Spielbericht & Review 11.06.2003
Autor: Walter
am Tisch: Günther, Loredana, Peter and Walter
auf dem Tisch: Amun Re, Coloretto, Bluff
- Amun Re
Bis in die Auswahlliste der letzten Zehn für das "Spiel des Jahres" hat es Amun
Re gebracht. Und wenn Reiner Knizia oder sein Verlag "Hans im Glück" noch ein
Quentchen Glück haben, dann können sie hier sogar noch die Siegespalme erringen. Was ist
dran, an diesem Spiel?
Es besitzt eine gelungene Fabel (ägyptische Dynastien), ein gefälliges Design, eine sehr
solide Ausstattung, vielfältige Zugkombinationen, klare Regeln, ausgewogene
Spielmechanismen - und keinen Würfel. Es spielt sich flott, beim Bieten und Opfern in
gelegentlicher Konkurrenz zueinander, ansonsten jeder für sich. Es ist an keiner Stelle
aggressiv, was für einen gelungenen Abend im trauten Familienkreise durchaus von Vorteil
ist.
Aaron hat die Spielregeln in einer WPG-Kritik schon
eingehend beschrieben. Es geht um das Ersteigern von Provinzen im alten Ägypten, um den
Ausbau der Landwirtschaft, das Errichten von Pyramiden und das Erwerben von Machtkarten,
mit deren Hilfe man seine nächsten Züge und die Wertungspunkte optimieren kann.
Jeder Spieler kann bei jeder seiner Anschaffungen ein beliebiges Vielfaches der
jeweiligen Kategorie erwerben: für die Landwirtschaft kann er eine unlimitierte Anzahl
von Bauern erwerben, für die Pyramiden kann er eine unlimitierte Anzahl von Bausteinen
erwerben und für seine Sieg-Optimierung kann er eine beliebige Anzahl von Machtkarten
kaufen. Alles hängt nur von der Menge seines verfügbaren Geldes ab. Diese Menge ist von
Haus aus natürlich sehr beschränkt.
Zudem steigt der Preis für das Erwerben irgendwelcher Elemente quadratisch mit der
Anzahl der erworbenen Einheiten. Diese Progression ist wohl das charakteristischste
Merkmal dieses Spiels: Vier Bauern kosten 10 Goldstücke, fünf Bauern bereits 15
Goldstücke. Damit ist ein normaler Spieleretat bereits ziemlich erschöpft. So kann man
das obige "unlimitiert" leicht durch die Zahl "vier" oder
"fünf" ersetzen.
Bei Amun Re geht es auch im wesentlichen darum, mit mäßigen aber konstanten Schritten
seinen Besitzstand auszubauen. Wann immer man am Zug ist und über geeignete Möglichkeiten
verfügt, sollte man mindestens 2-3 Elemente aller Kategorien erwerben.
Zwei Machtkarten zu kaufen ist selbstverständlich: sie besitzen ausschließlich positive
Eigenschaften, kosten in Summe nur 3 Goldeinheiten und können bei Nichtgefallen jederzeit
für 2 Goldeinheiten zurückgegeben werden können. Das Risiko, zwei absolut unpassende
Machtkarten zu ziehen, kostet insgesamt also nur 1 Goldstück.
Bauern bringen um so mehr, je früher man sie erwirbt. Sie erwirtschaften ja in JEDER
Runde ihren Ertrag. Der durchschnittliche Profit beträgt 2,5 Goldstücke pro Runde. Ein
Bauer der ersten Runde kann demnach seinem Besitzer leicht insgesamt 7 bis 8 Goldstücke
einbringen. Da kann man in den ersten beiden Runden - sofern man dafür geeignete
Provinzen besitzt - auch schon mal 10 Goldstücke für 4 Bauern hinblättern. Dieser Einsatz
zahlt sich auf alle Fälle aus.
