1. “Flügelschlag”
Das aktuelle „Kenner-Spiel des Jahres 2019“. Hierzu viele Worte zu verlieren, heißt wohl Eulen nach Athen zu tragen. Bei Google werden schon 453 Tausend Einträge zu diesem Begriff ausgewiesen (claro, nicht alle zum Spiel), und sicherlich liegt die Zahl der Spiel-Bestellungen bei Verlagen und Vertrieben in der gleichen Größenordnung.
Lassen wir jetzt die Jury von „SdJ“ selber zu Wort kommen, warum sie dieses Spiel an die Spitze der Produkte von 2019 gesetzt haben. (Ich hoffe, dass mit diesem Text kein Copy Right verletzt wird!)
„Bei Flügelschlag ist es also, dass wir ein Territorium haben mit ’nem Waldgebiet, ’nem Sumpfgebiet und ’nem Wassergebiet. Wir locken Vögel an, die zu uns kommen, und wollen eine möglichst bunte Vielfalt an Vögeln bei uns haben.“
Einspruch! Erstens „locken“ wir keine Vögel an, sondern wir kaufen sie ganz einfach und brutal in einem Vogelgeschäft. Der erste Vogel pro Runde kostet nichts, der zweite kostet ein Ei, und ab dem braven Schweppermann auch zwei. Zweitens möchten wir keine möglichst bunte Vielfalt an Vögeln haben, sondern eine Sammlung, die uns möglichst viele Punkte bringt. Das kann u.U. auch eine recht einseitige Sammlung von Enten sein. (Drittens ist das „Sumpfgebiet“ nach der Spielregel ein „Wiesenlebensraum“, aber das stört nun wirklich keinen großen Geist.)
„Die Vögel können Eier legen, wir können sie auf die Hand nehmen, und die Vögel brauchen Nahrung.“
Teilweise richtig.
a) Wir können nicht, wir MÜSSEN die Vögel sogar zuerst auf die Hand nehmen, nachdem wir sie gekauft haben. Erst in einem weiteren Zug dürfen wir sie dann in einem unserer Wald-, Wiesen- oder Wasser-Käfige aussetzen.
b) Die Vögel brauchen eigentlich keine Nahrung, nur wir Spieler müssen eine artenspezifische Nahrung abgeben, und zwar nur und genau dann, wenn wir die Vögel in die Käfige setzen. Ein einziges Mal.
c) Nicht alle Vögel legen Eier, sondern nur diejenigen in unserem Wiesenkäfig. Bei jedem neuen Platzieren eines Vogels dort bekommen wir Eier, und zwar mit wachsendem Füllungsgrad des Käfigs in steigender Menge.
Von diesem dynamischen Ausschüttungsprinzip her ist es natürlich ein taktischer Zug, möglichst schnell und einseitig die Wiese zu füllen. Doch gilt dieses Prinzip auch für die Ausschüttung anderer Ressourcen. Beim Aussetzen im Wald liefern die Vögel Nahrung, und im Wassergebiet bekommen wir neue Vögel (Vogelkarten) auf die Hand.
„Die Vogelarten sind detailverliebt gezeichnet. Die Karten enthalten viele Information zur jeweiligen Vogelart, wir tauchen ein in die ornithologische Welt. Jede Partie wird zu einer ornithologischen Fortbildungsmaßnahme. Man hat dann nicht nur Spaß gehabt, sondern auch noch etwas gelernt. – Mir geht es jetzt auch so, dass ich jetzt ganz anders durch die Welt gehe und viel mehr auf die Vögel achte, die draußen bei uns sind.“
„Detailverliebt“ ist richtig. Der ornithologische Lerneffekt ist bei mir persönlich allerdings ausgeblieben. Seit mein Freund Hans ein Beauftragter des Vogelschutzbundes ist, kann ich die Eichelhäher in unserem Garten identifizieren, ansonsten nur die Grundvögel aus dem Lied „Alle Vögel sind schon da“. „Flügelschlag“ hat mir hier keinen einzigen weiteren Vogel weder dem Namen nach, noch im Bild, noch in seiner Spannweite noch in seinem Lebensraum nähergebracht. Aber vielleicht bin ich ein Ignorant.
„Für alle geeignet, die ganz einfach strategisch denken und ihre Kartenauslage optimieren möchten.“
Ja wie sieht denn die Strategie aus? Wieviele und welche Vögel der Anfangsausstattung behalten wir auf der Hand? Behalten wir Vögel mit großen oder mit kleinem Nahrungsbedarf beim Aussetzen? Fangen wir mit Wald, Wiese oder Wasser an? Welche Vogel-Sonder-Effekte sind die besten?
Da kommt’s nämlich noch: Auf jeder einzelnen Vogelkarte steht ein anderer Effekt, der beim Ausspielen bzw. beim „Aktivieren“ eines Lebensraums zum Tragen kommt. Wir erhalten Eier, Nahrung oder zusätzliche Vogelkarten, wir dürfen gleich noch einen weiteren Vogel aussetzen, wir dürfen das Nahrungsangebot neu auswürfeln, oder wir erhalten einzelne Sonder-Siegpunkte.
Ja wofür gibt es Siegpunkte? Dafür sind verschiedene Kriterien ausgelobt. Zunächst bringt jede einzelne ausgespielte Vogelkarte Siegpunkte entsprechend dem aufgedruckten Quantum. Jedes Ei auf einer Vogelkarten liefert einen weiteren Siegpunkt. Jeder Spieler erhält zu Spielbeginn eine individuelle Bonuskarte mit Bedingungen, die er im Laufe des Spieles ganz oder teilweise erfüllen muss (meist ist es das Sammeln einer Anzahl von Vögeln mit spezifischen Eigenschaften), und die dann in der Schlusswertung weitere Siegpunkte einbringen. Zusätzliche Bonuskarten können beim Aussetzen mancher Vögel dazuerworben werden. Darüber hinaus werden für ein Spiel vier Zwischenziele definiert (z.B. die meisten Eier oder die meisten Vögel in einem bestimmten Lebensraum), wer hier den besten Erfüllungsgrad hat, bekommt weitere Siegpunkte zugeschustert.
