Jeden Samstag verschickt Walter eine Einladungsmail an die Westpark-Gamers: „Wer ist am kommenden Mittwoch dabei?“ Spätestens bis zum Sonntag Abend trudeln die Antworten ein. Manche lauten lapidar: „Ich“! Zuweilen wird auch der Name genannt: „Aaron“! Andrea meldet sich meist zaghaft: „Ist zufällig noch ein Plätzchen frei, ich könnte nämlich dabei sein“, obwohl die Plätze grundsätzlich nach dem „first in“-Prinzip vergeben werden und bei einer oberflächlichen Auszählung der Antwort-Mails die freien Plätze offensichtlich sein sollten. Moritz gebraucht ebenfalls sehr gerne den Konjunktiv: „Ich würde kommen“ schreibt er, ohne dass es bei ihm einen Grund für das „würde“ gibt; ohne Wenn und Aber heißt das geradewegs: „Ich komme“.
Unser Sprachengelehrter Peter hat uns heute erklärt, dass diese – eigentlich – überflüssige „würde“ ein Modalwort ist, mit denen die deutsche Sprache reichlich gesegnet ist. Wie keine weitere Sprache der Welt (außer unserem holländischen Dialekt). Das „würde“ ist überflüssig, drückt aber ein gewisse Höflichkeit oder sogar eine Emotionalität aus. Wenn die Mutter das Kind beim Abschied fragt: „Hast Du auch nichts vergessen?“, so liegt in diesem Satz durch das „auch“ viel mehr Anteilnahme drin, als ohne es. Wie drückt man das im Englischen aus? Der seelenlose BING-Übersetzer vereinfacht die Frage zum „Did you forget anything?“ Aber da fehlt doch was!
Ich habe in meiner Sammlung von Grimms Märchen in verschiedenen Sprachen nachgeschaut, wie professionelle Übersetzer im „Tischlein deck dich“ die besorgte Frage des Vaters übersetzen: “Ziege, bist Du auch satt?“ Den Engländern fällt hier wiederum nichts anderes ein als “Goat, hast thou had enough?”. Hübsch, aber das „auch“ fehlt. Ebenso bei den Franzosen: “Chèvre, es-tu repue?”.
In einer wunderschön bebilderten, aber sprachlich eher mageren ungarischen Ausgabe lautet die Frage sogar ganz unverschämt kurz: „éhes?“ (hungrig)? Und die Antwort „rettenetesen!“ (schrecklich)! So kann „man“ mit unserem wunderschönen Verslein „Ich sprang nur über Gräbelein und fand kein einzig Blättelein“ auch umgehen. – Es lebe das schöne deutsche Modalwort!
1. “Orléans”
Rainer Stockhausen ist ein fleißiger Spieleautor. Bei Luding findet man von ihm vierzehn verschiedene Spiele, allein aus diesem Jahrtausend. Am Westpark haben wir erst zwei von ihm gespielt. Mit „Orléans“ lag diesmal das dritte, sein neuestes Werk bei uns auf.
Im Regelheft wird kein einziges Wort über den geschichtlichen Hintergrund verloren. Das ist auch gut so. Es ist eh alles Schmarren, was die Redakteure hier zusammenfaseln. Der Name Orléans bürgt für sich, und die drei Personen auf dem Titelbild, Mönch, Ritter und Bauernmagd, ebenfalls.
Jeder Spieler platziert die eigenen Arbeiter (in der Startaufstellung hat jeder vier, im Laufe des Spiels werden es immer mehr und immer verschiedenere) auf die unterschiedlichen Wirkstätten in seinem persönlichen Spielertableau und läßt sie werkeln:
- Ein Schiffer und ein Handwerker erzeugen eine Bauernmagd
- Ein Händler, ein Handwerker und eine Bauernmagd erzeugen einen Gelehrten
- Ein Händler und ein Gelehrter erzeugen einen Mönch
- Ein Schiffer, ein Handwerker und eine Bauernmagd erzeugen einen Schiffer, einen Handwerker oder eine Bauernmagd
- Und was dergleichen Homo-, Hetero- oder Polygenesen mehr sind.
Mit neuen Mitarbeitern gewinnen wir nicht nur mehr Arbeitskraft, mit ihnen sind auch erkleckliche Nebenvorteile verbunden, u.a. gehört dazu ein schnelleres Recyclen unserer Arbeiter, sowie ein Fortschreiten auf der Faktor-Leiste, nach der am Ende unser Besitz an Häusern in Siegpunkte umgerechnet wird.
Die Herausforderung des Spiels besteht darin
a) mit dem richtigen Timing neue Mitarbeiter der richtigen Qualifikation zu erzeugen, um damit
b1) mehr Geld (= Siegpunkte) zu bekommen und/oder
b2) eine Effizienz-Steigerung seiner Aktionen zu erzielen und/oder
b3) sich zu bewegen und dann
c1) siegpunktwerte Rohstoffe von der Strecke aufzulesen und/oder
c2) siegpunktträchtige Häuser zu bauen.
Überall sprudeln Siegpunkt-Quellen. Als Anfänger steht man vor dem Spiel wie ein Lucullus in der Pralinenabteilung vom Dallmayr. Als Fortgeschrittener steht man immer noch da. Es gibt zu viel, und es ist nicht zu überblicken, welche Weichenstellung uns die besten Strecken eröffnet. Bemerkenswert, dass unser professioneller Orléanist Günther nur ganz knapp gewann und dass Peter, unser zweites Denkergenie, unter uns restlichen drei Anfängern der Letzte wurde.
