Interaktion ist für uns ein wichtiges Qualitätsmerkmal für ein gutes Spiel. Dabei kommt es häufiger zu kontroverser Einschätzung, ob eine konkrete Spieleigenschaft jetzt „Interaktion“ oder nur „Mitspielerchaos“ ist. Letzteres ist keinesfalls positiv, bestenfalls als indifferent einzustufen. Was ist der Unterschied?
Nach Wikipedia bezeichnet Interaktion „aufeinander bezogenes Handeln zweier oder mehrerer Personen“. Eine gewisse Ordnung muss also innerhalb der „Wechselbeziehung zwischen Handlungspartnern“ stecken. Dahingegen ist Chaos ist „ein Zustand vollständiger Unordnung oder Verwirrung“.
Beispiele: Die Moleküle in einem Gas befinden sich in einem Chaos-Zustand. Ihre Bewegungsfreiheit ist durch die Existenz der Mit-Moleküle zwar eingeschränkt und ihre tatsächliche Bewegung wird davon auch beeinflusst, aber ein logisch erstrebtes bzw. erstrebenswertes Ziel lässt sich nicht ausmachen. Dahingegen ist das Verhalten verschiedener Tierarten an einer Wasserquelle von einem Höchstmaß an Interaktion bestimmt. Die Gefährlichen und die Stärkeren dürfen zuerst ran, die Schwächeren müssen ihren Durst in eine Relation zum Wasservorrat und zur Nähe und dem Hunger der Fressfeinde bringen, bevor sie ran dürfen oder sich ran drängeln. Sie könnten sich aber zusammentun …
Bleibt noch die Frage offen, ob die Bewegung der Samenzellen in Richtung Eizelle besser mit Mitspielerchaos oder mit Interaktion zu bezeichnen wäre.
1. “Via Nebula”
Ein großes Spielbrett mit Hexagon-Einteilung liegt auf dem Tisch. Einige Felder sind unbegehbare Felsen, einige sind Rohstoffquellen für verschiedene Rohstoffe, und etwa die Hälfte sind weiße Nebelfelder, die wir in unseren Zügen nach und nach „erkunden“, d.h. in grüne Wiesenlandschaft umwandeln dürfen. Dazwischen liegen ein paar Bauplätze, auf denen wir unsere Häuser errichten sollen. Die Bauplätze sind allen zugänglich und können auch aus der Luft betreten werden. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wer zuerst fünf Häuser errichtet hat, leitet damit das Spielende ein.
Zum Bau eines Hauses müssen wir eine wohldefinierte Kombination von Rohstoffen zu unserem Bauplatz tragen. Die Entfernung von Quelle zu Bauplatz spielt keine Rolle. Der Transport einer Rohstoffeinheit kostet immer genau eine Aktion.
Der Weg dieses Rohstoff-Transportes muss über freie Wiesenflächen gehen, wir müssen uns u.U. erst einen Hexagon-Wiesenweg von den Quellen zu unseren Bauplätzen bauen. Diese Wege sind für jedermann nutzbar. Es spart natürlich Züge, die Wege der Mitspieler mitzubenutzen, doch legen diese uns nicht freiwillig grüne Wiesen auf unseren Weg. Früher oder später muss immer irgendwo einer – meist zum Allgemeinwohl – damit beginnen.
Von den Rohstoffquellen sprudelt zu Spielbeginn nur ein geringer Teil. Die überwiegende Zahl von ihnen müssen wir erst erschließen, indem wir als eine Aktion einen unserer Arbeiter hinschicken. Dafür gibt es sogar Siegpunkte. Unser Arbeiter muss aber solange auf seiner Quellen sitzen bleiben, bis alle darauf entdeckten Rohstoffe abtransportiert sind, von uns oder von den Mitspielern.