Pyramiden gehören unabdingbar zum Sieg, deshalb muß man gerade in diesem Bereich
jedesmal freudigen Herzens investieren. Drei Bausteine pro Runde sind ein unbedingtes
Muß. Sie bringen zwar keine Rendite für die materielle Existenz, aber Punkte in der
Endabrechnung. Nur durch Pyramiden, durch viele Pyramiden, durch die meisten Pyramiden
kann man das Spiel gewinnen. (Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, dann war Ägypten
um die Zeitenwende auch deshalb wirtschaftlich so herabgesunken, weil es so viele
Pyramiden und Priester am Leben erhalten mußte …)
Ach ja, Priester gibt es auch: das Tempelopfer. Jeder Spieler ist aufgefordert, etwas
Gold für Amun Re springen zu lassen. Man kann sich verweigern und beim Opfer die
Negativ-Karte vorlegen. Dafür bekommt man sogar noch 3 Goldstücke ausgezahlt. Dies ist
allerdings ein sehr kurzsichtiger Gewinn, denn nur wer opfert, bekommt dafür zusätzliche
Teile geschenkt. Das ist im Endeffekt deutlich mehr wert als das lumpige Geld. In der
Regel ist ein geschenktes Teil 4 Goldstücke wert, zwei Teile sind 9 und drei Teile sind
zusammen 15 Goldstücke wert. Wie komme ich darauf? Ich gehe davon aus, daß ein Spieler in
seinem Zug selbstverständlich 3 Bausteine für 6 Goldstücke erworben hat. Wenn er jetzt
als Belohung für sein Opfer auch noch drei Bausteine dazubekommt, dann hat er in dieser
Runde seinen Besitz um 6 Bausteine vermehrt. Wenn er alles hätte bezahlen müssen, wäre
das auf 21 Goldstücke gekommen. Die Differenz, also 15 Goldstücke, hat ihm sein Opfern
eingebracht. Q.e.d.
Der Opfernde mit dem höchsten Gebot bekommt noch einen weiteren, nicht zu
unterschätzenden Vorteil: er wird (bleibt) Startspieler. Damit kann er sich in der
nächsten Versteigerungsrunde gleich auf die eindeutig beste Provinz stürzen, ein
angemessen hohes Gebot darauf setzen und evtl. mit der Machtkarte
"Bietblockade" absichern. Ein solcher Zug kann gegenüber den Mitbewerbern
durchaus mal einen Vorteil von 10 bis 15 Goldstücke bedeuten.
Der Startspieler hat den weiteren Vorteil, daß er bei der Bewertung des Tempelopfers bei
Gleichstand bevorzugt wird. Ein solcher Gleichstand muß zwar nicht notwendigerweise
auftreten, kommt nach unserer Erfahrung aber durchaus in jeder zweiten Opfer-Runde vor.
Die Bevorzugung bei Gleichstand ist nach der oben dargelegten Analyse weitere 5-6
Goldstücke wert.
Hier möchten wir WPGs noch eine Regelverbesserung vorschlagen. Das Tempelopfer sollte
nicht nur den Startspieler bestimmen, sondern auch die weitere Zugreihenfolge, d.h. der
Spieler mit dem zweithöchsten Opfer sollte zweiter, der mit dem dritthöchsten Opfer
sollte dritter werden. Damit ist die Zugreihenfolge nicht mehr mit der Sitzreihenfolge
korreliert, dafür aber gerechter. Man könnte sie durch Positionskarten mit den Nummern 1
bis 5, die nach dem Opfergang den Spieler zugeordnet werden, sichtbar und merkbar machen.
Ohne diese Regeländerung kann es passieren, daß der unglückliche Zweite beim Tempelopfer
nicht nur den Opferwettkampf verliert, sondern durch zufällige Sitzposition jetzt auch
noch unglücklicher letzter in der Zugreihenfolge wird. Dieser Schicksalsschlag sollte
abgefangen werden.
Jetzt kommt noch die Frage: Ist Amun Re ein strategisches Spiel? Zu einem gewissen Grade
ja. Schließlich hat es keinen Würfel. Wohin ich mein Geld investiere und wieviel, ist
allein meiner strategischen Planung überlassen. Doch sind die Freiheitsgrade meiner
Entscheidungen ziemlich begrenzt. Wenn ich keine freien Bauernfelder habe, kann ich keine
Bauern erwerben. Wenn ich keine Provinzen mit Machtkarten-Optionen besitze, kann ich
keine Machtkarten kaufen.
Auch die aufgedeckten Provinzen stellen in der Regel keine allzu strategische Komponente
dar. Vielleicht beinhalten zwei von vier einen bevorzugten Wert, weil sie Ertragsreichtum
oder Gratis-Geschenke versprechen. Um sie wird gerungen. Zwei Spieler können dann ihr
Verlangen stillen, gegebenenfalls zu einem sehr hohen Preis. Wer hier nicht zum Zuge
gekommen ist, muß sich mit einer minderwertigen Provinz zum Nulltarif begnügen.
