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09.01.2013: Von Carrara in die fremden Federn von Siberia

Ein Maler war am Westpark und hat dem Spielzimmer sein schönstes Weiß zurückgegeben. Erstaunlich, wie stark sich ein Altweiß von einem Neuweiß unterscheiden kann. Der Meister hat super gearbeitet und die überall herumliegenden Spiele – und all den anderen Krusch – säuberlichst geschont. Ich kann ihn bestens weiterempfehlen: Stefan Weilnböck!
Bei dieser Gelegenheit wurden die Spiele von ganz oben – die von noch über dem Bücherregal – heruntergeholt, abgestaubt und begutachtet. Bemerkenswert, was sich da alles gefunden hat:

  • Scotland Yard (+), ein Spiel, mit dem die Westpark-Gamers begründet wurden. Gleich in zwei gebrauchten Exemplaren. Eines davon kann abgegeben werden.
  • Civilizatilon (-) von Avalon Hill, mit dem Aaron mich in die Gefilde der mehrstündigen Brettspiele eingeführt hat.
  • Freibeuter (+) : ein taktisches Seefahrerspiel mit wunderschönen Schiffsmodellen.
  • Peloton (+), ungebraucht, ein gelungenes Spiel des tschechischen Templum Verlages. Leider noch mit einer Schachtel aus vorrevolutionären Zeiten.
  • Halunken und Spelunken (+) von Kosmos : funktioniert, ist bei uns auch in einem Session-Report beschrieben, aber leider – via im richtigen Leben – sind die Geschmäcker verschieden.
  • Downtown (von Weber und Abacus, nicht das chaotische Kartenspiel von Lee Brimmicombe-Wood und GMT) (+) : Ach Du meine Güte, dazu haben wir ja noch gar nicht unseren WPG-Senf vergeben!
  • Das Börsenspiel (+), von einem Ex-Kollegen geliehen und nie mehr zurückgegeben. Wie hieß er nur? Wo wohnt er nur?
  • Heimlich und Co (-) : Das Spiel von Hans im Glück, mit dem der Verlag aus seinem Garagendasein ins Rampenlicht der Welt-Spiel-Öffentlichkeit getreten ist.
  • El Grande und El Caballero (-) : Der dritte Großerfolg von Hans im Glück, noch eingeschweißt. Demonstrationsobjekt für die deutsche Spielkultur des letzten Jahrhunderts.
  • Die Fürsten von Florenz (-) : Vater bzw. Mutter einer ganzen Generation von ähnlichen hervorragenden Spielen.
  • Die Macher (-) von Hans im Glück : Ein komplexes Polit-Spiel, das seiner Zeit um Generationen voraus war.
  • Rumis (-) : Das erste Spiel mit unserem Westpark-Gamers-Logo „Spiel des Jahres“ auf der Schachtel. Natürlich hat jeder von uns ein eigenes Exemplar dieses Spieles in seiner Sammlung. Irgendwann wird sich schon ein Empfänger-Spieler finden, der dieses Duplikates wert ist.
  • Das Erbe des Maloney (+) von Ravensburger : Aus der Zeit, wo Ravensburger noch ein Synonym für die besten deutschen Brettspiele war.
  • Abalone (+) : Eine hexagonale Schachtel mit schönen Glaskugeln für ein abstraktes taktisches 3-Personen Spiel. Leider ist die grundsätzliche Problematik einer Trio-Taktik (einer profitiert immer von den Fehlern des Dümmsten) nicht ausreichend gelöst.
  • Meisterwerke (+) von Parker : Ein Versteigerungsspiel um echte und falsche Kunstwerke. Damit alle Objekte wenigstens einen Mindestreiz beim Bieten haben, haben wir ein paar trübe William Turners durch zündende Van Goghs ersetzt.
  • 1830 (-) von Avalon Hill, noch originalverpackt. Soll mich dereinst in die ewigen Spielgründe begleiten.
  • Imuri (-), ein heißgeliebtes Zweipersonenspiel, eine Empfehlung von meiner Schwester, zuletzt mit unserem ach so kranken Hans gespielt. Leider ist es nur eine – später verbotene – Raubkopie von Randolph’s „Twixt“.

(Die mit „+“ gekennzeichneten Spiele können am Westpark kostenlos abgeholt werden. Wer zuerst kommt, malt zuerst.)

