Aaron nannte Castle of Magic auf der Newsseite "umstritten". Präziser wäre "von Walter gehasst, vom Rest geliebt". Dies lehrt ein Blick auf die Bewertungsseite.
Castle of Magic hat zwei Aspekte, die einem manch anderes, ansonsten gutes Spiel verleiden. Erstens ist Kingmakerei weitgehend unmöglich – okay, zugegebenermaßen nicht völlig, aber sie spielte bislang bei keinem Spiel auch nur ansatzweise eine Rolle. Zweitens bleibt das Spiel für alle Beteiligten bis zum Schluss spannend. Wer gut vorgebaut hat, mag vielleicht mit 40-70% Chance gewinnen, doch selbst wer am schlechtesten steht, behält eine dünne Chance auf den Sieg. Bei Spielchen à la 1830 kommt es durchaus vor, dass man nach zwei, drei Stunden nur noch mitspielt, um den anderen beim Spiel zuzusehen.
Das Spielkonzept ist originell und nicht ein zigter Aufguss altbekannter Mechanismen. Trotz all seiner Komplexität und sogar trotz des Diplomatie-Elements spielt sich Castle of Magic zügig und ist (inklusive Regelerklärung) in weniger als drei Stunden machbar.
Woher also Walters Ranküne? Er glaubt, der ganze Rest der Westpark Gamers ließe sich von diesem Spiel hereinlegen (ich benutz’ mal besser mein eigenes, G-rated wording). Ich denke, dass er auch seine Spaß an Castle of Magic haben wird und sich nicht mehr hintergangen fühlt, sobald er die Taktik des Spiels verinnerlicht hat.
Bleiben wir des Beispiels wegen direkt bei seinen Skandala:
Skandalon 1: Identitäten
Für die allermeisten Charakter sieht die Eigenschaftskarte ungefähr wie folgt aus: Bei einem der drei Reiche (sagen wir A) gilt: Viele Punkte für Kontrolle, viel Schaden bei Verfluchung. Bei einem anderen (unser B) gibt es wenige bis keine Punkte (bzw. Negativpunkte) für Kontrolle oder Verfluchung, beim dritten (C) ist das Verhältnis umgekehrt (Strafe für den Besitz, Bonus für die Verfluchung).
Das Idealziel ist also, in dieser Grundform, die Kontrolle über Reich A mit Verfluchungsmöglichkeit (die man dann auf C anwendet). Nicht schlecht wäre auch das Absterben des Inhabers von C samt Verfluchung – wenn man A kontrolliert, wäre das sogar noch besser. Und selbst wenn ein "Verbündeter" A kontrolliert, kann das immer noch zum Sieg reichen.
Walter hat Recht, dass die Ziele nicht klar kalkulierbar sind. Aber das ist ein wesentlicher Teil des Witzes des Spiels. Man versucht halt vorerst, die Gegenstände korrekt den Reichen zuzuordnen, dann den richtigen Gegenstand (den für Reich A) an sich zu bringen, schließlich Bell, Book, Candle auf’s richtige Ritual zu setzten und fertig. Leider klappt das nicht immer so einfach, denn es spielen auch noch andere Leute mit. Dementsprechend flexibel muss die Strategie sein: Nächster Punkt.
Skandalon 2: Secrets
Walter beschwert sich darüber, dass die sauer erkämpfte Information, ich wolle Sorrell nicht zerstören, wertlos sei. Mitnichten!
Sorrell ist eines der drei Länder, und zwar nach meiner obigen Kategorisierung das Land C, das Land, für dessen Verfluchung Walter Punkte kriegt. Stellen wir uns mal folgendes Endspiel vor: Angenommen, ich habe einen der drei Gegenstände (sagen wir, das Amulett) unter meiner festen Kontrolle, und Bell, Book, Candle wäre so eingestellt, dass der Besitzer des Amuletts ein beliebiges Land verfluchen darf. Dann müsste Walter mit aller Macht mir entgegenarbeiten (durch Verstellen von Bell, Book, Candle und durch hinauszögern des Rituals), denn Sorrell werde ich nicht verfluchen: Irgendetwas anderes bringt mir die Punkte, und mit 50% Chance ist es sein Marus (und zu 100%, wenn mein Gegenstand nicht Marus entspricht).
Jede Information ist Gold wert, sofern man die Mechanismen verinnerlicht hat.
Skandalon 3: Informationsaustausch
Was versüßt einem mehr die Woche, als einem Verbündeten bei Diplomacy von hinten den Todesstoß zu geben? Als einem armen Opfer bei Junta anzubieten, man würde für ihn auf all diese roten Gebäude aufpassen, während er in die Offensive gehen kann?
Unter dem Wort "Spiel" subsumiert man sehr unterschiedliche Tätigkeiten. Dazu gehört das Büffeln über Taktiken, der blinde Zufall des Glücks (und die weit weniger blinde Abwägung stochastischer Chancen) und schließlich die Kommunikation. Es gibt Spieler, die einen dieser Bereiche gegenüber den anderen privilegieren. Walter scheint z. B. die Diplomatie nicht zu mögen. Ich bin in meinem Element, wenn ich gleich einem Basarhändler um Informationen feilschen kann. Wenn man dies, Walters Vorschlag gemäß, durch einen Austausch der Charakterkarten ersetzt, dann müsste man eigentlich gar nicht vor die Tür gehen.
Um beim Beispiel des letzten Spiels zu bleiben: Ich war zweimal in Diplomatie verwickelt. Einmal hab’ ich Aaron herauszitiert, weil der alle Königreich-Gegenstand-Beziehungen kannte, ich dagegen reihenweise Ritualausgänge in Erfahrung gebracht hatte. Ehrlich tauschten wir alle Informationen und profitierten beide gewaltig. Das klappte deswegen, weil ich gut aufgepasst hatte und wusste, dass Aaron meine Daten dringend braucht und er genau das hatte, was mir fehlt.
