Im verbalen Vorspiel quittierte ein rentner-trotziges Kopfschütteln die aktuellen Pläne zur Standort-Aufgabe des Hauses Nokia-Siemens. Vom finnisch-bayerischen Wirtschaftskrieg wechselte das Thema zum britisch-amerikanischen Unabhängigkeitskrieg „1812“, wo wir uns mühsam die paar Punkte erarbeiteten, in denen dieses Spiel über ein reines Risiko-Würfelspiel hinausgeht. (Siehe Session-Report und Kommentare von letzter Woche.) Dann gingen wir weitere 2000 Jahre zurück und wendeten uns auf dem realen Spieltisch Bernd Eisensteins virtueller Vielvölkerschlacht zu.
1. “Pergamemnon”
Karthager, Römer, Hellenen, Agypter und Perser spielen gegeneinander ein asymmetrisches Jeder-gegen-Jeden rechts-und-links-und-kreuzweise Kartenspiel. Die Angriffswaffen sind Bogen, Speer und Schwert, zur Verteidigung dienen Schild, Helm und Brustpanzer. Jeder Spieler erhält einen Kartensatz mit den genannten Angriffs- und Verteidigungswaffen in unterschiedlicher Zusammensetzung und unterschiedlicher Stärke. Davon darf er jeweils drei Karten auf der Hand nehmen, um damit die Gefechte zu bestreiten.
Zum Gefecht wählt sich ein Spieler einen beliebigen Mitspieler-Gegner, nennt die Waffe mit der er angreifen will und spielt verdeckt eine der Handkarten aus. Der Angegriffene wählt darauf eine Handkarte aus seiner Hand, dann wird die Angriffsstärke des Angreifers mit der Verteidungsstärke des Verteidigers verglichen. In der Regel ist die Angriffsstärke größer, deshalb darf der Verteidiger jetzt noch eine weitere Karte zur Verteidigung nachlegen. Die beiden Verteidungswerte werden addiert. Ist der Angriff pariert, kommt es sofort zum Gegenschlag des Angegriffenen, bei dem ebenfalls die Angriffs- bzw. Verteidungswerte der ausgespielten Karten miteinander verglichen werden. Das kann dann noch einbiszweimal hin und hergehen.
Der Verlierer muß seine ausgespielten Karten hergeben, der Gewinner darf die eroberten Karten in seinen Kartensatz einreihen, oder er kann sie zum Erwerben von ausliegenden „Kreaturen“ einsetzen, mit denen er sein Potential an Kampf- und Siegpunktkarten erhöht. Sind die unterlegenen Kampfkarten allerdings „Flüchtlinge“ so erhält sie nicht der Sieger, sondern sie kommen ganz aus dem Spiel bzw. der Spieler, der die Ägypter führt, darf / muß sie in seinen Kartensatz aufnehmen.
Aaron war griechischer Startspieler und mangels Besitz einer eroberten Gegnerkarte mußte er sogleich zum ersten Angriff übergehen. Als Opfer wählte er Walters Römer. Von dort wurde ihm allerdings nur ein Flüchtling entgegengeschickt, so dass er trotz seines Sieges keinen Zugewinn erzielen konnte. Im Ergebnis war Walter eine Kampfkarte los, und Günthers unbeteiligten Ägypter wurden um einen Deserteur reicher. Der Verlierer wird sakrosankt. Aaron blieb als Sieger am Zug und mußte sich nun notgedrungen gegen die Ägypter wenden. Auch hier blieb er Sieger, doch da Günther ebenfalls einen Flüchtling ins Rennen geschickt hatte, ging Aaron zum zweiten Mal leer aus. Die erste Runde war zu Ende, das Sakrosanktentum wurde aufgehoben, und Aaron war immer noch am Zug. Verzweifelt suchte er nach Zugalternativen: „Offensichtlich muß ich verlieren, um nicht mehr am Zug zu sein. Wie finde ich denn das?!!“ Hallo Bernd, kannst Du ihm helfen?
Irrtümlich (oder mangels besserer Krieger) schickte Walter jetzt einen Nicht-Flüchtlich ins Gefecht und Aaron bekam endlich einen eroberten Krieger ins Portefeuille, mit dem er sich auch sogleich über eine Kreatur hermachte und damit seine aktive Rolle abgeben konnte. Die Ägypter bekamen die Initiative. Als einziger Gegner standen ihnen jetzt nur die bereits arg gebeutelten Römer zur Verfügung. Mit Unterstützung und zufälligem Gleichstand im Gegenstoß konnten diese ein weiteres Angefressen-Werden ihrer Streitmächte gerade noch verhindern.
