Wenn man das letzte Spiel aus dem Eigenverlag des begnadeten Martin Wallace in der Hand hat, und weiß, dass der Autor seine Zelte in Europa abgebrochen und sich für immer nach Neuseeland begeben hat, dann ist das doch ein Grund, mal etwas über Neuseeland nachzulesen.
Es ist ein Inselstaat im südlichen Pazifik, bestehend neben vielen kleineren Inseln aus einer nördlichen und einer südlichen Hauptinsel, die von Touristen gewöhnlich in einer Achter-Schleife durchreist werden. Die Amtssprache ist Englisch (wer hätte das gedacht?), daneben Maori, aber auch noch die neuseeländische Gebärdensprache! Damit können alle gleichzeitig reden, ohne sich ins Wort zu fallen.
Staatsoberhaupt ist Königin Elisabeth.
Neuseelands „Human Development Index“ (Index der menschlichen Entwicklung, HDI) beträgt 0.913 … Hoppla, was ist denn der HDI?
Hier die Formel:
Dabei ist:
LE = Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt
BNEpk: Bruttonationaleinkommen pro Kopf
DSD = Durchschnittliche-Schulbesuchsdauer
VSD: Voraussichtliche Schulbesuchsdauer
Man sieht auf den ersten Blick, wenn die Menschen eines Landes durchschnittlich 85 Jahre alt werden, eine Kaufkraft von 75 Tausend Dollar pro Jahr in der Hand haben, in ihrer Jugend 15 Jahre zur Schule gegangen sind, und als heute gerade schulpflichtig gewordenes Kind 18 Jahre lang gehen müssten, so hat das Land den HDI von 1,0.
Übrigens: Deutschland hat einen HDI von 0,915 und liegt damit ganz knapp vor Neuseeland
1. “Loot Island”
Aaron wollte mal wieder die vorletzte Version seiner Eigenentwicklung vor der Vorstellung auf der Messe in Nürnberg am Westpark testen lassen. Alle machten ohne Zögern bereitwillig mit.
Wir graben immer noch nach Schätzen. Wie im richtigen Leben finden wir immer noch große oder kleine Schätze, wie im Märchen sind viele unsere Schätze immer noch verflucht, und wir müssen einen Teil unserer Energie dafür aufwenden, diese Flüche zu bannen.
In Zusammenarbeit mit „What’s Your Game“, dessen Devise es ist, Spielerfrust bereits beim Design möglichst zu vermeiden, hat Aaron eine ganze Reihe von Spielelementen eingeführt, wie den Flüchen besser beizukommen ist. Sie sind heute schon eher so etwas wie Handelsware, die man nur richtig behandeln muss, damit sie sich unter unseren Händen in Gold verwandelt.
Im jetzigen Zustand bietet „Loot Island“ mal wieder eine gerade richtige Mischung aus Mitspielerchaos und Planungsmöglichkeiten resp. Planungsanforderungen. Es gab eine Menge Spielspaß, nicht zuletzt durch die Super-Schätze, die wir selber gefunden haben und durch die relativen Semi-Nieten, die den Mitspielern zufielen.
Eine Stunde lockeres Denken, lockeres Agieren, lockeres Glück.
Noch keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entstehungsphase.
2. “Ships”
Mit diesen Spiel wollte Marin Wallace die Geschichte der Schifffahrt zu spielerischem Leben erwecken. Sehr hübsch hat er deshalb um den Spielfeldrand herum Bilder von typischen Schiffen ihrer Zeit drapiert, angefangen von phönizischen Galeeren bis zum Schlachtschiff „Lexington“. Doch das ist fast alles, was uns an Schifffahrtshistorie mitgeben wird. Mit diesem Thema gibt er uns sogar ein falsches Bild vom Spielablauf und den Aktionen, die wir durchführen können und müssen, um ein gutes Spiel zu machen.
