728, d.h. knapp 70% aller von uns bewerteten Spiele, haben wir am Westpark nur ein einziges Mal gespielt. Das wird von unseren Lesen zuweilen ja auch kritisch vermerkt. Doch damit haben wir nur einen Trend vorweggenommen, der brandaktuell auf dem Spielemarkt Einzug hält: Wegwerfspiele, die nur ein einziges Mal gespielt werden KÖNNEN, weil das Spielmaterial im Laufe eines einziges Spieles regelgerecht zerlegt werden muss: zerschnitten, zerrissen, verkrählert und durchstochen! Wirklich! Unweigerlich! Einem wahren Spieler zerreißt es das Herz, wenn er an sein nagelneues, bildschönes Spielmaterial Pinsel und Schere anlegen soll.
1. “Exit – Die Grabkammer des Pharao”
Genau dieses ist so ein Einmal-gebraucht-Wegwerf-Spiel. So steht es bereits klipp und klar auf der Schachtel: „Dieses Spiel kann nur 1 x gespielt werden.“
Worum geht es? Vom Thema her sind wir als Reisegruppe in der Grabkammer des Tutanchamun eingeschlossen und müssen anhand von Hinweisen eines antiken Notizbuches den Stein von der Türe hinwegwälzen. Vom Spielablauf (euphemistischer Ausdruck) her müssen wir alle gemeinsam die sehr verdeckten und versteckten Rätsel eines Rätselheftes lösen, bis wir schlussendlich die richtige Lösungsnummer gefunden haben.
Die Aufgabenstellungen sind „geistreich“, nicht Bücherwissen wird abgefragt, sondern die Findigkeit, aus den vagen Andeutungen in der Spielanleitung und aus dem rätselhaftem Material, das wir uns im Zuge der Lösungsfindung angeeignet haben, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Zur Spielvorbereitung soll man das Rätselbuch und die Decodierscheibe auf dem Tisch bereit halten. Weiter heißt es in der Anleitung „Die seltsamen Teile lasst ihr zunächst in der Schachtel“. Einem findigen „Spieler“ sollte hier sofort das – nicht fett gedruckte – „zunächst“ auffallen. An keiner Stelle steht später, dass man weiteres, dringend gesuchtes Material aus der Schachtel holen soll. Aber wenn man das „zunächst“ im Hinterkopf behält – wenn ALLE Spieler diesen Text bedächtig und gedankenvoll gelesen und verinnerlicht haben – , dann fällt einem dieser Satz zu gegebener Zeit wieder ein, und man kommt auf den richtigen Gedanken.
Bei uns hatte zunächst nur Günther die Spielanleitung (vor)gelesen und von diesem Schlüsselsatz – einem von vielen – nur das Ende verinnerlicht: „Der Rest kommt in die Schachtel“.
Vehement stritt er später ständig ab, dass in der Schachtel vielleicht noch ein „blaues Original“ zu finden sein könnte. Erst nachdem wir uns zwanzig Minuten lang über dieses blaue Original vergeblich die Köpfe zerbrochen hatten, kam uns die Erleuchtung.
Überhaupt die Zeit! Es gibt eine Zeit-Tabelle, nach der jede Spielergruppe nach dem vollständigen Lösen der Exit-Regeln ihre eigene Leistung bewerten kann. Ein sehr anspruchsvoller Maßstab ist hier vorgegeben. Um die Höchstnote zu bekommen, müssen wir in 60 Minuten alle Rätsel gelöst haben und dürfen dabei keine einzige der 31 möglichen Hinweiskarten zu Hilfe genommen haben. Aber kann die Zeit überhaupt im Sinne des Erfinders sein? Sollen wir uns hektisch gegenseitig Anleitung, Regelheft und Zwischenmaterialien aus den Händen reißen, nur weil wir schneller als unsere Mitspieler den nächsten Lösungsschritt zu finden glauben? Ist es bei solchen Aufgaben nicht angemessener, sich in Ruhe und Kontemplativität hinzusetzen, die Aufgabenstellung als reizvolle, hübsche Gabe von Autor und Verlag anzusehen, und mit heiterem Genuss über der Lösung zu grübeln. Archimedes hat ja auch nicht mit Stress im Kopf und Stoppuhr in der Hand über den Auftrieb nachgedacht, sondern entspannt sein Bad genossen, bevor er mit seinem Heureka den betrügerischen Goldschmied an den Galgen brachte.
