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27.10.2010: Hohe Hürden

Nachdem Walter beim gestrigen Spieleabend frühzeitig das Handtuch warf (siehe http://www.westpark-gamers.de/blog/2010/10/27/27-10-2010-splitter-aus-essen/comment-page-1/#comment-165), sollen hier doch noch ein paar Worte zum Ablauf des restlichen Abends folgen.

1. “High Frontier”

Wenn man bedenkt, dass das Regelheft aus 24 eng bedruckten Seiten besteht, ist es schon bewundernswert, dass Phil Eklund, der Designer und Verleger (Sierra Madre Games) von „High Frontier“ es schaffte, uns in nur 45 Minuten die wesentlichen Spielmechaniken zu erklären. Okay, nach einer knappen Viertelstunde stellte Aaron die schüchterne Frage nach den „objectives of the game“, die Phil bis dahin vergessen hatte zu erklären. Und: die 24 Seiten des Regelhefts bestehen zu zwei Dritteln aus detaillierten Beschreibungen der einzelnen Karten. Hier wird deutlich, dass Phil von Beruf „Rocket Scientist“ im Star Wars Programm der USA ist und sich bestens mit Raketenantrieben, Weltraumrobotern („Robonauts“) und möglichen extraterrestrischen Fabriken auskennt. Und was er selber nicht aus seinem Berufsalltag mitbrachte hat er akribisch in seinem Forscherfreundeskreis recherchiert – 22 Jahre lang.

Das Resultat ist eine aufwändige Simulation der Exoglobalisierung mit faszinierenden Technologien, die allesamt ausführlich beschrieben werden und ihre Rolle im Spielablauf haben. Gleichzeitig werden wesentliche Grundlagen der Raumfahrt spielerisch vermittelt. Seien es die Hohmann- oder Lagrange-Punkte im All, die für den treibstoffsparenden Flug zwischen den Planeten genutzt werden oder die Größe und das Vorkommen von Wasser auf den Planeten, Monden, Asteroiden und Kometen des inneren Sonnensystems. Alles ist auf einem Spielplan wiedergegeben, der deshalb auf den ersten (und zweiten) Blick weder schön noch übersichtlich erscheint und erst im Laufe des Spiels seine Zweckmäßigkeit beweist. So sind sie halt, die Forscher.

Jeder Spieler steuert die Geschicke einer Nation oder Organisation in der Besiedlung des Alls und über deren Sonderfähigkeiten wird die notwendige Asymmetrie der Startaufstellung hergestellt. Jeder Spieler beginnt mit der Aufgabe, ein sinnvolles erstes Ziel im All für seine Erforschung auszuwählen und ein für dieses Ziel passendes Raumschiff aus Motoren, Robotern, Mannschaft und Raffinerien zusammenzustellen. In der Regel ist es nicht möglich, gleich alles Notwendige mit einem Flug zu transportieren, da die Gesamtmasse des Schiffs zu groß würde oder der Treibstoffbedarf nicht bezahlbar. Also gilt es genau zu planen, was mit welchen Motoren in welchen Schritten über welche Flugbahnen transportiert werden soll. Hierbei befindet man sich in direkter Konkurrenz zu den anderen Spielern, die vielleicht dasselbe Ziel ausgewählt haben. Ein erfolgreich erforschter Himmelskörper bietet Schürfmöglichkeiten für Treibstoff und den Bau von Fabriken. Beides ist danach nutzbar, um von dort Erkundungsreisen zu weiter entfernten Zielen zu wagen.

Siegpunkte gibt es für erfolgreich erforschte Ziele, den Bau von Fabriken dort und dafür, als erster bestimmte Ziele mit einer Mannschaft  angeflogen und diese lebendig wieder zur Erde zurückgebracht zu haben. Sobald eine Spielerzahl abhängige Anzahl von Fabriken gebaut ist, endet das Spiel.

