Wenn ich am Straßenrand stehe, mein Pferd vor mir auf der Straße, ich darauf aufsteige und ohne zu wenden und ohne die Seite zu wechseln losreite: auf welcher Straßenseite reite ich dann? Richtig: auf der LINKEN! Eine plausible Begründung für den Linksverkehr im Mittelalter.
Eine andere plausible Begründung dafür ist, dass Rechtshänder beim Vorbeireiten sich mit dem Schwert leichter eines über die Rübe geben konnten.
Erst das revolutionäre Frankreich unter Robespierre schrieb den Rechtsverkehr für Paris vor; Napoleon weitete dieses Gesetz zunächst auf ganz Frankreich, dann auf den gesamten europäischen Kontinent aus. Nur Königin Elisabeth blieb für sich und in ihrem England bei links.
1. “La Loire”
Links-Loireisch oder rechts-loireisch reist unser mittelalterlicher Händler und unser Postkutscher im Linksverkehr zwischen Nantes und Orleans hin und her. Der Händler kauft unterwegs in den Dörfern Waren ein und verkauft sie auf den Märkten der Städte. Der Postkutscher transportiert jeweils ein Postgut zu einem zufällig gezogenen Ziel-Dorf, irgendwo auf seiner Postroute.
Mit dem Gewinn aus Transport und Verkauf leisten wir uns Hilfskräfte, die es erlauben, mehr und größere Postgüter zu transportieren, die unsere Warenerlöse steigern, und vor allem welche, die uns beim Hantieren mit den Postpferden helfen. Diese Pferde sind das Neue, das Pfiffige im Spiel: Wir müssen genau so viele Schritte gehen, wie wir Postpferde angespannt haben. Liegt unser Zielort näher, so müssen wir rechtzeitig Pferde ausspannen und in der Landschaft herumstehen lassen. Haben wir größere Strecken zurückzulegen, so sollten wir uns so schnell wie möglich zusätzliche Pferde besorgen. Dann ist es gut, wenn in den Dörfern um uns herum genügend herrenlose Pferden herumstehen.
Der „Hufschmied“ kann seine Zusatzpferde auch aus entfernteren Gegenden herbeischaffen, der „Knappe“ kann pro Zug gleich zwei neue Pferde anschirren, der „Kundschafter“ darf bis zu drei Pferde vor seine Kutsche angespannt haben, der „Narr“ darf mit Vollgas beim Zirkus vorfahren und die „Schildwache“ bremst unser Gefährt in Nantes und Orleans auch bei höhren Geschwindigkeiten.
Wir können Bauernhöfe, Burgen und Klöster in die Landschaft bauen, um den Waren- und Postverkehr anzukurbeln, um billiger einzukaufen, mehr Post zu laden und auf der Siegpunktleiste fortzuschreiten. Wir könnten … wir konnten es aber nicht! Nach einer Stunde Spielzeit hatte jeder gerade mal ein einziges Häuschen gebaut, im erzwungenen Schneckentempo aber noch nicht nutzen können. Wir zogen immer noch mit lediglich einem einzigen Postauftrag unsere Halbkreise. Unsere Knappen, Kundschafter und Narren lümmelten arbeitslos herum, weil unsere Nahziele keine Zusatzpferde erlaubten oder weil gerade keine herumstanden. Und Günther hatte auf der 15-punktigen Siegpunktleiste gerade den ersten Siegpunkt verbucht.
Walter brachte den Vorschlag zum Spielabbruch vor, und alle waren umgehend damit einverstanden. Günther gestand sogar, dass in seiner ersten Begegung mit „La Loire“ bei den Münchener Spuiratzn, einer hartgesottenen Truppe von notorischen Nicht-Abbrechern, das Spiel ebenfalls abgebrochen worden war. Das Spiel hat etwas, sonst hätte es Günther wohl nicht aufgetischt. Aaron und Walter fühlten das gewisse Etwas, aber trotz intensiven Nachdenkens konnten sie es nicht in Worte fassen.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (zu langsam, zu viele Fruststellen, denkt aber immer noch darüber nach, was ihm an dem Spiel gefallen hat.), Günther: 4 (offensichtlich hat man viele Schranken eingebaut, weil das Spiel ohne diese Schranken nicht funktioniert, aber mit diesen Schranken ist es ätzend), Walter: 5 (das Spiel kommt zu langsam in Schwung, es fehlt das Schwelgen in Geld, Aufträgen und Zugoptionen.)
