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07.03.2012: Parasiten im Fischteich

Kann ein Dirigent reden? Und wie! Moritz mußte heute Abend einen solchen Redeschwall über sich ergehen lassen, dass ihm Hören und Sehen verging. Er vergaß Zeit und Raum und ließ die Westpark-Gamers eine geschlagene Stunde sang- und klanglos auf seine Ankunft warten. Man kann ja wohl auch nicht zum Handy greifen, wenn ein Dirigent auf einen einredet.

1. “Rapa Nui”
Zum dritten Mal bei uns auf dem Tisch. Heute als Aufsacker, um die Zeit bis zu Moritz’ Eintreffen zu überbrücken. Ein sehr gefälliges Spiel, leicht und locker. Ein wenig Planung für sehr viel Hoffnung, und gerade die richtige Prise Zufall, um das spielerische Element zu erhalten und die Schweißtropfen auf den Denkerstirnen erst gar nicht aufkommen zu lassen.
Walter gewann mit akzeptablem Vorsprung. Keiner wußte warum. Er auch nicht. Hat vielleicht die Startspielerposition geholfen, mit einer frühen Mehrheit bei den Holzfällern? Vor allem aber ließen die freundlichen Mitspieler seine Holzquellen eifrig sprudeln. Mit diesem Geld konnte er sich reichlich Moais zulegen und seine Rosenzucht – ebenfalls mit selbstloser Unterstützung der Mitspieler – in der Schlußwertung auf Höchstpreise treiben. Doch warum sich seine Osterinsel-Ökonomie so prächtig entwickelte, bleibt vorerst noch Fortunas Geheimnis. (Nicht der aus Düsseldorf.)
Keine neue WPG-Wertung für ein 7,8 Punkte-Spiel.

2. “Village”
Horst wollte das Spiel für heute mitbringen, doch seine Birgit legte ein Veto ein. Das Spielmaterial hat ihr so gut gefallen, dass sie die Defloration unbedingt selber vornehmen wollte. Doch keine Chance: Günther war schon schneller. Er verspricht, das „auf jeden Fall 7-Punkte-Spiel“ bei nächster Gelegenheit auch den Westparkern zur Verfügung zu stellen.
Noch keine allgemeine WPG-Wertung

3. “Panic Station”
Bei Stars-and-Strips-Adventure-Game geht Moritz immer sofort in die Defensive: „45 Minuten! – Heißt’s!“ verkündete er gewollt zuversichtlich. Mit einem deutlich beschwichtigenden Unterton und unverkennbarer Eigenskepsis zu diesen Angaben. Dabei hatte sich keine einzige Gegenstimme gegen dieses „kooperative Spiel mit Verräter-Element“ erhoben.

Die Spielidee stammt aus der Horror-Erzählung „Who Goes There“ von John W. Campbell, die bereits 1951 als „Das Ding aus einer anderen Welt“ verfilmt worden war. Im letzten Jahr wurde eine Vorgeschichte dazuerfunden und unter dem Titel „The Thing“ verfilmt. Im fixen Spiele-Business Grund genug, auch ein zugehöriges Spiel auf den Markt zu bringen. Moritz hat es in Essen gekauft.

Als „gute“ Menschen werden wir alle geboren. Im Spielablauf legen wir Raumkarte für Raumkarte zu einer mosaikartigen Region zusammen. Hier können wir unsere beiden Spielfiguren in beliebige Richtungen bewegen. Wir erkunden den Raum, d.h. wir dürfen neue Raumkarten auf die Hand nehmen, wir finden Waffen, Munition, Schutzschilde und Benzinkanister. „Parasiten“ entstehen und machen uns das Leben schwer. Oder wir ihnen.
In einer frühen Spielphase mutiert einer von uns zufällig und unversehens zum „Bösen“. Ab dann spielt er kontraproduktiv, d.h. er sorgt eher für ein Anwachsen der Parasiten als für deren Beseitigung. Das sollte er aber nicht zu auffällig machen, damit er nicht so schnell als „Böser“ entlarvt und in seinen Infektionskreisen gestört wird. Bei uns wurde Moritz – wer konnte es auch anders sein? – zum ersten „Bösen“ der Weltgeschichte. Dabei fand Horst ein untrügliches Anzeichen, Moritz als solchen zu erkennen: Bei allen Kooperationsspielen redet Moritz ununterbrochen mit Anteilnahme und Leidenschaft auf seine Mitspieler ein, um sie auf seine genialen Meisterzüge einzuschwören. Wenn er dann plötzlich den Mund hält und seine Ratschläge nur noch sparsam und vor allem emotionsgebremst fließen, dann ist er der Böse geworden.