Die Einstiegshürde von „High Frontier“ ist hoch; das hat das Spiel gemeinsam mit den meisten realistischen Simulationsspielen. Obwohl die grundlegenden Mechanismen schnell verstanden sind, bieten die vielen Feinheiten, Zusatzregeln und Sondereigenschaften genug Potenzial, um beim ersten Spiel ein „Gespielt werden“ Gefühl zu verursachen. „It’s rocket science.“  Oder wie Phil über seine „Experience Games“ schreibt: „ simulations that cover a comprehensive sweep of all aspects of a subject, in unprecedented detail.“ Wer sich auf das Spiel einlässt, Spaß an Simulationsspielen gepaart mit einer deutliche Affinität zur Raumfahrt hat und nicht zuletzt 3, besser 4 Stunden Zeit mitbringt, für den ist „High Frontier“ nicht nur eine immer neue Herausforderung sondern auch eine wunderbare Quelle möglicher Technologien in der Raumfahrt. Und für die War Gamer gibt es eine Erweiterung, die Politik, Diplomatie und Kämpfe mitbringt.

WPG-Wertung: nach über 4 Stunden Spiel mussten wir vorzeitig abbrechen und haben daher auch eine Wertung verzichtet.

27.10.2010: Splitter aus Essen

Zwei Tage auf der Spielermesse in Essen bedeuten: Zwei Stunden lang durch die acht Hallen schlendern und die vielen großen bunten Verlage und ihre Produkte auf Augen und Gemüt wirken lassen. Den Rest der Zeit, immerhin noch fast 90%, punktuell auf einzelne Produkte zusteuern, Regeln lesen, anspielen bzw. mitspielen und ggf. am Stand ein bißchen palavern.
Eine Orientierunghilfe zu den bemerkenswertesten Produkten liefern die aktuellen Hitlisten von „Faiy Play“ und „Boardgame Geek“, auch wenn sie meilenweit auseinanderklaffen und in ihren Top-50 bzw. Top-20-Namen kaum Gemeinsamkeiten haben. Oder versteckt sich hinter den kurzzeitigen Spitzenreitern „Vinhos“ und „Grand Cru“ etwa das gleiche Spiel? Mitnichten!
Was sind diese Listen schon mehr als nur schwache Funzeln, die ein spärliches Licht auf die große weite Spielelandschaft werfen? Am Ende des zweiten Messetages führte z.B. „Habemus Papam“, ein kleines rundes Biet-&-Stichkartenspiel, mit gerade mal 11 Stimmen bei „Fair Play“ die Liste an. Wieviele Freunde muß man animieren, um sich auf diesen Platz wählen zu lassen? Doch auch ohne solche Manipulationsmöglichkeiten kommen die dicken Verlagen mit ihren zehn oder mehr Spieltischen naturgemäß schneller zu ein paar Stimmen als die tapferen Einzelkämpfer mit einem halben Tisch in einer halben Box.
Die Hitlisten sind auch nichteinmal in sich konsequent. Z.B. war „Vinhos“ (und so manches andere Spiele) dieses Jahr zwar angekündigt, aber nicht käuflich erwerbbar. Die deutsche Produktionsfirma war beim Umsiedeln ihrer Mitarbeiter nicht sorgfältig genug vorgegangen und hatte dabei große Verluste innerhalb ihrer Belegschaft hinnehmen müssen, so daß sie schließlich nicht mehr rechtzeitig liefern konnte.
Eine Wiederauflage von „1830“ war bei „Mayfair“ angekündigt und hatte natürlich unser Interesse geweckt. Das Spiel war von den „Boardgame-Geek“-Leuten angeblich bereits gespielt worden und belegte am Freitag Abend in ihrer Favoritenliste den 47ten Platz. Doch das Spiel gab es gar nicht! Kein einziges Atom davon. Der Erscheinungstermin war vom 3. Quartal 2010 auf das zweite Quartal 2011 verlegt worden. Dann hoffentlich mit einer Auslieferungsdependance in Deutschland!
