Im ersten Spielbericht des Jahres habe ich noch ohne jeden Hintergedanken geschrieben: „Keine Angst, liebe Spielkritiken-Leser-Gemeinde, die Westpark-Gamers sind noch nicht auseinandergebrochen.“ Und kaum eine Woche später war es dann soweit: Ein tiefer, offensichtlich nicht überbrückbarer Riss ging mitten durch unsere Spielerrunde. Einer (ein einziger) wollte mit einem anderen (einem einzigen) nichts mehr zu tun haben.
Anlässe, Hintergründe und Motive sind bei solchen persönlichen Auseinandersetzungen für Außenstehende rational oft nicht ganz nachzuvollziehen. Schon vor fast zweitausendfünfhundert Jahren schrieb Platon in seinen Dialogen: „Das Gerechte und das Ungerechte, das Schöne und das Hässliche, das Gute und das Böse, das sind Gegenstände, bei denen Meinungsunterschiede, dahin führen können, dass wir einander feind werden.“ Und weiter schreibt er: „Bei Diskussionen über unterschiedliche Meinungen ist es für die Beteiligten nicht leicht, sich über feste Begriffsbestimmungen zum Gegenstand ihrer Erörterungen zu verständigen, sich darüber zu belehren bzw. belehren zulassen, und so in Frieden voneinander zu scheiden. Wenn sie über etwas streiten, wirft der einem der eine dem anderen Unrichtigkeit in seinen Behauptungen vor; sie werden ärgerlich und glauben, dass sich der Gegner in seinen Ausführungen nur von Gehässigkeit gegenüber ihnen leiten lässt und nur rechthaberisch seinen Standpunkt zu behaupten sucht, nicht aber die betroffene Sache selbst zu erledigen strebt. In manchen Fällen nimmt die Sache den widerwärtigsten Abschluss: sie trennen sich, nachdem sie sich gegenseitig geschmäht und sich gegenseitig Dinge gesagt haben, die sie mit Scham erfüllen.“
Wir (fast) Unbeteiligten haben in der Zwischenzeit natürlich fleißig weitergespielt, aber die Lust an lockeren Sessionreports war mir ein Weilchen vergangen. Jetzt habe ich mich langsam vom ersten Scheck erholt. Heute geht es erstmals weiter.
1. “Haspelknecht”
Nach „Ruhrschifffahrt“ und „Kohle & Kolonie“ das dritte Spiel einer Trilogie um Geographie, Geschichte und Technik der Kohleförderung im Ruhrgebiet. Intensiv hat sich der Autor Thomas Spitzer mit den Begriffen und Spezifika des Kohleabbaus beschäftigt und sie in ein Spiel gegossen, das thematisch überzeugt, einen ausgereifen Workerplacement-Mechanismus präsentiert und hohen spielerischen Anforderungen genügt.
Wir beschäftigen einen Bauern, einen Knecht und bei Bedarf einen Leiharbeiter, später, wenn der Übertagebau erschöpft ist, auch noch einen Hauer (= Profi-Kohlehacker) und einen Haspelknecht (= nach Wikipedia, ein Transportarbeiter im Bergbau), um Kohle zu hacken und ans Tageslicht zu fördern, die in die Tiefe wachsenden Kohlestollen abzustützen und das allfällige Wasser abzupumpen. Unser Bauer kann sich anstatt im Kohlebergbau auch in der Landwirtschaft betätigen und für alle Beteiligten das notwendige Brot erzeugen.
Die bemerkenswerteste Erfindung in „Haspelknecht“ ist der Mechanismus, mit dem die einzelnen Spieler die Aktionen auswählen, die sie im folgenden Spieleabschnitt durchführen wollen. Auf drei Resourcenfeldern liegen je sechs Aktionssteine in zufälliger Zusammensetzung der Farben schwarz, braun und gelb. Schwarze Steine braucht man für Kohleabbau und Wasser-Abpumpen, braune Steine bringen Holz zum Abstützen der Stollen, und gelbe Steine erlauben Landwirtschaft oder ernähren direkt oder indirekt Leiharbeiter. Reihum darf sich jeder Spieler alle Aktionssteine einer Farbe auf einem Resourcenfeld nehmen. Wer Glück hat, findet gleich fünf Steine einer Farbe auf einem Feld und kann sich mit einem Schlag diese fünf Aktionssteine aneignen. Für die Nachziehenden bleibt hier dann wenig bis nichts mehr übrig.
Das Glück der vielen Aktionssteine im ersten Zug wird allerdings doppelt getrübt: Einmal ist fünf die Höchstzahl an Aktionssteinen, die sich ein Spieler aneignen kann. Wer bereits im ersten Zug seine Aktions-Scheuer füllen konnte, muss im zweiten Zug passen, während die Zu-kurz-Gekommenen des ersten Zuges noch ein zweites Mal zugreifen dürfen. Zweitens aber bestimmt der Wert der Aktionssteine beim ersten Zugreifen die Spielerreihenfolge. Wer hier am wenigsten nahm bzw. bekam, darf im nächsten Spielabschnitt als Erster wählen. Es ist durchaus sinnvoll, beim ersten Zugreifen etwas bescheidener zu sein, wenn man erkennen kann, dass man beim zweiten Zugreifen mit Sicherheit noch all die Aktionssteine bekommen wird, die man für seine Zugplanung braucht.