In „Panic Station“ wird irgendwann im Laufe der Gebietserkundung eine Raumkarte mit dem „Nest der Parasiten“ entdeckt. Jetzt kann das Spielziel angegangen werden: Wenn es einem der „guten“ Mitspieler gelingt, mit drei Benzinkanistern in der Hand zu diesem Nest vorzudringen (und es mit einem Flammenwerfer zu zerstören), dann haben die „Guten“ gewonnen. Ist es den Bösen gelungen, vorher alle Guten zu infizieren, dann haben die Bösen gewonnen.

Wie infiziert man? Wie im richtigen Leben: durch Berühung. Wenn ein Spieler eine Raumkarte betritt, auf der bereits ein anderer Spieler steht, tauschen sie zwangsweise – natürlich verdeckt – je eine Handkarte aus. Wenn dabei ein Böser einem Guten eine „Infektionskarte“ gibt, schwupp ist der Gute angesteckt und ebenfalls ein Böser geworden. Der Gute kann sich noch dagegen wehren, indem er – zufällig oder ahnungsvoll – als Gegenkarte einen Benzinkanister gewählt hat. Doch diese Karten darf man nicht leichtfertig aus der Hand geben, sie werden ja für den Endsieg gebraucht. Außerdem hat man in der Grundausstattung nur einen Benzinkanister, so dass man dem nächsten Infektionsangriff ohnehin schutzlos ausgeliefert ist. So ergibt sich für die Guten das Dilemma, entweder die Siegchancen aufzugeben oder Böse zu werden. Walter fühlte sich in dieser Situation gespielt:

  • das Spiel bietet wenig räumliche Handlungsfreiheit
  • es bietet viel zu wenig materielle Handlungsfreiheit (zwei Spieler hatten während des gesamten Spiels keine einzige Waffe und keine einziges Stück Munition in ihrer Hand! Man braucht beides für einen einzigen Schuß!)
  • es läuft im höchsten Grade determiniert ab
  • der Spielausgang ist entschieden und wir müssen trotzdem weiterspielen: wenn der letzte übrig gebliebene Gute nicht mehr genügend Mittel zur Hand hat, um zu gewinnen, so wissen es alle, doch keiner darf es wegen der Geheimhaltungspflicht laut aussprechen; so trotteln wir weiter durch den Weltraum, bis endlich der letzte Gute das Licht ausmacht.

Moritz war mit diesen Kritikpunkten nicht einverstanden. Für ihn war der unvermeidliche Übergang von Gut nach Böse lediglich ein Paradigmawechsel. Auch sah er beim Vorwurf des Gespielt-Werdens klare Parallelen zum „Rapa Nui“. Auch da ist man nicht völlig Herr seines Schicksals, sondern von den gutmütigen Zügen seiner Mitspieler abhängig. Doch hierbei gibt es einen gravierenden Unterschied: in „Panic Station“ werden wir von den Einfällen und Mechanismen des Autors gespielt, in „Rapa Nui“ von den Ambitionen der Mitspieler. Darin liegt ein größerer Unterschied als zwischen Tag und Nacht.

WPG-Wertung: Günther: 4 (Tendenz zu 3), Horst: 6 (mit Potential zu mehr), Moritz: 7 (hofft, durch häufiges Spielen und Beherrschen der Mechanismen noch auf 8 Punkte zu kommen), Walter: 3 (dreimal soviel Punkte wie ein grottenschlechtes Spiel. Das Spiel funktioniert, das ist aber auch alles.)

4. “Upon a Salty Ocean”
Das nagelneue Spiel der italienischen Giochix.it Edizioni hat verdammt viel Ähnlichkeit mit Aaron’s „Trawler“. Es gibt:

  • eine taktisch wichtige Startspielerreihenfolge
  • 1 bis 3 Fangschiffe mit unterschiedlichen Transport-Kapazitäten
  • Werften für neue Schiffe in der Fischfangflotte
  • Kabeljaus und Heringe als Fischerei-Ertrag
  • einen Markt mit variabler Preisgestaltung

Dazu gibt es noch viel mehr Elemente, von denen „Trawler“ zunächst nur träumen kann:

  • Salinen zur Salzgewinnung. Damit wir auf hoher See unsere Fische sofort konservieren können. Ohne Salz kein Fisch
  • Depots zum Lagern von Salz oder Fisch. Was nicht gelagert werden kann, geht verloren.
  • Piraten und Stürme in veränderlicher Zusammensetzung, die unsere freie Seefahrt beeinträchtigen
  • eine Mole für die Reparatur beschädigter Schiffe
  • Bank, Finanzamt und Rathaus für monetäre Ambitionen
  • eine Kapelle mit einem Schutzheiligen gegen die Piraten.
  • eine Kirche mit einer großen Rosette für ewige Verdienste bei Spielende.