Wer aber trotzdem & unbedingt ein „1830“ spielen wollte, der mußte sich ins Wasser begeben. Unter dem Namen „Poseidon“ ist eine Wasservariante mit nahezu identischen Regeln und Mechanismen herausgekommen. Statt Loks gibt es Schiffe, statt Eisenbahngesellschaften gibt es Reiche, und statt Präsidenten gibt es Könige. Ein paar zusätzlich eingebaute Schmankerl dienen der Verkürzung der Spielzeit. Ansonsten alles wie gehabt: „Beim Kauf des ersten 4er Schiffs verfallen die 2er Schiffe!“. Die Szenerie ist natürlich nicht der nordamerikanische Kontinent sondern das ägäische Meer. So wird es wohl niemals in die blaublütige „18xx“-Familie aufgenommen werden. Und wohl auch keinen Preis gewinnen.
Der diesjährige International Gamers Award ging an Martin Wallace für sein „Age of Industry“. Eine seltsame Entscheidung, denn dieses Spiel ist keineswegs innovativ, sondern nur eine vereinfachende Überarbeitung auf identischem Spielbrett mit identischen Elementen wie sein Vorgängers „Brass“. Doch vielleicht gilt diese Auszeichnung diesmal dem gesamten Lebenswerk des sympathischen Martin. Allein bei Luding sind 70 Spiele oder Spiel-Erweiterungen mit ihm als Autor aufgeführt. (Hallo Günther, nimmst Du Deinen AoI-Kommentar: „Das braucht die Welt nicht … Dann doch lieber gleich das bessere Spiel ’Brass’!“ mit Bedauern zurück?)
Der Preis wurde im großen Saal „Essen“ vergeben. Mindestens dreißig Acht-Personentische und abzählbar viele Stuhlreihen waren wohlgeordnet aufgestellt. Als wir zehn Minuten vor der Preisverteilung zum Saal eilten, fürchteten wir schon, maximal einen Stehplatz in einer Ecke zu erhalten. Doch das Gedränge auf den Treppen davor bestand aus Mittagesslern vom Restaurant in der Etage darunter. Der Saal war proppenleer. Zur Preisverleihung erschienen dann sieben Juroren, sechs Pressefotographen, zwei Preisträger und zwölf Zuschauer!
Was mag die Saalmiete gekostet haben? Für unsere „Internationale Bayerische Paarmeisterschaft“ im Bridge zahlen wir für eine vergleichbare Halle im Münchener Vorort Ottobrunn 1500 Euro. Haben die Award-Initiatoren für ihre 15-Minuten-Veranstaltung ebensoviel Geld hinblättern müssen? Zum Glück nicht! Der Saal war kostenlos vom Friedhelm Merz Verlag zur Verfügung gestellt worden!
Apropos Merz Verlag. Der Verlag hatte einstmals die Pöppel-Revue herausgebracht und ist heute der Veranstalter der Essener Internationalen Spieltage, der weltweit größten Publikumsmesse für Gesellschaftsspiele. Das ist seine einzige Aufgabe. Organisation, Vor- und Nachbereitung beschäftigen die Mitarbeiter ein ganzes Jahr lang. Ein unsterblicher Verdienst für die Welt der Spieler. Ansonsten wohl eher ein Nischendasein in unserer globalisierten Wirtschaftswelt.
Wohl alle Spieleverlage, so groß und berühmt sie auch sein mögen, leben unterhalb der Peanuts-Grenze – verglichen mit den großen Unternehmen wie Siemens, BMW oder Deutsche Bank. Ein bekannter Autor hat uns jetzt verraten, daß dies der Grund ist, warum viele Spiele auf den Markt kommen, die nicht ausbalanciert sind und erhelbliche Designschwächen enthalten. Innerhalb eines Jahres muß das Spiel auf dem Markt und verkauft sein. Fire and forget!
1. “Antics”
Der kleine schottische Verlag Fragor Games hatte uns schon vor fünf Jahren mit seinen hübsch modellierten Schäfchen in „Shear Panic“ imponiert. Diesmal zogen uns immer wieder die großen Ameisen von „Antics“ an, die als dicke schwarze Figuren über die grüne Boxenwand (1 Einheit = 800 Euro Standmiete) liefen. Vielleicht waren es auch die Schottenröcke der beiden Autorenbrüder Gordon und Fraser Lamont.
