Mit Liebe und erzeugerstolzem Ehrgeiz hat Moritz seinen heute sechsjährigen Milo an das Brettspiel herangeführt. Auspöppeln, ausräumen, spielen, würfeln, Karten legen, kombinieren, gewinnen und wieder einräumen: all diese Aufgaben hat Milo mit Bravour bewältigt. Jetzt hat er sich ohne Aufsicht an die Spielesammlung seines Vaters gemacht und die unteren Regale ausgeräumt, die Schachteln zerdrückt, wertvolle jungfräuliche Original ausgepöppelt, Spielmaterial verschlampt und Karten, Pöppel und Würfel in heillosem Durcheinander hinterlassen. Kein Wunder, dass schon am 4. Juni dieses Jahres von Moritz Spielvorschlag „Ascension“ die Hälfte der Karten gefehlt hat.
Frage an den Kinderpsychologen: Warum macht ein – wohlgemerkt hochbegabtes – Kind so etwas? Hat es noch keinerlei Gefühl für Recht und Unrecht? Ist ihm in seinem freien Forscherdrang das erzeugte Chaos über den Kopf gewachsen? Wollte er nur seine Grenzen austesten oder mal wieder einen tobenden Vater erleben? In jedem Fall: Tenía cojones!
1. “Deadwood”
Bei jeder Verwendung von „cojones“ glänzen die spanischen Augen, auch wenn der Engländer hier mit seinem „sometimes the bull wins“ eher auf Schadenfreude setzt. „Deadwood“, ein verlassenes Nest in South Dakota wäre – nach dem Regelheft – der letzte Ort, für den wir unsere Cojones riskieren.
Jeder Spieler führt eine Bande von Outlaws und terrorisiert damit die strebsamen Go-Westler in den Saloons, Hotels, Casinos, Banken und Wäschereien, beim Schmied, Büchsenmacher oder Totengräber. Die entsprechenden Gebäude sind fein säuberlich in der Landschaft aufgereiht. Wir können sie mit unseren Outlaws betreten und berauben oder Schutzgelder erpressen. Das erfolgt kampf- und risikolos, wenn sich kein anderer Outlaw im Gebäude aufhält. Ist ein Gebäude aber bereits besetzt, und der Platzhirsch hat Cojones und nimmt kein Reißaus, so kommt es zum Schußwechsel – einem eleganten Würfelkampf um Verwundungen und den finalen Treffer – und einer verläßt als Leiche die Städte der Begegnung. Vielleicht auch beide.
Sehr schnell kann man seine drei Outlaws zu Grabe tragen und damit das Spiel beenden. Für alle! Andere Bedingungen für das Spielende sind eher konstruktiv: die Fertigstellung des vierten Eisenbahnabschnitts oder das Ausstellen des 29. Steckbriefes. Diese Erledigungen können die Spieler sehr dosiert angehen und das Spiel stundenlang offen halten. So lange es beliebt.
Walter hatte auf den Totengräber spekuliert. Seine Kampfwürfel zeigten allerdings Ladehemmung, und er wurde Opfer seiner eigenen Angriffslust. Nach wenigen Minuten war nur noch einer seiner Outlaws am Leben. Jetzt konnte es für ihn nur noch darum gehen, auch noch den letzten Getreuen abmurksen zu lassen und das Spiel damit regelgerecht zu beenden. Das Bestreben der Mitspieler war es hingegen, diesen letzten Outlaw gerade nicht umzubringen und allen Kämpfen aus dem Wege zu gehen. Erfolgreich. Die Eisenbahn erlöste sein frustierendes Pendeln zwischen Ranch und den stärksten Gegnern in „Deadwood“.