Später ging Moritz mit mir heraus. "Du bist doch auch Lord?!" "Ja!" "Und du bist doch auch Beast?!" "Ja!" "Und du willst doch auch, dass niemand stirbt und der Fluch aufgehoben wird" – [Nein. Ich wollte alle sterben sehen, und der Fluch war mir egal. Aber ich antwortete tapfer:] "Ja, klar!". Im Nu hatte ich herausgefunden, welches Land für Moritz das A-Land war. Er wusste nicht, wo sich das Ritualergebnis "Inhaber von Land A darf beliebiges anderes Land verfluchen" verbarg. Ich gab ihm die Nummer fünf (was in Wirklichkeit mein Lieblingsergebnis war: alle sterben und Fluch über dem ganzen Land). Leider hat der ganze Anschlag nicht geklappt, weil er mir später auf die Schliche kam, woran ich aber selbst schuld war - dumm.
Wow! Es soll ein Nachteil dieses Spiels sein, dass solche diplomatischen Finten möglich sind? Walter beschwert sich, dass Leute nicht mit der ganzen Information herausrücken könnten – kann passieren, wenn man nicht genug eigenen Stoff bieten kann. Deswegen nahm ich Aaron, weil er beide vitale Interessen aneinander hatten. Walter beschwert sich, dass man belogen werden kann – das passiert, wenn man einfach nicht genug über den anderen weiß und dann den Chip ausgibt. Walter beschwert sich, dass sich Leute nicht an Vereinbarungen halten müssen. Naja, das ist dann vermutlich auch ein Nachteil von Diplomacy, und von Junta, und und und ... Leute halten sich dann an Vereinbarungen, wenn sie selbst auch davon profitieren, und das ist genau der Witz von Castle of Magic, dass solche Konstellationen möglich sind. ("Du willst auch nicht, dass Sorrell verflucht wird, und das geht mir genauso. Zufälligerweise weiß ich, dass Ergebnis Nr. 6 Sorrell verflucht, und ich weiß, dass du das nie angeschaut hast. Also tu was mit Bell, Book, Candle, bevor es zu spät ist.")
Skandalon 4: Das Ritual
Für Bell, Book, Candle gibt es jeweils zwei Möglichkeiten, sodass es insgesamt zwei hoch drei, mithin acht verschiedene Ausgänge geben kann. Jeder der Spieler kann an Bell, Book, Candle zerren, sodass dies Walter insgesamt unsteuerbar und völlig chaotisch erscheint.
Auch das stimmt nicht. Wenn das Spiel in die entscheidende Phase gegangen ist, ist relativ klar, wer die drei Gegenstände am Ende haben wird. Es ist also der Zeitpunkt gekommen, wo man sich eine weitgehend stimmige Liste der Prioritäten machen kann. Also: Bei Ergebnis 3 gewinne ich sicher, bei Ergebnis 4 mit etwas Glück, bei Ergebnis 6 und 1 erlebe ich den Supergau und das war's.
Man kuckt sich halt dann die Bell, Book, Candle–Positionen dieser Ergebnisse an und hat dann bald ein Muster – also etwa: 3 und 4 haben das offene Buch gemeinsam, also mach ich das auf alle Fälle auf. Weitere Dinge spielen da hinein. Vielleicht hat ein Spieler eine gewaltige Zahl an Punkten auf die Kerze gesammelt und hat die zuverlässig ausgeblasen mit drei oder vier Bewegungen. Na gut, dann lass ich halt das Ergebnis 3 sausen (das klappt ohnehin nicht mehr) und arbeite mit aller Energie an der Verwirklichung von 4 usw.
Das Spiel wird nur dann chaotisch-unregulierbar, wenn man die anderen Spieler aus dem Auge verliert. Wenn ich stur versuche, meine Idealkombination umzusetzen, werde ich das nach aller Voraussicht nicht schaffen, denn dies ist kaum die Idealkombination der anderen Mitspieler. Besser man sieht sich um und guckt, was machbar ist und was nicht. Da es keinem besser geht, ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Endkombination niemandes Idealkombination ist. Wenn es aber wenigstens die zweit- oder drittbeste nach den eigenen Voraussetzungen ist, dann reicht das immer noch für den Spielgewinn (was Hans und ich beim letzten Mal erfuhren, die wir mit je 1000 Punkten gewannen – die anderen hatten in der Schlusskombination Negativpunkte).
Als Walter das Ritual auslöste, kannte er seine Folgen nicht. Kingmakerei war dies nicht: Die eingestellte Kombination ging ja nicht auf Walter zurück, sondern war die Folge des Herumzerrens der anderen, sie war, wie gesagt, für niemanden ideal. Ein kluger Spielzug war das sicher auch nicht, denn Walter wurde damit Vorletzter. Andrea war wenig glücklich damit, denn für sie war diese Kombination der Supergau und der letzte Platz. Sie wäre auch ansonsten nur mit größter Mühe an Hans und mir vorbeigekommen, sodass Walter den Spielausgang (jedenfalls auf den vorderen Plätzen) letztlich nicht verdreht hat.
Ich sagte am Anfang, dass gezieltes Kingmakern bei Castle of Magic nicht so leicht ist. Ich meinte damit, dass man kaum bestimmten Spielern etwas auswischen kann. Das sollte aber nicht heißen, dass man das Spiel durch untaktisches Verhalten nicht reichlich verdrehen und sabotieren kann.
Link zu Moritz' Antwort auf Walters Standpunkt.