellen konnte (die Auswahl der zu legenden Plättchen ist sehr begrenzt), konnte er nur versuchen, seinen Mitspielern möglicherweise genehme Stücke vor der Nase wegzuschnappen und sie in die Prärie zu legen. Oder mit unförmigen Plättchen ihre angefangenen Objekte zu verunstalten.
Miesnickeligkeit diktiert von vorne bis hinten unweigerlich das Spielgeschiehen in CA. Was soll man auch sonst tun, wenn der Freiheitsgrad, etwas Gutes für sich selber zu tun, in der Größenordnung von Null ist? Wir müssen irgend etwas falsch gespielt haben. Es kann doch nicht sein, dass Günther in diesem hochgeistigen Spiel weit abgeschlagen als Letzter geendet hat. Das Regelheft – gleich mit einer ganzen Reihe von Erweiterungen ausgeliefert, von denen wir einige auch übernommen haben – strotzt nur so vor Zugmöglichkeiten, die uns heute alle verschlossen geblieben sind. So blieb nur der Eindruck übrig, den Moritz formulierte: „Das ist schon ein merkwürdiges Spiel. Man hat alle Mechanismen von Carcassone hergenommen und so weit es ging schlechter gemacht.“
Was soll man denn von folgender Passage im Abschnitt „Geheimes Wissen“ halten? Frage: „Wer hat die handschriftlichen Notizen in diesem Regelheft verfasst? War es der Autor? Der König? Der Fremde?“ Antwort: „Es gibt keine handschriftlichen Notizen in diesem Regelheft.“ Ist hier irgendeiner vorzeitig aus der „Nervenheilanstalt“ ausgebrochen.
WPG-Wertung: Günther: 3 ([! Für ihn fast ein Negativ-Rekord!] Da würde ich doch lieber mal wieder Carcassone spielen), Milo: 5 (das Spiel enthält einige unnötige Elemente, hübsch sind die Ritualsteine), Moritz: 4 (ich habe diesen Kickstarter nur wegen des Themas gekauft. Vieles ist einfach misslungen. Selbst das Design sieht wirklich „Sch ..“ aus, während bei Carcassone das Design doch elegant ist), Walter: 3 (keine Handlungsfreiheit, und das bisschen, was man hat, macht der Zufall kaputt.).
2. “Azul”
Wir brauchten jetzt alle unbedingt etwas zum Auflockern. Da kam „Azul“ gerade recht (siehe unsern Report vom 07.12.2017). Hübsch, eine Interaktion, die weit über das übliche Konkurrenzgehabe hinausgeht, spielerisch, taktisch, planerisch, mit einem perfekt integrierten Zufallseinfluss.)
3. “Elemental”
Hier hat sich ein Autor mal wieder an die unlösbare Aufgabe gemacht, ein funktionierendes, abstraktes, rein strategisches, zufallsfreies Kampfspiel aller gegen alle zu erfinden. “Unlösbar” bezieht sich auf “funktionierend”, wohlgemerkt!
Nach Go-Manier platzieren wir reihum jeweils einen unserer Setzsteine auf einer karierten Spielfläche. Sobald wir mit unseren Setzsteinen bestimmte Muster gelegt haben, können wir damit Aggressionen anwenden. Vier Steine in einem gleichschenkligen Dreieck (drei Steine als Basis, ein vierter Stein in der Mitte) bilden einen „Feuerball“ und schießen alle gegnerischen Steine auf der Höhenlinie weg. Vier Steine als die Ecken eines Parallelogramms bilden eine “Welle”, die sich pro Zug um ein Feld weiterbewegt und alle gegnerischen Steine, über die sie sich bewegt, in den Orkus befördert. Zwei mal zwei Steine auf einer Linie bilden einen “Wechselwind” und schießen alle gegnerischen Steine ab, die sich dazwischen befinden. Und ähnliche Muster.
Vier Steine in einem Quadrat bilden einen „Berg“ und sind geschützt.
Ziel des Spiels ist es, eine symmetrische Rose aus 14 aneinanderliegenden Steinen zu bilden. Wer das geschafft hat, hat gewonnen.
Was funktioniert hier in einer 4er Runde nicht? Der Letzte im Bunde kommt nie auf einen grünen Zweig! Bevor er nur seinen vierten Stein gesetzt hat, um irgend ein aggressives Muster erzeugt zu haben, sind drei Spieler vor ihm am Zug gewesen und haben ihm die Beine unterm Hintern weggeschossen. Kann mir einer erklären, wie so ein armer Tropf wieder auf die Füße kommen soll?
Als jeder gerade mal fünf Steine platziert, Moritz und Walter bereits je eine Welle gebaut und die Spielsteine von Günther und Milo je zweimal dezimiert hatten, war klar: das Spiel funktioniert nicht. So nicht! Wir brachen ab.
Vielleicht sollte man vor dem nächsten Versuch lange, lange studieren und analysieren, welche Überlebenschancen so ein armes hinterhertrabendes Schwein hat. Bei unserer begrenzten menschlichen Lebenszeit sollte man wohl auch noch dicke Bücher über Elemental-Analysen durcharbeiten, in denen andere Elementalisten ihr reiches, fundiertes Wissen niedergelegt haben, um die strategische Vielfalt dieses Spiels zu erkennen und zu goutieren. Doch nach unserem heutigen allseitigen Vorurteil halten wir solche Analysen für einen Sisyphus-Job. Wobei der bekannte Stein wohl nicht mal bis zu einem Bruchteil des Hügel nach oben gerollt werden kann.
WPG-Wertung: Günther: 4 (Hoffnung auf eine Strategie, die vom Himmel fällt; Hoffnung auf Kooperation der Morituri und ein Sich-gegenseitig-Zerfleischen der Caesaren), Milo: 4 (5 Punkte für das 2-Personenspiel), Moritz: 5 (die Spielidee ist originell; bei mehr „Erkenntnis“ ist das Spiel – vielleicht – sogar mehr Punkte wert), Walter: 2 (glaubt nicht an die Existenz einer funktionierenden 4-Personen-Strategie; das Schönste am Spiel waren die Azul-Steine, mit denen wir gespielt haben.).
4. “Azul”
Bei der Alternativ-Entscheidung zwischen „Bluff“ oder „Azul“ als Absacker, plädierte Milo für Azul. Alle schlossen sich diesem Vorschlag an.
Im ersten Spiel war Milo Startspieler und Moritz demnach im ersten Durchgang Zweiter geworden. Ob gewollt oder zufällig, er biss dreimal in den nur vermeintlich sauren Apfel des ersten Ziehers-aus-der-Tischmitte und wurde locker Sieger.
Jetzt im zweiten Spiel, wurde Walter Startspieler und nahm regelmäßig, fast schon in seinem zweiten Zug, passende Steine aus der Tischmitte (da gibt es immer passende Steine) und wurde ebenfalls Sieger.
Der Vorteil, in einem Durchgang als erster wählen zu dürfen, zusammen mit dem statistischen Vorteil, damit auch durchschnittlich häufiger am Zug zu sein als seine Mitspieler, ist deutlich mehr wert als der eine Minuspunkt, den man sich dafür einheimst.
In „Azul“ sollte die Leiste mit den Minus-Punkten neu justiert werden. Der erste Aus-der-Tischmitte-Zieher sollte 5 Minuspunkte bekommen; die Minus-Punkte für nicht platzierbare Steine können bleiben.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.