Cliquenabend schreibt: „… man muss effektiv spielen oder es lernen … Hinzu kommen die Gebäude, die allerdings nur in voller Spielerbesetzung zum Tragen kommen. Ihr Nutzen oder besser gesagt deren Vorteil erschließt sich oft erst nach weiteren Partien.“ Diese Vorteile werden wir wohl gewohnheitsmäßig links liegen lassen. Unsere tragische crux solae noctis.
2. “VivaJava: The Coffee Game”
Die Buchstabenkombination im Titel ließ jedesmal die Assoziation „Viagra“ aufkommen, wenn Aaron das Spiel auspackte. Heuer zum dritten Mal. Erstmals durfte er seine Schachtel auch öffnen.
Die Farbgebung ist konsequent kaffeebraun, und damit sind wir auch schon beim Thema. Wir sind Kaffeeröster und sollen alleine oder im Verein mit Partnern möglichst hochwertige Produkte auf den Markt bringen. Wetterabhängig (zufallsabhängig) reifen fünf verschiedene Kaffeesorten (schwarz, braun, grün, gelb und weiß) heran, und wir wählen reihum aus, welche davon wir ernten. Die erwählten Kaffeebohnen steckt jeder Mitspieler in sein Säckchen, aus dem er, bei der anschließenden Kaffee-Produktion, ein bis fünf Bohnen blind herauszieht und dabei hofft, eine möglichst gute Poker-Farbkombination zu erzielen: Ein Fünfständer gleichfarbiger Bohnen ist Spitzenqualität „Extra Bold“, dahinter folgen nach Pokerart der Vierständer „Bold“, das Full-House „Americano“, die Street „Rainbow“, das Doppelpärchen „Half-Caf“ und das einfache Pärchen „Decaf“. Die neu erzeugten Kaffeesorten werden gemäß ihrer Rangfolge ausgelegt und bringen ihrem Erzeuger 1, 2 oder 3 Siegpunkte ein.
Kommen keine neuen Kaffeesorten auf den Markt, so liefern die ausliegenden Sorten ihren Besitzern weiterhin Siegpunkte, unterliegen aber einem Verfallsmechanismus, so dass sie nach spätestens 4 Runden nichts mehr wert sind.
Gutes Spiel liegt also darin, möglichst schnell und oft vier bis fünf gleichfarbige Bohnen in seinem Säckchen zu sammeln – und keine andersfarbigen -, um mit hoher Wahrscheinlichkeit den begehrten Vier- oder Fünfständer herauszuziehen. Gutes Spiel liegt NICHT darin, seine Produktionsmittel auszubauen und pro Jahr möglichst eine große Ernte einzufahren. Mit einem Sack voller verschiedenfarbiger Bohnen kann man zwar in jeder Runde eine neue Produktion herausbringen, sie ist dann aber eher gar nichts wert!
Um die Chance für das Erzielen höchstwertiger Kombinationen zu verbessern, erlaubt das Spiel, die “Select”-Fähigkeiten zu entwickeln, um einzelne Bohnen aus seinem Säckchen zu entfernen oder mit der “Brew”-Fähigkeit einzelne gezogene, unpassende, Bohnen bei der Produktion in den Abfall zu geben. Auch gibt es eine Zugoption, mit der man eine ungewünschte Bohne aus seinem Säckchen gezielt gegen die gewünschte Farbe bei einem Mitspieler tauschen darf. Die höchstwertigen Kombinationen sind also keineswegs so selten wie beim Poker, man muss sich nur vor einem allzu unmäßig gefüllten Säckchen hüten.