So besteht die Herausforderung des Spiels darin,
- die bestgelegensten Bauplätze ausfindig zu machen und für uns zu reservieren,
- die bestgelegensten Rohstoffquellen zu erschließen, und zwar sind das diejenigen, mit Rohstoffen, die wir selber brauchen und zugleich diejenigen, wo möglichst schnell viele Mitspieler für ihre eigenen Bauzwecke zugreifen, so dass unser Arbeiter für neue Erschließungen wieder frei wird,
- nur die unbedingt notwendigsten Transportwege bauen, für den Rest aber uns von den Mitspielern bedienen lassen.
Alles ist gut, alles ist konstruktiv, alles liefert Siegpunkte, alles nützt allen, manche nützen halt alles noch ein bisschen mehr, schneller oder günstiger.
Ein schönes, sauberes, braves Brettspiel aus der begabten Feder des Spiele-Routiniers Martin Wallace. Ein hübsches Weihnachtsgeschenk für die gesamte spielende Familie, einschließlich aller schulpflichtigen Kinder. Offiziell sollten sie 12 Jahre alt sein, aber diese Messlatte stimmt wie gewöhnlich auch hier nicht. Stabiles Material, klares Design, frohe Farben. Frohes Fest.
WPG-Wertung: Aaron: 8 (ruhiges Design, schnell erklärt, schnell und locker runtergespielt), Günther: 6 (für alle ein separates Grübeln und am Ende haben wir alle ähnlich viele Siegpunkte; lockeres Runterspielen macht des Spiel eher zu einem Würfelspiel), Helmut: 6 (interessantes Design, gut ausbalanciert, aber zu kleinteilig: viele kleine Informationen, die man alle berücksichtigen muss, wenn man das Spiel perfekt spielen will, und wenn man das auch tatsächlich tut, dauert das unakzeptabel lang, jedoch entspricht das Abbrechen von Überlegungen nicht meinem Charakter), Walter: 7 (konstruktiv, besonders für Aus-dem-Bauch-heraus-Spieler geeignet).
Dank Helmuts cogitus interruptus und Günthers alea iacta volutaria haben wir den Nebligen Weg ruhig und locker in der angegebenen einen Stund Spielzeit bewältigt.
2. “Tiefsee-Abenteuer”
Zwei bis sechs Spiele würfeln jeweils ihren Pöppel über einen gemeinsamen wohldefinierten Tauchgang in die Tiefe. Auf jedem Feld, das sie sich erwürfeln, liegt ein Schatz – sofern ihn nicht bereits ein Mitspieler an sich genommen hat. Diesen Schatz dürfen sie mitnehmen oder liegen lassen, ganz nach Belieben. Je mehr Schätze ein Pöppel transportiert, desto langsamer kommt er vorwärts. Zugleich verbraucht er auch mehr Sauerstoff, je mehr Schätze er mit sich trägt. Schätze abwerfen gilt nicht: aufgehoben heißt mitführen, bis dass der Tod euch scheidet.
Jetzt kommt nämlich die Crux des Ganzen: Es gibt nur einen einzigen gemeinsamen Sauerstoffvorrat für alle. Und dieser ist knapp, vor allem dann, wenn jeder Spieler schon einige Schätze mit sich führt, sich dementsprechend nur noch langsam bewegt, zuweilen sogar stehenbleiben muss, und bei jedem Schritt einen erklecklichen Anteil Sauerstoff verbraucht. Z.B. wäre bei vier Mitspielern, wenn jeder drei Schätze transportiert, bereits nach je zwei Schritten der gesamte Sauerstoffvorrat verbraucht. Und schnell kommt man mit drei Schätzen unterm Arm auch nicht mehr vorwärts: durchschnittlich nur ein einziges Feld pro Zug!
Also darf man nur wenige Schätze an sich nehmen, möglichst gar keine auf dem Weg nach unten, wo die wertvolleren Schätze liegen, und dann heißt es ruck-zuck wieder nach oben. Doch die bösen Mitspieler können einem auch einen Strick durch diese einfache Rechnung machen, in dem sie mehr oder weniger Selbstmord begehen, d.h. den Sauerstoffverbrauch durch ungebremstes Zuladen von Schätzen auf ein Maximum und die Bewegung auf ein Minimum bringen. Bei uns gab es nur wenige erfolgreiche Tauchgänge. Aber alle waren voller Lust und Risikofreude. Gerade darum waren sie ja nicht erfolgreich.
