“Wenn ich heute etwas überzwergs schreibe, so ist das kein Wunder. Hinter mir spielt man ein Spiel du Pharao, auf meiner Rechten ein Hoca, auf meiner linken ein Ombre und Schachspiel und nahe bei dem Bett ein Berlan. Also könnt ihr wohl denken, welch ein abscheulicher Lärm in meiner Kammer sein muß.”
Wer kennt heute noch die Spiele, mit denen die beklagenswerte Liselotte von der Pfalz vor 300 Jahren bei ihrem Briefeschreiben belästigt wurde?
1. “Waterloo”
Moritz war heute nach Nostalgie-Stimmung. “Waterloo” hat immerhin schon ein sechstel der Zeitspanne zwischen heute und der guten Liselotte auf dem Buckel: 1974 wurde es von Parker Brothers in deutscher Version herausgebracht, die amerikanische Urversion “Campain” stammt aus dem Jahre 1962.
Bei vier Mitspielern kämpfen Rußland, Österreich, Spanien und Frankreich den bösen Kampf des Lebens um die Vorherrschaft in Europa. Auf dem Spielbrett sind ihre Länder symmetrisch in den vier Ecken angeordnet. Ähnlichkeiten zur lebenden oder toten Geographie sind rein zufällig.
Die Spieler besitzen Infanterie, Kavallerie und je einen General, die ganz brav in den Ecken ihrer Spielfeldecken ihre Ausgangsstellung einnehmen. Die Figuren bewegen und schlagen sich auf dem karierten Spielbrett waagrecht und/oder diagonal ganz wie Türme, Läufer und Dame im Schach. Die jeweilige Reichweite wird wie bei “Monopoly” mit 2 Würfel ausgewürfelt. Die Augenzahl darf beliebig auf die einzelnen Figuren verteilt werden. Dabei muß sich der “Turm” aber pro Augenzahl um genau zwei Felder weiterbewegen. Konsequenz daraus ist, daß es wie bei den Läufern “weiße” und “schwarze” Türme gibt, die ihre Farbe nicht wechseln und sich gegenseitig nicht schützen können. Überhaupt erfordert es eine elende Analyse, für jede einzelne Figur zu berechnen, wen sie schützt – wenn überhaupt – und wie oft sie geschützt ist – wenn überhaupt!
Gewinner ist, wer als erster 8 fremde Städte (von 20) erobert hat und sie halten kann, was natürlich im chaotischen Planspiel gegen drei Mitspieler fast nicht möglich ist, es sei denn, man hat die Figuren der (meisten) Gegenspieler wie beim Anfängerschach erst mal auf Null reduziert. Wenn ein Spieler alle seine Figuren verloren hat, ist für ihn das Spiel zu Ende, leider aber für die anderen Spieler nicht. Wie beim “Monopoly” scheidet er aus und muß warten, bis sich am Ende ein einziger Monopolist gegen alle übrigen Mitstreiter durchgesetzt hat.
Zu Beginn wird angenommen, daß alle Spieler die vier Städte im eigenen Land “besetzt halten”. Die Spielanleitung benutzt hier ganz eindeutig nicht den Begriff “besitzen”. Auch in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts galt noch, daß das Militär nichts “besitzt”, sondern alles nur “besetzt”!
Es dürfen Bündnisse und Nichtangriffspakte geschlossen werden. Z.B. können sich zwei Mitspieler darauf einigen, sich gegenseitig die eigenen vier Städte erobern zu lassen. Dann hat jeder schon mal die Hälfte der Siegbedingungen erfüllt. Doch wie im richtigen Leben kann jede Seite jederzeit ihr Bündnis aufkündigen und den vertrauensseligen Partner abmurksen, sobald er im Kampf gegen die Unbündigen schwächelt.
Moritz knüpfte sofort ein Bündnis zwischen Rußland und Frankreich und bevor das Spiel auch nur aus den Startlöchern kam hatten beide Länder schon die preußischen Städte unter sich aufgeteilt. Dann erst wachten die etwas behäbigeren Habsburger aus Madrid und Wien auf, und teilten sich die italienischen Städte auf dem rechteckigen Zwischenstiefel.
Das Spiel war aber immer noch nicht in Schwung, Bewegungswürfe von 3 und kleiner trugen dazu bei, daß die Truppen nur langsam in die erforderlichen strategischen Positionen zum Losschlagen kamen. Aaron ahnte schon nach wenigen Minuten, daß unsere aktuelle Ausdauer für ein erneutes “Waterloo” wohl nicht ausreichen würde. Moritz war dem grundsätzlich nicht abgeneigt, doch wollte er wenigstens den ersten Kampf sehen.