1. “Die Paläste von Carrara”Carrara
Uns Westpark-Gamern wird zuweilen der Vorwurf einer Hans-im-Glück-Lastigkeit gemacht. Es ist auch eine Tatsache, dass einige von uns regelmäßig an den von der Brunnhofer-Familie veranstalteten Spielabenden teilnehmen, aber dieser Verlag kann es einfach. Von dort kam noch niemals eine Gurke heraus. Peter konnte ohne langes Nachdenken seine Präferenzen für das erste Spiel des Abends erkennen und durchsetzen.
In „Carrara“ kaufen wir nach einem sehr pfiffigen Preis-Verfalls-Mechanismus (allein der ist schon einen Pluspunkt wert) Bausteine, errichten damit verschiedene angebotene Gebäude in verschiedenen Städten Italiens, lassen an mehreren frei wählbaren Zeitpunkten unsere Gebäudetypen oder die Gebäudesubstanz in einer definierten Stadt bewerten, und bekommen dafür neues Geld (für neue Bausteine) oder Siegpunkte.
Eine hohe Interaktion bei Angebot und Preis für die Bausteine, beim Zugriff auf die gewünschten Gebäude und bei der Städtewertung sorgen für einen erheblichen spielerischen Druck. Eine gute Balance der verschiedenen Prämienarten erfordert eine wohlausgewogene Balance zwischen Konzentration und Diversifizierung unserer Investitionen.
Man muss sehr zielstrebig vorgehen. Nicht einfach seinen Zug in die nur oberflächlich als günstigst erscheindenen Alternativen verplempern. Um zu gewinnen muss man genau diejenigen Bausteine erwerben, die für das nächste Bauvorhaben benötigt werden und genau zum richtigen Zeitpunkt das richtige Gebäude in der richtigen Stadt errichten, damit Geld und Siegpunkte in genau der richtigen Dosierung fließen. (Wobei für die drei „richtig“ hier noch keine gesicherten Spieltips gegeben werden können.)
Spielerisch stimmig, taktisch herausfordernd, Westparkgamerisch gelungen!
WPG-Wertung: Aaron: 8 (schnell, wenige aber klare Mechanismen), Günther: 8, Peter: 8 (gut austariert, das zeigt sich schon daran, dass alle Endebedingungen so ziemlich gleichzeitig erfüllt wurden), Walter: 8 (stimmig).
Als Gag ist in dem Spiel ein versiegelter Umschlag „Nicht öffnen“ enthalten. Dieser Umschlag – er enthält Erweiterungskarten – soll nach Aufdruck erst dann geöffnet werden, wenn man mindestens zwei Partien des Grundspiels gespielt hat. Günther sah in diesem Gag eine unzulässige Bevormundung. Verständliche Mißbilligung eines geborenen Experten.

2. “Fremde Federn”
Friedemann Frieses Ideenanleihe bei gelungenen Spielen der Welt sollte Peters Bedürfnis nach bewährten Spielen weiterhin Rechnung tragen. In dem von seiner Hauptidee als Deckbuidling-Spiel ausgerichten „Fremde Federn“ (siehe Session-Report vom 14.11.12) zieht jeder verdeckt fünf Karten aus seinem Stapel und macht damit Siegpunkte und/oder kauft sich damit weitere, mächtigere Karten, mit denen er seinen Kartenstabel anreichtert, um für die nächsten Runden noch potentere Karten zu ziehen und noch mehr Siegpunkte zu machen oder noch lukrativere Karten einzukaufen.

Offensichtlich verdient diese Dame zu wenig!
Offensichtlich verdient diese Dame zu wenig!

