„Manche mußten sich vorhalten lassen, sie hätten nicht weniger mäßig, doch noch weit weniger ersprießlich ’die Sonne vor dem Aufgehen verspielt’, angeblich um die Zeit zu vertreiben, als ob nicht die Zeit vielmehr sie vertriebe.
Tatsächlich fand sich bei einem von ihnen ein Spiel Karten. Sie ließen es auf der Stelle verbrennen, wegen der Ansteckungsgefahr; denn wo man Karten mischt, da mischt man auch die Fäuste, auf alle Fälle die Gefühle; beim Ablegen legt man auch jedes Gefühl ab für Anstand und Ruf, Bescheidenheit und Würde. Man wird verspielt und gar bald hat man es.“
(Balthasar Gracián in seiner Gesellschaftssatire „Das Kritikon“ um 1650)
1. “Pergamemnon”
Bernd Eisenstein hat uns wieder den Prototypen seiner Neuentwicklung für Essen 2011 zum Testen zukommen lassen. Diesmal ist es ein Kartenspiel.
Jeder Spieler erhält ein eigenes Kartenset mit Kämpfern der verschiedenen Waffengattungen (Schwert, Speer und Pfeil), mit unterschiedlicher Angriffsstärke, unterschiedlicher Verteidiungskraft, mit unterschiedlichen Charismawerten zum Anheuern von Support-Kreaturen, mit verschiedenen Sondereigenschaften wie z.B. Flüchten-Können und mit unterschiedlichen Siegpunkten für die Endwertung.
Jeder Spieler spielt sein Kartendeck portionsweise wrap-around durch und kann damit pro Zug entweder einen Kampf gegen einen Mitspieler vom Zaun brechen oder eine offen ausliegende Kreaturen-Karten anheuern und damit sein Kartendeck und/oder sein Siegpunktkonto aufbessern.
Der Ausgang eines Kampfes ist a prioi offen, d.h. der Angreifer hat keinerlei Vorzeichen oder gar Gewißheit für seinen Sieg. Er kann lediglich mit seiner stärksten Angriffskarte mit der aufgedruckten Waffe gegen ein Volk antreten, dessen Verteidigung in dieser Waffenart bekanntermaßen unterdurchschnittlich ausgestattet ist. Doch wenn der Schlag pariert wird (nichts genaues weiß man nicht), dann wird er dem Gegenschlag in unbekannter Waffengattung vermutlich nichts Angemessenes entgegensetzen können.
Die Austarierung der unterschiedlichen Kampfaustattung der verschiedenen Völker ist noch eines der Problemfelder, auf denen Bernd arbeitet. Bei uns gewannen die Römer problemlos dank ihrer Charisma-Startvorgabe, mit der sie sich viele siegpunktträchtige Kreaturen an Land ziehen konnten. Hannibal nahm sich Quintus Fabius Maximus zum Vorbild und versuchte möglichst friedlich in den Gauen am Westpark zu überleben. Damit wurde er Letzter.
Moritz meinte, mit ein paar Vereinfachungen hätte das Spiel auf dem amerikanischen Markt durchaus Chancen. Horst fragte, was denn der Unterschied zum europäischen Markt wäre. „Die haben weniger Probleme damit, mal einfach so drauf los zu spielen.“
Keine WPG-Wertung für einen Prototypen.
2. “Homesteaders”
In LEO wird für „Homesteader“ keine Übersetzung angeboten. Doch mit wenig Phantasie erkennt man darin das Wort „Heimstatt“ und ahnt, dass es sich um eine Ansiedlung in ländlicher Gegend handelt, in der wir im Schweiße unseres Angesichts unser Brot essen. In „Homesteaders“ sind wir Siedler in den Weiten des nordamerikanischen Kontinents, errichten unsere Bauereien, Marktplätze und Gewerbebetriebe und versuchen durch landwirtschaftliche und industrielle Produktion sowie günstigen Handel die meisten Siegpunkte zu erwirtschaften. Entwicklung zur Entwicklung von Entwicklung ist das Prinzip des stark progressiven Spielablaufs.
Die ersten Schritte sind mühsam, doch schnell sprudeln die Quellen für Holz, Kupfer, Eisen, Gold, Äpfel, Rindviecher und Menschenkinder reichlich für uns hin. Das Recht für den Erwerb von Grundstücken wird durch einen Bietvorgang ganz ähnlich wie in Aarons „Manipur“ („aber hier funktioniert’s“ !?) erworben: wer bei der Versteigerung aussteigt (mangels Geldmasse aussteigen muß), bekommt eine Ersatzvergütung, mit der sich ebenfalls gut leben läßt. Um das ersteigerte Grundstück mit der vorgeschriebenen Homestead zu bebauen, muß man hinterher noch unterschiedliche Materialien vorweisen.
Konstruktiv, kontemplativ, friedlich, nahezu konfliktfrei verläuft der individulle Aufbau. Sehr viele Wege führen nach Rom und dabei kommt keiner keinem so recht in die Quere. Die vielen, alle sehr gut gehbaren Wege erfordern (und erlauben) keine strategische Planung. Es ist natürlich erfolgreich, wenn man am Ende ein Besitzstands-Ensemble beisammen hat, das zu den internen Siegpunktquellen optimal paßt. Doch wie das alles zusammen zusammenkommt, das ist zu großen Teilen zufällig. Selbst unser Sieger Moritz bekannte freimütig, dass er ohne Strategie und Taktik vorgegangen war.
Moritz hat das Spiel als Teilnehmer der Boardgamegeek-Com geschenkt bekommen und persönlich von Über-dem-großen-Teich mitgebracht. Auf dem europäischen Markt wird es wohl lange nicht käuftlich sein. Doch die Qualität und das reichliche, hübsch ausgearbeitete Spielmaterial wären durchaus konkurrenzfähig.
WPG-Wertung: Günther: 5 („zu viel Kleinkram, nicht so pfiffig wie Puerto Rico“), Horst: 8 („viele Möglichkeiten, kein Ausgegrenzt sein“, hätte gerne noch ein paar Runden gespielt), Moritz: 7 („das Spiel ist etwas fibbelig, aber es funktioniert“), Walter: 7 („ausgewogene konstruktive Elemente“, hätte allerdings ungern noch ein paar Runden länger gespielt)
3. “Bluff”
Moritz war mit 2 Würfeln im Endspiel gegen Günther und Horst mit je einem Würfel. Günther legte gemäß seinem Markenzeichen mit 1 mal Fünf vor. Horst hob auf 2 mal Vier und Moritz auf 2 mal Fünf.
Wieviele Runden dauerte das Spiel noch und welche Würfel hatten Horst und Moritz unter dem Becher?
Die Fragestellung ist leichter, wenn ich den Satz zum Spielverlauf leicht umbaue:
Günthers Vorgabe von 1 mal die Fünf war gemäß seiner Immer-5-Strategie absolut nichtssagend; Horst hob verzweifelt auf 2 mal die Vier und Moritz schob mit reservierter Spannung auf 2 mal die Fünf.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.