|
Für mich ist es immer ein Kulturschock, wenn nach einem braven deutschen Wirtschaftsspiel unser Moritz einen alten Klassiker auf den Tisch legt und schon bei der Erklärung der Spielregeln offenbar wird, daß jetzt mehr oder weniger nur mehr Hauen-und-Stechen angesagt ist. Aber auch an solche Schocks kann man sich gewöhnen, genauso wie an den mathematischen Sprung von Plus-Unendlich nach Minus-Unendlich, hinter dem doch oft nur eine winzige Epsilon-Verschiebung steckt.
Nachdem ich meinem Unmut lauthals Ausdruck verschafft und mich in angemessene Schlägerlaune versetzt hatte, entdeckte ich auf einmal die Schönheiten dieses Spiels. Auch wenn wir "Herren der Schöpfung" uns nicht gleich wie Götter fühlen können (wie es die Spielanleitung propagiert), so enthält "Lords of Creation" doch eine Menge feiner spielerischer Elemente, die es wert sind, sich die zwei bis drei Stunden Spielzeit mit ihm zu beschäftigen.
Natürlich sind die "Lords" kein tiefschürfendes strategisches Spiel: Natürlich wird hier genauso wie beim trivialen Brutalospiel "Risiko" eine Welt bevölkert und mit brachialer Gewalt der Nachbar totgeschlagen. Natürlich gibt es Würfel, die den Mächtigen bei seinem einen Eroberungszug einem blinden Zufall unterwerfen und so dem Schwächeren eine Chance aufs Überleben gewähren. Aber im Detail läuft alles viel subtiler ab, und der Sieger wird schließlich nicht durch den größeren Haufen an barbarischen Schlächtern, sondern durch die Mehrzahl der zivilisierten Mitbürger und durch die Summe der errichteten Tempel bestimmt.
Für eine ausführliche Spielbeschreibung verweise ich auf unsere WPG-Rezension von Moritz. Ich will hier jetzt nur ein paar Eigenschaften herausstreichen, warum in meinen Augen "Lords" wesentlich mehr ist als ein martialisches Kriegspiel und welche vielfältigen gegensätzlichen Abwägungen innerhalb der Spielplanung möglich sind.
Das fängt schon beim Bebauen des Spielfeldes an. Jeder Spieler ist daran beteiligt und kann mitwirken, ob große zusammenhängende Landschaftsgebiete entstehen, die unweigerlich harte kämpferische Auseinandersetzungen nach sich ziehen, oder kleine Parzellen, in denen die Bevölkerung mehr oder weniger friedlich vor sich hinvegetiert. Ich habe mich zuerst gewundert, warum wir mit dem doch recht willkürlichen Auflegen von quadratischen Landschaftsplättchen auf das hexagonale Flächenmuster des Spielbrettes soviel Zeit "vergeuden" sollen. Aber das Ergebnis dieses schöpferische Prozeß ist für den weiteren Spielverlauf sehr entscheidend. Außerdem soll jeder schon beim Bauen ein Gefühl für die Eigenheiten der entstehenden Strukturen bekommen. Und schließlich garantiert ein aus der Laune eines jeden Mitspielers geborenes Landschafts-Durcheinander mit Sicherheit einen interessanten Spielverlauf als eine durch Mischen und Auflegen erzielte Zufallsverteilung.
Bei Beginn jedes Zuges wählen die Spieler mittels verdeckt gezogener Karten aus, ob sie viel oder wenig neue Bevölkerung aufs Brett bringen und in welchem Geländetyp die neue Bevölkerung erscheint. Das ist gar keine so eindeutige Entscheidung. Wer sich für ein geringes Bevölkerungswachstum entscheidet, darf als erster ziehen. Das kann ein erheblicher Vorteil sein, wenn nur wenige freie Plätzchen einer Landschaftsart verfügbar sind, die dann kampflos besetzt werden können. Wer kein freies Feld mehr findet, der muß seine neue Bevölkerung auf bereits von ihm selbst besetzte Felder verteilen und verliert an Raum.
Die Karten mit hohen Nachschubwerten gehen auch keineswegs verloren. Sie bleiben auf der Hand und können für spätere Scharmützel gute Dienste leisten. Es ist vielleicht keine blödsinnige Taktik, sich zuerst (auch) auf kleinere Landschaftsinseln zu konzentrieren und die Großen der Welt um die Vorherrschaft kämpfen zu lassen. Wenn die Welt verteilt ist, können zurückgehaltene Karten mit hohen Nachschubwerten wirksam für eine neue Aufmischung eingesetzt werden.
Zur Kampfphase gibt es nicht viel Taktisches zu sagen. Der Angreifer sollte eine gehörige Übermacht haben und gut würfeln. Zumindest auch keinen Pasch, weil dieser die Kampfphase sofort beendet. Der Verteidiger hat in jedem Fall eine Überlebenschance. Und für die Außenstehenden ist jeder Kampf ein ansehnliches Spektakel. Erstens kann man für die eine Partei Hoffen und Beten, die einem aus vielerlei Gründen näher ans Herze gewachsen ist. Zweitens kann man gegen die andere Partei Hoffen und Beten, sie möge ruhig ein paar von ihren bedrohlichen Federn lassen. Und drittens profitiert jeder Unbeteiligte für sich von jeder Dezimierung der Kriegsgegner. Anders als in der Literatur erwähnt, waren für mich als Zuschauer die Kämpfe meiner Mitspieler nie mit Langeweile, eher mit Lustgefühlen verbunden.