Den Spielraum seiner zunächst zufällig gezogenen Karten kann jeder Spieler mittels Aktionsfelder erweitern (mehr Geld erhalten, weitere Karten nachziehen, Karten tauschen oder abwerfen) um mit seiner Kartenauslage doch noch die nächste, beste, wichtigste, ausliegende Kaufkarte erstehen zu können. Doch diese Möglichkeiten sind eng begrenzt.
Zu erfolgreichen Kaufsaktionen, vor allem zu einer ganzen Sequenz von erfolgreichen Kaufsaktionen, gehört natürlich auch eine Menge Glück. Vielleicht zuviel für das viele Drumrum der Deckbuilder-Taktik.
Nach wenigen Runden lag Aaron ganz hinten und haderte mit seiner sprichwörtlichen Benachteiligung als Fortunas Favorit. Günther mahnte Geduld an und versicherte, dass das Spiel noch kippen könne. Aaron war skeptisch. Doch dann bekam er – Glück oder Können – die stärkste Karte des Spieles: „Landesweites Fernsehen“, mit 6 Siegpunkte pro Runde, in der er diese Karte ziehen konnte. Wenn er dazu noch ein Karten-Verdopplerfeld belegen konnte, brachte das Fernsehen gleich 12 Siegpunkte ein, mehr als alle anderen Optionen zusammen. Aaron setzte jetzt alles auf diese Karte und wählte konsequent die Aktionsfelder zum Nachziehen von unendlich vielen Karten nachzuziehen und zum Tauschen von unendlich vielen Karten. So konnte er tatsächlich noch dreimal das Fernsehen aufdecken und dreimal den doppelten Fernsehbonus einkassieren. Das reichte für genau einen Punkt Vorsprung zum Sieg vor dem stark gestarteten und später stark nachlassenden Günther. Happy End?
Peter lag auch schnell weit zurück. Auch er bekam irgendwann einmal ein „Landesweites Fernsehen“ in seinen Kartenstapel. Doch ansonsten fand er bis zum Spielende keinen richtigen Peil. (Hallo Peter, habe ich da eine taktische Genialität von Dir übersehen?) Noch dazu wurde er vom Nachziehglück auch noch statistisch übersignifikant im Stich gelassen und landete – ach das will ich jetzt nicht hinschreiben. Mit seinen frühzeitig einsetzenden und permant durchgehaltenen Negativ-Parolen hatte er wohl auch nichts Besseres verdient.
Nur Günther lies sich auch durch seinen zweiten Platz nicht verdrießen: „Ein Superspiel, ich habe echt Freude daran!“ Wahrscheinlich sogar daran, dass er von Aaron totz dessen Unkenrufen auf der Zielgeraden noch abgefangen wurde.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (kein Freund von Deckbuilder-Spielen; hat seine ursprüngliche 5 noch um einen Punkt erhöht, weil das Spiel gut ausbalanciert ist und auch einem Spätstarter noch Siegchancen einräumt), Günther: 8 (bleibt), Peter: 3 (niedriger Wiederspielwert. Warum das Spiel für ihn offensichtlich auch einen niedrigen Erstspielwert besitzt, hat er nicht mitgeteilt), Walter: 8 (bleibt für eine 3er Runde; in einer 4er Runde eher ein 7 Punkte Spiel).

3. “Siberia – Das Kartenspiel”
Pro Zug spielen wir null-bis-drei Aktionskarten aus und ziehen ein-bis-zwei Aktionskarte nach. Auf jeder Karte gibt es je ein Symbol für einen von drei Berufen (Arbeiter, Verkäufer oder Investor) und für einen von fünf Rohstoffen (Kohle, Gas, Öl, Erz oder Gold).
Beim Ausspielen einer Karte wählen wir entweder das Berufs-Symbol und erweitern unser Personal (mehr Arbeiter fördern mehr Rohstoffe, Investoren erleichtern die Förderung und Verkäufer erhöhen die Preise), oder wir wählen den Rohstoff und eignen uns dementsprechend ausliegende Rohstoffkarten an. Am Ende gewinnt der Spieler mit der wertvollsten Ausbeute.
Bei einer Kartenhand von bis zu acht Aktionskarten hat man eigentlich eine recht große Handlungsfreiheit. Doch die Optimierung zwischen dem zeitgerechten Anheuern von Belegschaft und ihrem Einsatz bei der Rohstoffgewinnung riecht nur nach trockenem Schweiß. Und nach sonst nichts.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (schnell), Günther: 4 (muss es nie wieder spielen), Walter: 3 (kein Pfiff).

14.11.2012: Noblemen mit fremden Federn

Nicht nur unser Moritz ist auf einer Spielkarte verewigt (siehe Session-Report vom 30.10.12), auch unser

Horst in Tichu
Horst krönt schon seit mehr als 10 Jahren die Jack-Karte eines Tichu-Spiels. Um seine umwerfende Schönheit nicht gemeingefährlich wirken zu lassen, wurden Nase und Kinn vergrößert; Er ähnelt jetzt stark einer Mischung aus Thomas Gottschalk und Wladimir Iljitsch, doch Lächeln, Stirn und Haaransatz sind zweifellos authentisch.
Ein gute Geschenk-Idee für Weihnachten: Alle seine Lieben als Damen, Buben und Könige in einem Skat-Spiel zu vereinen. Unter der Seite www.kartenspieledesign.com wird vom Design bis zur Produktion alles angeboten.

1. “Fremde Federn”
In einer Internetseite zur Erklärung von Redensarten heißt es: “Sich mit fremden Federn und auf Kosten anderer schmücken zu wollen, zeugt von peinlicher Dummheit, blauäugiger Unbedarftheit oder in schlimmen Fällen von aufkeimender krimineller Energie”.

Friedemann Friese hat das bewußt getan, aber mit Geist, mit Kompetenz und in integrem Einsatz für die Spielergemeinde. Aus „Dominion“ hat er die Technik mit dem Kartendeck genommen: Jeder Spieler bekommt zu Spielbeginn das gleiche Kartenset. Daraus zieht er jeweils nach einem wrap-around-Verfahren 5 Karten, mit denen er seine Aktionen gestaltet: neue Karten kaufen, flaue Karten loswerden, Arbeiter, Geldmittel und vor allem Siegpunkte erwerben.