Das Spiel ist kurz und kurzweilig, Spannung und Spielspaß sind überraschend groß. Nach der ersten Runde über drei Durchgänge schlossen wir sofort mit Lust und Laune eine zweite Runde an.
Der gemeinsame Sauerstoffvorrat ist die gewaltige Interaktion des Spiels. Wenn der nicht wäre, so wäre der Rest eine autistische Can’t-Stop-Würfelei.
WPG-Wertung: Aaron: 8 (macht Laune, viel Interaktion), Günther: 8 (Gaudispiel mit erheblichem Schadenfreudepotential), Helmut: 8 (toll [nachgefragt: diese Bewertung war nicht als Verarschung gemeint!]), Walter: 8 (als Absacker sehr gut, zum Warming-Up sogar noch besser geeignet).
3. “First Class”
Helmut Ohleys neuestes Eisenbahnspiel ohne Gleise und Verbindungen, stand zum zweiten Mal auf dem Programm.
Günther kannte sich aus und hatte auch einen Peil. Es besorgte sich gleich im ersten Durchgang hinreichend Geldmittel um den Ofen seiner Dampflok nicht kalt werden zu lassen. Damit konnte er sehr flexibel seinen gesamten weiteren Aufbau bestreiten, kam nie in Engpässe und übertraf tatsächlich die 200 Siegpunkten, die hier als Grenzwert für gutes Spielen gelten.
Aaron wollte zuerst ebenfalls den Dampflok-Weg gehen. Er war aber Letzter in der Startreihenfolge, eine für dieses Vorhaben unglückliche Position, die er auch nie durchbrechen wollte, und so waren ihm die Lok-Felle von Anfang an davon geschwommen. Er verlegte seinen Schwerpunkt auf Waggonketten und landete dicht hinter Günther auf dem zweiten Platz.
Helmut als „First Class“-Neuling hatte einen überraschend guten Start. Schon in der ersten Runde besaß er einen 12er Waggon mit Siegpunkt-Verdoppler. Doch in den weiteren Runden schwächelte er. Warum wohl? Wahrscheinlich hatte er das Spiel verstanden und jegliche Lust an weiterer Excel-Programmierung über Mittel, Quellen, Ketten und Klassen verloren.
Walter als Zweiter in der Startreihenfolge wollte sich diesmal ebenfalls in Günthers bewährter Lok-Strategie tummeln. Doch es reicht nicht, sich möglichst viele Lok-Karten anzueignen, sie müssen auch die richtigen Effekte besitzen. Seine Lok-Karten waren überwiegend Lok-Beweger; damit hätte er seine Dampflok wohl bis nach Wladiwostok schieben können. Da ihm aber in seinen – am Ende vier (!) – Sonderaufträgen gerade die Standard-Lok-Bewegungskarten honoriert wurden, und er demnach auch auf diese Aktionskarten aus sein musste, stand seine Lok jeweils schon am Ende ihres Streckenausbaus, bevor die Lok-Effekte zum Einsatz hätten kommen können. Sie verpufften ohne jeden Nutzen. Dumm gelaufen.
Wie immer lange und kontroverse Diskussion über den Anteil an Interaktion in diesem Spiel. Ein bisschen konkurrierendes Zugreifen bei den Aktionskarten ist alles. Kein rationiertes Trinken an der einzigen Wasserquelle im Nationalpark, sondern ein Vollsaufenlassen, solange der Vorrat reicht. Für Günther absolut ausreichend, für den Rest der Welt deutlich zu wenig.
