“Ich bin mit dem Prediger des Dorfes, einem alten, wunderlichen Manne, bekannt geworden. Er hat eine außerordentliche Leidenschaft fürs Kartenspiel, versteht aber kein anderes als das gemeine, altfränkische Mariage. Ihm zu Gefallen habe ich heute den ganzen Tag am Spieltisch gesessen. Aber was soll man bei dem abscheulichen Wetter auch anfangen.”
Das schrieb Ludwig Tieck am 11. Juli 18xx in sein fiktives Tagebuch. Wie heißt der heute gebräuchliche Name für das erwähnte Kartenspiel?
1. “Space Alert”
Moritz legte das Spiel auf den Tisch und ging auch gleich in die Defensive. “Das Spiel ist ganz kurz. Wir können es jederzeit abbrechen.” “Im Grunde dauert es nur 10 Minuten. Eine Episode. Denn das wird von einem festen Taktgeber gesteuert.” “Das Spiel ist ein kooperatives Spiel. Aber ganz anders.” “Wir spielen es so lange, wie es uns Spaß macht” – Das riecht dann – ob gut oder schlecht – schon nach deutlich mehr als 10 Minuten.
Die Spieler sind die Besatzung eines Raumschiffes im All und müssen sich gemeinsam gegen feindliche Geschosse wehren. Insgesamt hat das Raumschiff sechs Räume, in denen es Abwehrkanonen mit unterschiedlicher Zielrichtung und unterschiedlicher Durchschlagskraft gibt. Die Spieler bewegen sich koordiniert oder unkoordiniert durch die Räume, müssen die Kanonen laden und abschießen, müssen natürlich rechtzeitig die Kanonenkugeln (oder womit immer man im Weltraum schießt) in die Laderäume bringen und natürlich im Reaktorraum auch noch für Energienachschub suchen.
Die Bewegung der Spieler erfolgt anhand von Aktionskarten a la Robo-Ralley, die entweder eine Bewegung in eine der vier Himmelsrichtungen zulassen oder eine Aufgabe festlegen. In den insgesamt 7 bis 12 Phasen einer Runde muß die Mannschaft ihre Aktionen vorplanen und sorgfältig darauf achten, daß jederzeit genügend Energie und genügend Kugeln an den benötigten Stellen vorhanden sind, und daß auch rechtzeitig an den entscheidenden Bordkanonen ein Kanonier steht. Wenn jeder nur wie im Ameisenhaufen herumirrt, dann fehlt es an allen Ecken und Enden und das Raumschiff wird zerstört, noch bevor das Pulver erfunden ist.
Getaktet wird das ganze mittels einer Sprach-CD, in der eine menschliche Stimme erzählt, woher die feindlichen Geschosse anfliegen, wann es die Gelegenheit gibt, Aktionskarten nachzuziehen oder Karten zu tauschen. Vor allem wird auch das Ende der Planungsphasen sekundengenau vorgegeben. Anschließend werden die gelegten Karten ausgewertet und alle Spieler haben gemeinsam entweder gewonnen oder verloren.
Natürlich ist es wichtig, daß ein “Kapitän” die Mannschaft koordiniert, damit alle Aufgabengebiete im gegebenen Zeitpunkt einmal und nur einmal besetzt sind. Wenn jeder nur so in den Raum hinein sagt, was er zu tun beabsichtigt, dann müßten sich 5 Spieler auf die Planungsvorgänge im eigenen und in 4 Köpfen weiterer Mitspieler konzentrieren. Damit wären alle überlastet. Vor allem unter dem unausweichlichen Zeitdruck. Nur wenn ein einziger Kopf die Aufgaben verteilt, jeden Mitspieler an einem wohldefinierten Posten aufstellt und die Mitspieler im Teamwork dann ggf. noch untereinander die Aufgaben tauschen, weil einzelne mit ihren ausgeteilten Bewegungskarten die Primäraufgaben nicht lösen kann, dann hat man eine Chance, das Raumschiff über die Runden zu bringen.
In ersten Spiel war Moritz der Kapitän. Auch für ihn war noch alles neu und er war selbst mit seiner eigenen Aufgabe schon überlastet. Walter kam es sogar so vor, als spiele er eine Doppelrolle: Als Verräter schoß er quasi mit Wasserpistolen auf die gegnerischen Zerstörer (böse Zungen behaupteten sogar, er hätte im Reaktorraum mit Feuerwerksraketen seiner Gelieben eine Lichtmusik vorführen wollen), und in der Peter-Rolle legte er seine Karten für die Hin- und Her bzw. die Auf- und Ab-Bewegungen so orientierungslos, wie sonst nur Peter bei Robo-Ralley.
