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Ein wunderschönes kleines Kartenspiel vom Rang eines ausgewachsenen Brettspieles. Jeder ebene Tisch kann als Spielbrett dienen. Darauf werden die Karten zweier sich bekämpfender Parteien gelegt und schon geht es los mit Planen, Taktieren, Feilschen, Kampfeinsatz und - Verrat!
Die Spieler schlüpfen der Reihe nach in verschiedene Rollen, die ihnen Einflußpunkte beim Entscheiden eines Kampfes in die Hand geben. Manche Rollen sind weniger kampforientiert, sie erlauben dem Spieler ganz einfach, sein privates Süppchen in der Heimat zu kochen.
Von Haus aus ist jeder Spieler einer bestimmten Partei zugeordnet. Gemeinsam gilt es, den zum Sieg notwendigen Einsatz aufzubringen. Gemeinsam teilt man sich die Siegpunkte, wenn der Kampf gewonnen wurde. Jeder bekommt den gleichen Anteil, unabhängig davon, wieviel er zum Sieg beigetragen hat. Wer zum Egoismus neigt, wer knickrig oder schofel ist, oder wer ganz scharf kalkuliert hat, der spart sich seinen Einsatz und läßt seine(n) Genossen allein die Kastanien aus dem Feuer holen. Frei nach dem alten Habsburger Motto "Bella gerant allii, tu Austria felix nube!" Beim Verteilen der Beute ist er wieder zur Stelle.
Am höchsten aber ist es, wenn sich ein Spieler erfolgreich die Verräter-Rolle aussucht. Dann wechselt er vor der Kampf-Entscheidung die Partei und seine eingesetzten Werte zählen zur Gegenseite. Hier reicht dann oft ein Null-Einsatz zum Sieg. Der Spieler teilt die Beute mit den anderen, die bei Beginn des Zuges noch die Gegenpartei darstellten. Seine ehemaligen Verbündeten gehen leer aus, vielleicht sogar nachdem sie selber Haus und Hof in die Waagschale geworfen und verloren haben.
Ein höchst vergnügliches Spiel. Klein aber OHO! Ein Phänomen! Komplex, spannend und begeisternd! So urteilt das Internet. Bis auf die Auswahlliste zum "Spiel des Jahres" 1999 hat es sich durchsetzen können.
Aber halt, jetzt kommt die Moral von der Geschichte. Ist Verräter nicht ein höchst unmoralisches Spiel? Jeder wartet doch nur darauf, seine Freunde und Verbündeten in den Kampf ziehen zu lassen, alle ihre Mittel sollen sie einsetzen, und dann läßt man sie nackt alleine im Regen stehen, schlägt sich auf die andere, die stärkere Seite und streicht als Verräter-Sieger die Beute ein. Ist das rein menschlich nicht eine äußerst verwerfliche Gesinnung? Ist das nicht genauso schlimm wie Mord? Sollten wir uns nicht schämen, wenn wir uns diese Rolle auswählen?
Mitnichten! "Verräter" ist im intellektuellen Sinne ein absolut "sauberes" Spiel. Jeder Mitspieler weiß, daß immer ein Verräter unterwegs sein kann. Jeder möchte bei passender Gelegenheit selber diese Rolle übernehmen. Ja, ein Teil der Gewinn-Strategie besteht genau darin, Startspieler-Position, Stratege und Verräter so zu timen, daß man auf einen Schlag einen Batzen Siegpunkte einstreicht und den Konkurrenten davonzieht.
Umgekehrt ist an vielen Faktoren abzulesen, in welcher Situation ein guter Spieler jetzt den Verräter spielen MUSS! Da kann man sich als Mitspieler darauf einstellen. Den Verräter-Reibach kann man nicht verhindern, aber man kann seine eigenen Verluste minimieren. Und bei nächster Gelegenheit auf einen entsprechenden Coup für die eigene Tasche hinarbeiten. Alles gut vorhersehbar und berechenbar. Deshalb ist Verräter zweifellos "honorig". Ehrbar unmoralisch!
Moritz und Aaron sehen das genauso. Doch dann schreibt Moritz, und Aaron schließt sich ihm an, im Gegensatz zu "Verräter" sei in "Junta" ein Spieler "unehrbar" unmoralisch! Woher kommt denn dieser Unterschied? Kann mir den einer vor Euch erklären? Gibt es einen einfachen, logisch überzeugenden Entscheidungsbaum, nach dem ein dummer Computer bewerten kann, wann ein Spiel moralisch ist oder nicht; wann es ehrbar ist oder unehrbar? Und wann es in unterschiedlichen Kombinationen diese beiden Attribute zugeteilt bekommen soll?
Ich kenne keinen! Wenn wir unsere Spiele in vier Kategorien einteilen würden, dann käme für mich "Verräter" in die gleiche Schublade wie z.B. die Schurkenspiele "Junta", "Kreml" oder "Im Zeichen des Kreuzes". Ist der Ruf erst ruiniert, lebt man gänzlich ungeniert.
Ein Super-Spiel. Ich könnte es aus ethischen und erzieherischen Gründen sowohl mit meiner gottesfürchtigen Oma als auch mit meinen unschuldigen Enkeln spielen. Dem Reinen ist alles Rein.
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WPG-Wertung: 8,0 Punkte
©2004, Walter Sorger