Da ich mich auch noch irgendwie bei meinem Neffen und den beiden Großneffen für Unterkunft und Verpflegung in Essen bedanken mußte, war schnell klar, daß wenigens ein Exemplar der „Antics“ bei den Westpark-Gamers (wenn auch nicht direkt am Westpark) landen würde.
Das taktische (bzw. Mitspieler-chaotische) Spiel hat das Gewimmel in und um einen Ameisenhaufen zum Thema. Ohne Würfel oder Zufallselemente baut jeder seinen Ameisenhaufen aus und steigert damit seinen Aktionsradius und die Mächtigkeit der folgenden Züge. (Klares und konstruktiv durchgezogenes Konzept von wachsender Spieldynamik.) Wir ziehen verschiedene Arten von Ameisenbabies (Feld- Wald- und Wiesen-Ameisen) groß und schicken sie in die große weite Ameisenwelt (Feld-Wald-Wiese), damit sie die dort vorhandene Beute in Form von Käfern, Schmetterlingen und Larven zur großen Ameisenburg in der Mitte des Spielbretts transportieren. Die Anzahl der verschiedenen Beutetiere sowie grüne und braune Blätter für die Ameisen-interne Pilzzucht bringen die benötigten Siegpunkte.
Es gibt verschiedene Strategien (oder „Schienen“) zum Sieg. Möglichst schnell die nächstliegenden Beutestücke einsacken und nach Hause kleckern oder erst die Kapazitäten erweitern um dann hinterher mit größerem Transport- und Ausbaufähigkeiten zu klotzen. Es gibt auch eine militärische Variante: Man leistet sich Soldatenameisen, um den Mitspielerameisen die gerade transportierte Beute abzujagen und auf dem eigenen Konto zu verbuchen. Diese letzte Möglichkeit haben wir Onkels und Neffen in unserem Spiel nicht genutzt. In einem schnellen Spiel ist der Effizienzgrad der Soldatenameisen recht fraglich. In der Kleckerphase haben sie sicherlich größere Zuschlagchancen, doch weil wir alle die Ausbau-Schiene verfolgten, führte der Weg-der-leichten-Beute offensichtlich in die Sackgasse und wurde erst gar nicht begangen.
Die Spielanleitung ist – wie immer vom Fragor-Verlag – in hervorragendem Deutsch geschrieben. Die eingebauten Kalauer rufen nicht nur beim ersten Lesen ein Schmunzeln hervor. Sie erklären auch zum ersten Mal überzeugend, warum in einem 4-Personen-Spiel nur 3 Spiel-Hilfen vorhanden sind: Die Autoren und Hersteller sind halt Schotten!
WPG-Wertung: Walter: 7 Punkte.
2. Danksagung
Ich freue mich, daß ich unsere Mail-Partner und Spieleautoren Richard Sibel („Maria“) und Bernd Eisenstein („Porto Carthago“) zum ersten Mal persönlich kennenlernen durfte und bedanke mich für die Gespräche mit ihnen.
Stellvertretend für viele freundliche und fachkundige Spiele-Erklärer bei anderen Verlagen bedanke ich mich bei Peter Rot und Roland Velemas am Stand von Eggert-Spiele für die gekonnten Einführungen und das Mitspielendürfen beim Superspiel „Grand Cru“.
Ich bedanke mich bei dem geduldigen Nachwuchs-Autor Philipp Höppner für die detailierte Beschreibung seines Fantasy Game „Empire of Darkness“ (wartend auf einen Verlag, der es herausbringt), sowie seine bemerkenswerten Unterweisungen in höhrere Würfelmathematik. Sinngemäß: „Wenn man für die verschiedenen Kampfentscheidungen immer mehr Würfel heranzieht, kann man den ungerechten und unbalancierten Zufallseinfluß beseitigen!“
3. PS
Heute kein Spielabend am Westpark. Wir treffen uns bei Moritz. Er hat gerade Phil Eklund von Sierra Madre Games zu Besuch ist, der uns sein neues Spiel vorstellen will. Mal sehen, ob und was Moritz darüber schreiben wird.