1. “Destilled”
Kein Workerplacement, wie die letzten hunderttausend Spiele, die die Neuentwickelungen auf dem Markt beherrschen, sondern ein Wirtschaftsspiel um die Herstellung von Spirituosen.
Jeder Spieler hat einen kleinen Keller, in dem alkoholische Gärung stattfindet; er muss dazu entsprechende Zutaten kaufen, neben Wasser und Hefe natürlich zuckerhaltiges Getreide und/oder Früchte. Einige dieser Zutaten liegen billig (bis zu kostenlos) herum; darf man sich davon pro Runde aber nur zweimal bedienen. Die hochwertigeren Zutaten, hochwertig im Sinne von höherem Zuckergehalt und mehr Siegpunkten, muss man sich auf dem offenen Markt dazukaufen. Hier ist eine leichte Konkurrenz gegeben, wenn die Mitspieler – zufällig – das gleiche Produkt herstellen wollen und der Markt von unserer begehrte Zutat leergefegt ist.
Die fertig destillierten Spirituosen kann man sofort verkaufen oder einlagern. Claro, Sofortverkauf macht finanziell flüssig, Einlagern bringt Qualität und mehr Siegpunkte. Zum Einlagern braucht man aber auch eigens Fässer, die einen Batzen Geld kosten und uns in der Anfangsphase finanziell fast ruinieren. Zudem muss man für gute, lagernswerte Spirituosen auch noch das Label kaufen, was ebenfalls unsere Kasse strapaziert. Trotzdem ist das eine lukrative Wirtschaftsmethode, denn einmal eingelagert erhalten die Alkoholika danach ohne jegliches Zutun von unserer Seite erhebliche Wertzuwächse. (Glücklicherweise kann man Siegpunkte rückwärts in Geld verwandeln und sich so ein kleinwenig Kredit besorgen.)
Vorhandene Geldmittel können / sollten wir auch für Zubehör wie Edelfässer und spezielle Abfüllgefäße, oder auch in Mitarbeiter investieren, die beim Einkauf- und bei der Vermarktung Vorteile bringen. Alles unser Tun landet in einem ausgewogenen Verhältnis von Ausgaben (in Form von Geld) und in Einnahmen (in Form von Geld und Siegpunkten). Natürlich gilt auch hier der 1830-Leitspruch: “keep fully invested”.
An vielen Stellen sind dosierte Zufallsmechanismen mit Weichmachern eingebaut, so dass nicht jeder Schritt in Aktion und Reaktion berechenbar ist, aber Tränen brauchen dabei nicht zu fließen.
Thematisch werden wir sehr gut in die Spirituosenherstellung der Welt eingeführt. Alle Begriffe und alle Spielmechanismen stammen daher und sind wohl begründet. Die Spielanleitung ist ein Gedicht! Es macht Spaß, sich die Zutaten für sein Zielgebräu zusammenzusuchen, den daraus resultierenden Alkoholgehalt zu registrieren und seine Produkte in Form von Rum, Whiskey, Gin, Cachaça (hallo Günther: Katschassa) einzulagen und/oder zu verkaufen, und seine anfangs kleine Hobby-Destillerie zu einem kapitalkräftigen Unternehmen zu entwickeln.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (spielt sich flotter als gedacht, man kann immer etwas machen; der Fasskeller hat mich [anfangs] nicht vom Hocker gerissen [WS-Ergänzung: „, aber später habe ich doch ganz schön Profit dabei gemacht), Günther: 7 (schönes Spiel, konstruktiv, viele gute Kombiniermöglichkeiten, sogar das Thema ist OK), Walter: 8 (rundes, klares Spiel; Zielvorgaben und andere Schnörkel sind fast überflüssig; das Spiel läuft auch so für jeden Spieler in eine andere, wählbare Richtung; mich erinnert es sehr an „Grand Cru“, das mir Aaron auf der Spiel 2010 in Essen geschenkt hat; dieses Spiel hatte in der Versteigerung der Trauben leider einen Geburtsfehler; es hat mir aber trotzdem gut gefallen; schließlich komme ich selber aus einer fränkischen Weinbaugegend.“
14.06.2023: Da war doch noch was
Richtig, vor meinem Urlaub Ende Juni haben wir noch ein bemerkenswertes Spiel gespielt.