Die Arbeiter plazieren wir nach den Prinzipien von „Agricola“ auf definierten Feldern des Spielbrett, um dafür die entsprechenden Felderträge einzustreichen. Die Methoden, eine gegebene Vielfalt von Betriebsmitteln in eine ständig wachsende Vielfalt von weiteren Betriebsmitteln umzusetzen, stammen aus „Im Wandel der Zeiten“. Diese zentralen Mechanismen bestimmen den Spielablauf. Der Rest ist solides Kunsthandwerk von F.F.
Dabei war Friedemann Friese kein zu Guttenberg (der mit ohne Doktortitel): Er hat vor seinen Ideenanleihen bei den Originalautoren Rosenberg, Chvátil und Vaccarino um Erlaubnis nachgefragt, und die Adaptionen im Regelheft detailiert dokumentiert. Er nutzte sogar noch das Kartenschiebe-Element von „7 Wonders“ (eine Regel, die uns Günther heute vorenthielt! Oder hat sie F.F. bei der Spielumsetzung wieder fallengelassen?) und das Aufwerten von nicht gewählten Aktionen nach „Puerto Rico“.

In jedem Falls ist vom Charakter her ein ganz neues Spiel mit eigenem Spielgefühl entstanden. „Das Spielbrett schaut witzig aus und bringt Stimmung“ meinte Horst. Hier ist sogar bewusst ein Druckfehler entsprechend der Erstausgabe von „Zug um Zug“ eingebaut: In der Zählleiste für die Siegpunkte sind die Zahlen 90-99 verkehrt herum gedruckt. Ein netter Gag innerhalb der Konstruktionsprinzipien von „Fremde Federn“.

Mit Recht kann Friese für sich in Anspruch nehmen, ein Motto von Walter Moers erfolgreich angewendet zu haben:

„Wenn Du schon klaust, dann immer nur vom Besten!“

WPG-Wertung: Günther: 8 (flüssig, gelungen, trotz der Dominion-Anleihen ist keine Dominion-Kopie daraus entstanden), Horst: 8 (hat total Spaß gemacht), Walter: 8 (planerisch, spielerisch, vielseitig, sauber konstruiert).

2. “Noblemen”
Wir sind nicht die „Fürsten von Florenz“, sondern „Mitglieder des britischen Hochadels“ und bauen unsere Ländereien zu prestige- und siegpunktträchtigen Anlagen aus. Quadratische Landschaftsplättchen für Feld, Wald, Wiese und Park sind die Basis, aus der wir unseren Grundbesitz zusammenstellen. Für „Wald“ erhalten wir neue Landschaftsplättchen, für „Feld“ bekommen wir Geld, und für „Park“ steigt unser Prestige, mit dem wir uns bei jedem „Maskenball“ um die Adelstitel von „Baron“ bis „Herzog“ bewerben, und die uns Siegpunkte und finanzielle Vergünstigungen einbringen.

Auf die Felder bauen wir Schlösser, Burgen und Kirchen, die als wohlstrukturiertes Ensemble weitere Siegpunkte abwerfen. Für den Bau von Kirchen bekommen wir „Skandalkarten“, die aber kein „Aufsehen erregendes Ärgernis“ (Wikipedia) auslösen, sondern lediglich Vergünstigungen für unsere weitere Entwicklung gewähren. Ein bißchen Unberechenbarkeit, ein bißchen Schiebung darf schon sein.
Mit zwei Raubrittern können wir in ausgebaute Ländereien der Mitspieler eindringen und uns einen Teil deren Erträge zur Seite schaffen. Auf den ersten Blick liegt darin ein negativer Ärger-Effekt, doch im Spielverlauf entpuppt sich das als gut überlegtes Mitspieler-Chaos-Element, mit einer gelungenen interaktiven Komponente bezüglich Besitzstand und Geschwindigkeit.

Bemerkenswert ist die Rolle der Königin für den Spielfortschritt. Durch verschiedene Aktionen kann man sich die Königin auf die Seite ziehen, und jedesmal wenn man einen Zug beendet und die Königin noch als Gast weilt, ist einer von insgesamt drei mal 9 Spielzügen beendet. Schnell, flott pfiffig.

WPG-Wertung: Günther: 8 (ein Qualitätsunterschied zu Friedemann’s „Fremde Federn“ ist praktisch nicht meßbar), Horst: 8 (ein Klasse Spiel, konstruktiv aber nicht schweißtreibend), Walter: 8 (spielerisch, schnell, wohldosierte Konkurrenz, viele Wege führen zum Sieg).