Eher haben wir es hier mit einer Herde von Schafen zu tun. Alle unsere Schafe bewegen sich in einem einzigen Pulk, in dem gekennzeichnet ist, wem welches Schaf gehört. Gemeinsam, mehr oder weniger dicht beieinander, ziehen wir den vorgezeichneten Kreislauf. Wir Spieler sind die Hunde und drängen unsere Schafe auf immer neue und bessere Weidegründe. Die vorderen Schafen müssen zuweilen Weidezäune durchbrechen, bekommen dann allerdings als Erster die saftigsten neuen Gräser zum Fressen. Die Hinteren müssen sich schicken, den Anschluss nicht zu verpassen. Den Letzten beißen die Hunde, oder er wird einfach geschlachtet.
Verlassen wir also die Ships-Terminologie und bleiben wir weiter bei der Sheep-Terminologie, so gebären unsere Schafe immer wieder neue Schafe auf dem aktuellen Weidegrund, bis sich das erste dazu entschließt, den Zaun zu durchbrechen und den nächsten Weidegrund zu betreten. Das Durchbrechen kostet Energie (in Form von „Navigationsmarkern“), aber wenn auf dem aktuellen Weidegrund bereits viele Schafe beisammen sind, erzeugen sie einen solche Druck, dass die Zäune schon fast von selber umfallen. Nur wer einsamer und extremer Vorreiter sein will, muss sich dafür mit reichlich Innovations-Energie ausstatten.
Wer einen Weidezaun durchbricht, bekommt eine recht hohe Siegpunkt-Belohnung, anschließend erfolgt eine Bilanzierung des gesamten Herdenbestandes. Die Schafe auf dem noch aktuellen Weidegrund bleiben ungeschoren; für Schafe auf einem Weidegrund zurück muss der Besitzer einen Siegpunkt bezahlen („Hundeobolus“). Für Schafe auf zwei Weidegründen zurück, sind sogar zwei Siegpunkte Strafe fällig, anschließend werden diese Schafe von den wilden Tieren der Umgebung gefressen.
Ich hoffe, dass sich den Spielekennern von Wallace’ “Ships” bei dieser Ver-Schaf-ung jetzt nicht die Haare sträuben. Ich will diese Projektion auch nicht weiter treiben, selbst wenn für die weiteren, recht abstrakten Aktionen und Abläufe, die in „Ships“ präsentiert sind, mindestens genauso gut auch korrespondierende Elemente aus der Schafzucht passen würden. Also zurück zur Original-Terminologie.
Für jedes neu gebaute oder bewegte Schiff darf der Spieler entscheiden, ob es ein Handels- oder ein Kriegsschiff ist (Futterschaf oder Wollschaf!). Der einzige Unterschied zwischen beiden ist, dass der Spieler hinterher im einen Fall einen eckigen Handelsstein, im anderen Fall eine runde Eroberer-Scheibe auf ein definiertes Feld im aktuellen Wirtschaftsgebiet legen darf. Für die Handelssteine erhält er Waren (Korn, Öl, Wein, Metall oder Tuch), für die Scheiben bekommt er Geld, Siegpunkte, Zusatzaktionen und andere Vergünstigungen.
Waren müssen in der privaten Vorratskammer platziert werden. Wer hier keinen Platz hat, muss sie augenblicklich für einen Spottpreis verscherbeln. Geld kommt in den Tresor; wer hier keinen Platz hat, muss es augenblicklich zum relativ reelen Kurs von 2:1 in Siegpunkte verwandeln. Indirekt wirkt sich hier ein weiterer Unterschied zwischen der Wahl von Handels- oder Kriegsschiff aus: bei jedem Kriegsschiff wird das Fassungsvermögen von Vorratskammer bzw. Tresor um eine Einheit vergrößert, bei einem Handelsschiff tut sich in dieser Beziehung nichts.