Unser superbegabtes, hochintelligentes fünfköpfiges Rateteam brauchte genau 2 Stunden und 8 Sekunden, um des Pudels Kern zu finden. Dabei benötigten wir 4 Hilfekarten: Note: 4 von 10 Sternen. Moritz war enttäuscht, Helmut erlöst, Aaron befriedigt, Günther erleichtert und Walter ging in den Keller, um eine neue Flasche Wein zu holen.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (für den, der Knobeleien mag, ich mag sie nicht; ein „Spiel“ ist es nicht), Günther: 6 (ein unterhaltsamer Rätselabend; wenn das Spiel nicht meines, sondern Walters Eigentum gewesen wäre, hätte ich 7 Punkte vergeben), Helmut: 2 (schrecklich, grauenvoll, nicht zuletzt der zerstörerische Umgang mit dem Spielmaterial; da kaufen sich 5 gestandene Mannsbilder so ein Spiel, legen freiwillig alle Auflösungen unter die Kartenstapel und entscheiden gemeinsam, wann sie nicht mehr weiterwissen und drunterschauen müssen; in Zukunft können wir auch gemeinsam Kreuzworträtsel lösen), Moritz: 5 (als Rätsel-Kommunikations-Unterhaltung clever gemacht, unterhaltsam, aber kein „Spiel“; vermisst Konkurrenz; manches Spielmaterial sollte mehrfach vorhanden sein, damit es sich die Mitspieler nicht gegenseitig aus den Händen reißen müssen), Walter: 4 (1 Punkt mehr für die vielfältigen Design-Überlegungen, das Spielmaterial im Zuge der Lösung auch unbedingt kaputt machen zu müssen, 1 Punkt weniger, weil eine Lupe gefehlt hat).
Mit wachsender Skrupellosigkeit waren wir über das Spielmaterial hergefallen. Hammer, Schere und Dolch wurden immer unbedenklicher eingesetzt, bis am Ende von Seiten, Heft, Karten und Karton nur noch ein Schrotthaufen übrig geblieben war Der Seelenschmerz über die Zerstörung von nagelneuem, voll funktionsfähigen SPIELmaterial wurde mit den wachsenden Aufgaben und ihrer Endlösung immer geringer. Genauso wie beim Militär das Schießen auf Pappkameraden die Skrupel zum richtigen Morden abbaut. Oh KOSMOS, wieweit hast Du uns gebracht … ?
2. “Coup Rebellion G54”
Moritz begann aus der Spielanleitung vorzulesen: „Ziel des Spiel ist es, alle anderen Spieler zu eliminieren und als letzter Überlebender übrig zu bleiben.“ Aaron fiel erschrocken ein: „Noch ein Kooperationsspiel!“
Kooperation hin oder her, wir verdienen uns redlich Geld aus der Bank, rauben es unredlich von unseren Mitspielern, oder verteilen es auf gut christlich-kommunistischer Grundlage. Und wenn wir genug Geld beisammen haben, verdingen wir Mörder, die einen oder alle Mitspieler abknallen. Zwei Leben hat jeder Mitspieler, zweimal Geld gesammelt oder zweimal abgeknallt und schon hat die gute Seele ihre Ruh!
Die Effizienz unserer Geld-Sammel-Mörder-Aktionen wird durch Rollen bestimmt, in die wir dazu schlüpfen: Der „Banker“ bekommt gleich drei Geldeinheiten pro Zugriff, der gemeine Bürger nur eine. Ein „Guerilla“ muss mit vier Geldeinheiten bezahlt werden, er tötet auch nur das Leben eines einzigen Mitspielers. Der „General“ verlangt fünf Geldeinheiten, er verkürzt aber gleich alle Mitspieler um ein Leben.