Viel Brimborium, viel Material, sogar einige hübsche Ideen für ein doch nur ganz simples Ziel: Versuche möglichst vier bis fünf einfarbige Kaffeebohnen in Dein Säckchen bekommen.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (das Spiel paßt in seine heutige Vorstellung über die Kickstarter-Qualitäten), Günther: 4 (“heute ist mein Vierer-Tag”; als Aufbauspiel zu schnell vorbei.), Walter: 5 (interessanter Mechanismus, doch das Plus drumherum ist als Planspiel zu chaotisch, als Chaosspiel zu überladen)
3. “Flußpiraten”
Wenn ein Spieljahr 5 Menschenjahren entspricht, dann ist „Flußpiraten“ ein gut Hundertjähriger. Schon vor 23 Jahren hat es in „Walter Müller’s Spielewerkstatt“ das Licht der Welt erblickt und damals sogleich unsere Liebe gefunden. Schon vor unserem Coming-Out als Westpark-Gamers lag es häufiger auf dem Spieltisch als 98% der über 1000 Spiele, die wir bis heute gespielt und bewertet haben. Auch heute noch besitzt es die Frische und Knackigkeit eines Teenagers.
Wir besteigen mit unseren Pöppeln Zweimannboote und rudern damit den Fluß hinauf. Alleine darf man losfahren, hat aber gegen die starke Strömung kaum eine Chance auf dem langen Weg bis zum Ziel. Vom Start weg sollte ein Boot mit zwei Pöppeln besetzt sein, allerdings dürfen das nicht zwei eigene Pöppel sein, sondern man muss einen Konkurrenten mit ins Boot nehmen.
Und damit fängt der Schlamassel auch schon an: Rudert man gemeinsam und erfolgreich, oder versucht man, den Konkurrenten früher oder später aus dem Boot zu werfen? Am Start hat das Rauswerfen noch keinen Zweck, genauso wenig wie das Alleine-Losziehen. Aber kurz vor dem Ziel ist das schon eine bedenkenswerte um nicht zu sagen lohnenswerte Option. Doch der Mitspieler geht mit dem gleichen Gedanken schwanger. Auch er möchte lieber alleine ins Ziel gelangen als mit einem Konkurrenten, der dafür womöglich sogar noch – nach einem wohldefinierten variablen Tableau – mehr Siegpunkte kassiert als er selber.
Das Hinauswerfen bzw. der Versuch dazu erfolgt nach dem bekannten Stein-Schere-Papier-Knobelprinzip: Die glückliche Wahl des Kampfmittels entscheidet über gemeinsames Rudern, gemeinsames Herausfallen oder Überleben des gutartigen oder bösartigen Gewinners.
Nach den Schweigerunden mit Viagra auf den mageren Weiden der Loire gab es sehr viel entspannendes Gelächter. Nicht nur deshalb.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (resignierend: “Warum werden heute solche Spiele nicht mehr erfunden?”), Günther: 7 (ein Spiel für die ganze Familie), Walter: 7 (spielerisch, lustig, für seine Zeit ein Menge hübscher, neuer Ideen oder Ideenkombinationen).
4. “Diggers”
Aaron sucht immer noch nach Wegen, um mit seinem flotten, charmanten Spiel für Genießer den Spagat zwischen Chaoten und gemäßigten Planern zu schließen.
- Ein neues Wertungssystem vermeidet das taktische Spekulieren mit den Siegpunktkarten. Es stehen häufiger hohe Prämien an. Man kann sich sogar ganz alleine aus eigener Kraft hohe Wertungspunkte erspielen. Hier müssen die Mitspieler jetzt vermehrt darauf achten, solche Pfründe zu verhindern. Eine andere Art der Interaktion. Aber kein neuer Charme.
- Zwei neue Sonderkarten kehren ein- bis zweimal die Siegpunkt-Vergabe um. Höchst unberechenbare Ärgerelemente. Nur wenn es sein muss.
In meinen Augen wird damit Champagner einmal gegen Malzbier und einmal gegen Pelzig’s giftgrüne Bowle ersetzt.
Noch keine WPG-Wertung.