Eine sehr pfiffige Idee in „Ships“ ist die Verwendung der Handelssteine. Sie sind nämlich nicht nur zum Ablegen innerhalb der Wirtschaftsgebiete gedacht, sie markieren auch die Aktionen, die ein jeder Spieler ausführen darf. Und wenn die Steine für Aktion oder Handel erst einmal platziert sind, dann bleiben sie an Ort und Stelle liegen, bis sie explizit wieder zurückgeholt werden. Das muss man rechtzeitig tun. Wer nämlich am Zug ist und alle seine eckigen Steine „verspielt“ hat, dem bleibt nichts anderes übrig, als einen „freien“ Zug zu opfern, um die Steine eines Gebietes wieder zurück in seine Verfügungsmasse zu holen; der restliche Aktionsspielraum geht verloren.
Was kann man in „Ships“ noch alles tun?
- eine der ausliegenden Sonderkarten nehmen, die ähnliche Vergütungen erbringen bzw. Aktionen erlauben, wie sie auch sonst im Spiel gegeben sind, nur etwas mehr, etwas billiger, etwas mächtiger.
- Geld von der Bank einziehen. Einer der schlechtesten Züge überhaupt.
- Navigationsmarker nehmen. Ein damit gefülltes Portemonnaie ist Gold wert.
- Waren verkaufen. Alles hat seinen Preis: Tuch bringt das meiste Geld, Gewürze die meisten Siegpunkte, und Öl schmiert einen Zusatzzug.
Es ist alles rund und schön, was in „Ships“ zusammengebastelt ist. Alles kann konstruktiv gespielt, aber viel mehr noch als eine große planerische Herausforderung angesehen werden, denn überall stößt man auf Engpässe. Mal hat man keinen Platz in der Vorratskammer, mal fehlt das Korn für ein Kriegsschiff oder ein Navigationsmarker für den nächsten Fortschritt. Für bestimmte Aktionen muss man Geld bezahlen, auch das ist immer knapp, besonders da der eigene Tresor nur ein geringes Fassungsvermögen hat. Und natürlich gehen die eckigen Handels-/Aktionssteine aus und man muss Züge verpulvern, um sie wieder zurückzuholen.
Alles ist perfekt ausbalanziert. Alles funktioniert. Alles ist gut. Wer sich zwei bis drei Stunden lang an einem einzigen Spiel mit Ackerbau und Schiffzucht laben möchte, ist mit „Ships“ bestens bedient.
Für mich ist das Spiel eine zu große intellektuelle Herausforderung. Ich kann weder die Formel lösen: Ist (n – delta) Runden vor Schluss das Reaktivieren von e1 toten Ecksteinen aus dem Handelsgebiet A besser als das Reaktivieren von e2 zirkulierenden Ecksteinen aus meine Aktionskeller, noch kann ich beurteilen, ob der Platz in meiner Vorratskammer oder in meinem Tresor mehr wert ist, und ob ich in nächster Zeit Wein besser verwenden kann als Öl. Drei Stunden lang. Und drei Stunden lang denen hinterherlaufen, die das besser verstehen, ist auch nicht gerade mein Fall.
Die Industrie mit ihrem Segen wurde von keinem von uns geschätzt. Wir haben ihren Effekt alle noch nicht verstanden. Auf die Nützlichkeit der Tauschbörse, ein weiteres sehr hübsches Spielelement, sind wir auch erst in den letzten Zügen gekommen. OK, OK, Wallace schreibt selber: “it will take a few plays to master”. „Ships“ bietet außerordentlich viel. Grabt nur danach!
WPG-Wertung: Aaron: 8 (es hat mir von Stunde zu Stunde besser gefallen, eine hübsche Mischung aus Planung & Aufbau mit Interaktion bzw. Konkurrenz), Günther: 7 ([ohne Worte; was hat ihn wohl gehindert, 8 oder gar 9 Punkte zu vergeben?]), Walter: 7 (fast ein 8 oder 9 Punkte-Spiel, eine große Herausforderung an ein ständiges Balanzieren von Optionen, Notwendigkeiten und Mitteln, aber die lange Spieldauer ist für die zwar vielseitigen, schlussendlich aber doch repetitiven Spielzüge ein erhebliches Manko).