Die langen Kettenzüge, von denen jeder Spieler dreimal pro Spiel einen planen und durchführen kann, lösten ebenfalls unterschiedliches Ge-/Missfallen aus. Nicht alle finden es in einem Mehrspieler-Szenario angemessen, minutenlang nur zuzuschauen, wie ein Mitspieler die Effekte der Effekte von den Effekten seiner Effekt-Planung nutzt, um seinen solitären Spielaufbau explodieren zu lassen. Eine Beschneidung der nutzbaren Effektebenen würde den spielerischen Charakter gewiss fördern. Aber Günther fand auch für diese Design-Zumutung eine Lösung: man muss die Genialität der Kettenzüge seiner Mitspieler konsequent verfolgen und so bewundern, als wären es die eigenen, dann wird es dabei nie langweilig. Diese Möglichkeit hatten wir in den zwanzig Jahren Spielen am Westpark bisher offensichtlich total übersehen.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (bleibt, aber der Spieleindruck wurde gefälliger) , Günther: 8 (bleibt), Walter: 7 (bleibt, aber der gefällige Spieleindruck nimmt ab), Helmut: 4 (wohlwollend, nicht mein Spiel, Null-Interaktion, Null-Dramatik).
4. “Elements”
Helmut war schon auf dem Weg zur U-Bahn, als Günther noch ein kleines 2-Personenspiel aus seiner Tasche zog. Abwechselnd setzte jeweils ein Spieler aus und die beiden anderen spielten eine Partie gegeneinander.
Eigentlich besteht das Spielmaterial aus lediglich 16 Karten, jeweils zwei mit den Zahlen von 1 bis 5 und mit sechsen der Zahl 6. Könnte leicht durch ausgewählt Karten aus einem Skatblatt bereitgestellt werden. Die weiterhin der Schachtel beigefügten hölzernen Sterne als „Siegpunktmarker“ hätte man sich glatt sparen können, eine Strichliste oder Streichhölzer bzw. Pfennige aus Omas Schublade hätten es auch getan.
An jeden der beiden Kontrahenten werden sechs Handkarten ausgeteilt. Reihum agiert nun jeder gemäß folgenden Möglichkeiten:
- Er wirft eine Karte mit dem Zahlenwert 6 aus der Hand ab. Weg damit.
- Er legt eine seiner Handkarten offen auf den öffentlichen Stapel.
- Er nimmt die oberste Karten des offenen Stapel an sich und legt sie zu seinem Privat-Stapel. Dort bleibt sie bis zum Spielende liegen. Der Zahlenwert dieser (und aller weiterer) Karten, die er vor sich liegen hat, zählt zur Summe für seine Handkarten.
- Er “klopft”, d.h. er löst eine Wertung aus: Wenn die Summe der Zahlen auf seinen Handkarten plus derjenigen in seinem Privatstapel gleich oder niedriger ist als die Summe der Zahlen im öffentlichen Stapel hat er gewonnen. Aber nur unter der Bedingung, dass die entsprechende Summe der Karten seines Kontrahenten entweder kleiner ist als seine eigene Summe, oder größer als die Summe im öffentlichen Stapel.
Es geht also darum, die Summe seiner Handkarten zunächst mal ausreichend zu drücken, dann aber, wenn man an das Limit herankommt, nicht zuviel gedrückt zu haben, sondern noch mehr „Augen“ in der Hand zu haben als der Kontrahent. Eine hübsche antagonistische Herausforderung. Schon vom Ablegen der ersten Karte an ein Maximum an Interaktion.
In insgesamt 12 Zweikämpfen, mit jeweils anschließendem Undo für die letzten entscheidenden Züge und einer gemeinschaftlichen Analyse über besseres Spiel mit offenen Karten haben wir die Geheimnisse von „Elements“ noch nicht annähernd entschlüsseln können. Aber es gibt welche, und genau darin liegt der Charme dieses kleinen, einfachen Spiels.
WPG-Wertung: Aaron: 7 , Günther: 7, Walter: 7 (mit Tendenz zu 8)