Noch ein paar Zahlen zu den Wahrscheinlichkeiten in der Kampfphase:
In gut 25 % aller Kämpfe (55/216) verliert der Angreifer pro Wurf einen Pöppel.
In gut 69 % aller Kämpfe (150/216) auf gleicher Geländeart verliert der Verteidiger pro Wurf einen Pöppel.
In knapp 42 % aller Kämpfe (90/216) auf unterschiedlichem Gelände verliert der Verteidiger pro Wurf einen Pöppel.
Schlußfolgerung daraus? Wenn man keine Angst davor hat, böses Blut zu machen, dann sollte man in KEINEM Fall auf einen Angriff verzichten, egal ob der Gegner stärker oder schwächer ist, egal ob man auf gleichem oder auf ungleichem Gelände kämpfen muß.
Diese Rechnung gilt aber nur in der Beziehung zu dem Mitspieler, gegen den man kämpft. Daß man mit Kämpfen gegenüber den Nicht-Kämpfern keinen Vorteil gewinnt, ja daß alle Unbeteiligten bei jedem Kampfausgang grundsätzlich zu den Siegern gehören, steht auf einem anderen Blatt. Für die Gesamt-Bilanz gegenüber allen Mitspieler sollte man demnach auf JEDEN Angriff verzichten! Bemerkenswert, nicht wahr? Oder habe ich hier einen Denkfehler begangen?
Natürlich bringt eine Expansion nach erfolgreichen Schlachten zusätzliche Punkte. Eine in Zahlen ausdrückbare Kosten-Nutzen-Rechnung muß die mindestens die Anzahl von gegnerischen Verteidigern und die Gesamtzahl der Mitspieler berücksichtigen. Zahlenwerte werde ich frühestens bei der nächsten Besprechung mitliefern.
Kommen wir zur Zivilisierung. Diese Spielmechanismus hebt die "Lords" weit über Risiko-ähnliche Kampfspiele hinaus. Durch simple Zivilisierung einem mächtigen Feind jegliche Fähigkeit zum Angriff zu nehmen ist schon ein pazifistischer Genuß. Manchmal auch ein militaristischer: ein solcher Gegner kann hinterher ohne Gefahr von Gegenangriffen abgemurkst werden.
Auch die Ermittlung der Startposition für die eigene Zivilisierung ist eine echte Herausforderung an die Logik. Weiterhin erfordert es sehr viel Übersicht, im Laufe des weiteren Spieles jeweils zu entscheiden, ob man sich selbst zivilisiert und damit Punkte erzielt, oder ob man den Gegner zivilisiert und damit dessen Expansionsgelüste stoppt. Diese Endphase mit gemischter Bevölkerung aus Barbaren und friedlichen Bürgern, mit aggressiven und defensiven Möglichkeiten zum Punkten, macht das Spiel wirklich zu einem spannenden Vergnügen.
Ist "Lord of Creation" damit schon ein strategisches Spiel? Nein, gewiß nicht. Zu groß sind dazu sind die Zufallseinflüsse, angefangen von der Verteilung der Handkarten, über die ausgewürfelten Kampfergebnisse bis zu dem über bis zu sieben Runden hinweg von Zufälligkeiten herbeigeführten Spielende.
Könnte man dem Spiel durch Eliminierung einiger dieser Zufallsabhängigkeiten einen anderen Charakter geben und damit das Spiel in eine berechenbarere Kategorie heben? Die Spielanleitung schlägt vor, ALLE Bevölkerungskarten gleich zu Beginn unter die Spieler zu verteilen. Das ist aber noch längst nicht alles. Zur Chancengleichheit müßte zusätzlich noch jeder Spieler über die gleiche Summe an Bevölkerungswachstum verfügen. Und die Gebietsverteilung in der Kartenhand der Spieler müßte ausgewogen sein. Und die Verteilung der Landschaften auf dem Spielbrett müßte damit korrelieren. Und und und …
Das Spiel würde nicht besser, die Kalkulierbarkeit nur scheinbar erhöht: Ein Mehrpersonen-Kampfspiel kann nicht berechenbar sein. Asymmetrien beim Austragen von Konflikte, Ausleben von Rachegefühlen und Kingmakerei sind unausweichlich. Da fördert so ein bißchen zufallsbedingte Undurchsichtigkeit und Ungerechtigkeit deutlich den spielerischen Charakter der Abläufe. Mir jedenfalls hat "Lords of Creation" so wie es ist, das Zuschlagen, das Zugeschlagen-Werden und das jeweilige Zuschauen dabei, sehr viel Spaß gemacht.
Kommentare lesen/eingeben |
©2004, Walter Sorger