Das topologische Problem der weißen und schwarzen Türme – schwer zu meistern, da das Spielbrett kein Schachbrettmuster enthält, sondern aus einfarbigen Karos besteht – war früh erkannt, doch nicht gelöst worden. Walter kam selbst nach einer Stunde Spielzeit immer noch nicht mit den Bewegungsregeln zurecht, viel weniger noch mit der Beherrschung der Angriffs- und Verteidigungsstärken jeder einzelnen seiner 12 Figuren. Wie ein Blinder im Nebel kann man in Waterloo keinen Pappenstil gewinnen.
Moritz hatte das Spiel vor Jahrzehnten mit seinen Freunden gespielt. Damals sind sie mit König und wenigen Mitläufern durch die Lande gezogen und haben sich gegenseitig platt gemacht, bis am Ende mit wenigen Figuren das Endspiel erreicht war. Wie Anfänger beim Schach. Das ganze dauerte jeweils mehr als drei Stunden. Soviel wollten wir diesmal von unserem kostbaren Abend nicht opfern.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (möchte es nicht nochmals spielen), Günther: 4 (fühlt sich bei dieser Note etwas schuldig), Moritz: 5 (in memoriam 1974), Walter: 5 (hat die Raffinesse noch nicht durchdrungen).
2. “Das Spiel der Nationen”
Noch ein Spiel von Parker aus den siebziger Jahren. Als Spielmotor wurden vom Autor diesmal nicht die “Monopoly”-Würfel, sondern das Geld und die Ereigniskarten herangezogen. Ein Ölkontinent ist in verschiedene Länder mit Ölvorkommen und Ölverlade-Anlagen eingeteilt. Pro Zug können / müssen / dürfen die Spieler:
1) Geldeinnahmen aus ihrer Ölförderung erzielen
2) Eine neue Landesregierung einrichten bzw. vorhandene Regierungen bewegen
3) Einen Geheimagenten bewegen (er erschwert die Bewegung der fremden Regierungen)
4) Schiffe zu ihren Ölverlade-Anlagen hinzukaufen
5) Pipelines zwischen Binnenländern und Meeranrainern bauen
Alles ist sakrisch teuer. Mit 8 Mille geht jeder Spieler ins Rennen. Eine demonarchische Regierung kostet schon allein 2 Mille. Pro Spielerzug muß sie bewegt werden, auch wenn das sinnlos ist; das kostet auch schon wieder 2 Mille. Eine anarchische Regierung kostet immerhin noch 1 Mille pro Einrichtung und Bewegung. Und wenn die Regierung nicht in der Hauptstadt ist, gibt es kein Fördergeld. Schon allein wegen des Bewegungszwanges braucht man eine zweite billige anarchische Regierung, mit der man die die teuren und sinnlosen Bewegungen ausführt, damit wenigsten die andere Regierung in ihrer Hauptstadt bleiben und Einnahmen erzielen kann.
Ein Schiff kostet 5 Mille, eine Pipeline auch. Da ist man seine Peanuts-Geldausstattung schneller los, als die bayerische Landesbank unsere Ersparnisse an den Lehmann bringen kann. Wer kein Geld mehr hat, scheidet aus. Ohne das Spiel zu beenden – aber das hatten wir schon.
Ein anhaltendes homerisches Gelächter erhob sich, als die krassen Zugmöglichkeiten analysiert wurden: Walter konnte in seinem dritten (!) Zug bereits mit seiner Revoluzzer-Regierung Günthers König entthronen und seine Ölvorkommen übernehmen. Günther konnte gerade noch seine Schiffe retten, blieb aber hilflos ohne jede Einnahmequelle und wäre nach weiteren drei Zügen unausweichlich pleite gewesen, wenn
? Ja, wenn er nicht aus lauter Verzweiflung auf ein Ereignisfeld gezogen wäre, das ihm 6 Mille zuschusterte, mit denen er in einem neuen Land ein neues Leben beginnen konnte. Diese Spielbalance ist absurd. Moritz verteidigte sie als “normale” Erscheinung in den Spielen der siebziger Jahre. Aber so ganz kann ich ihm diese Behauptung nicht abnehmen.
Walter konnte der Verlockung der Ereignisfelder ebenfalls nicht widerstehen. Doch hier wurde sein Leichtsinn bitter bestraft. Er verlor die Hälfte seiner Schiffstonage und konnte mit dem Rest seine laufenden Ausgaben für Regierung und Exploration nicht mehr bestreiten. Es war tatsächlich sein Aus, und nach WPG-Verständnis war es auch das Ende des Spiels.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (im Gegensatz zu “Waterloo” keine Topologie-Probleme), Günther: 3 (reines Glücksspiel), Moritz: 6 (weil so viel gelacht wurde + weil es damals gut war), Walter: 3 (könnte funktionieren, wenn die vielen krassen Effekte restlos eliminiert würden).