2. “Federation”
Ein Workerplacement-Spiel.
Das Herzstück ist der Setzmechanismus: Jeder Spieler hat vier VERSCHIEDENE Pöppel, die er mit unterschiedlicher Wirkung mit der Vorderseite oder Rückseite auf die Felder eine 3 x 6-Matrix setzen kann und entsprechende Aktionen ausführen kann. Im Wesentlichen geht es um ein Engagement auf sechs verschiedenen Planeten, die entweder kostenlos Ressourcen gewähren, Ressourcen in höherwertige Ressourcen eintauschen lassen, oder Quellen für Ressourcen erschließen.
Das Setzen hat aber nicht nur punktuell auf den Feldern der Matrix eine Bedeutung, sondern löst am Ende jeder Runde, kombiniert mit allen Setzsteinen aller Mitspieler zeilenweise horizontal oder spaltenweise vertikal noch weitere Effekte aus: Erstens kann man damit die Mehrheit für denjenigen Planeten beeinflussen, der nach dieser Runde die Belohnungen ausschüttet, und zweitens kann man damit in der Setzmatrix Zeilen-Mehrheiten erringen, womit weitere Siegpunkte ausgeschüttet werden.
Günthers wie immer äußerst gewissenhafte und kompetente Spiel-Erklärung dauerte 1 Stunde 45 Minuten. Die erste Runde hatten wir nach 35 Minuten absolviert, die zweite Runde in 30 Minuten, und für die gesamten fünf Runden brauchten wir 3 Stunden 10 Minuten. – Was hätten wir auch sonst am Mittwochabend tun sollen?
WPG-Wertung: Aaron: 5 (die Interaktion wirkt eher wie ein Störelement; die Spieldauer ist zu lang; entweder überlegt man NOCH länger, oder man spielt einfach drauf los, aber das können unsere Cracks am Westpark nicht), Günther: 8 (große Handlungsfreiheiten), Moritz: 7 (die Konkurrenzen auf dem Setz-Tableau sind hübsch, die Tiefe gefällt mir, die Punkteausschüttung ist organischer als die üblichen Rosenbergs), Walter: 5 (ein riesengroßer Punktesalat ohne stromlinienförmige Ausrichtung; die enormen Effekte der Sonderplättchen bringen vollends unberechenbares Chaos in das Geschehen).
21.06.2023: Und da war doch noch etwas
Vielleicht auch am 28. Juni. Wer weiß das schon. Da war Moritz der Gastgeber. Aber wenn wir nicht am Westpark spielen, schreibt keiner mehr einen Session-Report. Vielleicht jetzt vom Westpark auch nicht mehr.
Wir Westpark-Gamers werden wohl noch ein Weilchen miteinander Spiele entdecken und spielen, normalerweise sogar regelmäßig jede Woche, auch wenn das hier auf unserer Seite nicht so aussieht. Aber dies hier könnte der letzte Session-Report gewesen sein, den wir veröffentlichen. Mehr als 20 Jahre haben wir hier unseren Senf zu den Spielen der Welt dazugegeben, 794 Session-Reports sind entstanden.
Doch wir werden älter; unsere Spielerfahrung hat zweifellos ein beachtliches Niveau erreicht, aber die Spieleentwicklung hat damit nicht Schritt gehalten. Es gibt kaum mehr solche Volltreffer wie „AZUL“, wo mit wenig Mitteln, aber mit ein oder zwei zündenden Ideen ein Spiel mit einem ganz neuen Spielgefühl entwickelt wird. Ohne die kreativen Entwicklungen der letzten Jahre pauschal mit den Immer-Mehr-Masse-Kickstarter-Produkten über einen Kamm scheren zu wollen, gilt für mich: Ich möchte mehr sehr gute Spiele aus Gegenwart und Vergangenheit spielen und weniger mäßige Lieschen-Einstein-Müller-Spiele von Morgen beschreiben. Und meine Mitspieler sind des Schreibens, sogar des simplen Kommentierens schon lange müde.
Vielen Dank an den harten Kern unserer Leserschar für Eure Lesegeduld. Wir bleiben im Spiel.