Zurück zu Strategie-Frage? Welches ist denn nun die beste Strategie, die das Räderwerk unseres strategischen Denkens in Gang hält? Die Auswahl der kaufbaren Vögel im Vogelgeschäft ist sehr begrenzt. Fehlanzeige ist es, zu wissen, was da auf uns zukommt. Das Nahrungsangebot wird mittels eines (sehr hübschen) Würfelbechers ausgewürfelt. Auch da sind wir in Planung und Ausführung unserer Strategie stark eingeschränkt. Die zukünftigen und angebotenen Vogel-Sonder-Effekte sind gänzlich unbekannt. Ein optimaler Zugriff auf die besten Vogelkarten kommt einem Von-der-Hand-in-den-Mund-Leben gleich. Ja, ja, so mancher Fachmann hat Schwierigkeiten mit dem Begriff „Strategie“, warum nicht auch unsere Jury von SdJ!
„Vogelschlag ist ein sehr thematisches Optimierspiel, stimmig, thematisch passt einfach alles.“
Ja wenn man im Wald Nahrung bekommt und im Sumpf neue Vogelkarten, dann stimmt das einigermaßen. Bei den Sonder-Effekten auf den Vogelkarten bin ich mir da nicht so sicher. Zumindest wollen wir anerkennen, dass die Begriffsbildung des Spiels weitgehend aus der Vogelwelt stammt.
„Das Thema sorgt für einen leichten Einstieg, denn das, was die Vogelkarten, was die Vogelarten können, das macht Sinn, weil das ist aus dem Leben abgekuckt.“
Ich wüsste nicht, auf welche Weise mir das Leben neue Vogelkarten in die Hand spielt! Auch beherrsche ich z.B. die Mechanismen von Kohleförderung und Vertrieb a la „Haspelknecht“ auf Anhieb genauso gut wie den Flügelschlag beim Vögeln, ohne jemals selber unter Tage gewesen zu sein. Ressourcen zu bekommen und auszugeben ist wohl eine der grundlegendsten Erfahrungen in unserem Leben.
„Zum einen ein sehr schöner Mechanismus, dass wir so eine Art Kettenreaktion bei uns aufbauen, die es Spaß macht auszulösen.“
Kettenreaktionen, die man nicht auslöst, machen nicht nur keinen Spaß, sie machen auch keinen Sinn! Aber sind diese Kettenreationen denn ebenfalls dem Vogelleben abgekuckt? Und sind sie planbar, oder ergeben sie sich nicht einfach, weil das halt ein unausweichlicher Effekt des Spielablaufs ist?
„Das Material ist gigantisch. Toller Würfelturm … und anstelle von simplen Holzklötzchen richtige Holzeierchen als Marker, phantastische Illustration.“
Das wollen wir mal unangefochten so stehen lassen, obwohl Kugeln anstelle von Würfeln noch keinen Giganten ergeben!
„Das Thema … macht es zu einem Kennerspiel, was tatsächlich auch schon Kenner-Einsteiger spielen können.“
Bei vielen Spielen überlege ich mir, ab wann ich sie meinen demnächst schulpflichtigen Enkelkindern zumuten kann. Die 170 verschiedenen Vogelkarten mit ihren 170 verschiedenen Sondereigenschaften möchte ich ihnen aber auch dann nicht zumuten, wenn sie das Lesen und Rechnen beherrschen. Wir wollen doch spielen!
WPG-Wertung: Aaron: 5 (fast 4, zäh, zu viele Glückselemente), Günther: 6 (das Verhältnis Zufall gegenüber Planung ist negativ, ich habe es jetzt 4 mal gespielt, es hat mir nicht mehr und nicht weniger gefallen als beim ersten Mal. [D.h. unsere Zurückhaltung bei der Wertung liegt nicht daran, dass wir die Spielmechanismen nicht gekannt haben.]), Walter: 6 (etwas pampig, die planerischen Effekte sind nicht beherrschbar; aber die Mechanismen sind sauber und das Material ist sehr hübsch).
2. “Sherlock – Tod am 4. Juli”
Das Palavern um die mögliche Lösung des jeweiligen Kriminalfalls in dieser Spiele-Serie macht Spaß. Eine Weile. Das Lösen als solches ist zuweilen eine Zumutung. Z.B. hier beim „Tod am 4. Juli“.
Mörder und Mordopfer werden in der ganzen Geschichte auf sämtlichen Karten kein einziges Mal erwähnt. Und aus den Ketten im Stripclub kann sich jeder je nach Alter, Veranlagung und Erfahrung eine eigene Geschichte zusammenbrauen.
Angeblich (nach dem Text auf der Schachtel) bittet uns die Polizei um Hilfe, um herauszufinden, was passiert ist. Dabei weiß die Polizei in diesem Fall das schon vom ersten Augenblick an, bevor wir auch nur die erste Karte in die Hand genommen haben.
Kein Spiel für logische Schlussfolgerungen, sondern eines für phantasiebegabte Erzähler. Aber vielleicht ist das gewollt so.
Moritz war nicht dabei. Er darf das Spiel jetzt mit nach Hause nehmen und versuchen, den Fall alleine zu lösen. Mal sehen, ob unser phantastischster Mitspieler als Solist die Lösung findet. Wir sind gespannt.
WPG-Wertung: keine neue Wertung für eine Serie von 5 bis 7 Punkte-Spielen.