Die Spieler engagieren sich reihum auf den verschiedenen Gebieten in Stadt-Land-Fluß, sie laden Salz, fahren zur See, tauschen Salz in Fische, bringen sie nach Hause, verkaufen sie auf dem Markt und beten je nach Strategie und Konfession in Kirche und Kapelle um höheren Segen. Alles ist rund, alles ist schön. Aber alles ist zuviel. Elendige Optimierungsrechungen sind notwendig, um den besten Zug auf Erden oder im Himmel zu berechnen. Sollen wir erst noch unseren Anti-Piraten-Obolus zum heiligen Maclou tragen oder fahren wir lieber gleich zur See und nehmen die fälligen Mengen-Einbußen in Kauf? Besonders bei den je nach Saison oder Marktkonkurrenz steigenden bzw. fallenden Preisen! Erweitern wir die Salzausbeute in unserer Saline oder die Kapazität in unserem Lager oder unsere Schiffstonage? Rechnen, Rechnen, Rechnen.

Jeder kann beliebig viele Aktionen durchführen, solange er sie bezahlen kann. Die erste Aktion einer Art kostet nichts, jede weitere einen Gulden mehr. Dahinter steckt Fluch und Segen. Für zehn Gulden kann jeder mehr oder weniger fünf Aktionen durchführen. Danach geht es deutlich ins Geld. Ein Krösus kann leicht noch fünf weitere Aktionen planen und durchführen, während die Armhälse auf das Ende der Runde warten müssen. Und auf das Fertigwerden der Finanzberater, die dem Krösus immer noch eine Aktion mehr empfehlen, wenn sie nur 10 Gulden kostet aber 11 Gulden einbringt.
Günther kam auf die Idee, die Fische gar nicht erst zu fangen mit dem ganzen umständlichen Pipapo aus Salz, Seefahrt und Handel. Er ging einfach auf den Markt, kaufte sich Heringe für vier Gulden das Stück, wartete die erkennbare Preissteigerung bei Rundenende ab und verkaufte sie in der nächsten Runde für sechs Gulden das Stück. Einschließlich der Aktionskosten ein Reingewinn von knapp 15 Gulden. Für einen ungefährdet geplanten und durchgeführten Solo-Zug.

Für die sichere Durchführung dieser Transaktion mußte er nur Startspieler in der nächste Runde werden. Da er aber bereits Startspieler war und seinen Kreditrahmen maximal ausgeschöpft hatte, konnte ihm keiner diese wiederholte Startspieler-Rolle nehmen. Ist das im Sinne des Erfinders?

Horst hatte sich von vorneherein auf das Beten verlegt. Runde für Runde stellte er Opferkerzen vor den Altar der heilige Jungfrau und bastelte ihr eigenhändig die große Fensterrosette. Dafür revanchierte sie sich am Ende mit 70 Jahren erspartes Fegefeuer. Doch das reichte diesmal nicht zum Sieg. Günthers schnöder Mammon war stärker.

Fazit: „Upon a Salty Ocean“ ist eigentlich ein sehr schönes Spiel. Viele Elemente sind sehr gut kombiniert und ausbalanciert. Das klare, durchsichtige Spieldesign ist leicht zu handhaben. Die Kohle fließt und die Gulden rollen über das Aktionstableau. Doch irgend etwas stimmt nicht. Der Grübelfaktor ist zu hoch und die Spiellaune sankt von Runde zu Runde. Selbst bei den Siegern. Sehr schade um das hübsche Räderwerk, das hier zusammengebaut wurde.

WPG-Wertung: Günther: 5 (Grübelfaktor), Horst: 5 (einfach und flüssig, 1 Sonderpunkt für die Graphik), Moritz: 4 (sinkende Spiellaune), Walter: 5 (schön aber schweißtreibend)