Jeder Mitspieler bekommt zu Spielbeginn zwei feste Rollen zugeteilt, die kann ihm keiner streitig machen. Man darf allerdings auch bluffen und versuchen, in Rollen zu handeln, die einem nicht gehören. Die betroffenen Spieler dürfen sich auch wehren und bestreiten, dass man eine Rolle rechtens ausübt. Recht- und Unrechthaben wird ebenfalls mit Leben bezahlt. Zwei Leben sind schnell dahingegeben, das Spiel ist kurz.
Helmut hatte selber eine Banker-Rolle bekommen und bestritt sogleich die Banker-Rolle, mit der Moritz im ersten Zug drei Geldeinheiten einheimsen wollte. Moritz war aber tatsächlich ebenfalls Banker und Helmut war die Hälfte seiner Leben los. Gleich im nächsten, zweiten Zug schlüpfte auch Aaron in die Banker-Rolle und wollte drei Geldeinheiten auf seine Seite schaffen. Helmut zweifelte wieder an, doch auch Aaron hatte tatsächlich bei der Startaufstellung die dritte und letzte Banker-Rolle zugeteilt bekommen. Helmut war tot, bevor er auch nur einen einzigen Zug getan hatte. Darf so ein Verlauf in einem „vernünftigen“ Spieldesign enthalten sein?
Jetzt alle weiteren Aktionen aller Mitspieler anzuzweifeln und das Spiel schnellstmöglich zu beenden, wäre eigentlich spielerische Solidarität gewesen. Doch sowas ist heutzutage selbst am Westpark eine seltene Einstellung. Glücklicherweise ist das Spiel ohnehin schnell über die Bühne gebracht.
Moritz läutete eine zweite Runde ein, aber Walter war dagegen. Schneller Geld zu nehmen als die Mitspieler und sie schneller abzuknallen, das kann man doch keine abendfüllende Unterhaltung sein! Mit neuen, variableren Charakterkarten wurde die zweite Runde schmackhafter gemacht. Doch das Prinzip blieb unverändert.
Drei Wölfe waren im Nu erschossen, die Lämmer Aaron und Walter standen im Endspiel. Aaron war bekanntermaßen wieder Banker und bekam 3 Goldstücke pro Runde. Walter war nur Normalsterblicher mit 1 Geldstück pro Runde. Wer wird wohl schneller die nächsten Mörder bezahlen können? Alles nur eine Frage der Zeit. Aber wir waren ja klug und weise, wir konnten auch im Kopf extrapolieren und uns selbst diese kurze Zeitspanne noch ersparen.
Moritz war zwar der Meinung, durch legalen Rollentausch bzw. durch illegale Rollen-Usurpation hätte Walter noch eine Chance gehabt, doch darin hatte er ohne jeden Zweifel unrecht. Recht hatte er lediglich mit seiner Behauptung, dass Walter in solchen und ähnlichen Rollenspielen nicht lügen kann (Potenz-Defizit).
„Coup Rebellion G54“ ist nicht erkennbar anders als sein Vorgänger „Coup“. Es ist allerdings deutlich anders als „Hoax“ bzw. „Die Erben von Hoax“. Letzteres ist interaktiv, bluffig, kartenpflegerisch und man kann einen Gewinner-Coup vorbereiten, „Coup Rebellion G54“ ist so ziemlich das Gegenteil davon.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (ein bisschen fehlt der Pfiff), Günther: 4 (fand „Hoax“ früher mal gut [7 Punkte], ob er es heute noch gut finden würde, weiß er nicht, auf jeden Fall war es besser als „Coup“), Helmut: 4 (eine vorschnelle Bewertung für seine 2 Sekunden Spielzeit), Moritz: 8 (nur „Hoax“ ist 10 Punkte wert [tatsächlich!]), Walter: 3 (ich wüsste nicht, wie und warum ich es noch einmal spielen wollte; für Deduktion bin ich zu alt, der Rest ist zu trivial).
3. “Abluxxen”
Nachdem Helmut neulich in der 3er Runde noch keinen Eindruck von dem überaus breiten Witz dieses Spiels hatte bekommen können, durfte er es heute in einer 5er Runde kennenlernen.
WPG-Wertung: Helmut blieb mit 7 Punkten einen ganzen Punkt unter dem bisherigen WPG-Durchschnitt (ich habe hier eine geistige Blockade, ich kapiere es [noch] nicht).