Endlich war auch Caesar aus seinem Mittagsschlaf im römischen Nachziehstapel aufgewacht. Zwangsweise wurde jetzt Aaron ins Visier genommen. Die Römer waren erfolgreich und konnten sich einen griechischen Hauslehrer einverleiben. Doch Caesars Glanz war nur ein Strohfeuer. Alle Römer sind Luschen. Vada a bordo, cazzo! Sehr bald ging er nur noch unwillig in die Zwangskämpfe, deren Aussichtslosigkeit ein Blinder mit der Krücke fühlen mußte. Einige Male konnte er sich noch mit knapper Müh und Not halb verdroschen auf den Ablagestapel retten, dann landete auch er in der Kriegsbeute seiner Gegner. Um einen Kampf zu gewinnen hätte er eine Kreatur haben müssen, und um eine Kreatur zu bekommen hätte er einen Kampf gewinnen müssen. Ein klassischer Circulus Vitiosus. O heiliger Sankt Bernd, schicke mir doch endlich auch mal einen Wilhelm Tell. Oder am liebsten gleich eine Dicke Berta.
Günther konterte mitleidslos: „Du hast die falsche Taktik gewählt, du hättest nicht die Römer nehmen sollen!“ Doch das war keine freie Wahl: Die Römer sind rot. (Wie immer man dieses Faktum interpretieren mag!)
Nach 2 ½ Stunden war das Spiel über die Bühne gebracht. Dann kam die Erlösung. Heute nicht so sehr als solche empfunden, wohl aber bei einer Wiederholung. Wenn wir nicht immer wieder hätten nachlesen müssen, wie die Gefechte im einzelnen verlaufen und was ihre Ergebnisse sind, hätte es vielleicht auch schneller gehen können. Vielleicht auch nicht.
WPG-Wertung: Aaron: 3 („das kann man nicht loben, krasse Extuition“), Günther: 4 („die Kartentechnik / Kartenpfege hat einen gewissen Reiz“, er hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass man das Spiel in einer halben Stunde spielen könnte), Walter: 2 (mit Römer-Malus, kaum Entscheidungsspielraum).
Auch als namentlich genannte Tester waschen wir in „Pergamemnon“ unsere Hände in Unschuld.
2. “Seeland”
Aaron erinnerte sich an ein „nettes Spiel“, obwohl er es noch gar nicht gespielt hat. Zumindest nach der WPG-Rangliste auf unserer Internetseite. Und auch im Session-Verzeichnis gibt es keinen Eintrag. Bei emsigem Suchen fand er es schließlich in unserer Liste „Spiel des Monats“. Aber wie kann das sein? Ohne Diskussion und ohne Spielkritik? Oh Wunder, oh Wunder! Könnt ihr euch erklären, wie sich das zusammenreimt? Hier und heute keine Erklärung dazu.
Seeland ist eine holländische Landschaft, die fast komplett unter dem Meeresspiegel liegt. Seit dem Mittelalter ist der Kampf gegen das Wasser ein elementarer Bestandteil ihrer Geschichte. Im Spiel „Seeland“ sind wir Holländer und müssen uns unsere Verdienste bei der Landgewinnung erwerben.
Das Spielbrett ist eine Landschaft aus Hexagons, in die wir reihum jeweils ein Landschaftsplättchen legen: Kohl, Raps und Tulpen. Oder eine Wassermühle, mit der wir das Wasser aus unseren Grundstücken pumpen. Das jeweilige Plättchen, das wir legen, müssen wir uns nach einem sehr pfiffigen Auswahlmechanismus erwerben: Die angebotenen Plättchen liegen in einen Kreis, um den der „Gildemeister“ herumwandert. Wir bewegen den Gildemeister um ein oder mehrere Felder und dürfen dann das Plättchen nehmen, bei dem er angekommen ist. Ein Schritt des Gildemeisters ist kostenlos, jeder weitere Schritt kostet einen Gulden. Beim Geldeinsatz sind wir sehr beschränkt: Der ausgabefreudigste Spieler darf nur maximal vier Gulden mehr ausgegeben haben als der sparsamste. Wie diese Gelddifferenz technisch und spielerisch gehandhabt wird, ist allein der Kauf des Spieles wert.
Jedes Plättchen hat einen unterschiedlichen Wert, den wir in periodischen Abrechnungen gutgeschrieben bekommen. Weiterhin gibt es Prämien für besondere Gesamtstrukturen an Plättchen, die wir um unsere Wassermühlen angelegt haben. Ein hübscher, interaktiver Wettkampf um den Einsatz unserer Gulden, den Einkauf der besten Plättchen und das Auslegen der Plättchen in die lukrativste Seeland-Gegend.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (ein Punkt mehr als bisher, schnell, mit wenigen Spiel-Elementen ein interessantes Ergebnis erzielt), Günther: 7 (taktisches Familienspiel), Walter: 7 (konstruktiv, großer Freiheitsgrad, allerdings ohne Progression).