Überall ist ein bißchen Konkurrenz verbunden. Wenn die Mitarbeiter einer Sorte aus sind, gibt es keine mehr; vor allem können dann auch keine Vorteile in den Nebenstrecken mehr erworben werden. Gerade richtiger Zufall ist ebenfalls eingebaut. Einzelne Arbeitsplätze werden für eine Runde geschlossen, für aktuelles Besitztum werden Prämien gezahlt oder Abgaben fällig oder man verliert Arbeiter oder. Günther traf es gleich am Abend zweimal hart, und er verlor seinen klügsten und tüchtigsten Nachwuchs, sonst hätte er wohl höher gewonnen.
Das Spielmaterial ist gefällig, alles funktioniert, alles ist gut abgestimmt, alles greift ineinander, alles ist konstruktiv. Alles. Ja, alles, leider! Zu konstruktiv und zu gleichförmig konstruktiv!
WPG-Wertung: Aaron: 6 („Es reißt mich nicht vom Hocker), Günther: 7 (gegenüber den Rosenbergschen Aufbauspielen ein bißchen klarer), Peter: 7 (unterhaltsam, wenn auch kein Spitzenspiel), Walter: 6 (eigentlich alles rund und schön, aber bei der Vielzahl gleichmächtiger Siegpunktquellen stellt sich keine richtige Spielspannung ein)
2. “Pandemic: The Cure”
Mal wieder ein Kooperationsspiel, diesmal mit tausenden von Würfeln. (Genauer gesagt: mit 85 Stück.) Das bemerkenswerte Aaron-6-Punkte-Karten-Brettspiel „Pandemie“ wurde mit „The Cure“ zu einem WPG-4-Punkte Würfel-Brettspiel „heruntergedampft“.
48 der 85 Würfel sind ganz normale Hexa-Würfel in vier Grundfarben stellen Krankheiten dar. Regelmäßig werden drei bis fünf Stück von ihnen ausgewürfelt und auf insgesamt sechs Regionen verteilt, die den Augenzahlen zugeordnet sind. Sobald auf einer Region von einer Farbe mehr als drei Würfel liegen, bricht eine Epidemie aus, die sich unverzüglich auf die Nachbarregionen ausbreitet, und wenn dort auch schon genügend Würfel der infizierten Farbe liegen, geht es so weiter, bis entweder die Infektionswelle gebrochen ist oder die Spieler das Spiel verloren haben.
Jeder Spieler hat fünf bis sieben individuelle Spezialwürfel, mit denen er die Krankheiten bekämpfen kann / muss. Die verschiedenen Würfelseiten erlauben ihm,
- sich in eine beliebige der sechs Regionen zu bewegen, wo er seine weiteren Aktionen durchzuführen gedenkt
- einen Krankheitswürfel zu kurieren (zurück in den Tausend-Würfel-Vorrat)
- einen Krankheitswürfel in den zentralen Behandlungsraum zu transportieren
- einen Krankheitswürfel aus dem zentralen Behandlungsraum in sein privates Forschungslabor zu bringen.
Unabhängig von unserem Würfelergebnis dürfen wir weiterhin:
- die Krankheitswürfel aus unserem Forschungslabor an einzelne Mitspieler weiterreichen
- mit ausreichend vielen Krankheitswürfeln in unserem Forschungslabor versuchen, ein Heilmitteln gegen die Krankheit auszuwürfeln.
Gelingt es uns, gegen alle vier Krankheiten ein Heilmittel auszuwürfeln, bevor achtmal eine Epidemie ausgebrochen ist, haben wir – alle – gewonnen. Andernfalls verloren. Auf jeden Fall endet das Spiel. Gott-sei-Dank. Walters einziger teilnahmsloser Genuss war es, sich zu vorgerückter Zeit von Peter spielen zu lassen. (Hallo Peter, das war jetzt wirklich absolut positiv gemeint!)
WPG-Wertung: Aaron: 5 (mag keine Kooperationsspiele, doch wenn sie relativ kurz sind, kann er so ein Spiel tolerieren), Peter: 6 („Es ist ein gutes Spiel, weil es knapp ist“, würde es aber nicht häufiger spielen wollen), Günther: 4 (es ist nicht wirklich gut, eher öde; vielleicht als Solospiel geeignet), Walter: 3 (eindimensionaler, dröger Würfelrausch ohne jeglichen Pfiff)
3. “Bluff”
Günther war mit einem Würfel im Endspiel gegen Aaron mit deren zwei. Er hatte einen Superwurf, einen Stern unter dem Becher. Was und wie sollte er damit anfangen?
Unser Immer-5-Stratege sah nur die beiden Möglichkeiten „1 mal die Fünf“ oder „2 mal die Fünf“! Mit seiner – gar nicht so schlechten! – Immer-5-Strategie hätte diesen Durchgang sogar gewonnen. Doch er wurde übermütig. Oder wollte er nur den Stier bei den Hörnern packen? Jedenfalls war seine Vorgabe „2 mal die Fünf“ genau das, was es – diesmal nicht nur wegen Aarons magerer Zwei und Vier unter dem Becher – ist: ein frivoler Selbstmord!
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.