“Der Geist des Kartenspiels hat einen demoralisierenden Einfluss, weil man auf alle Weise, durch jeden Streich und jeden Schlich dem anderen das Seinige abgewinnen will. Die Gewohnheit wurzelt ein, greift über ins praktische Leben, und man kommt allmählich dahin, in den Angelegenheiten des Mein und Dein es ebenso zu machen.” (Arthur Schopenhauer)
Ganz ehrlich: Der Typ hat eine Menge Scheiß geschrieben. Warum ist er eigentlich ein Philosoph?
1. “Friedrich”
Schon als sich für heute eine Dreierrunde abzeichnete, schlug Walter den alten Fritz als abendfüllendes Programm vor. Es gab keine Widerrede. Ganz im Gegenteil: Moritz meldete sich von einer Konzertreise mit: „Neid! Da wäre ich gerne dabei!“
Sechs Mal lag „Friedrich“ bei uns bereits auf dem Tisch. Das letzte Mal vor ziemlich genau sechs Jahren. Peter las sich zur Vorbereitung in die Reports ein und bekam erhebliches nostalgisches Herzweh, als er sich das damalige muntere Leben und Lieben von Hans und Loredana nochmals vor Augen führen konnte.
„Friedrich“ ist ein großes Spiel. Das Thema stimmt. Die für Freund und Feind faszinierende Figur von Friedrich, dem Großen, ist phantastisch umgesetzt. Welche Rolle auch immer wir spielen, Preussen, Russen, Österreicher oder Franzosen: der vielseitige Kampf gegeneinander spiegelt die historischen Gegebenheiten. So wie sie waren oder wie sie hätten sein können.
Dabei ist „Friedrich“ trotz aller Generäle und Armeen kein eigentliches Kriegsspiel, bei dem es um globales Morden geht. Viel mehr stehen im Vordergrund die absolut lokalen Spielziele, das kleine (und leichte) Erobern einiger weniger auserwählter Städte. Und dagegen steht Preussens Aufgabe, in jeder Ecke seines Territoriums wenigstens eine Stadt zu halten. Solange Colberg in preussischer Hand ist, können weder die Russen noch die Schweden gewinnen. Solange Magdeburg gegenüber den Franzosen verteidigt wird, können auch diese ihr SPIELziel nicht erreichen. Österreich und Preussen haben in Sachsen und Schlesien lange gemeinsame Frontlinien, in denen sie sich gegenseitig wehtun können und müssen. Es ist aber trotzdem kein vernichtendes Zuschlagen, sondern ein intelligentes taktisches Lavieren um lang- und kurzfristige Vorteile.
Wie man laviert, worauf jede Partei aufpassen muss, was man früher und was man später tun sollte: über die vielen hunderte vernünftigen und auch wichtigen Zugmöglichkeiten, und über die wunderbaren Mechanismen, mit denen Richard Sivél Balance und spielerische Momente in sein Werk eingebracht hat, will ich hier nichts mehr schreiben. In den acht Friedrich-Artikeln auf unserer Internetseite ist doch schon eine ganze Menge dazu gesagt. Ansonsten ist „Friedrich“ unerschöpflich wie das Meer.
Friedlich und konstruktiv verlief Peters Auffrischung der Spielregeln. Friedlich verteilten wir die Rollen: Walter bekam Preussen und Hannover, Aaron Österreich und die Reichsarmee, und Peter die Randstaaten Russland, Schweden und Frankreich. Die Russen machten sich unverzüglich auf zu ihrem Eroberungszug nach Ostpreussen und Pommern. Mit etwas Glück konnte aber Generalfeldmarschall Lehwald Königsberg entsetzen und einen voreiligen russischen Endsieg verhindern. Mit der ersten Schicksalskarte starb dann auch schon die Zarin Elisabeth und ihre Nachfolgerin Katharina die Große zog aus Sympathie zu Friedrich die russischen Truppen von den Vielvölkerschlachten zurück.
In Schlesien wurde heute zwischen Österreichern und Preussen lediglich ein recht unbeweglicher Stellungskrieg geführt. Kein Wunder, dass Aaron hinterher von seiner Rolle etwas enttäuscht war. Auch seine Reichsarmee konnte ihm nicht viel Freude machen. Statt aus Kruppstahl ist sie eher nur ein Espenlaub und gerät schon ins Zittern, wenn Preussen nur ein bißchen Säbelrasseln hören läßt.