In jedem Fall ist der mit dieser Resourcen-Auswahl gekonnt ins Spiel hinkonstruierte Zufall eine schöne Erfindung: Einerseits ein spielerisches Zufallselement, und andererseits doch eine meisterbare Herausforderung. Man spuckt sich, im Gegensatz zu einem unkalkulierbaren Mitspielerchaos, nicht gegenseitig in die Suppe, sondern jeder wählt aus den angebotenen Chancen nach seinem kurz- und mittelfristigen Gusto die passendste heraus, hat damit aber einen sicheren, nicht mehr nullizifierbaren Besitz. Das sollten sich andere Zufalls-Ingenieure hinter die Ohren schreiben (lassen)!
Der Rest des Spiels läuft dann allerdings leider ziemlich autistisch ab. Nahezu unbeeinflusst voneinander wickelt jeder seine Aktionen ab, sät und erntet, baut und baut ab, und zahlt Steuern.
Mit den Aktionssteinen werden nicht nur die Arbeiter in Bewegung gesetzt, man beteiligt sich damit auch auf dem Feld der „Errungenschaften“ und erwirbt Eimer, Seile, Hacken, Leitern, Schubkarren und ähnliche nützliche Dinge. Sie liefern sofortige Prämien an Siegpunkten und Resourcen, und erhöhen später in der Endwertung auch noch die Faktoren, nach denen das Gesamt-Besitztum in Siegpunkte umgerechnet wird.
Moritz profitierte von unseren ersten Regelunsicherheiten: er fütterte den „Leiharbeiter“ doppelt und ließ ihn dafür gleich zwei Schichten pro Tag arbeiten. Es sah gut für ihn aus. Walter, der an solche multi-malocher Spiele gewöhnlich recht unbedarft herangeht, konnte mit den ersten reifen Prämien-Pflaumen in Führung gehen, doch sie waren, wie uns schon eine Binsenweisheit sagt, madig. Man muss beim Abwägen der sofortigen gegenüber den zukünftigen Vorteilen schon scharf hinschauen, um das Optimum zu finden. Günther fand es. Wie immer.
WPG-Wertung: Günther: 6 (bis 7, „am Ende lagen alle ziemlich nahe beieinander, selbst Walter mit seinem Un-Peil, das macht mich stutzig“), Moritz: 7 („dass Günther noch gewonnen hat, ärgert mich“), Walter: 6 (runde und schöne Erfindung, etwas zu lang und zu repetitiv; die vielen ausbalanzierten Rädchen sind ohnehin nicht mein Fall).
2. “Chimera”
Eine Tichu-Variante für drei Personen. In einem Quasi-Stichspiel legt der Spieler, der den aktuellen Stich gemacht hat, aus seiner Kartenhand eine der zulässigen Kartenkombinationen zum nächsten Stich vor; die anderen Spieler müssen bedienen, d.h. die gleiche, aber höherwertige, Kombination ablegen, oder passen. Zulässig sind ein Pärchen, ein Drilling, zwei Pärchen, zwei Drillinge, Drillinge mit Zusatzzahl, Straße und noch eine ganz Latte von poker-orientierten Kartenkombinationen.
Ein Spieler ersteigert das Alleinspiel, bekommt drei zusätzliche Karten aus dem Talon und muss sich dann gegen die beiden anderen Mitspieler durchsetzen. Die Mitspieler haben erstens den Vorteil, ein oder zwei Karten miteinander tauschen zu dürfen, zweitens können sie auch beim Ausspiel, beim Stechen oder Nicht-Stechen auf den Partner Rücksicht nehmen.
Durch die gegenüber Tichu wesentlich komplizierteren ablegbaren Kartenkombinationen ist die Bewertung der eigenen Kartenhand deutlich erschwert worden. Walter schaffte letzte Woche – in einer etwas anderen Spielerzusammensetzung – spielend einen Kantersieg von 250 Siegpunkten gegenüber plus und minus 40 Punkten seiner Konkurrenten, diesmal landete er weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Die „Bomben“ seiner Mitspieler ließen alle seine Träume platzen, auch wenn die Bomben in Chimera „Fallen“ heißen.
Moritz: „Die komplexen Kartenkombinationen kommen leider nur einmal zu Beginn eines Durchgangs zum Tragen. Hier muss sehr viel geplant werden. Hinterher spielt jeder ohne viel zu denken seine geplanten Kombinationen ab; höchst selten ordnet er sie anhand des Spielverlaufes spontan um.“ Fazit: Denken und Planen in Chimera gegenüber Spielen und Reagieren in Tichy. Das wird selbst am Westpark nicht honoriert.
WPG-Wertung: Aaron: 6 ([letzte Woche, für Tichu: 5], „es ist kein schlechtes Spiel, aber nicht mein Fall“), Günther: 9 ([für Tichu: 10], ich bin halt ein Tichu-Freak), Moritz: 6 ([noch keine Tichu-Wertung!], „I like it“ – tönte es immer wieder, wenn er eine überraschend gute Kartenkombination ausspielen konnte, „das Bietsystem um den Alleinspieler ist OK, aber das Rad wurde hiermit nicht neu erfunden.“), Walter: 7 ([für Tichu: 9], es ist ein gutes Spiel, aber in der Herausforderung, mit einer zufälligen Kartenhand zurecht zu kommen, noch lange kein Skat.)