Da verlor Walter seine Contenance. Der 5-fache Frust, unter den Irrtümern eines jeden Mitspielers zu leiden war für ihn zu viel. Hier hat “Robo-Ralley” gegenüber “Space Alert” ja einen gewaltigen spiel-psychologischen Vorteil: Man leidet nur unter dem eigenen Irrtum, kann sich aber 4-fach über die Irrtümer der Mitspieler freuen. Bei “Space Alert” bringt das Fehlverhalten eines einzelnen bereits unweigerlich alle zusammen über den Jordan. Walter warf Moritz – unberechtigterweise – ein Doppelspiel vor und übernahm selber das Kommando.
Doch wie soll man fünf hartgesottene Spielernaturen koordinieren und zu einer zentral gesteuerten Handlungsweise bringen. Noch erfolgloser als eine analoge Tätigkeit im sprichwörtlichen Mädchenpensionat. Auch das zweite Spiel endete im Desaster.
Die ursprünglich vorgeschlagenen 10 Minuten waren um tausend Prozent überschritten, Moritz war im Höhenrausch und wünschte sich noch ein drittes Spiel mit erhöhter Komplexität und allen Schikanen. Walter forderte das Spielende. Als er mit 4:1 überstimmt wurde, drohte er, seine Aktionskarten ganz unkontrolliert und zufällig über die verschiedenen Spielphasen zu verteilen. Doch mit einem einzigen destruktiven Spieler hat die Mannschaft keine Chance. Wie kann man dieses Dilemma lösen? Wir einigten uns auf den Kompromiß: Walter sollte sich ausschließlich im Reaktorbereich aufhalten und dort für ständigen Energienachschub verantwortlich sein.
So konnte er denn als teilnahmsloser Teilnehmer dem dritten Untergang der Titanic emotionslos beiwohnen.
“Space Alert” ist ein sehr gut konstruiertes Spiel, die Zutaten sind stimmig, und die Steuerung über die CD schafft die gewünschte betriebsame Hektik im Teamwork. Das Spiel ist hervorragend geeignet zum Einsatz als Mitarbeitertraining in Unternehmen: die Mitarbeiter werden spielerisch zur Teamfähigkeit zu erzogen. Und die Führungskräfte können sich ohne jegliche Sachkenntnisse in Menschenführung einüben. Fast wia im richtigen Leben.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (nicht mein Fall, aber originell), Günther: 7 (nicht mein Fall, aber originell), Hans: 8 (Herausforderung, sich zu koordinieren), Moritz: 9 (originell), Walter: 7 (nicht mein Fall, aber originell)
Das höchstbewertete Spiel der Westpark-Gamers, das eigentlich nur Hans und Moritz spielen wollen.
2. “Smallworld”
Moritz versprach, die Neulinge “in 2 Sekunden” in die Unterschiede zwischen “Vinci” und “Smallworld” einzuweisen. Wenigstens in punkto Zeitdilatation blieb er sich damit treu.
Wie bei Vinci kann sich jeder Mitspieler zwei Völker heraussuchen und damit das gemeinsame Spielbrett besiedeln.
Wie bei Vinci haben alle Völker unterschiedliche Eigenschaften, um bei der Besiedelung Siegpunkte zu machen
Wie bei Vinci muß man dafür bezahlen, wenn man sich ein Volk außerhalb der gegebenen Reihenfolge aussucht. (Hier fiel uns noch ein Verbesserungsvorschlag ein: Um den allerersten Startspieler sollte man eigentlich bieten müssen! Denn wer hier Glück hat, dem wir gleich eine phantastische Völkerkombination in die Wiege gelegt, mit der er sich einen erklecklichen Vorsprung herausholen kann.)
Aber die Völker sind lockerer als bei Vinci, das Spiel ist flotter, die Kämpfe konzentrierter, die Szenerie abwechslungsvoller, das Spiel spielerischer. Ein bißchen.
Gewonnen wird das Spiel von dem Spieler, der über die besten Völker verfügt. Ob das jetzt eine glückliche Fügung oder bestes Timing in der Sterbehilfe ist, ließ selbst unser Sieger Aaron offen.
Je größer der Spielerkreis, desto stärker die Versuche zur Diplomatie. Hans lehnte Moritz Friedensallianzen strikt ab: “Friedensverhandlungen anzubieten, bevor ein Konflikt angebrochen ist, ist immer ein schlechtes Zeichen!”. Gilt wahrscheinlich auch in der Weltpolitik. Und sicherlich kann und darf man auch in der kleinen Welt die einmal gegebenen Versprechen zu friedlichem Verhalten nicht einhalten. Die mörderische Siedlungspolitik ist doch nur ein Spiel. Wenigstens in “Smallworld”.
WPG-Wertung: Den bisherigen WPG-Durschnitt von sehr guten 8 Punkten hoben Aaron mit 8 und Hans mit 9 Punkten auf einen Durchnitt von 8,2 Punkten
Hallo Wilhelm, zu Deiner Smallworld-Kritik wegen der Vinci-Neuauflage sagte Günther heute: “Wenn einer meint, ein Remake wäre schlecht, nur weil es ein Remake ist, so ist das ein Blödsinn!”