Die Schweden wurden wie schon öfters stark überschätzt. Mit der Fliegenklatsche könnte man sie in Schach halten, wenn man keine Angst vor ihren Moskitostichen hat. Preussen ließ sich durch diese Angst viel zu viel Material aus seinem Arsenal binden.
Die Hannoverschen Generäle Ferdinand von Braunschweig und Cumberland hoppelten etwas hilflos über Heide und Kraut. Mit einem Winke-Winke aus der Ferne wollten sie sich bei den Franzosen Lieb-Kind machen. Doch davon ließ sich Madame de Pompadour nicht beeindrucken. Langsam aber zielstrebig rückten ihre Armeen die Fulda und Leine entlang nach Norden. Nirgends trafen sie auf nennenswerten Widerstand. Selbst Magdeburg und Halberstadt waren ihnen mehr oder weniger schutzlos ausgesetzt, weil Preussen in der Verteidigung gegen Russland zu viele Herzkarten gelassen hatte. Fast friedlich konnte Frankreich diese beiden Städte einnehmen und hatte damit gewonnen.
Zwei Stunden friedlicher Kampf. Mindestens genauso lange hätten wir hinterher noch über unsere Strategien und Taktiken, über unsere Herausforderungen und Versäumnisse diskutieren können. Als Teil des Spiels, als Teil der Freude am Spiel. Preussen steht im Mittelpunkt aller Kritik. Diesmal vielleicht besonders, weil es von Walter geführt wurde. Vielleicht hat hier doch der Moritz gefehlt, der Peters militärischem Genie als gleichwertiges Pendant hätte Paroli bieten können.
Keine neue WPG-Wertung für ein 8,3 Punkte Spiel.
2. “Splendor”
Das Spiel liegt noch im Jackpot für das „Spiel des Jahres 2014“. Vielleicht können sein (bei uns) noch unbekannter Autor Mark André (falls es nicht der in Wikipedia ausgewiesene „deutsch-französische Komponist im Bereich der Neuen Musik“ ist) und der noch unbekannte Spieleverlag Space Cowboys in wenigen Wochen damit Millionen scheffeln …
Munter ziehen wir farbige Wertmarken von offen ausliegenden Stapeln und sammeln sie vor uns auf. Fünf der Regenbogenfarben und eine Jokerfarbe werden angeboten. Drei Stück auf einmal dürfen wir uns davon nehmen. Mit den Wertmarken tauschen wir Wertkarten die a) Siegpunkte bringen und b) wie Wertmarken für das weitere Eintauschen genutzt werden können. Haben wir das lange genug getan, ist einer von uns Sieger geworden – der mit den ersten 15 Siegpunkten auf seinem Konto.
Warum ist man Sieger geworden? Schwer zu sagen. Es gibt keine guten und kaum schlechte Züge: Was man tun kann, ist alles ziemlich gleich gut. Nur blinde Dyskalkulisten finden hier und dort einen Ausreißer. Vielleicht gewinnt der Startspieler! Wer kann es ihm verwehren?
Zehn Jahre alt soll man sein, bevor man mit „Splendor“ anfängt. Kann das sein? Wer seinen Kindern schon im Vorschulalter das Zählen im Zahlenraum bis 10 beigebracht hat – und welche normalen Eltern haben das nicht getan!? – kann sich schon vier Jahre vorher mit ihnen zu einem schnellen Glanz zusammensetzen. Eine halbe Stunde Spielzeit – zu meiner Zeit war das gerade das Richtige für ein entspannendes Betthupferl-Spiel. Das ist „Spendor“ allemal. Mehr nicht.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (wohlwollend; einschließlich 1 Punkt für die viele Luft! „Warum muss ein Spiel, das gerade mal aus 90 Spielkarten und ein paar farbigen Wertmarken besteht, eine so große Schachtel haben und noch dazu 30 Euro kosten!? Es fehlt jegliche Herausforderung; tragisch, dass es nicht einmal dödelig ist), Peter: 4 (wohlwollend; einschließlich ein Punkt für die Graphik, obwohl er sich dabei durchaus auch etwas Schärferes hätte vorstellen können), Walter: 5 (triviales, solitäres, abstraktes Aufbauspiel)