3. “Kunststück”
Ein “Krimi-Kartenspiel für clevere Kunsthändler”.
Aus verdeckten Kartenstapeln ziehen die Spieler Karten für “Kunstwerke” verschiedener Stilrichtungen (Renaissance, Barock, Romantik etc.) bzw. für verschiedene “Galerien” (Pinakothek, Städel Museum, Kunsthalle etc.) und Aufträge, nach denen sie Kunstwerke vorgegebener Stilrichtung an beliebige Galerien oder beliebige Kunstwerke an vorgegebene Galerien verkaufen können.
Es geht also darum, passende Sets von Karten zu ziehen, zu sammeln und abzulegen. Das ganze riecht nach Romme oder Quartett. Allerdings gibt es dabei ein Regelbeiwerk, das dem ganzen schon eine intellektuelle Note verleiht.
Die Spieler dürfen maximal 3 Karten in der Hand haben. Alle weiteren Karten müssen sie in eine private Ablage tun (Kapazität: 3 Karten) oder an öffentliche Stapeln offen ablegen, wo sie jedem Mitspieler zur freien Verfügung stehen. Beim Ziehen einer jeder Karte muß man also herumschauen, welche passenden Karten öffentlich herumliegen, welche Karten man privat in der Ablage hält und welche Karten auf der Hand sind. Ergibt sich daraus ein passendes Quartett (es reicht schon ein Trio), dann kann die entsprechenden Karten einsacken.
Die wichtigsten strategischen Überlegungen gehen darum:
1) Wie viele Karten soll man in der Hand behalten, zwei oder drei? Mit zwei Handkarten ist man flexibler beim Aufnehmen der nächsten Karte, bei drei Karten hat man mehr unbekannte Überraschungen für die Mitspieler auf der Hand.
2) Sammelt man Kunstwerke oder Aufträge innerhalb der maximal drei Handkarten?
Das ist der ganze Witz, die Herausforderung, die Spannung und das chaotische Zufallselement des Spiel. Ein lockerer Spaß für hochbegabte Schulanfänger.
Und welches sind das Krimi-Elemente? Es gibt eine “Razziakarte”, mit der man einen Mitspieler zwingen kann, seine in der Privat-Ablage ausliegenden Karten auf die öffentlichen Ablagen zu verteilen. Wir nutzten diese Möglichkeit während des ganzen Spieles gerade zwei mal. Aus Faulheit oder Bequemlichkeit, oder weil der Effekt relativ unerheblich ist. Moritz: “Und das waren die spannendsten Momente im ganzen Spiel!”
In der Spielregel steht noch, daß “Timing” gefragt ist. “Jawohl” bestätigte Günther “zum richtigen Zeitpunkt vom verdeckten Stapel die richtige Karte ziehen”.
Moritz: “Die heutigen Spiele sind auch nicht besser als die alten!” Und damit meinte er nur das letzte Jahrhundert, gewiß nicht die Spiele, mit denen am Hofe des Sonnenkönigs die Luder und Luderinnen ihre Zeit vertrieben, und bei denen die gute Liselotte es vorzog, lieber Klagebriefe zu schreiben.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (etwas zu lang, sonst OK), Günther: 4 (für Kinder zu komplex), Moritz: 4 (Grundidee ganz hübsch, die Karten auch, aber es fehlen Höhen und Tiefen), Walter: 5 (für Kinder OK).
4. “Bluff”
Zwei ganz extreme Würfelkombinationen:
Erstens: Im Endspiel Aaron (5 Würfel), Günther (2) und Moritz (4) legte Aaron 4 mal die Vier vor, Günther hob auf 5 mal die Zwei und Moritz auf 6 mal die Zwei.
Aaron strahlte, er hatte unter seinen 5 Würfeln keine einzige Zwei: “Das geht nur, wenn ihr alle nur Zweier habt” Und genau so war es. Aus mit dem Strahlen.
Zweitens: Alle vier Spieler hatte noch ihre 5 Würfel und Aaron begann mit 7 mal die Fünf. Günther hob auf 8 mal die Drei, Walter auf 5 mal Stern und Moritz auf 10 mal die Zwei.
Aaron hatte wieder keine einzige Zwei unter seinem Becher und zweifelte hoffnungsvoll an. Jetzt strahlte auch Günther, er hatte ebenfalls keine einzige Zwei geworfen. Walter zeigte mit gemischten Gefühlen seine 3 Sterne und 2 Zweier. Moritz konnte erneut triumphieren: Er hatte ebenfalls lauter Zweien unter dem Becher und konnte seinen Mitspielern je einen Würfel abknöpfen.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.