Seine Kritikpunkte: Es gibt zu viel (zugegebenermaßen schönes) Material, das gar nicht zum Einsatz kommt. Es gibt zu wenige Outlaws in der Startausstattung, so dass der erste Tote bereits einen unaufholbaren Rückstand bedeutet. Der Sheriff und andere wichtige Schlüsselpositionen in „Deadwood“ sind zu wenig angreifbar.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (Tendenz zu 4, zu viele Kingmaker-Effekte; er findet es nicht gut, dass ein Spieler schon kurz nach dem Start erfolgreich auf das Spielende zusteuern kann), Günther: 4 (Tendenz zu 5, langweilig, keinerlei Strategie, am Ende tut man doch immer nur das Gleiche), Horst: 6 (reines Fan-Spiel [Habe ich diesen Ausdruck richtig verstanden?], nicht unlustig, hätte länger dauern können), Moritz: 7 (lustig, mit Spielespaß, Komplexität stimmig), Walter: 5 (Tendenz zu 4, wer Pech hat [Moritz: Wer sich dumm in einen Kugelhagel begibt], ist blitzschnell draußen und kann nur noch auf das Spielende spekulieren.)
2. “String Railway”
Eisenbahngleise brauchen nicht immer aus Hexagons zu bestehen, viel schöner ist doch ein Eisenbahnnetz aus Fäden, Schnüren, Kordeln oder Tangas. Das dachte sich auch der Japaner Hisashi Haysshi und erfand ein konstruktives Eisenbahnspiel, bei dem wir unsere Bahnhofsplättchen – eines nach dem anderen – frei auf dem Tisch verteilen und sie durch richtige Fäden (Schnüre, Kordeln …) verbinden. Jeder angeschlossene Bahnhof bringt Punkte, sich kreuzende Fäden bringen Abzüge; eine hellblaue Fluß-Kordel und eine weiße Berg-Kordel sollten ebenfalls vermieden werden.
Hübsch und konstruktiv. Ein altes Thema in neuem Gewand.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (das Legen der Schnüre ist eine ziemliche Fummelei), Günther: 6 (erfrischend schnell), Horst: 6 (erfrischend anders), Moritz: 6 (schön ist es nicht), Walter: 6 (Einschränkung wegen der zufälligen und damit höchst ungerechten Verteilung lukrativer Bahnhöfe.
3. “Fiese 15”
Ein reinrassiges Würfelspiel für reinrassige Würfelmathematiker. Wir würfeln mit sechs verschiedenfarbigen Würfeln und müssen damit versuchen, für jeden Würfel eine vorgeschriebene Augenzahl nicht zu überschreiten. Bei einer Sechs ist das natürlich ein Kinderspiel, bei einer Eins hingegen eher schon ein Geduldsspiel.
Wir dürfen beliebig oft würfeln. Aus jedem Wurf müssen wir mindestens einen passenden Würfel herauslegen. Haben wir genügend viele Würfel herausgelegt, dürfen wir auf weitere Würfe verzichten und bekommen die ausliegende Augenzahl als Siegpunkte gutgeschrieben. Haben wir fünf Würfel herauslegen können, gibt es fünf zusätzliche Siegpunkte. Konnten wir alle sechs Würfel herauslegen, verdoppelt sich die Summe der ausliegenden Augenzahl. Das kann schon mal auf einen Schlag dreißig Siegpunkte einbringen.
Leisten wir uns einen Fehlwurf mit keinem einzigen passenden Würfel, bekommen wir als Trostpreis immerhin noch die Summe der Augenzahlen aller nicht-erreichten Würfel gutgeschrieben. Der Trostpreis kann höher sein als die zuletzt herausgelegten Augen, im Maximum sind es fünfzehn Punkte, wenn schon beim ersten Wurf kein einziger Würfel gepasst hat.
Bei jeden Wurf gilt es also die noch erzielbaren Punkte mit ihrer Wahrscheinlichkeit in Ansatz zu bringen und dagegen das Verlustrisiko zu stellen. Schon größere Geister als ich haben dafür eine Weltenformel aufgestellt, die ich hier nur kommentarlos wiedergeben möchte.