Welche Machtkarten erwirbt man? Der Zufall entscheidet. Wenn ich Pech habe, ziehe ich
mehrere Provinz-Bonuskarten und kann sie nicht einsetzen, weil die aufgedeckten Provinzen
alle (oder zum Großteil) so unglücklich liegen, daß die Bonus-Bedingung nicht erfüllt
werden kann. Das ganz normale Pech. Aber eben keine Strategie.
Die Vielfalt der Spielabläufe stammt bei Amun Re sehr stark aus Zufallsverteilungen. Das
sollte man nicht übersehen. Trotzdem ist es ein schönes Spiel. Gut abgestimmt und vor
allen Dingen äußerst konstruktiv. Für jeden Spieler geht immer nur aufwärts, Besitzstand
wird nie verringert, keiner kann dem anderen in die Suppe spucken. Es entsteht ein edler
Wettstreit um Aufbauarbeit, niemals aber Aggression.
Zum Schluß noch einen kleinen Tipp zum gewinnen: Natürlich muß man gut wirtschaften,
natürlich muß man viele Pyramiden bauen oder erwerben. Wenn man im Schweiße seines
Angesichtes sich endlich eine hoffnungsvolle Position erarbeitet hat, dann muß man sich
mit einem geeigneten Mitspieler aus dem zweiten Glied arrangieren: Gentlemen-Agreement
darüber, daß keiner dem anderen die Pyramidenmehrheit streitig macht, sondern daß man
sich auf einen Mehrheiten-Gleichstand einigt. So verdienen beide die erhebliche
Mehrheits-Prämie von 5 Siegpunkten und jeder kann seine letzten Pyramiden-Investitionen
zum Ausmerzen von persönlichen Schwachstellen benutzen. Diesbezüglich hat das Spiel sogar
einen Kingmaker-Effekt. Glücklicherweise den einzigen.
Peter bot mir mit zärtlicher Stimme diesen Deal an. Ich konnte nicht Nein sagen, wie
sehr Günther auch versuchte, dagegen zu moritzieren. Mit zwei Punkten Vorsprung konnte
Peter den Sieg in die Scheune fahren. Ich war natürlich unter ferner liefen.
WPG-Wertung: 7.5
- Coloretto
Moritz hat das Spiel ausführlich beschrieben. Früh
aussteigen, mit nur einer einzigen guten Karte oder spät aussteigen, mit drei Karten
zweifelhafter Qualität, das ist hier die Frage.
Peter versuchte im ersten Spiel, mit den wenigsten Karten über die Runden zu kommen. Er
wurde Letzter. Im zweiten Spiel stieg er (fast) kein einziges Mal vorzeitig aus. Mit den
meisten Karten wurde er erster. So scheint es doch wohl besser zu sein, etwas mehr und
auch schlechte Karten zu bekommen, als weniger und nur gute Karten.
Es ist doch klar: die 6. Karte einer passenden Farbe bringt sechs Punkte Zugewinn, die
erste Karte einer unpassenden Farbe bringt nur einen Punkt Verlust. Natürlich ist die 6.
Karte einer guten Farbe deutlich seltener als eine Karte einer schlechten Farbe.
Schließlich muß man dazu dann ja bereits 5 andere Karten der guten Farbe herausgefischt
haben und es sind nicht mehr viele davon im Stapel.
Hier eine exakte mathematische Formel aufzustellen, in der alle offen ausliegenden
Karten berücksichtigt sind, und die aussagt, ob man den kleineren Stapel nehmen soll oder
noch eine weitere Karte auf Risiko auflegen soll, ist eine dankbare Aufgabe für unseren
Günther. Schließlich hat er in Summe unsere beiden Durchgänge auch gewonnen.
WPG-Wertung: 5.75
- Bluff
Peter versuchte durch eine lange und ausführliche Einführung in Statistik und
Kombinatorik anhand ausgewählter Beispiele seiner neuen Mathematikerin die
wissenschaftlichen Grundlagen von Bluff darzulegen. Dabei hat er total übersehen, daß das
Spiel nicht "Kolmogoroff" sondern "Bluff" heißt. Rechnen ist gut,
bluffen ist besser. Gott-sei-Dank wird Bluff gespielt und nicht gerechnet. Loredana wurde
durch Peters Vorlesung auf eine ganz falsche Fährte gelockt. Spaß gemacht hat es
trotzdem.
Keine neue WPG-Wertung