Bei uns ist Aaron seinem sprichwörtlichen Ruf als schlechter Würfler voll gerecht geworden. Doch weil das in „Fiese 15“ ja gerade pro-produktiv ist, konnte er sich mit mehreren 14-15 Punkten-Nieten an die Spitze setzen.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (1 Punkt weniger als Quixx), Günther: 6 (kurzweilig), Horst: 7 (ein gutes Spiel im Würfelspiel-Kosmos), Moritz: 4 (möchte es nicht nocheinmal spielen, nicht variabel genug), Walter: 6 (einschließlich des Bonuspunktes für die Erinnerung an das Alterswürfeln seiner Eltern, lustig, locker).
4. “Bluff”
Vor einem Vierteljahr das letzte Mal gespielt. Vereinzelt zeigten sich bei den Westparkern schon Entzugserscheinungen. Die heutige 5er Runde konnte erfolgreich dagegensteuern.
Horst stand mit einem Würfel im Endspiel gegen Aarons vier. Mit Lust und Laune konnte er auf 1:3 verkürzen. Selbst ein 1:2 lag schon greifbar, doch mehr oder weniger lustig und launig gab er den Kampf auf. Dabei hätte doch gerade ein Sieg aus dieser Außenseiter-Situation heraus den Ehrgeiz anstacheln können. ¿No tienes cojones?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
“Steam Noir: Revolution”
Nein, wir haben das Spiel von letzter Woche heute nicht noch einmal gespielt. Wir haben nur diskutiert, wie man des Kaisers Cojones abschleifen kann. Doch nicht allein der hierfür fehlenden Instrumente wegen kann das Spiel bei uns nicht punkten. Wir wunderten uns, warum das Spiel in diesem Jahr den 2. Platz im Autorenwettbewerb vom Hippodice Spieleclub gewonnen hat.
In der Kurzmitteilung dazu heißt es: „Das Spielziel ist auf raffinierte Weise zweigeteilt: man kann versuchen, die eigene Fraktion nach vorn zu bringen, ohne dabei allzu sehr aufzufallen. Andererseits kann man aber auch die Obrigkeit dabei unterstützen, die Oberhand zu behalten.“ Diese Zweiteilung ist zweifellos ein gelungenes Element. Warum aber soll man beim “nach vorn bringen“nicht „allzu sehr auffallen“? Weil dann die Mitspieler über einen herfallen und alle anderen ungeschoren davonziehen lassen? Muss man hier die Mushroom-Strategie fahren und den Kopf im Dreck lassen, bis die Entscheidungen gefallen sind?
Weiterhin heißt es: „Dabei sind Bluffs, Tricks, Fehlinformationen und geheime oder offene Absprachen nicht nur möglich, sondern sogar explizit vorgesehen.“ Frage an den Autor: Ist es also im Sinne des Erfinders, die Mitspieler zu einer Pro- oder Contra-Koalition zu überreden, um sie dann möglichst auflaufen zu lassen?
Noch eine Frage an Dich, lieber Daniel: Wenn Du das Spiel beginnt: Welche Fraktion stellst Du als erstes auf Deiner „Zeitweilige Unterstützung“ ein? Und welche Fraktionskarte legst Du als erstes bei Kaiser oder Revolution an? Welchen Entscheidungskriterien kann es für Dein Vorgehen hier geben?
Oder gilt für Dein Spiel ganz simple Aarons Erkenntnis: „Man muss den Spaß daraus ziehen, dass das Ganz ein Mitspieler-Chaos ist!“
“Tenía cojones”
Nachdem dieser Mittwoch ganz im Lichte hochkarätigen Fußballs stand, hätten es hierher gepaßt, unser Insider-Wissen über die Trennung von Mario Gomez und dem FCB zum Besten zu geben. Der Sohn von R. geht mit dem Sohn von H’s Friseur in die gleiche Klasse und hat es verraten. Von dort war es nur noch ein kleiner Schritt bis zu uns.
Doch Aaron hat über die Geschichte im Internet recherchiert, und siehe da, es ist alles schon bekannt. Wagner, ja der vom Tristan aus Bayreuth, hätte ein Libretto daraus gemacht.